Kapitel 1
Was Ihre Leber für Sie leiste t
Eine kleine Menschenmenge wartet am Anleger darauf, an Bord des Schiffs zu gehen, mit dem man dann tiefere Gewässer ansteuern will. Die Reisefotografin macht Schnappschüsse der Passagiere, denen die Erwartung anzusehen ist, wenngleich die Gesichter nicht gerade überglücklich wirken. Es nieselt, und die Luft ist durchaus frisch. Ein paar der Leute haben das Frühstück ausgelassen, um rechtzeitig hier zu sein – und außerdem war es ohnehin nicht ihre Idee, den Morgen auf See zu verbringen. Sie sind nur da, weil Freunde oder Angehörige nicht müde wurden zu versichern, es lohne sich wirklich, ein paar Stunden für dieses Naturschauspiel zu opfern.
Draußen auf dem offenen Meer hellt sich die Stimmung auf. Der frische Wind macht die Leute richtig wach, und je weiter sich das Schiff von der Zivilisation entfernt, desto leichter lassen sich die Belange des Alltags vergessen. Manche Passagiere lehnen an den Aufbauten, den Blick unverwandt auf das endlose Wogen gerichtet. Werden sie wohl zu sehen bekommen, was hier angekündigt wurde, oder wird sich auch diese Hoffnung zerschlagen wie schon so viele andere?
Und dann geschieht es. Die Leute werden von einem der Reiseleiter aufgefordert, nach steuerbord zu blicken – es sei eine Flosse gesichtet worden. Jetzt bilden sich Trauben an der Reling, manche deuten auf die Stelle, an der sie etwas hatten ausmachen können, bevor es wieder verschwand. Gespanntes Warten. Sekunden vergehen. Während ihre Blicke das Wasser absuchen, fragen manche sich schon, ob sie nicht zu früh von ihren Sitzplätzen aufgestanden sind.
Schließlich hebt sich ein immer größer werdendes Areal glatter und glänzender Haut aus dem Wasser, und eine gewaltige Fontäne zeigt an, dass die herrliche Kreatur ausatmet. Ein Oh und Ah geht durch die Reihen, als der Wal erneut auftaucht, sich zur Seite wälzt, seine Flossen zeigt und dann wieder in der Tiefe verschwindet. Er bleibt noch ein wenig in der Nähe des Schiffs, die bewundernden Rufe der Zuschauer reißen nicht ab. Zuletzt und zum Abschied hebt das gewaltige Tier seine Schwanzflosse hoch in die Luft.
Begeisterter Beifall. Alle haben hier gerade eine tiefe religiöse Erfahrung gemacht. Wenn man sie beim Verlassen des Schiffs wieder fotografiert und den Vorher-nachher-Vergleich zieht, erkennt man völlig verwandelte Menschen, die zu schweben scheinen und wie vom Licht Gottes erfüllt sind.
Jeder weiß, dass es Wale gibt, wir haben Naturfilme und Poster gesehen oder etwas über sie gelesen. Aber sonst hört man nicht viel von ihnen, wenn es nicht gerade um gestrandete Tiere geht oder den Streit um Fangquoten beziehungsweise -verbote. Ob es ausreichende Bestände gibt oder die Zahlen zurückgehen, ob die Umweltverschmutzung den Walen zu schaffen macht oder es ein günstiges Jahr für ihre Migration ist – solchen Fragen gehen die Tagesnachrichten in der Regel nicht nach. Das Leben der Wale spielt sich nicht vor unseren Augen ab, und wir leben in einer Gesellschaft, in der wir nur das zu glauben und wertzuschätzen scheinen, was direkt zu sehen ist. Wenn diese sanften Riesen etwas bei uns bewirken sollen, müssen wir schon losziehen und nach ihnen Ausschau halten. Wir erkennen ihre Bedeutung erst, wenn wir sie direkt vor uns haben.
So ist es mit vielem im Leben. Denken Sie etwa an werdende Väter, die beim Ultraschalltermin neben ihrer Partnerin stehen und in deren Bauch zum ersten Mal einen lebendigen Embryo sehen. Das ist eine Tiefe des Begreifens, die über Umstandskleidung im Schrank und über Schwangerschaftsvitamine auf der Küchenanrichte nicht zu haben ist. Bis zu dem Moment, in dem das Kind auf dem Bildschirm erscheint, bleibt das Wachsen dieses neuen Lebens dem Partner, der es ja nicht selbst spürt, irgendwie abstrakt.
Und ob Sie es glauben oder nicht, die Funktionen und die Mechanismen der Leber stehen gleichrangig neben solchen tiefen Wundern der Schöpfung. Wirklich, so sieht es aus: Meeressäuger von Dinosauriergröße und die Mysterien der Schaffung neuen Lebens und … Ihre Leber!
Die Leber, ein unauffälliger Verbündeter
Doch davon merkt man nicht viel, die Leber findet kaum Beachtung und gehört nicht zu den Stars unter den Organen des Körpers. In der Schule lernen wir nicht gerade viel über sie, und sie schafft es längst nicht so oft in die Schlagzeilen wie etwa das Gehirn. An das Gehirn können wir ein paar Dioden anschließen und dann die Wellen beobachten, an denen sich beispielsweise Wachzustand und Schlaf unterscheiden lassen. Wenn wir ein Brett vor dem Kopf haben oder an Ängsten, Depressionen und anderen psychischen Problemen laborieren, erleben wir das ganz direkt. Auch mit den Symptomen des geistigen Niedergangs sind wir vertraut, die Symptome einer beginnenden Demenz würden uns nicht entgehen. Viele Geschehnisse erinnern uns täglich an unser Gehirn, auch häufig vorkommende Redewendungen wie »Sie hat was im Köpfchen« oder »Benutz mal dein Gehirn«. Manchmal tippen wir uns einfach an die Stirn, und das sagt mehr als tausend Worte. Oder wir lösen »Kopfnüsse«.
Auch das Herz findet viel Beachtung, schließlich spüren wir es ganz direkt. Wir merken, wie es schlägt, vor allem, wenn es rast oder ein bisschen aus dem Takt ist. Seine Muster lassen sich im EKG sichtbar machen, und so können wir auch verfolgen, ob sich unsere Pulsfrequenz durch ein Trainingsprogramm verbessert. Auf der Verpackung mancher Lebensmittel ist von »Herzgesundheit« die Rede, und von Jugend an wissen wir, was »Herzeleid« ist und wie es sich anfühlt, sein »Herz zu verlieren« oder etwas »mit Herzblut« zu schreiben. Eltern, die ihr Kind eine erste Beziehung eingehen sehen, hoffen inständig, dass ihm nicht »das Herz gebrochen« wird.
Auch andere Teile unseres Körpers wissen sich zur Geltung zu bringen. Muskeln werden durch Training fester und bekommen mehr Relief, und wenn wir einmal bettlägerig sind, werden sie kleiner und weicher. An unserer Haut ist sofort abzulesen, was in unserem Leben los ist, sie kann blass und schuppig, gerötet und entzündet – oder eben strahlend sein. Die Lunge macht sich ebenfalls bemerkbar, wenn auch weniger auffällig: Die Brust weitet sich beim tiefen Einatmen und zieht sich wieder zusammen, wenn wir ausatmen. Früher waren die Gefahren des Rauchens nur wenigen bekannt, aber inzwischen gibt es überall mehr als deutliche Warnhinweise darauf, und jeder weiß, dass das Rauchen Lungenkrebs und andere Krankheiten verursachen kann. Wenn der Bauch voll ist, spüren wir das. Auch das Knurren des leeren Magens wissen wir zu deuten. Die Harnblase macht sich bemerkbar, wenn sie gefüllt ist. Wenn das Wasserlassen wehtut oder wenn es dabei brennt, liegt möglicherweise ein Harnwegsinfekt vor, und wir können den Urin nach seiner Farbe, Menge und Zusammensetzung beurteilen. Auch der Darm erinnert uns fast täglich an seine Existenz, und was wir ausscheiden, lässt sich analysieren. Diese und andere Teile unseres Körpers wissen wir in ihrer komplexen Funktion wirklich zu würdigen, das liegt aber vor allem auch daran, dass wir sie bei ihrer Arbeit beobachten können.
Und die Leber? Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie ist für uns so gut wie nicht vorhanden. Das Wort »Leber« haben wir vielleicht mal in Großmutters Küche gehört, als sie eine Füllung aus Geflügelinnereien zubereitete. Wir fühlen die Leber nicht wie unser schlagendes Herz und nehmen deshalb an, dass sie nicht allzu ausdauernd und intensiv für uns arbeitet. Und da wir nicht mitbekommen, wie sie sich müht, scheint doch alles in Ordnung zu sein, oder? Die Leber bleibt uns ein wenig mysteriös. Was macht sie eigentlich da drinnen, »macht« sie überhaupt irgendetwas? Allzu leicht vergessen wir sogar ihre bloße Existenz .
Allerdings ist den medizinischen Fachleuten bekannt, dass bei sehr vielen Patienten unter der Oberfläche irgendetwas nicht stimmt. Sie wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist, was man aber nie richtig zu fassen bekommt. Sie erleben ganz direkt, wie die gesundheitlichen Beschwerden zunehmen. Immer mehr Menschen kommen mit unerklärlichen chronischen Krankheiten zu ihnen, und sie versuchen mit allen Mitteln herauszufinden, was da vor sich geht. Doch leider gibt es im medizinischen Denken immer wieder Strömungen, die eher verhindern, dass echte Lösungen entdeckt werden.
Einer dieser neueren medizinischen Modetrends sorgt dafür, dass die Schilddrüse immer mehr Zeit, Energie und Ressourcen bindet. Wir haben uns diese populären Theorien in meinem vorigen Buch Heile deine Schilddrüse angesehen. Ihre Anhänger schieben so gut wie alles, vom Haarausfall bis zu Fehlgeburten, auf die kränkelnde Schilddrüse, und wir haben uns vor Augen geführt, weshalb das falsch ist. Zwar spielt die Schilddrüse eine wirklich tragende Rolle für unseren Körper, aber sie ist keineswegs der entscheidende Faktor bei der Entstehung chronischer Krankheiten. Sehr häufig, wenn die Schilddrüse, das Herz, der Darm oder die Gene zum Sündenbock gemacht werden, geht es in Wirklichkeit um die überlastete Leber.
Die Wahrheit ist, dass Sie nie einen besseren Freund als Ihre Leber gehabt haben. Sie übt mehr als zweitausend entscheidend wichtige Funktionen aus, die der medizinischen Wissenschaft noch nicht bekannt sind. Sie ist Tag und Nacht für Sie im Einsatz. Sie sorgt vor, wenn sie weiß, dass Sie besonderen Belastungen ausgesetzt sein werden, und sie steht bereit, wenn Sie sich Ausrutscher leisten, nach denen aufgeräumt werden muss. Sie ist Speicher, Filter, Müllabfuhr, Recyclingbetrieb und mehr – und das alles gleichzeitig. Die Leber schirmt Sie ab, beschützt Sie, verteidigt Sie nach allen Seiten hin. Sie hat schon immer auf Sie aufgepasst, sie löscht Brände, entschärft Sprengsätze, überwacht die Halunken in Ihrem Körper und beugt internen terroristischen Angriffen vor. Nach allem, was Sie schon erlebt haben, ist es Ihrer Leber zu verdanken, dass Sie überhaupt noch auf Erden wandeln.
Fragen Sie mal einen Chirurgen, wie es für ihn war, im OP erstmals vor der freigelegten lebendigen Leber eines Patienten zu stehen: Was war das für ein Erlebnis nach all den Seminarstunden, dem Bücherstudium, dem Betrachten endloser Folgen von Bildern, den Monaten des Sezierens von Leichen in der Anatomie? Wahrscheinlich wird ungläubiges Staunen aus den Antworten sprechen. Möglicherweise konnte dieser Chirurg in der folgenden Nacht nicht schlafen, weil ihm vom Anblick dieses geheimnisvollen, königlichen Organs in seiner natürlichen Umgebung der Kopf schwirrte, als hätte er draußen auf dem Meer Wale beobachtet – und das, obwohl er nur einen Bruchteil dessen kannte, was die Leber alles kann und macht.
Und jetzt steht es für Sie an, Ihre Leber ganz neu kennenzulernen und zu bestaunen wie dieser junge Operateur – mindestens. Dafür habe ich dieses Buch geschrieben: Sie sollen einen Blick in Ihren Körper werfen können, um mit Ihrem treuesten Verbündeten Bekanntschaft zu schließen, der unermüdlich für Sie im Einsatz ist und mehr leistet, als irgendwer ahnt. Wer Naturwunder bestaunen möchte, muss nicht um den halben Globus fliegen. Es genügt schon ein Blick in das Innere unseres Körpers.
Die bedrohte Leber
Haben Sie zu viel um die Ohren, als dass Sie noch einfach Wunder bestaunen könnten? Was sagt uns angesichts der täglichen Herausforderungen und all der Aufgaben, um die wir uns gleichzeitig zu kümmern haben, die Tatsache, dass die Intelligenz unseres Körpers nirgendwo besser zum Ausdruck kommt als in der Leber? Müssen wir uns wirklich auch noch mit diesem Organ befassen? Es gibt doch auch so schon genug zu berücksichtigen. Wir müssen für die Sicherheit und Gesundheit unserer Familien sorgen, Erfolg im Beruf haben, fit bleiben, Fettleibigkeit, Depressionen und anderen um sich greifenden Übeln entgegenwirken, etwas gegen Herzkrankheiten und vorzeitiges Altern unternehmen, mit chronischen Krankheiten, einer ökologisch verwahrlosten Erde, den Folgen des Artensterbens und überhaupt einer ungewissen Zukunft umgehen – die Liste ließe sich beliebig erweitern. Da braucht man schon genug Energie, um über die Runden zu kommen – wozu also noch einen Punkt auf die Agenda setzen? Weshalb sollten wir uns auch noch ausgerechnet mit der Leber belasten, wenn doch angeblich Stressabbau, »Entschleunigung« und Vereinfachung des alltäglichen Lebens angesagt sind, der Verzicht auf alles, was nicht unbedingt sein muss?
Weil unsere Leber in Not ist und wir uns dringend um sie kümmern müssen. Weil so viel von ihren Kräften und unserer Sorge für sie abhängt. Und noch ein Grund: Was wäre, wenn es einen zentralen Faktor Ihrer Gesundheit und Ihres Wohlbefindens gäbe, auf den Sie sich so konzentrieren könnten, dass für alle anderen Aspekte Ihrer Gesundheit gesorgt wäre, sogar für sich anbahnende Gesundheitsstörungen, von denen Sie vielleicht noch gar nichts wissen? Wenn wir wüssten, wie viele Symptome, Beschwerden und Krankheiten – nicht bloß Leberkrebs, -zirrhose und Hepatitis – mit der Leber zusammenhängen, würde sich in der Medizin so gut wie alles um dieses Organ drehen.
Die Rettung der Leber ist entscheidend wichtig für Herz, Gehirn, Immunsystem, Haut und Verdauungstrakt. Hier geht es um guten Schlaf, ausgeglichenen Blutzucker, die Senkung des Blutdrucks und Gewichtsabnahme. Es geht darum, wie jung Sie aussehen und sich fühlen, wie klar Sie im Kopf sind, ob Sie Frieden haben und glücklich sind, ob Sie sich auf diese Zeit rasend schneller Veränderungen noch einstellen können. Ihre Entscheidung, etwas für Ihre Leber zu tun, ist der entscheidende Punkt auf Ihrer To-do-Liste. Es gibt nichts Besseres gegen Stress, kein wirksameres Anti-Aging-Mittel, keinen zuverlässigeren Schutz vor den Bedrohungen der Welt als eine gesunde Leber. Sie ist entscheidend für Ihr körperliches, seelisches und spirituelles Wohlbefinden. Uns gut um unsere Leber zu kümmern ist also kein zusätzlicher Aufwand, mit dem wir die tagtägliche Überforderung noch weiter steigern, sondern die große Erleichterung, mit der wir uns endlich wieder ein wenig Luft verschaffen.
Wer auf Erleuchtung aus ist, wendet sich seinem Gehirn und dem »Dritten Auge« zu, um in der eintretenden Stille des Geistes höhere Bewusstseinsstufen zu erreichen oder eine angestrebte Zukunft zu visualisieren. An die Leber denkt dabei niemand, wo sie doch für die Erleuchtung mehr bedeutet, als Sie auch nur ahnen.
Bei allem Engagement für die Gesundheit und Überlebensfähigkeit der Erde dürfen wir unser eigenes »Klima« nicht aus dem Auge verlieren. Jeder hat seinen eigenen »Planeten«, um den er sich sorgen sollte, nämlich seinen Körper. Von Ihrer Geburt an haben Sie eine ganze Welt mit sich herumgetragen. Von der Erde wissen wir, dass vom schwächsten Glied im empfindlichen ökologischen Gesamtzusammenhang eine Gefährdung des Ganzen ausgehen kann, und so ist es auch für uns persönlich wichtig, uns umfassend um unseren Körper zu kümmern. Sind majestätische Tiere wie diese Wale wichtig? Zucken wir die Schultern, wenn sie aussterben? Nein, natürlich spielen bedrohte Arten eine wichtige Rolle und sind es wert, geschützt zu werden. Das muss auch für unsere überlastete, überarbeitete, ausgepumpte, gestresste, bedrohte Leber gelten. Niemand wünscht sich verschmutzte Meere, in denen die Tiere nur mit Mühe überleben können. Und niemand wünscht sich einen Körper, dessen Blut so mit Giftstoffen überlastet ist, dass die Leber nur noch mit letzter Kraft all die Aufgaben bewältigen kann, die unserer Gesunderhaltung dienen.
Doch an diesem Punkt der akuten Bedrohung unserer Leber stehen wir jetzt. Unsere eigene Umwelt starrt vor Schmutz und Giftstoffen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind. Eigentlich ist unser Körper noch schlimmer dran als die Erde, und die Hauptlast der Säuberungs- und Entgiftungsarbeit trägt die Leber. Denken Sie sich Ihre Leber als einen Bartenwal und Ihr Blut als das Meer. Wenn dieses Meer mit der Zeit schlammig und dickflüssig wird – dabei ist an Antibiotika und andere Medikamente zu denken, an Pestizide, Fungizide, Reinigungsmittel, Lösungsmittel und Kunststoffe, dazu chronische Austrocknung, virale und bakterielle Abfallprodukte, überschüssiges Fett aus ungeeigneter Nahrung und mehr –, so fällt es diesem »Wal« immer schwerer, Nahrung anzusaugen, und weil er deshalb keine Erholungspausen mehr bekommt, leidet mit der Zeit seine Gesundheit. Dann fällt es ihm möglicherweise schwer, auch nur zum Luftholen aufzutauchen.
Die Welt hat ein Leberproblem. Derzeit sind Störungen dieses Organs eher die Regel als die Ausnahme. Wenn ich mich in einer Menge von tausend Menschen bewege, haben neunhundert davon eine leidende Leber, und die allermeisten wissen nichts davon. Um es zu wiederholen: Die Leber ist wichtiger, als irgendwer weiß. Die medizinische Forschung hat sich – außer auf dem Gebiet der Transplantationen – nicht gerade intensiv mit diesem Organ befasst, und so wird auch nicht gelehrt, wie viel es mit der weltweiten Gesundheitskrise zu tun hat. Es ist in der Medizin noch kaum bekannt, was es alles leistet, wie viele Gesundheitsstörungen, Beschwerden und Krankheiten unserer Zeit eigentlich Symptome einer überlasteten Leber sind oder was sie braucht, damit es ihr gut geht – und da es nicht bekannt ist, wird es auch nicht verbreitet. All das ist fern und unbekannt wie die Plastikmüllfelder auf den Ozeanen vor ihrer Entdeckung. (Und selbst diese Entdeckung reicht ja noch nicht weit, sie sagt uns nicht, was im trüben Kern dieser Plastikmassen schwärt.) Ohne es zu wissen, treiben wir unsere Leber an die äußerste Grenze dessen, was sie zu leisten und auszuhalten vermag.
Wenn wir in dieser Welt etwas bewegen möchten, brauchen wir unsere volle Leistungskraft. Krankheitssymptome aber schränken uns ein. Gehirnnebel, Erschöpfung, Gewichtszunahme, Winterdepression, Reizbarkeit, Bluthochdruck, hoher Cholesterinspiegel, Ängstlichkeit, Akne, aufgetriebener Bauch und Verstopfung sind derart verbreitet, dass man sie meist nicht einmal als Anzeichen einer Grundstörung betrachtet. In Wahrheit handelt es sich jedoch um Hilferufe der Leber. Diese Beeinträchtigungen behindern uns, prägen unseren Blick auf die Welt, und wenn wir nichts gegen sie unternehmen, entwickeln sie sich zu ernsteren Problemen. Leberstörungen können wie ein fauler Zahn sein, um den wir uns so lange nicht kümmern, bis schließlich eine tiefe Infektion im Kiefer entsteht.
Dann die Dysfunktionen, deren ernster Charakter uns bewusst ist und die etwas Unaufhaltsames zu haben scheinen, etwa Diabetes, Depressionen, Palpitationen, Gicht, Ekzeme, Psoriasis und Methylierungsprobleme (siehe Kapitel 21 ), von denen noch nicht bekannt ist, dass sie von der Leber ausgehen. Bei Fettleber, Gelbsucht, Hepatitis, Zirrhose und Leberkrebs wissen die Mediziner natürlich um die Rolle des Organs, doch das macht diese Krankheiten nicht weniger rätselhaft. Und grundsätzlich gilt, dass der Leber als Hauptfilter unseres Körpers und als wichtigster Nährstoffspeicher eine entscheidende Bedeutung für die Auseinandersetzung mit Gesundheitsstörungen aller Art zukommt. Kurz, wir befinden uns insgesamt in einer prekären Lage, da Leberprobleme weltweit enorm zunehmen.
Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass die Welt anders dastünde, wenn alle jetzt lebenden Menschen eine gesündere Leber hätten. Krankheiten hätten dann kein so leichtes Spiel mit uns, die Nachrichten berichteten nicht ständig von Ärger, Wut, Habgier und Gewalt, Angst wäre nicht der kennzeichnende Zug unserer Zeit – so wichtig ist die Gesundheit dieses Organs für unser gesamtes Dasein.
Nehmen wir es also wichtig. Wie beim Plastik im Meer, wie bei irgendeiner bedrohten Art: Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, das »Chemielabor unseres Körpers« weiterhin zu vernachlässigen, nur weil die Leiden dieses Organs nicht gleich ins Auge springen. Wir dürfen es nicht länger ignorieren, nur weil es scheinbar dringendere und höhere Vorhaben wie etwa die Rettung der Erde gibt. Auch für diese höheren Aufgaben müssen wir erst einmal unser eigenes Leben in Sicherheit bringen, und das beginnt mit der Entlastung unserer Leber.
Grundkurs Leber
Wüsste man in der Medizin um den wahren Wert der Leber, würden sich schon die Kinder neben dem Abc und dem Einmaleins ein Grundwissen über das Organ aneignen. Um zum Studium – nicht nur der Medizin – zugelassen zu werden, würde man den absolvierten »Grundkurs Leber« vorweisen müssen.
Stattdessen strapazieren wir unsere Leber unwissentlich schon von jungen Jahren an, und im Studium setzt sich dieser Trend fort. Zum Ausgleich für den ganzen Stress fangen viele Studenten an zu trinken oder experimentieren mit Drogen, und dabei ernähren sie sich schlecht, puschen sich mit Kaffee und schlagen sich die Nächte um die Ohren. Das setzt ihrer Leber mächtig zu, und sie scheinen nichts davon zu wissen – seltsamerweise, da es beim Studium ja eigentlich um Wissen geht. Das Studium kann wie ein anhaltender Übergriff auf die Leber sein. Wir starren ausschließlich auf die intellektuelle Entwicklung der jungen Leute und den Stand ihrer Kenntnisse – schließlich sollen sie gute Noten bekommen, einen glänzenden Abschluss hinlegen und dann einen tollen Job ergattern –, doch das alles kann beträchtlich auf Kosten der Leber gehen. Was haben sie von dieser glanzvollen Karriere, wenn das Organ überlastet ist, sie nicht ihr Bestes geben können oder wenn es der Leber schließlich so schlecht geht, dass sie die Stelle, um die sie so hart gerungen haben, nicht mehr bekleiden können? Ihre Noten und Diplome helfen ihnen nicht aus dem Bett, wenn Erschöpfung und andere Gesundheitsstörungen sie einmal flachgelegt haben.
Irgendwo ist uns vage bewusst, dass Alkohol die Leber schädigen kann. Zirrhose, Hepatitis, Leberversagen, Gelbsucht, Leberkrebs, erhöhte Leberwerte – das alles haben wir schon mal gehört. Vielleicht war sogar von »Leberhitze« die Rede, oder der Heilpraktiker hat uns zu Nahrungsergänzungen für das Organ geraten. Jeder kennt es auch als Nahrungsmittel, aber wer weiß schon, dass wir unserer Leber kaum etwas Schlimmeres antun können als den Verzehr von Leber? (Dazu später mehr.) Damit ist auch schon umrissen, was wir im Allgemeinen über die Leber wissen. In der antiken Mythologie hingegen wurde ihr mehr Aufmerksamkeit zuteil als in der modernen Medizin …
So viele Einzelheiten müssen erst noch entdeckt werden. Im Medizinstudium erfährt man nicht allzu viel über die Anatomie und Funktionsweise der Leber, es sei denn, man möchte Chirurg oder Hepatologe werden oder befasst sich im Wahlfach speziell mit Lebertransplantationen. Vom Wesen des Organs oder seiner optimalen Versorgung erfährt man auch dann nicht genug. Die Quellenlage ist mehr als dürftig.
Was würden wir lernen, wenn wir den »Leberunterricht« bekämen, der dem Organ eigentlich gebührt? Zunächst einmal erführen wir, dass in der Leber richtig gearbeitet wird und dass sie etliche Funktionen erfüllt, deren wichtigste wir im Folgenden näher betrachten wollen:
Alles in allem soll uns die Leber im Gleichgewicht halten, und das ist in dieser so aus der Balance geratenen Welt eine wirklich gewaltige Aufgabe. Haben Sie so viel zu tun, dass Sie überarbeitet sind? Fühlen Sie sich manchmal überhitzt? Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Arbeit unbeachtet bleibt oder jedenfalls nicht richtig gewürdigt wird? Multiplizieren Sie das mal mit zwanzig, dann beschreibt es die Lage Ihrer Leber. Da mögen Sie fünf Jobs mit hundert Aufgaben haben und wie ein Berserker arbeiten, Ihre Leber leistet trotzdem noch mehr. Wenn Sie den weiteren Weg in Freundschaft mit ihr zurücklegen möchten, sollten Sie ihr unbedingt die verdiente Anerkennung zollen – sie wird sich fühlen wie Ihr Partner, dessen bis dahin unbeachteter Einsatz im Haushalt endlich gebührend gewürdigt wird.
Im Rahmen der idealen Leberaufklärung würden wir außerdem erfahren, dass dieses Organ ein Schlachtross ist. Wie wir im zweiten und dritten Teil dieses Buchs im Einzelnen sehen werden, ist es jederzeit für Sie zu kämpfen bereit und immer darauf bedacht, Ihre übrigen Organe abzuschirmen. Sehr wahrscheinlich kämpft Ihre Leber sogar eben jetzt für Sie gegen Gifte und andere krankmachende Einflüsse wie die »Gnadenlosen Vier« (Strahlung, toxische Metalle, DDT und die Virenexplosion), denen wir im Alltag ausgesetzt sind, ganz abgesehen von ungeeigneten Nahrungsmitteln und Zutaten, die unbemerkt immer stärker in unserer Ernährung vertreten sind. Die Kämpfe der Leber zeigen sich nach außen hin gern als Symptome und Beschwerden, und es ist deshalb ganz wichtig zu ermitteln, was die erhöhten Blutzuckerwerte, der hohe Cholesterinspiegel oder der Gehirnnebel wirklich bedeuten. Wenn sich dabei zum Beispiel zeigt, dass unerklärliche Gewichtszunahme auf eine verschlackte, blockierte Leber hindeutet und nicht auf Bewegungsarmut oder einen trägen Stoffwechsel, wird das Ihre Sicht der Dinge wahrscheinlich grundsätzlich verändern. Bei Krankheitserscheinungen wie einem Ekzem, Gicht oder Diabetes werden Sie die Schuld nicht mehr bei sich suchen müssen. Sind die Geheimnisse einmal gelüftet, müssen Sie nicht mehr so kämpfen, wie Sie es vielleicht bisher gewohnt waren.
Bei einem ordentlichen Lebertraining würden wir schließlich auch darauf zu sprechen kommen, wie entscheidend wichtig Pflege und Ernährung des Organs sind. Sind Sie je fix und fertig und dringend ruhebedürftig gewesen? Mussten Sie getröstet und verwöhnt werden, um sich von den Kämpfen des Lebens erholen zu können? Danach lechzt auch die überforderte Leber, und wir werden uns im vierten Teil dieses Buchs ansehen, wie wir sie entlasten können und was für einfache und wirksame Mittel es gibt, sie im Alltag so zu versorgen, dass es zu Gesundheitskrisen gar nicht erst kommt. Die Leber verfügt über gewaltige Selbstheilungs- und Regenerationskräfte, die Sie für sich einspannen können.
Freunde fürs Leben
Wenn Sie sich zum Leberexperten ausgebildet haben, wird das Leben wie »nagelneu«. Sie sonnen sich dann nicht nur in dem Gefühl, die Zügel wieder in der Hand zu haben und Ihre Selbstheilungskräfte ganz neu zu entdecken; darüber hinaus hat die Leber großen Einfluss auf Ihr seelisches Wohlbefinden, worauf wir in diesem Buch noch näher eingehen werden. Erneuern Sie die Beziehung zu diesem Organ, und Sie werden auch mit Ihrer Seele wieder mehr in Kontakt sein. Es wird uns in jungen Jahren nicht eigens beigebracht, aber die kostbare Wahrheit lautet, dass die Leber wohlauf sein muss, wenn wir Glück und den ganzen Zauber des Daseins erfahren wollen. Wenn Sie und Ihre Leber gut befreundet sind, besteht eine Austauschbeziehung: Das Befinden der einen Seite wirkt sich auf das der anderen aus. Unwissentlich haben wir diese Freundschaft belastet. Wir haben sie geschwächt, und die Folgen bekommen wir jetzt zu spüren. Arbeiten Sie immer Hand in Hand mit diesem Freund statt gegen ihn, das ändert alles.
Falls Sie müde und entmutigt sind und sich manchmal ganz allein fühlen oder sich nur noch so durch den Tag schleppen, immer mit dem Rücken zur Wand, sollten Sie sich in Erinnerung rufen, dass die Leber bedingungslos treu auf Ihrer Seite steht und nur darauf wartet, dass Sie ihren wahren Wert erkennen. Sie werden hier mehr über sie und alle ihre Dienste für Sie erfahren, als Sie je für möglich gehalten hätten.
Deshalb heißt es jetzt: »Leinen los!« Kommen Sie mit, sehen Sie sich an, was uns innen erwartet und sich zeigen möchte, damit wir das Ganze des Lebens besser verstehen. Es wird Zeit, dass wir uns diesem gebefreudigsten aller Organe erkenntlich zeigen. Helfen wir ihm, damit es uns helfen kann.