Einfach raus – zum Glück
Es ist ein mäßig warmer, wolkenverhangener später Nachmittag im Mai und ich bin froh, endlich heimzukommen. Ein anstrengender Sitzungsmarathon liegt hinter mir und als wäre das nicht genug, gab es auf der Autobahn noch Stau. Entsprechend unausgeglichen, müde und genervt schließe ich die Haustür auf und falle beinahe über den Picknick-Korb, der im Flur dekorativ bereitsteht. Olaf hat das Kontra-Programm vorbereitet und überrascht mich mit der Idee, an den See im Wald zu fahren. »Dort können wir das Abendessen genauso gut genießen wir hier – und vielleicht hebt das deine Stimmung«, fügt er hinzu, nachdem er mein wenig begeistertes Gesicht sieht.
Ich will ihn nicht enttäuschen, also steigen wir auf die Fahrräder und radeln die Viertelstunde aus dem Ort hinaus zum See. Schon kurze Zeit nachdem wir die Straße verlassen haben und der Wald uns umgibt, spüre ich, wie sich der Ärger verflüchtigt. Ich denke kaum noch an die hitzigen Debatten, stattdessen beobachte ich einen Buntspecht, der heftig an der morschen Eiche klopft, weiche der Schnecke auf dem Weg aus und höre das Schnattern der Gänse, die lärmend über uns hinweg zum See fliegen. Die Welt hat noch mehr zu bieten als Arbeit, Stau, Nachrichten oder Werbung.
Hier jedenfalls spüre ich eine ganz andere Welt, eine natürliche Welt, die ich an diesem Tag bisher nicht erleben konnte. Langsam weicht die innere Anspannung und macht einer gelasseneren Stimmung Platz. Olaf freut sich, als er es bemerkt, und wir genießen unser Picknick auf einer Bank mit Blick auf den See. Es stört nicht, dass sich heute keine Sonne im Wasser spiegelt. Auch so entfaltet das Draußensein seine Wirkung. Wir brauchen nicht viele Worte. In Stille essen wir das frische Brot, Scheiben von gutem Käse und frisch geschnittenes Gemüse. Wasser und Wein dazu und ich fühle mich inzwischen satt und glücklich wie bei der Rast nach einer langen Wanderung im Urlaub statt nach einem langen Arbeitstag während der Woche. Bevor wir heimradeln, schlendern wir noch eine kleine Runde zu Fuß weiter in den Wald. Plötzlich ein lautes Knacken. Wir halten inne, schauen suchend und dann deutet Olaf stumm nach links auf eine Lichtung. Vielleicht zwanzig Meter entfernt von uns steht ein imposanter Hirsch. Er hat den Kopf erhoben, wittert und schaut in unsere Richtung.
Noch niemals zuvor habe ich einen Hirsch mit mächtigem Geweih so nah mitten in der freien Natur zu sehen bekommen. Der Prachtkerl steht im warmen Abendlicht wie für uns dahin dekoriert. Keiner rührt sich. Es scheinen Minuten zu vergehen, dann stakst er einige Schritte durch das niedrige Gesträuch, wittert noch einmal in unsere Richtung und stuft uns offensichtlich als unbedeutend ein. Denn wenig später beginnt er auf dem Boden nach Essbarem zu suchen und beachtet uns nicht mehr. Ich zupfe das Handy hervor, hoffe, dass er noch so lange stehen bleibt und kann zwei Fotos machen, bevor er sich langsam in das Dickicht verzieht. Wir schauen uns an und brauchen keine Worte. Es ist pures Glück, was jetzt in unseren Herzen pulsiert. Diese zufällige Begegnung, die Erhabenheit des großen Tieres und die wortlose Übereinkunft, sich mit Achtung zu begegnen, sind etwas ganz Besonderes. Sie machen uns den Alltag zum Glückstag.
Wir waren noch oft an dieser Stelle. Den Hirsch haben wir nie wieder gesehen. Es ist wie mit dem Glück. Man kann sich schlecht mit ihm verabreden, doch man kann Gelegenheiten schaffen, um es einzuladen, man kann es wahrnehmen, wo es sich zeigt, und sich davon beschenken lassen. Eines ist mir an diesem Tag sehr bewusst geworden: wer Glück sucht, der darf nicht erwarten, dass es an die Tür klopft. Man muss sich aufmachen, innerlich wie äußerlich, man muss raus ins Glück!
Das Glück des Wesentlichen
Mit leichtem Gepäck reisen – was für eine wunderbare Formulierung für die Sehnsucht, das Wesentliche und nicht das Beste oder Meiste auf seiner Lebensreise mit sich zu führen. Doch wo und wie lernen wir, das für uns Wesentliche zu erkennen?
Als wir neulich in einem Café saßen und bei einem cremigen Milchkaffee das Manuskript besprachen, setzten sich vier Geschäftsmänner an den Nebentisch. Von sich und ihrem Tun überzeugt, diskutierten sie ihr aktuelles Projekt so dominant, dass wir es gleich mit präsentiert bekamen. Es ging um die Markteinführung eines Smoothie-Mixers, ein Gerät, mit dem man frische Zutaten zu einem Saft püriert. Seit dieser Lehrstunde wissen wir, dass es darauf ankommt, dem
Verbraucher zu zeigen, dass die Maschine nicht nur die Ernährung verbessert, die Zeit spart, die Familie gesund macht und ein Statussymbol für modernes Leben ist, sondern dass sie förmlich das Leben erst lebenswert macht. Darüber hinaus haben wir vom Nachbartisch gelernt, welche emotionalen Bedürfnisse die Broschüren und Imagefilme bei den potenziellen Kunden ansprechen werden. Das Ziel ist, Menschen, die bis dahin recht zufrieden ihren Tee, Multivitaminsaft oder ihr Wasser geschlürft haben, davon zu überzeugen, dass ein Smoothie-Shaker zum Lebensglück dazugehört. Vier gut bezahlte Werbeprofis denken sich so etwas an einem Montagmorgen aus und ihr Budget für das Mixer-Projekt war nicht kleinlich.
Da drängt sich das Gefühl auf, es geht überhaupt nicht um den einzelnen Käufer und schon gar nicht um sein Lebensglück, sondern um Wachstumszahlen einer Branche. Unsere Gesellschaft beruht auf dem Austausch von Waren und Dienstleistungen. Deshalb wirkt eine konsumkritische Haltung beinahe schon subversiv. Doch Wirtschaftswachstum ist kein Selbstzweck. Es soll dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Wer glücklich leben möchte, der muss sich die Frage nach dem Wesentlichen in seinem Leben stellen. Wir sind uns ziemlich sicher, der Smoothie-Mixer zählt, so schön er auch ist, nicht dazu. Was ist wesentlich im Leben?
Ist es die Beziehung zu anderen Menschen, das Dach über dem Kopf, ein Essen auf dem Teller, Arbeit, die sinnerfüllt und gerecht bezahlt ist, die Gesundheit oder die Fähigkeit, das Beste aus dem zu machen, was einem begegnet? Wer so fragt, der landet unweigerlich bei den großen Ur- und Sinnfragen des Lebens: Wer bin ich? Wofür lebe ich? Was kann ich mit meinem Leben bewirken? Ganz existenziell fragen sich Menschen oft erst dann nach dem Wesentlichen, wenn ihr Leben unverhofft begrenzt ist. Der Tod wird, so formulierte es Apple-Gründer Steve Jobs, zum »besten Unternehmensberater« des Lebens, denn er fragt dich danach, was dir wirklich wesentlich ist.
Und da sind wir mittendrin im Thema Glück, denn glücklich sein heißt vor allem, fähig sein zu entdecken, was für mich wesentlich ist, und eine Wahl zu treffen.
Wir haben die Wahl – zum Glück!
Glück ist ein schwer zu fassender Begriff, etwas zwischen einem unvergleichlich guten Hochgefühl und einer stillen, tiefen Grundzufriedenheit. Um dieses innere Glück zu erleben, muss man bei Weitem nicht alle Ziele erreicht haben. Das Glück begegnet uns förmlich auf dem Weg, unterwegs. Viele Menschen wünschen sich Glück, streben es aber nicht bewusst an und wundern sich dann, wenn es eine bloße Sehnsucht bleibt. Dabei ist der Wunsch, glücklich zu sein, tief im Wesen des Menschen verankert. Man könnte sagen, die Sehnsucht nach Glück ist eine treibende Kraft, eine Motivation für unser Handeln. Also lohnt es sich, immer wieder einmal zu fragen: Was macht mich glücklich? Dies ist jedenfalls viel leichter zu beantworten als die Frage nach dem Glück überhaupt. Glück ist sehr subjektiv. Daher sprechen Wissenschaftler auch eher vom subjektiven Wohlbefinden oder von der individuellen Zufriedenheit eines Menschen. Außerdem ist Glück ziemlich wandelbar, denn es hängt von unserer jeweiligen Lebensphase oder Kultur ab, in der wir uns befinden. Wie glücklich waren wir, als alle Prüfungen abgeschlossen waren und wir mit der ersten Anstellung das erste Gehalt auf dem Konto hatten. Oder dieses unvergleichliche Glück, einem Kind das Leben zu geben, es ins Leben zu begleiten. Und dann die schlaflosen Nächte, die das Glück im Alltag erden. Das Glück der ersten Wohnung, der großen Liebe, der vielen Begegnungen, Überraschungen und Wunder des Lebens. Jeder von uns könnte hier sicher eine Fülle aufzählen.
Das Paradoxe am Glück ist, dass es sich nicht erzwingen, wohl aber erlernen lässt. Genau betrachtet hat es seine Ursprünge einerseits im Zufall und andererseits in unserem Denken und unserem Willen. »Willst du glücklich sein?«, ist demnach eine ziemlich kluge Frage. Sie packt das Glück an der Wurzel.
Glücklich sind vor allem Menschen, die das Glück bemerken. Vielleicht haben mich meine Eltern deshalb Beate (die Glückliche) genannt und mir das Thema Glück förmlich in die Wiege gelegt. Doch das Glück ist kein Selbstläufer und auch keine genetische Zugabe, die den einen gegeben ist, während die anderen ein Leben lang darauf warten. Sonja Lyubomirsky, Psychologin der Universität von Kalifornien, bezieht sich auf Ergebnisse der Zwillingsforschung, wenn sie nüchtern feststellt, dass menschliches Glücksempfinden zu 50 Prozent auf genetische Faktoren, zu 10 Prozent auf äußere Faktoren wie Lebensbedingungen und zu 40 Prozent auf persönliche Verhaltensweisen zurückzuführen ist.
Interessant ist eigentlich nur die letzte Zahl, denn dort liegt unser aller Handlungsspielraum. Deshalb rät die Forscherin, dem Leben wertschätzend zu begegnen, die Zuversicht zu pflegen, negative Gedankenspiralen, Grübelfallen und vor allem den Neid zu meiden. Zuversicht verstärkt sich, wenn wir gute Gefühle wie Dankbarkeit, Zufriedenheit, Verbundenheit oder Freude wahrnehmen. Kennen Sie das Empfinden, dass negative Gefühle unglaublich stark in uns nachwirken und dass es viel mehr positive Emotionen braucht, um eine negative zu überlagern? Viel zu lange kleben wir im Alltag an einer unfreundlichen Bemerkung, ärgern uns darüber und verpassen es wahrzunehmen, dass inzwischen längst wieder die Sonne scheint. Wir müssen deshalb förmlich gute Gefühle bunkern oder darin baden, um das Negative, Ärgerliche, Kränkende oder Verletzende in unserem Leben zu überwinden. Barbara Frederickson spricht als Forscherin auf dem Gebiet der Positiven Psychologie von einem Verhältnis drei zu eins. Also drei positive Emotionen sind notwendig, um eine negative in unserem Gefühlshaushalt auszugleichen. Frederickson hat in ihrer Arbeit nachgewiesen, dass sich die positiven Emotionen steigern lassen, wenn wir sie schlichtweg mehr bemerken. Das heißt, Glück hat viel mit purer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zu tun. Das große Glück ist kein »Quantensprung«, sondern es besteht aus vielen kleinen Schritten. Seit wir das wissen, pflegen wir ein schönes Ritual. Jeden Abend werden drei bis fünf Dinge aufgeschrieben oder erzählt, die uns an dem Tag erfreut, zum Lachen gebracht, dankbar gemacht haben. Eine extrem leichte und effektive Übung, um gute Gefühle zu merken. Plötzlich richtet sich die Aufmerksamkeit schon während des Tages auf die kleinen, unspektakulären, schönen Dinge und Gefühle: ein Lächeln des Busfahrers, das Licht, das fächerartig durch die Wolken fällt, der Ruf des Käuzchens am Abend, die staufreie Fahrt, die Entschuldigung nach einem Streit, der köstliche Streußelkuchen, der unverhofft gefundene Parkplatz, eine hilfreiche E-Mail, ein gutes Gespräch, der Kuss, die fertig gestellte Excel-Tabelle und vieles andere. Sie alle helfen dem Glück in uns förmlich auf die Sprünge.
Glück ist nicht mit Luxus oder Wohlstand gleichzusetzen. Das ahnt jeder von uns. Dennoch lassen sich viele Menschen leicht von teuren, imposanten Dingen anziehen und beeindrucken. Alain de Botton, Initiator der Londoner »The School of Life«, vermutet, dass Gegenstände auf einer materiellen Ebene symbolisieren, was wir auf seelischer Ebene suchen oder nötig haben. Das luxuriöse Haus als Ersatz für die Sehnsucht nach einem Ort, an dem wir geborgen und sicher sind, oder die teure Uhr als Statussymbol auf der Suche nach Beachtung und sozialer Anerkennung? Prüfen Sie doch einmal für sich selbst, ob Sie der Theorie von de Botton zustimmen können. Es ist spannend zu reflektieren, was ich mir kaufe und warum. Allein diese Frage kann helfen, der raffinierten Werbung mit bewusstem Kaufverhalten zu begegnen. Vielleicht ist Ihnen im Bekanntenkreis oder in Magazinen ein Trend aufgefallen, der sich downshifting nennt. Dieses »Herunterschalten« im Konsumkreislauf ist eine gute Möglichkeit, dem Wesentlichen im eigenen Leben und damit dem persönlichen Glück wieder näherzukommen. Es gibt immer mehr Menschen, die für sich entschieden haben, weniger zu besitzen. Damit verweigern sie sich dem Modus »Ich habe – also bin ich«. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Wir predigen keinen allgemeinen Konsumverzicht. Und wer salopp sagt, Geld macht nicht glücklich, dem kann man nur empfehlen: Dann verschenk es doch!
Wir alle wissen, dass Geld wichtig ist! Denn Geld steht für finanzielle Unabhängigkeit. Es ist ein Mittel zum Zweck, eigenen Neigungen nachzugehen, das Leben zu erleichtern, Gutes zu tun und Entscheidungen unabhängiger von anderen umzusetzen. Allerdings ist Geld allein offensichtlich nicht der entscheidende Faktor für persönliches Lebensglück.
Es geht nicht ums Geld, es geht um den Sinn im Leben und um die Lebendigkeit, die Lebensfreude und Zufriedenheit. Da kann es durch-
aus hilfreich sein, das Konsumleben zu hinterfragen, um den eigentlichen Träumen eher auf die Spur zu kommen und ihnen tatsächlich »entgegenzuleben«. Im Idealfall kommt man dann zu der Aussage: Ich bin glücklich, weil ich das Leben liebe, das ich führe! Oder ich bin glücklich, weil ich mit dem, was ich tue, einen Nutzen stifte, etwas auf dieser Welt verändern kann.
Um dahin zu gelangen, ist tatsächlich viel innere Arbeit erforderlich: Selbsterkenntnis, Wünsche prüfen und abwägen, negative Emotionen möglichst kleinhalten und positive Gefühle kultivieren. Wer diese Arbeit wagt, der kann erleben, dass die Lebenszufriedenheit ganz langsam wächst. Glück lässt sich nicht erzwingen, aber es kann die Frucht einer achtsamen inneren Haltung sein.
Wo die Menschen glücklich sind
Es reicht nicht aus, allein glücklich zu sein. Wichtig ist auch, dass Menschen um uns herum glücklich sind. Ein Mensch braucht die Verbundenheit zu anderen und gleichzeitig die Freiheit, seinen Weg zu gehen. Die beiden Grundbedürfnisse von Verbundenheit und Autonomie befriedigt leben zu können, das macht glücklich. In den 365 Tagen, die wir in Westkanada lebten, haben wir zahlreiche Erlebnisse dazu gesammelt. Vor allem im Winter saßen die Großfamilien gerne in den Blockhäusern zusammen, trafen sich Fremde im Pub oder Café, sammelten sich Freunde und Bekannte am Feuer und pflegten dort eine sehr herzliche Kultur der Begegnung. Man sang, teilte mitgebrachte Köstlichkeiten, tauschte Meinungen aus und Nützliches für das Haus. Und auf der anderen Seite war jeder frei zu gehen und zu kommen. Wer allein sein wollte, der ging raus an den See zum Eisangeln, zum Skilaufen in die Berge oder zum Wandern in den Wald. Jeder hatte die Möglichkeit, das eigene Leben zu gestalten, und gleichzeitig gab es ein weitläufiges, aber verlässliches Netz von sozialer Nachbarschaft. Dieses Netz fing Menschen auf, sobald eine Notlage entstand. Wir haben erlebt, dass alle Nachbarn sofort in die Pickups stiegen, um dabei zu helfen, die ausgebrochene Kuhherde zusammenzutreiben. Als unser Auto einmal total streikte und wir ratlos die Kühlerhaube öffneten, war das ein Signal für andere. Sofort hielten Autos an, fragten Menschen, wie sie uns helfen könnten. Es war unglaublich. Allein die schlichte Formulierung »How are you?« – »Wie geht es dir?«, die man im Supermarkt, an der Tankstelle, aber auch beim Treffen unter Freunden als erstes zu hören bekommt, tut gut!
Es ist für uns Deutsche ungewöhnlich, wenn uns jemand mit der Frage nach unserem Wohlbefinden begrüßt. Ganz kritisch behaupten einige Menschen daraufhin, es sei eine bloße Floskel und nicht mit ernst gemeinter Nachfrage zu verwechseln. Doch wir jedenfalls haben es anders erlebt. Dieses »How are you?« war immer einladend, einen Kontakt aufzubauen und sich als Mensch zu begegnen.
Kanada ist eines der Länder, die in Bezug auf Lebensglück oben auf der Hitliste stehen. In der Datenbank »World Database of Happiness« werden weltweite Ergebnisse der Glücksforschung zusammengestellt.
Maike van den Boom, die wir im Interview zu diesem Kapitel noch zu Wort kommen lassen, hat als »Auslandskorrespondentin des Glücks« Forscher und Menschen in den 13 Ländern auf dieser Welt besucht, welche regelmäßig diese Hitliste des Glücks anführen. Von ihnen lässt sich lernen, welche Faktoren zum Glück beitragen, auch wenn die Kulturen und sogar der Lebensstandard höchst unterschiedlich sind. Jetzt sind Sie sicher neugierig, welche Länder dies sind. Wir empfehlen Ihnen einen Blick auf die unterhaltsame und informative Webseite zum Bestseller von Frau Van den Boom.39 Dort sind von Kanada bis Panama wunderbar authentische Lebensglückliche aus allen 13 Ländern mit ihren Erfahrungen zu Wort gekommen. Lassen Sie sich mitreißen, nachdenklich machen und inspirieren. Denn ob Sie glücklich sind und wie Sie es werden können, das wissen Sie ganz allein am besten.
Glück ist eine Entscheidung. Wenn Sie glücklich sein wollen, dann muss »das gute Leben« nicht irgendein fernes Ziel oder ein beliebiger Punkt auf der To-do-Liste sein, sondern die oberste Priorität. Glück ist eine Lebenseinstellung. Menschen, denen die Zufriedenheit und das Wohlbefinden in ihrem Leben wichtig ist, sind bereit, dafür etwas zu tun. Glück setzt übrigens nicht die Abwesenheit von Unglück voraus. Das ist das Spannende. Glückliche Menschen können sehr wohl auch traurig, nachdenklich, verzagt oder verzweifelt sein. Das Schicksal lässt sich nicht biegen und bestimmen. Doch glückliche Menschen tragen im Kern die Zuversicht in sich. Sie sind oftmals seelisch widerstandsfähig und daher in der Lage, Jammertäler und Krisen selbstständig zu überwinden. Glück ist viel mehr als eine private Lebenseinstellung. Glück ist eine Sache, die uns alle angeht, denn wir sind soziale Wesen, Teil einer Gemeinschaft, eines Teams oder einer Familie. Die eigene Haltung hat eine Wirkung auf andere!
Wenn wir früher einen Babysitter holten, um endlich mal wieder zu zweit ins Kino zu gehen, rechtfertigten wir uns diesen Luxus mit dem Spruch: »Geht’s den Eltern gut, geht’s den Kindern gut.« Die Wahrheit dieser Aussage kann man auf vielen Lebensfeldern überprüfen. Wer mit sich und seinem Leben im Einklang ist, der wird seiner Umwelt mit deutlich mehr Toleranz, Friedfertigkeit, Humor oder Interesse begegnen. Darin liegt der Schlüssel zum gemeinschaftlichen Glück. Es muss uns gut gehen, wollen wir der Welt unser Bestes geben! In diesem Sinne ist die Suche nach Glück ein Stück soziale Verantwortung. Viele Kanadier, aber auch Schweden oder Schweizer sind beispielsweise glücklich, wenn sie anderen helfen, sie mit Respekt oder Rücksicht behandeln können. Maike van den Boom hat aus ihren Reiseerfahrungen und Gesprächen mit Glücksforschern einige Aspekte herausgearbeitet, die uns hier in Deutschland helfen, das Glücksempfinden zu steigern. Uns haben im Blick auf dieses Buch vor allem die Erfahrungen interessiert, die direkt mit der Natur und Wildnis zusammenhängen. Hilft uns die Natur, glücklicher zu werden?
Natürlich glücklich
Um diese Frage zu beantworten, nehmen wir Sie mit auf eine imaginäre Reise in die nördlichen Länder Europas.
In der Strandgate 93 in Kopenhagen steht ein altes, schlicht anmutendes Speicherhaus. Vor dem langgestreckten Gebäude gibt es statt eines Vorgartens Anlagen von begrünten, moosigen Hügeln. Wer ihn kennt, fühlt sich erinnert an den nordischen Wald und kann sich kleine Trolle vorstellen, die unter den großen Findlingen hervorschauen.
Im Erdgeschoss des Hauses befindet sich das Restaurant »Noma«. Es ist nicht irgendein Restaurant, sondern laut Meinung der Fachpresse zum wiederholten Male das beste Restaurant der Welt! Schon vor der Tür wird der Gast durch die Außenanlagen auf das Konzept des »Noma« eingestimmt. Chefkoch René Redzepi setzt radikal auf regional. »Noma« ist eine Abkürzung und steht für nordisk (nordisches) mad (Essen). Als das »Noma« 2003 seine Türen öffnete, dachten sich die Köche ganz besondere Gerichte aus. Inspiriert von den Rezeptideen aus einem alten Überlebenshandbuch der schwedischen Armee orientierten sie sich an dem, was die pure Natur des Nordens zum Essen bot. Das bedeutet, dass es im »Noma« kein südländisches Gemüse und auch keine Kräuter der Provence gibt. Es gibt weder Ananas noch Lavendelparfait. Doch es gibt von Molte- bis Blaubeeren, von Pilzen, Moosen und Wurzeln bis hin zu frischem Meeresfisch und heimischen Kräutern die Bandbreite der nordischen Region. Und diese landet natürlich außergewöhnlich zubereitet, fantasievoll im nordischen Ambiente präsentiert auf dem Keramikteller.
Redzepis Speisen haben das Aroma des dänischen Waldes und bestehen aus uralten skandinavischen Rezepten. Er möchte, dass die Gäste diese Speisen mit allen Sinnen genießen. Sie sollen schmecken, riechen und die Augen aufmachen, um achtsam für den Wert wirklich guter Nahrung zu werden. Und wer schon mal in Schweden, Norwegen oder Dänemark unterwegs war, der weiß, dass man sich kaum satt essen kann an aromatischen Heidelbeeren, dass sich der Holunder zu Saft, Suppe oder Gelee verarbeiten lässt, dass frische Äpfel köstlich duften und schmecken oder dass die Pilze, so man sie denn kennt, eine Gaumenfreude sind. Redzepi teilt die Saison im »Noma« in drei große Abschnitte. Von Januar bis April, wenn der Boden frosthart ist, zelebriert er die Welt des Ozeans auf dem Teller. Bis hin zu Geschirr und Arrangement orientiert sich alles an der Schönheit, Weite und Tiefe des Meeres. Im Mai, wenn der Frühling den Norden mit einem frischen Grün überzieht, wenn die Nächte lang und sonnenhell sind, kommt alles auf den Tisch, was blüht und im Garten wächst. Mit anderen Worten, es wird vegetarisch gekocht. Von September bis Dezember schließlich nutzen Redzepi und sein Team die Angebote von Geflügel und Fleisch.
So orientiert sich das ganze Handeln der Noma-Betreiber am Kreislauf der Natur. Kein Wunder, dass dieses Konzept durchdringt, auf die Zunge, den Magen, die Stimmung der Kunden. Ganz ähnliche Erfahrungen haben viele Menschen gemacht, sobald sie mit Zutaten arbeiten, die sie selbst gesammelt oder geerntet haben. Aus dem Garten auf den Tisch ist nicht nur eine ökologisch kluge Kombination. Warum erzählen wir Ihnen davon? Was dieser Sternekoch vormacht, halten wir für eine gute Rezeptur des Glücks weit über Gaumenfreuden hinaus. Verlangsamen, vertiefen, verfeinern und verwenden. Dies lehrt uns die Natur.
Die Rhythmen der Natur sind nicht zu beschleunigen, oder konnten Sie schon einmal den Frühling herbeizwingen? Wir tun gut daran, uns ihnen anzupassen, sie zu zelebrieren und dann für uns zu nutzen. Wenn Menschen mit der Natur in Tuchfühlung, ja sogar im Einklang leben können, so werden sie davon stärker. Wir sprechen davon, geerdet zu sein. Ein so verwurzelter Mensch übersteht die Stürme des Lebens besser. Vertiefen meint, ganz bei dem zu sein, wofür man sich gerade entschieden hat, und dabei eine tiefere Dimension zu erreichen. Wer das Kochen vertieft, das Gespräch vertieft, die Arbeit vertieft oder das Spielen mit einem Kind vertieft, kann so eintauchen, dass jegliches Multitasking überflüssig wird. Wer sich einer Sache ganz hingibt und nicht zwischen verschiedenen Dingen hin- und herspringt, schafft die beste Voraussetzung, dass sein Tun in einen Flow hineinführt. Man ist dann im Fluss, in bester Weise ganz im Tun und ganz im Jetzt. Wer das hin und wieder erlebt, der genießt diese kraftvollen Momente.
Im Flow können wir geben, ohne auszubrennen oder uns zu verlieren. Verfeinern meint, sein jeweils ganz Eigenes hinzuzugeben. Ein Sternekoch macht das Essen zu einem Unikat und gibt dem Gast das Gefühl, etwas Außergewöhnliches zu bekommen. Jeder Mensch, der glücklich sein will, braucht diese Fähigkeit, seinem Leben »Sterne« zu verleihen. Je mehr wir in der Lage sind, unser Tun, unsere Beziehungen, unsere Arbeit zu etwas ganz Besonderem zu machen und sie mit unserer ganz eigenen Liebe oder Kreativität zu verfeinern, desto mehr wird davon ausgehen. Was wir geben, kehrt in der Regel auf neue Weise zu uns zurück. Probieren Sie es aus.
Von den Menschen des Nordens hat nicht nur Maike van den Boom auf ihren Reisen gelernt. Viele Menschen zieht es trotz des riskanten, oft kühlen Wetters im Sommer nach Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland oder gar Island. Wir gehören auch dazu. Die Wucht und Faszination der Natur, je weiter man im Norden ist, beeindruckt uns stets aufs Neue. Der Himmel wirkt weiter, die im Wald verstreuten riesigen runden Felsbrocken sehen aus, als hätte sie ein Riese nach dem Spielen liegen gelassen, Flüsse verströmen sich, Seen gehen scheinbar endlos ineinander über. Und überall kann man theoretisch langlaufen, achtsam ein Feuer entzünden, für eine Nacht das Zelt aufschlagen, Beeren sammeln und Bären begegnen. Man bekommt das Gefühl, ein Teil des Ganzen zu sein, dem Rhythmus von Tieren und Natur zu folgen. Die Natur gibt den Menschen Zeit und Ruhe zurück. Sie ermöglicht uns, den eigenen, oft verlorenen Rhythmus wiederzufinden. Allemansrätten nennen die Schweden das uralte Recht für Jedermann, sich in der Natur aufzuhalten. Einzige Bedingung ist, den eigenen Kopf einzuschalten, sich angemessen in der Natur zu verhalten und niemandem zu schaden. Das setzt natürlich voraus, dass man weiß, wann und wo ein Feuer angemessen ist, wie man seine Notdurft vergräbt und dass man seinen Müll mitnimmt. Wer angemessenen Abstand zu bewohnten Grundstücken oder Häusern hält und seinen Menschenverstand benutzt, der hat in Schweden das Recht, sich in der Natur ganz selbstverständlich aufzuhalten. Und genau das tun die Nordländer mit Hingabe. Die meisten Bewohner haben eine Hütte, ein Sommarhus, ein Grundstück im Fjäll, Wald oder am See, in das sie sooft wie möglich hinausfahren. Gemeinschaft, Freiheit, Verantwortung – drei Säulen, auf denen funktionierendes Gemeinwohl, aber auch das ganz persönliche Glück ruht. Die Natur aktiviert förmlich nebenbei unsere Fähigkeit zum Spiel und zur Bewegung. Dort draußen balanciert man leichter über Bäume, steigt über Steine durch den Fluss, wirft Stöcke, klettert irgendwo hoch oder kugelt sich durch den Sand. So etwas kommt einem mitten in der Stadt oder im Vorgarten kaum in den Sinn. Regelrecht auftanken können wir in der Natur und das Glücksprogramm kostet nicht mal was. Laufen Sie barfuß, schlafen Sie unter Sternen, baden Sie im Sonnenlicht, lassen Sie sich vom Wasser tragen, vom Wind zerzausen oder vom Regen sanft berühren – alles wird Sie lebendiger machen. Gut, zuerst macht es Sie möglicherweise nass, munter, frisch oder müde, dann aber vermutlich ganz wunderbar glücklich.
Das Glück vor der Haustür
Es gibt Menschen wie Astrid Mittelstaedt, die diese Erkenntnis beruflich nutzen und es sich zur Aufgabe gemacht haben, andere mit dem Vitamin N und der ungenutzten Glücksquelle Natur bekannt zu machen. Das Motto der Wildnis- und Naturpädagogin lautet: Das Leben findet draußen statt – deswegen raus ins Glück! Die studierte Geografin ist seit 2009 freiberuflich tätig und bietet Wildnistrainings, Naturseminare und Umweltbildung an. Wir sind eher zufällig auf ihre Internetseite aufmerksam geworden.40 Als Olaf im Terminkalender sieht, dass die Rheinländerin aktuell mit einer Gruppe im Elbsandsteingebirge, also förmlich vor unserer Haustür, unterwegs ist, setzt er sich ins Auto. Er will Astrid Mittelstaedt gerne in Aktion erleben. Also fährt er die knappe Stunde nach Schmilka und wandert zum Großen Winterberg, wo die Gruppe ihr Quartier hat. Es ist schon längst Zeit zum Abendessen. Eine Stunde wartet er – der Koch im Haus ebenfalls. Dann sind die ersten erschöpft wirkenden Gestalten am Waldrand zu sehen. Doch die Gesichter spiegeln neben Anstrengung vor allem Zufriedenheit wieder, als sie in der Baude eintreffen. Den ganzen Tag über waren sie draußen. Nein, der Wind hat ihnen nichts ausgemacht, und ja, die Astrid kommt noch. Sie ist bei den letzten dabei, wie sich das für einen guten Guide gehört.
Die zierliche Frau reagiert erstaunlich gelassen auf den unerwarteten Besuch und seinen Gesprächsbedarf. Drinnen hat das Essen längst begonnen, doch sie nimmt sich Zeit. Dass sie mit ihrem Beruf genau das macht, was sie liebt, nämlich Zeit in der Natur zu verbringen, und dass sie damit anderen Menschen einen eigenen Zugang zu dieser Kraftquelle ermöglicht, erfüllt sie mit Sinn und Freude. Beides zusammen stiftet Glück. Das Glück, zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein und zu tun, was man am besten kann. Darüber hinaus gibt es nur noch eine Erkenntnis von Astrid Mittelstaedt: Glück mit anderen zu teilen, damit es sich vermehrt.
Unserer Überzeugung nach führt der Weg zu einem sinnvollen, erfüllten und glücklichen Leben über das bewusste Erleben des Augenblicks und die Verlangsamung. Wir können und sollten die Radieschen lieber von oben als von unten betrachten. Es liegt bei uns, ob wir uns die Zeit dafür nehmen wollen. Die Natur ist vor unserer Haustür. Der Reichtum des Lebens ist dort draußen zu finden. Deshalb RAUS INS GLÜCK!