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Für den Baldachin über dem Papstaltar wurden 93 Tonnen Bronze verarbeitet.

Kleine Wunder im großen Dom

Schon Goethe wusste: Man sieht nur das, was man weiß! Und hatte er damit nicht vollkommen recht? Da kann man unzählige Male an einem Bauwerk vorbeigehen – aber die interessantesten Geschichten verpasst man trotzdem.

Ich schlage Ihnen einen Deal vor: Ich nehme Sie mit an Orte, die Sie bestimmt schon mal gesehen haben. Und ich verspreche Ihnen, dass Sie die versteckten Geschichten rund um diese Orte nie wieder vergessen werden! Oder wussten Sie etwa, dass am Papstaltar im Petersdom eine Geburt stattfindet? Mit schmerzhaften Wehen und allem Drum und Dran? Na also. Kommen Sie mit!

Erstaunliches im Petersdom

Beeindruckend und überwältigend ist er durch seine schiere Größe. Aber wenn man nicht nur das große Ganze sieht, sondern genau hinschaut, kann man erstaunliche Details entdecken. Zum Beispiel am Papstaltar, der 1633 eingeweiht wurde. Über diesem erhebt sich majestätisch ein kunstvoller Baldachin, der fast 30 Meter hoch ist und damit das größte Bronzegebilde der Welt. Berninis Kunstwerk befindet sich direkt über dem Grab des Apostelfürsten Petrus. Und früher durfte hier nur ein Papst die Messe zelebrieren. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist es auch anderen ausgewählten Priestern gestattet.

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Gut 20.000 Quadratmeter und Platz für 20.000 Menschen: die »Basilica di San Pietro in Vaticano«. Bischofskirche des Papstes ist der Petersdom jedoch nicht, sondern »San Giovanni in Laterano«.

Daumenkino in Marmor

Aber lassen Sie uns einmal rund um den Altar gehen. Fällt Ihnen an den Eckpfeilern etwas auf? Wir sehen acht päpstliche Marmorwappen, in denen sich kleine Frauenköpfe befinden. Doch schauen Sie nochmal genauer hin. Ja tatsächlich, es ist fast so wie in einem Film: Bild für Bild gestaltet sich die Szene ein wenig anders. Und aneinandergereiht ergibt sich quasi eine Bewegung – die frühe Form des Daumenkinos. Einmal sieht das Frauengesicht jung und entspannt aus. Auf dem nächsten Pfeiler eher angestrengt. Dann: zerzauste Haare, verdrehte Augen. Und hier: das Gesicht schreiend und schmerzverzerrt. Wir sehen eine Frau während eines Geburtsvorgangs. Und lassen Sie mal ein bisschen Ihre Fantasie spielen: Das Relief unterhalb des Gesichts könnte Teil eines Wappens sein, klar. Aber nicht vielleicht auch der Bauch einer schwangeren Frau? Ein Bauch, der zunächst flach wirkt und dann immer rundlicher? Und darunter … ganz genau: die stilisierte Form des weiblichen Geschlechts.

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Das päpstliche Wappen ist an allen Eckpfeilern des Baldachins zu sehen.

Ist es nicht unglaublich? Millionen Besucher aus aller Welt bewundern jedes Jahr den Baldachin von Bernini, doch wohl nur die wenigstens von ihnen kennen diese Geschichte: Die Lieblingsnichte von Papst Urban VIII. ist schwanger, so heißt es – doch es sieht nicht gut aus für die Nichte und ihr Baby. Beide sind in Lebensgefahr. Und da macht Urban VIII. ein Versprechen: Sollte die Geburt gelingen und seine Nichte ein gesundes Kind zur Welt bringen, will der Papst in Erinnerung an die Erhörung seiner Gebete einen großartigen Baldachin über dem Altar errichten lassen.

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Das Gesicht über dem Wappen aber verändert sich im Verlauf der »Geburt«.

Und noch heute können wir alle das Ende dieser Geschichte miterleben: Am vorderen rechten Pfeiler des Altars sehen wir das Gesicht eines süßen, pausbäckigen Babys. Das gute Ende also einer schwierigen Geburt – Gott sei Dank! Eine andere Version der Geschichte geht allerdings so: Bernini selbst ist – sozusagen – die Schwangere, und zwar bei der anstrengenden Geburt des Baldachins. Denn die Fertigstellung dauerte nicht etwa neun Monate, sondern strapaziöse neun Jahre. Welche der beiden Geschichten stimmt? Wer weiß das schon! Denn für Anekdoten wie diese gilt – wie so oft – das römische Sprichwort: Se non è vero è ben trovato – Wenn die Story nicht wahr ist, dann ist sie zumindest gut erfunden!

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Tanzende Trunkenbolde: die Schöpfer der Eingangspforte von Sankt Peter

Der Krönungsstein und ein paar Trunkenbolde

Noch ein kleines Kuriosum innerhalb des Petersdoms gefällig, das praktisch niemand bemerkt? Stellen Sie sich einmal auf den roten Porphyrstein im Eingangsbereich der Basilika. Auf genau diesem roten Kreis wurde Karl der Große am Weihnachtsfest 800 zum Kaiser gekrönt – der Stein befand sich damals allerdings vor dem Papstaltar und wurde erst später hierher, ans andere Ende der Basilika, verlegt. Nun drehen Sie sich vom Porphyrstein um und schauen in Richtung der monumentalen Eingangspforte von 1445. Am unteren Rand werden Sie ein unscheinbares Reliefband bemerken.

Lassen Sie uns näher rangehen. Links ist ein Mann auf einem Esel zu sehen, mit einem Weinkrug in der Hand. Daneben einige tanzende, betrunkene Männer und rechts ein Mann auf einem Dromedar. Was für eine skurrile Darstellung in einer Kirche! Was hat das wohl zu bedeuten? Sie werden sich wundern, aber das hier ist vermutlich einer der ersten »Filmabspanne« der Welt. Denn hier haben sich die Schöpfer dieser kunstvollen Eingangspforte selbst verewigt: Antonio Avelino aus Florenz, genannt Filarete, und seine Schüler. Filarete ist der zweite Mann von rechts, der mit dem Zirkel in der Hand. Weinselig und ausgelassen feiern er und seine Männer die Vollendung ihres Werkes. Und wir erfahren auch Folgendes: CETERIS OPERE PRETIVM PASTVS FVMUS VE MINI HILARITAS. »Mit dem Lohn für dieses Werk hatten wir ein Essen und Fröhlichkeit.« Nun, das Ganze ist zwar schon fast 600 Jahre her und damals gab es noch keine Gewerkschaften. Aber trotzdem mag man den fleißigen Jungs wünschen, dass sie für ihr großartiges Meisterwerk mehr bekamen als nur ein Essen und einen Vollrausch.

Caligulas Rennbahn oder der Circus des Nero

Lassen Sie uns hinausgehen auf den Petersplatz. Auch der hält einige Geheimnisse bereit. Um die zu verstehen, muss man wissen, dass dieser Platz nicht immer so aussah wie jetzt. Erst 1667 bekam er sein heutiges Aussehen – mit den 140 Heiligenfiguren, 88 Pfeilern und 248 Säulen, den Kolonnaden von Bernini, zu denen es übrigens auch noch eine ziemlich verblüffende Geschichte gibt, doch dazu später mehr.

Was also gab es vorher an dieser Stelle, die wir heute als Petersplatz kennen? Die erstaunliche Antwort: eine riesige Rennbahn. Sie wurde vor gut 2000 Jahren von Kaiser Caligula beauftragt und ist auch als »Circus des Nero« bekannt. Der Obelisk, vor dem Sie jetzt stehen, war Mittelpunkt genau dieser damaligen Rennbahn. Allerdings: Die Rennbahn war mit dem heutigen Petersplatz nicht komplett identisch. Caligulas Circus lag, wenn man auf den Petersdom blickt, etwas weiter vorne, also in Richtung des heutigen Kirchenschiffs, und nach links versetzt. Deshalb befand sich auch der Obelisk jahrhundertelang rund 300 Meter weiter »vorne links«, ganz in der Nähe der heutigen Sakristei des Petersdoms. (Wie Sie an diesen Ort kommen, erfahren Sie auf >.)

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Der Vatikanische Obelisk, der 1568 mit so großem Aufwand versetzt wurde, kam schon unter Kaiser Caligula nach Rom. Man ahnt, zu welchen Leistungen bereits die alten Römer fähig waren.

Schwertransport: Wie zieht man 326 Tonnen um?

Im Zuge des Neubaus von Sankt Peter stand der Obelisk dann irgendwann im Weg und musste seinen Standort wechseln. Nur: Wie zieht man einen 326 Tonnen schweren Koloss um, ohne dass er dabei zu Bruch geht? Oder dass Papst Sixtus V. womöglich sein Gesicht verliert, sollte bei dieser unerhörten Mission etwas schiefgehen? Der Papst persönlich hatte nämlich den Umzug des Obelisken in Auftrag gegeben und den Architekten Domenico Fontana mit dieser wahnwitzigen und delikaten Aufgabe betraut. Die katholische Kirche musste zeigen, dass sie nach dem Aufkommen des Protestantismus wieder zu Kraft gekommen war. Und ein zerbrochener Obelisk vor dem Neubau des Petersdoms – was wäre das für eine verheerende Symbolik?

Neun Monate lang dauern die Vorbereitungen, Häuser müssen weichen, um der riesigen Konstruktion Platz zu machen, die nun zum Einsatz kommt. Aber heute, am 10. September 1568, ist es so weit: Ganz Rom ist auf den Beinen, um das Spektakel zu verfolgen. 47 aufwendige Seilwinden-Konstruktionen sind vorbereitet, 150 Pferde stehen bereit, und über 900 hochkonzentrierte Männer spucken in die Hände. Nichts darf bei diesem Unterfangen schiefgehen.

Um Himmels Willen: Ruhe!

So sehr getrieben vom Erfolg der Mission ist der Papst, dass er allen Beteiligten strengstens verbietet, auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen. Und Sterbenswörtchen kann man in diesem Fall wörtlich nehmen, denn der Papst droht jedem – Achtung! – mit dem Tod, sollte er die konzentrierte Ruhe stören. Der Koloss, der jetzt noch auf einer Rampe ruht, soll gleich aufgerichtet werden. Ein gespanntes Knistern liegt in der Luft. Die Pferde stehen bereit, um endlich die Winden in Bewegung zu setzen. Totenstille auf dem Petersplatz. Und plötzlich halten die Zuschauer auf den Holztribünen den Atem an, denn das Signal der Trompete ertönt.

Sofort ächzen die Seile. Jetzt geht es in die heikelste, in die gefährlichste Phase. Aber – oddio mio! – jemand muss das Gewicht des Obelisken wohl falsch berechnet haben. Denn durch die enorme Belastung werden die Seile plötzlich heiß. Sie drohen zu reißen – das Projekt scheint dem Untergang geweiht! Aber wer traut sich zu schreien, dass man sofort Wasser auf die Seile geben solle. Sofort! – damit die Seile abkühlen und der Obelisk nicht zerschmettert? Wer also wagt es, dem Befehl des Papstes zu widersprechen? Wer ist so wagemutig, sein eigenes Leben aufs Spiel setzen?

Einen gab es: Benedetto Bresca. Dieser Seemann aus Ligurien, der sich von Berufs wegen mit Seilen bestens auskannte, war beherzt genug und schrie: »Wasser auf die Seile!« Der Obelisk blieb ganz und konnte an seiner heutigen Stelle sicher aufgerichtet werden. Und was war der Dank?

Ach nein … der Kopf blieb dran. Bresca erhielt die Kapitänswürde und das Recht, unter päpstlicher Flagge in See stechen zu dürfen. Außerdem bekam er das Privileg, Palmzweige für den Papst zu liefern. Und so blieb es übrigens jahrhundertelang. Die Nachfahren des ligurischen Seemannes – Pardon: päpstlichen Kapitäns – durften noch bis vor wenigen Jahrzehnten als offizielle Hoflieferanten die Palmzweige in den Vatikan bringen. Ein Hoch auf den furchtlosen Vorfahren!

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Die drei Säulenreihen des Bernini verschmelzen zu einer einzigen – wenn man weiß, wo genau man stehen muss!

Aus drei mach eins – wie die Säulen verschmelzen

Und wo wir gerade schon auf dem Petersplatz stehen, voller Bewunderung für den Mut eines einfachen Mannes … lassen Sie uns ein paar Schritte in Richtung des plätschernden Brunnens gehen. Egal ob nach rechts oder links. Denn in der Nähe eines jeden Brunnens finden wir auf dem Boden einen hellen runden Stein mit der Aufschrift »Centro del Colonnato«. Diese beiden Orte markieren die Brennpunkte der Ellipse, die den Petersplatz formt. Stellen Sie sich auf einen der kleinen Steine und Sie werden Zeuge davon, wie die drei hintereinanderstehenden Säulenreihen des Bernini, fast schon magisch, zu einer einzigen perfekten Säule verschmelzen. Denn so viel ist seit Jahrhunderten wahr: Der Petersplatz ist ein Ort der Wunder – der großen wie der kleinen.

Letzte Rettung: Babyklappe

Haben Sie Lust, mit mir auf eine Zeitreise zu gehen, zurück ins Jahr 1198? Doch Vorsicht: Es wird traurig, denn die junge Frau ist verzweifelt. Sie hat gerade ihr Kind zur Welt gebracht. Aber die Zeiten sind karg und bitter, sie hat nicht mal genug Essen für sich selbst. Wie soll sie da noch ein hungriges, schreiendes Kind durchbringen? Und außerdem: Das Baby ist unehelich zur Welt gekommen. Ein Skandal. Klar, sie könnte das Neugeborene einfach aussetzen oder in den Tiber werfen, wie so viele Frauen es tun. Aber gibt es da nicht dieses neue Fenster am Hospital Santo Spirito in Sassia? Wo man das Kind einfach anonym abgeben kann, damit es überlebt?

Und so geht die junge, verzweifelte Mutter hin. Sie sieht das Fenster in der Wand, küsst ihr Baby ein letztes Mal. Dann steckt sie den Säugling durch das Loch im schmiedeeisernen Gitter und legt ihn sanft in die hölzerne Mulde. Sie zieht am Glockenseil neben dem Fenster und rennt weg, so schnell sie kann.

So ähnlich wird es wohl abgelaufen sein vor rund 800 Jahren, hier an einer der ersten Babyklappen der Welt. Papst Innozenz III. hatte sie installieren lassen … zu viele ungewollte Kinder kamen auf den Straßen ums Leben. Die Not war so groß.

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Die Babyklappe am Ospedale Santo Spirito

Mit einer Umdrehung in Sicherheit

Und noch heute kann man diese originale Babyklappe sehen. Also lassen Sie uns hingehen. Sie befindet sich nur wenige Gehminuten vom Petersplatz entfernt, im Borgo Santo Spirito 1: ein gemauerter Erker am Ospedale Santo Spirito. Das Heilig-Geist-Hospital wurde im Jahr 1198 gegründet, ist damit das älteste Krankenhaus der Welt und seit seiner Gründung ununterbrochen in Betrieb. Und wenn man hier vor dieser Drehlade – der Ruota – steht, kann man sich sehr gut vorstellen, was damals geschah, nachdem die junge Frau am Glockenseil gezogen hatte und schnell weggelaufen war. Innen im Krankenhaus hörte man das Signal. Eine der Nonnen eilte zur Ruota und setzte die hölzerne Drehlade in Bewegung. Die Mulde mit dem Baby bewegte sich, rotierte und gab das Neugeborene im Inneren des Hauses wieder frei. Das Baby war in Sicherheit. Und selbst wenn die junge Mutter nicht eilig weggelaufen wäre – niemand hätte sie von innen sehen können.

Eine wirklich anonyme Abgabe, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn anonym bedeutet: namenlos. Und so schrieb die Nonne in das Babyregister ein weiteres Mal: M.: ignotaMadre ignota … zu Deutsch: Mutter unbekannt. Im römischen Dialekt heißt mignotta übrigens nichts anderes als »Hure«. Und viele behaupten, der Name stamme tatsächlich von den unverheirateten Frauen hier an der Babyklappe. Eine andere Theorie besagt, mignotta leite sich vom Französischen mignonne ab – »meine Süße«. Mit letzter Sicherheit kann das die Sprachforschung nicht sagen. Und ähnlich unklar ist auch die Herkunft des in Italien weit verbreiteten Nachnamens Esposito. Esposito bedeutet »ausgesetzt«. Könnte es sein, dass die heutigen Millionen von Espositos die Nachfahren von Findelkindern sind? Es wäre ein weiteres starkes Zeugnis dafür, dass es sich lohnt, um jedes Menschenleben zu kämpfen.

Waschmaschine für Arme Seelen

Zugegeben, die Babyklappe ist eine nicht ganz so offensichtliche Sehenswürdigkeit wie der Papstaltar und der Obelisk. Und auch der nächste Ort unseres Ausflugs ist eher versteckt. Aber trotzdem unglaublich spannend – und ziemlich skurril, wie viele wohl sagen würden. Auch er befindet sich in lockerer Spazierweite vom Petersplatz entfernt: Nur kurz an der Engelsburg vorbei, und schon sind wir da, am Museum des Fegefeuers.

Das wohl kleinste und kurioseste Museum Roms: Arme Seelen schicken Nachrichten aus dem Feuer

Und falls Sie nicht katholisch sozialisiert wurden, hier eine kleine Einordnung: Nach katholischer Lesart gibt es nach dem Tod eines Menschen drei mögliche Orte, an denen sich die unsterbliche Seele aufhalten kann. Im Himmel – mit ewigem Glück, Zufriedenheit und Liebe – wunderbar! In der Hölle – böse Falle, denn hier gibt’s nur Heulen und Zähneknirschen, ein Ort der ewigen Gottesferne. Und dann ist da noch Möglichkeit Nummer drei: das Fegefeuer. Hierher kommen die Seelen, wenn sie zwar nicht zum Schmoren in der Hölle verdammt sind, aber auch noch nicht bereit für den Himmel. In katholischer Fachsprache: ein Ort der Läuterung. Hier wird die Seele also – eine begrenzte Zeit lang – gereinigt. Purgatorio heißt dieser Zwischenort im Italienischen, und hier ist das lateinische Ursprungswort purgare, reinigen, noch immer gut sichtbar.

Im Deutschen sind wir allerdings viel konkreter und bildhafter. Denn »Fegefeuer« gibt eine ziemlich gute Vorstellung davon, auf welch hitzige Weise gereinigt wird, welche Stimmung – und welche Temperaturen – am Zwischenort herrschen. Wir wollen also das »Museum der Armen Seelen im Fegefeuer« besuchen, das Museo delle Anime del Purgatorio. Es befindet sich in der einzigen neogotischen Kirche Roms: Sacro Cuore del Suffragio, Heiligstes Herz Jesu von der Fürbitte.

Manche mögen’s heiß

Und so viel kann ich vorwegnehmen: Das Museum hält einige sehr ungewöhnliche Exponate bereit. Lassen Sie uns also in die Kirche hineingehen, geradeaus auf den Altar zu. Ganz am Ende des rechten Seitenschiffs befindet er sich: der Eingang zum wohl kleinsten und kuriosesten Museum Roms. Ein älterer Herr sitzt an einem Schreibtisch und weist uns – mit der Bitte um eine kleine Spende – den Weg zu einem Raum voller Merkwürdigkeiten. Am 2. Juli 1897, so sagt er, sei hier etwas Erstaunliches passiert. Die heutige Kirche stand damals noch nicht, nur eine kleine Kapelle. Und man könnte sagen: Dort ging es heiß her. Denn glaubt man der Geschichte, hat sich Folgendes zugetragen: Während der französische Pater Victor Jouët die Messe feiert, bricht ausgerechnet auf dem Altar plötzlich ein Feuer aus. Der Pater und die Gottesdienstbesucher sind sich sicher, mitten in den Flammen eine Gestalt zu erkennen. Aber nicht nur das. Nachdem das Feuer gelöscht ist, bleibt das Bild des Feuer-Mannes auf einer Wand erhalten.

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In dieses Gebetbuch scheint eine feurige Hand gegriffen zu haben. Eine Nachricht aus dem Jenseits?

Gebetbücher und versengte Nachtmützen

Pater Jouët hält es für eine Nachricht aus dem Purgatorium, also für das Abbild einer Armen Seele im Fegefeuer. Und so macht sich der Pater auf, in ganz Europa nach Spuren aus der Zwischenwelt zu fahnden. Ziemlich erfolgreich, wie man in diesem Raum sehen kann. Zum Beispiel Fundstück Nr. 9 an der linken Wand: ein aufgeschlagenes Gebetbuch, dessen Papier von feurigen Fingern angesengt wurde. Fünf verkohlte Stellen im Papier zeigen an, wo die heiße Hand zugegriffen haben muss. Und passenderweise ist das Buch auf exakt jener Seite aufgeschlagen, auf der zu lesen ist: »Vergib den Seelen Deiner Diener ihre Fehltritte, reinige sie von ihren Unvollkommenheiten.«

Der verstorbene Josef Schitz, so heißt es im erklärenden Faltblatt, habe am 21. Dezember 1838 mit der rechten Hand das Gebetbuch seines Bruders Georg berührt. Der Tote habe so »um Gebete für seine Seelenruhe und um Wiedergutmachung seiner Gleichgültigkeit im religiösen Leben« bitten wollen. Ähnlich eindrucksvoll: die Nachtmütze von Ludwig Le Sénéchal. Dem Franzosen war am 7. Mai 1873 seine verstorbene Ehefrau Luisa erschienen. Auch sie bat um Gebete und Messfeiern. Und damit der Gatte den Wunsch seiner toten Frau auch beweisen könne, hinterließ sie feurige Löcher auf der Nachtmütze ihres Liebsten. Und so geht es immer weiter: Schmorspuren auf Kleidungsstücken, Büchern, Tischen – überall haben heiße Hände aus dem Fegefeuer in unsere Welt hineingegriffen.

Hokuspokus?

Vielleicht. Mahnende Boten aus der Zwischenwelt, schon hier auf Erden ein besseres Leben zu führen? Vielleicht auch. Egal, was diese merkwürdigen Ausstellungsstücke Ihnen persönlich mitgeben – einen gruseligen Schauer über den Rücken oder eher ein ungläubiges Lächeln im Gesicht –, der Besuch in diesem weltweit einmaligen Museum lohnt sich auf alle Fälle.

Geburt und Gelage im Petersdom! Wo und wann?
Basilika Sankt Peter im Vatikan (Petersdom)

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Sie benötigen kein Ticket, der Eintritt ist immer frei! Bitte bedenken: Kontrolleure achten auf angemessene Kleidung, die Schultern müssen bedeckt sein.

Besuch der Kuppel

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AUSSERDEM NICHT VERPASSEN

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Die Nationalkirche der Niederlande, die Friesenkirche – auch: Santi Michele e Magno – ganz in der Nähe des Petersplatzes ist sehr sehenswert. Die vorderen Kirchenbänke sind die originalen Sitzgelegenheiten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es gibt eine Kopie der Heiligen Treppe und zwei außergewöhnliche Erinnerungsstücke: Links in der Apsis befindet sich der Stein, auf dem der Legende nach Urvater Abraham seinen Sohn Isaak festband, um ihn seinem Gott zu opfern. Ähnlich bemerkenswert: Der Altar der Friesenkirche soll genau jener Stein sein, auf dem das Jesuskind lag – bei der »Darstellung des Herrn« im Jerusalemer Tempel.

Was und wo? Babyklappe!

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Eine der ersten Babyklappen der Welt entdecken. Die Drehmechanik ist noch original erhalten. Das Krankenhaus Santo Spirito in Sassia (dessen Eingang sich heute an der Tiber-Seite befindet) wurde im Jahr 1198 gegründet, ist seitdem ununterbrochen in Betrieb und damit das älteste der Welt.

Was? Arme Seelen, Feuer frei!

Das Museum mit Nachrichten aus dem Fegefeuer besuchen. In der Kirche Sacro Cuore del Suffragio werden außergewöhnliche Exponate präsentiert: feurige Handabdrücke auf Büchern, Schmorspuren auf Nachtmützen und Bettdecken. Haben die Armen Seelen aus der Zwischenwelt etwa Nachrichten ins Hier und Jetzt geschickt? Was auch immer man davon hält: Dieses Museum ist weltweit einmalig und unbedingt einen Besuch wert – trauen Sie sich!

Wo und wann?
Museo delle Anime del Purgatorio in der Kirche Sacro Cuore del Suffragio

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Säule mit Durchblick – in der Kirche Santa Maria in Aracoeli

TIPPS
NOCH MEHR KURIOSES
Das geheime Loch in der Säule – die Magie des Vogelflugs

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Die Kirche Santa Maria in Aracoeli auf dem Kapitol hat eine bewegte Geschichte: Sie soll auf den Überresten des Tempels der Juno Moneta errichtet worden sein (in der Nähe befand sich eine Münzstätte, daher unser Wort »Moneten« für Geld). Innerhalb der Kirche findet sich das Grabmal der Heiligen Helena, der Mutter Kaiser Konstantins. Doch schauen Sie sich bitte die – vom Hauptportal aus gesehen – dritte Säule auf der linken Seite mal genauer an. Die oben eingemeißelten lateinischen Worte A Cubiculo Augustorum legen nahe, dass sich die Säule einmal im Schlafgemach des Kaisers Augustus befand. Noch viel spannender: Schräg durch die Säule wurde in Augenhöhe ein Loch gebohrt, das praktisch alle Besucher übersehen. Einige Wissenschaftler vermuten, man habe hierdurch früher die Bewegung der Sterne beobachtet. Andere sagen, das Loch sei von den Auguren – den Deutern des Vogelflugs – benutzt worden, um aus den Bewegungen der Tiere das Schicksal der Stadt und seiner Herrscher abzulesen. Ein 2000 Jahre altes Ornithologen-Fernrohr also. Welche These wohl stimmt? Fest steht: Noch heute sagt man in Italien auguri, wenn man jemandem Glück wünschen will.

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Der Schlüssel zum Stein der Weisen? Die alchemistische Pforte in der Nähe von Termini

Die alchemistische Pforte – und der angebliche Stein der Weisen

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Hokuspokus oder ewiger Reichtum? Am Nordrand des Parks an der Piazza Vittorio Emanuele II, nahe dem Hauptbahnhof Termini, befindet sich ein geheimnisvolles Tor: die magische oder alchemistische Pforte. Sie soll einer der fünf Eingänge zur Villa Palombara des Marquis von Pietraforte gewesen sein, der sich im 17. Jahrhundert für das Okkulte interessierte. Götzenhafte Statuen flankieren die Pforte, magische Symbole und rätselhafte Inschriften in Latein und Hebräisch schmücken das seltsame Denkmal: »Der, der die Erde durch den Atem fliegen lässt, kann Wasser der Bäche zu Stein verwandeln.« Werden Sie daraus schlau? Der Legende nach soll ein erschöpfter Pilger an der Tür des Marquis um Unterschlupf gebeten haben. Nachts sei er dann im Garten herumgeirrt, hätte aus einem geheimnisvollen Pulver (oder aus Gras, da gehen die Legenden auseinander) Gold erschaffen – und das Rezept dafür seien eben jene seltsamen Symbole an der magischen Pforte, durch die der Fremde übrigens auf mysteriöse Weise wieder verschwand. Falls Sie bereits Dollarzeichen in den Augen haben, muss ich Sie enttäuschen: Die Pforte ist mit Gittern abgesperrt, man kann sie nur aus einiger Ferne betrachten. Mal schnell einen Topf voll Gold mit nach Hause nehmen – daraus wird wohl nichts. Spannend ist ein Besuch am magischen Tor aber allemal.