5.1 Einführung
Der folgende Ausschnitt stammt aus einem Interview, das ein Interviewer (I) mit einem Gymnasialschüler (P) mit sehr guten Physiknoten unmittelbar nach dem Optikunterricht in der Sekundarstufe I geführt hat.
I:
P:
Ja, wir sind gerade bei der Optik. […] Das Bild also […] dann wird es ins Gehirn geleitet und dann kann das Gehirn die Augen zwingen, ah, also dazu bringen, dass sie auf das schauen und das sich ein Bild irgendwie ergibt (…) im Kopf.
I:
Und wozu braucht man da jetzt das Licht bei diesem Vorgang?
P:
Eigentlich gar nicht. Das braucht man ja nicht. Nein.“
Derartige Antwort- bzw. Argumentationsmuster sind keine Einzelfälle, sondern stehen prototypisch für stabile Vorstellungsmuster von Lernenden nach dem Anfangsoptikunterricht der Sekundarstufe I. Sie zeigen, dass eine basale Vorstellung von physikalischen Prozessen, die für die visuelle Wahrnehmung bzw. konkreter für die Bildentstehung im Auge relevant sind, nicht oder nicht tiefgehend genug verankert wird. Angesichts der Tatsache, dass die visuelle Wahrnehmung unserer Umwelt ein alltäglicher Vorgang ist, scheint dies verwunderlich. Ein Blick auf den gängigen Optikunterricht sowie eine konstruktivistische Perspektive auf Lernprozesse bieten jedoch eine Reihe von Anhaltspunkten, wie es zu dieser Situation kommen kann.
Die bewusste körperliche Erfahrung von Licht, das in unser visuelles System gelangt, ist typischerweise mit für das Auge schmerzhaften Blendvorgängen verbunden. Ein derartiges schmerzhaftes Gefühl von „geblendet werden“, stellt sich jedoch bei „normalen“ Sehvorgängen nicht ein. Zudem ist vielen die Erfahrung völliger Dunkelheit gänzlich unbekannt. Egal wo wir uns befinden, findet sich meist auch eine zumindest geringe Menge an Streulicht und damit gelingt es unserem Auge, das sich sehr gut an die verschiedensten Lichtverhältnisse adaptieren kann, wenigstens schemenhaft Umrisse von Objekten zu erkennen. Des Weiteren finden wir in den Medien und auch immer noch vereinzelt in Schulbüchern Darstellungsweisen zum Sehen, die die Vorstellung eines aktiven Auges unterstützen, indem Sehstrahlen oder Blickrichtungspfeile meist unkommentiert eingezeichnet werden. Lebensweltliche Erfahrungen geben also kaum Anlass dafür, die Vorstellung zu entwickeln, dass Licht von einem Objekt in unser visuelles System gestreut werden muss, um wahrgenommen zu werden. Auch die Alltagssprache, in der wir einen Gegenstand wahrnehmen, wenn wir „hinschauen“ oder einen „Blick auf ihn werfen“, weist dem Auge klar eine aktive Rolle im Sehprozess zu. Diese Aspekte der täglichen Erfahrungswelt lassen es also gar nicht verwunderlich erscheinen, dass tief verwurzelte Schülervorstellungen zum Sehvorgang bestehen und Lernhürden mit sich bringen.
Ähnlich erweisen sich auch in anderen Teilbereichen der Optik tief verwurzelte Alltagserfahrungen oder Sprachwendungen als hinderlich für unterrichtliche Lernprozesse; denken wir nur an den Begriff „spiegelverkehrt“. Licht selbst als Phänomen ist zudem schwer fassbar und schwer beschreibbar. Die Fragestellung, ob Licht selbst sichtbar ist oder eben nur sichtbar gemacht werden kann, ist nicht nur für Lernende schwierig zu fassen, sondern schied die Geister schon in der Geschichte der Physik. Die grundlegenden Vorstellungen darüber, was Licht ist (Kasten 5.1), welche Eigenschaften Licht hat und wie es beschrieben werden kann, sind aufgrund der Prägung durch Alltagserfahrungen sehr individuell bei Lernenden verankert. Diese Grundvorstellungen bestimmen jedoch Lernverläufe maßgeblich mit.
Kasten 5.1: Licht
Licht lässt sich als Transport von Energie durch elektromagnetische Strahlung konzeptualisieren. Sichtbares Licht ist elektromagnetische Strahlung in einem schmalen Frequenzband von ca. bis ca.
(Wellenlänge zwischen 380 nm und 780 nm). Genaue Grenzen lassen sich für den Bereich sichtbarer Strahlung jedoch nicht angeben, da die Empfindlichkeit des menschlichen Auges individuell ist und an den Wahrnehmungsgrenzen allmählich abnimmt. Elektromagnetische Strahlung entsteht, wenn elektromagnetische Felder von beschleunigten elektrischen Ladungen abgestrahlt werden und sich (in Vakuum mit Lichtgeschwindigkeit) ausbreiten (Kasten 11.3). Für die Entstehung von Licht sind typischerweise geladene Atombestandteile verantwortlich, die im oben genannten Frequenzbereich oszillieren und somit für Menschen sichtbare elektromagnetische Strahlung abgeben.
5.2 Schülervorstellungen
Die Schülervorstellungsforschung zur Strahlenoptik geht überwiegend auf die 1980er und 1990er Jahre zurück. Eine Zusammenschau dieser Forschungsergebnisse wird – erweitert um aktuellere Erkenntnisse –im Folgenden vorgestellt.2
5.2.1 Vorstellungen zu Licht und dessen Eigenschaften
„Licht ist ruhende Helligkeit.“
Licht wird häufig als substanzartig beschrieben, als ein Stoff, der Räume instantan ausfüllt, sobald eine Lichtquelle eingeschaltet wird. Licht und Lichtquelle werden vielfach als eine nicht voneinander trennbare Einheit wahrgenommen. Demnach steht Licht immer in Verbindung mit der lichtemittierenden Quelle. Kontinuierliche Ausbreitungsvorgänge von Licht widersprechen den Alltagserfahrungen von Lernenden. Dafür lässt sich eine Reihe von Argumenten anführen: Die vergleichsweise geringen Distanzen im Lebensumfeld der Lernenden in Kombination mit der extrem hohen Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht lassen Erfahrungen, die Licht als etwas zeigen, das sich permanent von der Lichtquelle wegbewegt, nicht zu. Ein Argument, das ebenso nachvollziehbar gegen einen kontinuierlichen Abstrahlungsvorgang spricht, wird von einem Lernenden nach dem Optikunterricht auch durchaus plausibel formuliert: „Wenn von der Glühbirne immer Licht weggeht, dann wird’s da im Zimmer ja immer heller. Wenn ich einen [Eimer] unter den laufenden Wasserhahn stell’, dann ist dort ja auch immer mehr und mehr Wasser drinnen, bis der [Eimer] über[läuft].“
Diesem Argument ist die zuvor genannte Vorstellung der Substanzartigkeit zu entnehmen. Licht wird häufig als eine Art materielle Substanz gedacht. Erfahrungen mit den materiellen Substanzen in unserer Umgebung werden wiederum auf Licht übergeneralisiert, was sich u. a. in Vorstellungselementen äußert, dass „wo schon Licht ist, kein Licht mehr hin kann“. Dieses Vorstellungselement wird in verschiedenen Kontexten aktiviert und führt u. a. zu der Annahme, dass sich das Licht einer Kerzenflamme am Tag – wenn die Umgebung schon von Tageslicht erfüllt ist – weniger weit ausbreiten kann als bei Nacht. Oder es wird angenommen, dass Licht nicht ständig von einer Quelle wegströmen kann oder dass sich verschiedenfarbige Lichtbündel nicht störungsfrei überlagern können.
„Licht breitet sich linienförmig als Lichtstrahl aus.“
Auf vorhandene Vorstellungselemente wird in der Regel kontextspezifisch zugegriffen. Dies impliziert, dass aus physikalischer Sicht widersprüchliche Vorstellungselemente parallel vorhanden sein können (Abschn. 3.3.1). Diese Widersprüchlichkeiten sind für die Lernenden typischerweise jedoch nicht ersichtlich. So besteht parallel zur Vorstellung der statischen Lichtsubstanz u. U. die meist lehrbedingte Vorstellung, dass sich Licht in Form von Strahlen „linienförmig ausbreitet“.

Vorstellungen zur Lichtausbreitung (diese Kategorisierung basiert auf Galili, 1996, S. 853). Links: radiales Strahlenmodell – Licht breitet sich radial aus. Die einzelnen Lichtstrahlen sind dabei so orientiert, als hätten sie einen gemeinsamen Ursprung im Zentrum der ausgedehnten Lichtquelle. Mitte: gerichtetes Strahlenmodell – Licht breitet sich von verschiedenen Stellen der Oberfläche der ausgedehnten Lichtquelle in jene Vorzugsrichtung aus, die etwa für einen Abbildungsvorgang o. Ä. relevant ist. Rechts: fachlich angemessenes Strahlenmodell – Licht breitet sich von jedem Punkt der ausgedehnten Lichtquelle in alle Raumrichtungen aus.
Die Fähigkeit der Lernenden, zwischen der Lebenswelt und darin beobachtbaren Phänomenen einerseits und der Modellwelt der strahlengeometrischen Konstruktionen andererseits zu unterscheiden bzw. Verbindungen herzustellen, wird im konventionellen Anfangsoptikunterricht meist vernachlässigt. Durch eine zu frühe Abstraktion bzw. die fehlende Rückbindung an die subjektive Wahrnehmung der Lernenden entstehen hier Lernschwierigkeiten bzw. Vorstellungen, die sich negativ auf weitere Teilgegenstandsbereiche der Angangsoptik auswirken. Ein frühes Einführen strahlengeometrischer Konstruktionen mit zwei oder drei ausgezeichneten Strahlen führt beispielsweise häufig dazu, dass Lernende ausschließen, dass Gegenstände, die größer als der Durchmesser der Linse sind, mit dieser vollständig abgebildet werden können. Die Linse sei dafür zu klein. Bezüge sowohl zur subjektiven Erfahrung (z. B. „Deine Brille bildet nicht nur einen Ausschnitt deiner Umgebung ab“) als auch zum physikalischen Phänomen (z. B. Lichtbündel, die von diesen Strahlen repräsentiert werden) können dem entgegenwirken.
Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, anfänglich Lichtkegeldarstellungen zu nutzen und erst allmählich die Lichtstrahldarstellung als Modelldarstellung einzuführen. Eine Rückbindung dieser abstrakten und ausschnitthaften Darstellungsweise an beobachtbare Phänomene trägt wesentlich zum Verständnis bei.
„Licht ist farblos, durchsichtig und hell und geht von glühenden Körpern aus.“
Zur Erscheinungsform von Licht selbst gibt es eine Reihe unterschiedlicher Vorstellungen. Grundsätzlich wird Licht meist als „farblos“, „durchsichtig“ und „hell“ beschrieben. Immer wieder werden auch Adjektive wie „warm“ bzw. „kalt“ verwendet. Vielfach ist es Lernenden nicht klar, dass Licht per se für uns nicht wahrnehmbar, also sichtbar ist. Erst wenn Licht an Partikeln oder an Gegenständen gestreut wird und in unser visuelles System gelangt, werden diese für uns wahrnehmbar.
Als Ursprung von Licht oder Lichtstrahlen werden vorwiegend Körper genannt, die glühen oder heiß sind (Sonne, Kerzenflamme, Feuer, Glühbirne). Aus dem Bereich moderner Unterhaltungstechnologien fallen darunter auch Gegenstände, die Licht aussenden (z. B. Bildschirme). Jedenfalls werden als Quelle von Licht überwiegend selbstleuchtende Gegenstände genannt. Selbst nach dem Unterricht sparen Lernende sekundäre Lichtquellen bei Aufzählungen von Lichtquellen tendenziell aus. Eine Ausnahme bildet hier allenfalls der Mond. Die Emission von Licht durch sekundäre Lichtquellen wird meist abgelehnt. Lernende erachten es als unglaubwürdig, dass nicht selbst leuchtende Objekte Licht abstrahlen können wie ein Ausschnitt aus einem Schülerinterview zeigt: „Das glaub’ ich nicht! Das (der Aschenbecher) ist ja keine Lampe! Da ist ja die Birne (Im Raum ist eine Lampe an), durch die geht Strom. Das haben Gegenstände ja nicht!“ (Jung, 1981c). Derartige Vorstellungen blockieren das Verstehen von Abbildungsvorgängen und vom Zustandekommen von Körperfarben.
„Licht kann mehr oder weniger werden.“
Licht kann aus Sicht der Schülerinnen und Schüler von sich aus mehr oder weniger werden. Dazu sind für Lernende auch keine Transformationsmechanismen notwendig. Je nach Kontext wird also Licht nicht als Erhaltungsgröße verstanden.

Mit einer Sammellinse wird Papier entzündet.

Lichtstrahlen enden im Brennpunkt.

Lichtausbreitung: Reichweite von Licht.3
I:
Wovon hängt’s ab, wie weit das Licht kommt?
E:
Von der Strahlung.
I:
Wie meinst du das?
E:
Also wenn das Licht heller ist, dann strahlt es auch mehr aus (…).
I:
Was muss man tun, damit das Licht heller ist oder man helleres Licht kriegt?
E:
Ahm (…) ein größeres Lagerfeuer machen.
I:
Kannst du dir vorstellen, dass sich das Licht unendlich weit ausbreitet, also immer weiter, weiter, weitergeht?
E:
Nein.
I:
Wie ist das denn mit dem Licht von den Sternen? In der Nacht sieht man die Sterne ja. Kommt es zu uns auf die Erde?
E:
Nein. (…) nein, glaub ich nicht.“
5.2.2 Vorstellungen zum Sehvorgang
„Sehen geht auch ohne Licht.“
Völlige Dunkelheit gehört nicht zu unserer alltäglichen Erfahrungswelt. Alltagssprache lässt hier allerdings viel Interpretationsspielraum, wir sprechen etwa von „stockfinster“ und bezeichnen damit Umgebungen, in denen immer noch ein Rest von Streulicht vorhanden ist. Hinzu kommt, dass unser Auge extrem anpassungsfähig ist, was Lichtintensitäten betrifft. Daher ist es wenig verwunderlich, dass Lernende aus diesen Alltagserfahrungen ableiten, dass Licht zum Sehen nicht notwendigerweise vorhanden sein muss, sondern dass unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen können und zumindest die Umrisse von Gegenständen auch ohne Licht wahrgenommen werden können. Anfangsoptikunterricht greift diese Schülerperspektive zu selten bzw. nicht nachhaltig genug auf. Fachdidaktische Untersuchungen zeigen allerdings recht deutlich, dass ein physikalisch angemessenes Konzept des Sehvorgangs für das Verständnis mehrerer Teilgegenstandsbereiche der Anfangsoptik grundlegend ist (Kasten 5.2).
Kasten 5.2: Sehvorgang
Der Sehvorgang ist ein komplexer Prozess, der drei verschiedene Aspekte umfasst und verknüpft: physikalische Prozesse, physiologische Vorgänge und mentale Erlebnisse.
Aktuelle neurobiologische Sehtheorien definieren das Gehirn als Organ, mit dem mentale Seh-erlebnisse erzeugt werden. Die Funktion des Auges liegt darin, auf Basis der in ihm durch elektromagnetische Strahlung ausgelösten sensorischen Prozesse neuronale Erregungsmuster im Gehirn zu verändern. Die so verursachten spezifischen Erregungsmuster der Hirnrinde sind mit modernen bildgebenden Verfahren nachweisbar (Gropengießer, 1997a, b).

Elementarisierung des menschlichen Sehprozesses nach Hosson und Kaminski (2007)
„Das aktive Auge – Sehen heißt aktiv hinschauen.“

a) Der Sehvorgang: das aktive Auge, b) Lichtbadvorstellung, c) Beleuchtungsvorstellung, d) physikalische Sichtweise.
„Wenn es hell ist, sehen wir was.“ (Lichtbadvorstellung)
Die Vorstellung eines Lichtbads dominiert bei Lernenden vor dem Anfangsoptikunterricht (Abb. 5.6b). Helligkeit ist dabei die einzige Voraussetzung, um Gegenstände vollständig und auch „in ihrer Farbe“ sehen zu können. Die notwendige Verbindung zwischen primärer Lichtquelle, beleuchtetem Objekt und visuellem System eines Beobachters wird nicht hergestellt. Diese Vorstellung findet sich in vielen Fällen bei Personen, die Licht als etwas Statisches konzeptualisieren und somit per se einen kontinuierlichen Strömungsvorgang ausschließen.
„Beleuchtungsvorstellung – mit Licht bestrahlte Gegenstände sind sichtbar.“
Die Beleuchtungsvorstellung setzt im Unterschied zur Lichtbadvorstellung voraus, dass Licht einer primären Lichtquelle auf ein Objekt gestrahlt wird (Abb. 5.6c). Allerdings ist es aus Sicht vieler Lernenden nicht notwendig, dass dieses Objekt Licht ins optische System des Beobachters weiterstrahlt. Vielfach wird daher angenommen, dass ein Gegenstand sichtbar wird, sobald ihn Licht erreicht.
5.2.3 Vorstellungen zur Wechselwirkung von Licht und Materie
„Licht bleibt an der Oberfläche liegen und macht einen hellen Lichtfleck.“
Die Vorstellung, dass Licht hell macht bzw. dass es dort, wo Licht ist, hell ist, setzt sich auch bei Vorstellungen zur Interaktion von Licht und Materie fort. Aus ihren Alltagsbeobachtungen heraus glauben Lernende häufig, dass Licht auf undurchsichtigen Oberflächen „liegen bleibt“, weil ein heller Fleck an dieser Stelle sichtbar ist. Manche meinen sogar, dass es besser ist, für eine Linsenabbildung einen schwarzen Projektionsschirm zu verwenden als einen weißen, weil der „weiße“ Lichtfleck so besser zu sehen sei. Als Ausnahmen werden allenfalls Spiegel bzw. spiegelnde Flächen angeführt, von denen man geblendet werden könne. Folglich werde hier zumindest ein Teil des eingestrahlten Lichtes auch wieder abgestrahlt. Derartige Blendungseffekte kennen Schülerinnen und Schüler meist aus ihrer Erfahrungswelt.
„Pingpong: vor der Reflexion ist nach der Reflexion.“
Der Begriff der Reflexion ist den meisten Schülerinnen und Schülern bereits vor dem Unterricht bekannt und sie verbinden damit beispielsweise das Abprallen oder Zurückprallen eines Objekts (Fußball von einer Torstange, Billardkugel/Puck von der Bande, …) von einer Fläche ohne jegliche gegenseitige Beeinflussung der Interaktionspartner. Auch eine bestimmte Gerichtetheit bzw. Vorzugsrichtung des abprallenden Objekts ist meist schon vor dem Unterricht vertraut. Dieses Vorwissen eignet sich meist gut, um mit dem Reflexionsgesetz daran anzuknüpfen. Andererseits blockiert diese pingpongartige Vorstellung von Reflexion als bloßem Umlenkmechanismus, bei dem das Licht nach der Reflexion „dasselbe“ ist wie vor der Reflexion, beispielsweise Lernprozesse zu Körperfarben. Auch wenn es nicht lernendengerecht scheint, in der Sekundarstufe I Wechselwirkungsprozesse zwischen Licht und Materie auf atomarer Ebene bzw. Quantenebene zu elementarisieren, so erweist es sich doch als sinnvoll, zumindest den Mechanismus der selektiven Absorption bzw. Reflexion qualitativ einzuführen (Kasten 5.3). Dies erlaubt eine größere Erklärungsmächtigkeit bzw. Anschlussfähigkeit bei Körperfarben.
Kasten 5.3: Streuung
Einfache Gesetzmäßigkeiten zur Ausbreitung von Licht wie das Reflexionsgesetz sind meist aus dem Alltag bekannt. Das Erklärungsmodell der Richtungsumkehr mittels Reflexionsgesetz bewegt sich auf makroskopischer Ebene und kann durch eine zu starke Vereinfachung in die Irre führen4. Bei submikroskopischer Betrachtungsweise kristallisieren sich beobachtbare Phänomene wie Reflexion, Brechung und Transmission als Streuvorgänge heraus. Fällt Licht in Form einer elektromagnetischen Welle auf die Oberfläche eines Gegenstands, regt das Wechselfeld Streuzentren (elektrisch geladenen Teilchen) im Eintrittsmedium zu Schwingungen an. Diese angeregten Streuzentren emittieren in Folge wieder elektromagnetische Wellen. Je nach Geometrie bzw. Verteilung der Streuzentren des Eintrittsmediums kann hier entweder eine Verstärkung in eine Vorzugsrichtung stattfinden (spiegelnde Reflexion) oder das Licht kann in alle Richtungen abgestrahlt werden. Dabei werden in der Fachliteratur verschiedene Mechanismen erläutert (diffuse Reflexion, Mie-Streuung, Rayleigh-Streuung). Diese Mechanismen lassen sich unter dem Oberbegriff Streuung zusammenfassen.
„Schatten – eine Substanz, die aus Körpern ausströmt.“
Vorstellungen über Schatten unterscheiden sich in verschiedenen Altersgruppen. Grundsätzlich bereitet dieser Sachverhalt wenig Schwierigkeiten, vor allem da die geradlinige Ausbreitung von Licht gut akzeptiert ist. Problematischer hingegen ist die Fragestellung, was als Schatten konzeptualisiert wird. Dies hat zwei verschiedene Dimensionen: Einerseits eine ontologische, andererseits eine sprachliche. Erstgenannte Dimension bezieht sich darauf, was ein Schatten wesensmäßig ist bzw. auf die Unterscheidung von wahrnehmungsbezogenem und physikalischem Phänomen. Nicht nur junge Kinder, sondern durchaus auch noch solche der Sekundarstufe I, wenngleich dort deutlich seltener, beschreiben Schatten als eine materielle Substanz, die unter Umständen aus Körpern ausfließt. Anstatt Schatten als Fehlen von Licht zu interpretieren, zeigt sich also die Vorstellung vom Vorhandensein von etwas meist Substanzartigem.
Was die sprachliche Komponente betrifft, so unterstützen Wendungen und Begriffe wie „einen Schatten werfen“ oder „der Schattenspender“ diese substanzartige Vorstellung. Daneben birgt auch die nicht einheitliche Verwendung des Begriffs Schatten Missverständnisse für Lernprozesse. Offen bleibt nämlich im schulischen Kontext häufig, was der Begriff „Schatten“ meint: den dreidimensionalen Raum, der lichtfrei bzw. lichtreduziert bleibt, oder die zweidimensionale Projektion dieses Schattenraums auf eine Wand o. Ä. oder beides. Tendenziell verbinden Lernende mit dem Begriff „Schatten“ ein zweidimensionales Gebilde, dem bildähnliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Zudem tragen Redewendungen wie „Das ist mein Schatten.“ oder „Gegenstände haben einen Schatten.“ zu Schwierigkeiten bei. Daraus lässt sich ableiten, dass der Schatten ein fester Bestandteil eines Körpers ist. Licht ist für die Schattenbildung aus dieser Sichtweise heraus nicht nötig. Für den Unterricht erweist sich eine sprachliche Differenzierung zwischen Schattenraum und Schlagschatten (bzw. Schattenbild, Schattenprojektion) für Verständnisprozesse überaus hilfreich. Grundschulkinder haben noch Probleme, wie groß und wo der zweidimensionale Schlagschatten ist (Abschn. 12.3.3).
Weitere Verwirrung stiftet die nicht getroffene Unterscheidung zwischen a) Schatten als lichtfreiem bzw. weniger intensiv beleuchtetem Raumabschnitt, der durch das Abblocken der Lichtströmung durch ein undurchsichtiges Objekt entsteht, und b) der Tatsache, dass Teile von Körpern nicht beleuchtet werden. Im Speziellen trägt dies zu Missverständnissen im Bereich Mondphasen und Finsternisse bei. Häufig werden Finsternisse und Mondphasen im Unterricht in einem Atemzug genannt. Dabei sind nur Finsternisse auf Schattenbildung im engeren Sinne zurückzuführen: Ein undurchsichtiges Objekt verursacht einen Schattenraum, der auf einem anderen, typischerweise beleuchteten Objekt einen zeitweiligen Schattenbereich bewirkt. Bei der Entstehung der Mondphasen ist hingegen kein zusätzliches Objekt involviert, das die Lichtausbreitung behindert.

Als Schattenbild wird meist eine frontale Abbildung des Objekts erwartet, die dessen typische Form erkennen lässt. Schattenprojektionen wie diese eines Radfahrers, bei der sich die Lichtquelle schräg über dem Radfahrer und die Projektionsfläche unter dem Radfahrer befinden, stiften Unverständnis.5
5.2.4 Vorstellungen zu Abbildungsvorgängen
„Bilder wandern als Ganzes.“

Leuchtpunkt-zu-Bildpunkt-Abbildungsschema (nach Haagen-Schützenhöfer, 2016)
Zum einem qualitativen Grundverständnis der optischen Abbildung gehört z. B., dass von jedem Leuchtpunkt Licht in alle Raumrichtungen ausgesandt wird und dass alle Teile einer Linse, in die Licht von einem Leuchtpunkt einfällt, zur Abbildung dieses Leuchtpunkts beitragen. Wenn ein solches Grundverständnis fehlt, kommt es zu der falschen Vorhersage, es fehle eine Bildhälfte, wenn man die obere oder untere Hälfte einer Sammellinse mit einem Tuch verdeckt (während das Bild tatsächlich nur dunkler wird).
„Die Sammellinse dreht das Bild, deshalb steht es auf dem Kopf.“

Ein typisches Ein-Strahl-Diagramm, das aus Sicht von Lernenden erklärt, warum „das Bild auf dem Kopf steht“ . (nach Wiesner, Engelhard & Herdt, 1996).
Durch explizites Nachfragen bezüglich der Richtungsänderung der Lichtstrahlen z. B. im Zusammenhang mit Konstruktionsvorschriften („Parallelstrahl wird zum Brennpunktstrahl“), werden die Form der Linse, das Material oder auch der Begriff Brechung genannt. Allerdings besteht häufig die Annahme, dass die Richtungsänderung eines Lichtstrahls von der Linsenebene in der Mitte der Linse verursacht wird. Eine Richtungsänderung durch den Übergang des Lichtes zwischen optisch verschieden dichten Medien steht selten im Fokus der Erklärung. Hierfür zeichnen u. a. übervereinfachte Abbildungen von strahlengeometrischen Konstruktionen mit Linsen verantwortlich (z. B. Richtungsänderung in der Linsenmitte).
„Der Linsendurchmesser bestimmt die Bildgröße.“
Lernende meinen, eine Linse könne nur Objekte vollständig abbilden, wenn diese nicht größer sind als die Linse selbst. Diese unterrichtsinduzierte Vorstellung rührt daher, dass häufig eine zu frühe bzw. von Realphänomenen abgekoppelte Abstraktion von Abbildungsvorgängen durch strahlengeometrische Konstruktionen umgesetzt wird. Schülerinnen und Schüler arbeiten Bildkonstruktionen dadurch meist kochrezeptartig ab und zeichnen zuerst einen Parallelstrahl von den Enden des Gegenstands. Ist das Objekt nun größer als der Linsendurchmesser, scheitert diese Konstruktion und Lernende schließen daraus, dass kein Bild zustande kommen kann. Es zeigt sich, dass durch den Einsatz von Lichtkegeldarstellungen und deren schrittweise Abstraktion in Richtung Strahlendarstellung (Lichtstrahlen als Repräsentanten dieser Bündel) derartige verständnishinderliche Vorstellungen vermindert werden können.
„Ohne Schirm kein Bild.“
Die Funktion des Schirms liegt für Lernende häufig darin, dass er „Bilder auffängt“ bzw. materialisiert. Das Konzept einer Abbildung unabhängig vom Vorhandensein einer Projektionsfläche als Menge von Bildpunkten, die sich eindeutig zu Gegenstandspunkten zuordnen lassen, wird im Unterricht oft nicht etabliert. Der Alltagsbegriff ‚Bild‘ ist vorwiegend an materielle Erscheinungen geknüpft, Luftbilder sind unbekannt. Mit dieser Interpretation von Schirm und Bild liegt aus Sicht der Lernenden oft auch der Schluss nahe, dass das Vorhandensein eines Schirms für die Bildentstehung nötig ist. Dabei ist es nach ihrer Meinung für die Bildentstehung belanglos, wo, also in welcher Entfernung von der Linse bzw. in welchem Verhältnis zur Gegenstandsweite der Schirm aufgestellt wird. Die Position des Schirms bestimmt aus Sicht vieler Schülerinnen und Schüler letztlich nur die Bildgröße.
„Der Spiegel zeigt, was er sieht.“
Diese Vorstellung über Spiegel führt in weiterer Folge zu einer Reihe von hartnäckigen Verständnisschwierigkeiten im Zusammenhang mit Spiegelbildern. Besonders jüngere Kinder schreiben Spiegeln quasi anthropomorphe Fähigkeiten zu: Der Spiegel sieht seine Umgebung, wie wir Menschen das tun, und dieses Bild, das sich der Spiegel macht, zeigt er: „Weil der Spiegel ja alles spiegelt, was er sieht; Der Spiegel kann ja nicht um die Ecke schauen; Der Spiegel ist kein Lebewesen, er kann nicht rechts oder links schauen. […]“ (Jung, 1981c).
Aus dieser Logik heraus erscheint es für Lernende plausibel, dass nur Objekte, die sich direkt vor dem Spiegel befinden, ein Spiegelbild liefern können. Auch die weit verbreitete Tendenz, einen Schritt vom ebenen Spiegel nach hinten zu machen, um einen größeren Ausschnitt des eigenen Spiegelbilds zu sehen, steht damit in Verbindung: Durch den größeren Abstand hat der Spiegel vermeintlich die Chance, mehr von uns zu sehen. Die Bildentstehung bei ebenen Spiegeln wird meist nicht mit Reflexion in Verbindung gebracht. Vielfach können Lernende zwar auf die Erfahrung zurückgreifen, dass sie mit einem Spiegel geblendet wurden, allerdings wird die der Blendung zugrundeliegende Reflexion in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Bildentstehung gesehen.

Sichtlinienvorstellung: der Bildort ändert sich mit der Bewegung des Beobachters. (nach Goldberg & McDermott, 1986)
„Das Spiegelbild liegt auf dem Spiegel.“
Da der Spiegel nach Meinung der Schülerinnen und Schüler das zeigt, was er sieht, liegt die Vorstellung nahe, dass das Spiegelbild auf der Spiegeloberfläche liegt. Auch Lernende, bei denen keine anthropomorphe Deutung des Spiegelbilds auftritt, beschreiben den Bildort häufig auf der Spiegeloberfläche. Dafür wird eine Reihe von Argumenten angegeben. Diese entspringen einerseits der individuellen Wahrnehmung, wie in „Ich sehe mich auf dem Spiegel“, und andererseits auch Plausibilitätsargumenten, wie in „Das Spiegelbild muss auf dem Spiegel sein, dahinter ist ja die Wand.“ Die Spiegeloberfläche verhält sich in dieser Vorstellung wie eine sich ständig selbst neu entwickelnde Fotoplatte.

Zur Konstruktion der Lage des Spiegelbilds.
„Spiegelbilder sind seitenverkehrt.“
Die Vorstellung, dass der (ebene) Spiegel links und rechts (jedoch nicht vorne und hinten vertauscht), ist weit verbreitet und sehr stabil. Bezeichnet man Bewegungen in einer Ebene parallel zur Spiegelebene als links/rechts und oben/unten, dann vertauscht der Spiegel tatsächlich jedoch vorne und hinten, links und rechts bleiben ebenso erhalten wie oben und unten. Zudem bleibt auch die Räumlichkeit erhalten. Warum die Vorstellung der Seitenvertauschung so hartnäckig erhalten bleibt, hängt mit unseren alltäglichen Erfahrungen vor dem Spiegel zusammen. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass wir meistens gleichzeitig beobachtende Person und abgebildetes Objekt sind. Wenn wir uns selbst im Spiegel betrachten und z. B. unsere rechte Hand ausstrecken, dann erwarten wir gedanklich die Begegnung mit einem realen Gegenüber. Wir drehen uns gedanklich also 180° um unsere vertikale Achse und erwarten somit eine kreuzweise Umkehrung der Seiten im Spiegelbild. Diese Erwartungshaltung wird allerdings nicht erfüllt und unser Spiegelbild streckt uns im Vergleich zu einer Realperson nicht die aus seiner „Spiegelbild“-Sicht rechte Hand entgegen, sondern die Hand auf der rechten Seite von unserer Beobachterposition aus gesehen.

Der Mythos der Links-Rechts-Vertauschung durch das gedankliche Wechseln des Bezugssystems am Beispiel a) eines abgebildeten Bleistifts und b) einer im Spiegel abgebildeten Person.
5.2.5 Vorstellungen zu Farben
„Farbe meint Farbstoff.“
Wenig Beachtung fand bisher in der Auseinandersetzung mit Schülervorstellungen die sprachliche Problematik des Begriffs „Farbe“. Alltagssprachlich verwenden wir diesen Begriff synonym für Sinneswahrnehmungen und für Eigenschaftsausprägungen von materiellen Objekten, aber auch für Licht. Eine fehlende Differenzierung zwischen Farbe als Farbstoff bzw. Farbpartikel und Farbe im Sinne von Lichtfarbe stellt ein Hindernis für eine Reihe von Lernprozessen im Anfangsoptikunterricht dar. Die Alltagserfahrung aus dem Kunstunterricht etwa besagt, dass die Mischung von roter und grüner Farbe ein dunkles Braun oder Grau ergibt. Diese Regel ist nicht auf die Mischung von Lichtfarben anwendbar, denn rotes und grünes Licht ergeben eine gelbe Lichtfarbe. Wird andererseits ein unter weißem Licht rot erscheinender Gegenstand, den wir landläufig als rot bezeichnen, mit grüner Lichtfarbe bestrahlt, erscheint der Gegenstand schwarz. Aus dieser Problematik heraus empfiehlt es sich, im Unterricht bereits frühzeitig eine sprachliche Trennung dieser beiden Entitäten einzuführen und etwa von Farbstoff oder Farbpartikel und Lichtfarbe zu sprechen und dies wiederum von der menschlichen Farbwahrnehmung zu trennen.
„Licht kann (k)eine Farbe haben.“
Es gibt eine Reihe von Vorstellungen bezüglich des Farbeindrucks, den wir von Licht erlangen. Hier zeigt sich, dass weniger die Altersgruppe bzw. das Vorwissen eine Rolle spielen als der Kontext, in dem diese Frage beantwortet wird. Unter dem Begriff „Licht“ als solches, der von Schülerinnen und Schülern auch „normales Licht“ genannt wird, wird landläufig eine Mischung verschiedener Wellenlängen verstanden, die in der Physik als weißes Licht bezeichnet werden. Lernende tendieren dazu, diesen Begriff nicht zu verwenden, denn sie charakterisieren Licht als „farblos“, „hell“, „durchsichtig“.
Während die Akzeptanz groß ist, Tageslicht in diese Kategorie einzuordnen, die fachsprachlich als weißes Licht bezeichnet wird, herrscht bei Lernenden selbst nach dem Anfangsunterricht in der Optik immer noch große Einigkeit darüber, dass Sonnenlicht gelb ist bzw. in den Bereich gelb-orange-rot einzuordnen ist. Als Argumente werden häufig angeführt „weil die Sonne gelb-orange glüht“ oder „Die Sonne und Sonnenstrahlen sind ja auch immer gelb in Abbildungen“ und schließlich „Ich habe gelernt, Sonnenstrahlen gelb zu zeichnen, schon im Kindergarten“. Analysen von Schulbüchern bzw. Medien bestätigen dies. Sonnenlicht, aber auch Licht, das im weitesten Sinne als weiß kategorisiert werden kann, wird übermäßig oft in gelber Farbe dargestellt. Die Vorstellung vom „gelben Licht, das die Physiker weiß nennen“ blockiert jedoch das für verschiedene Teilbereiche der Optik relevante Konzept, dass weißes Licht als Zusammensetzung von Spektralfarben bzw. Grundfarben in diese zerlegbar ist (Kasten 5.4). Somit ist die Anschlussfähigkeit in Richtung selektiver Absorption und Re-Emission bei Körperfarben oder subtraktiven Prozessen bei Farbfiltern nicht gegeben.
Kasten 5.4: Weißes Licht
Die Idee von weißem Licht als Gemisch aller Farben des sichtbaren Spektrums wurde von Newton nachgewiesen. Bis dahin galt die Meinung, dass bei Prismenversuchen mit weißem Licht dieses durch das Prisma verändert werde. Newton konnte experimentell zeigen, dass durch eine Sammellinse das farbige Licht wieder zu einem weißen Lichtfleck zusammengeführt werden kann. Grundsätzlich ergibt sich die Bezeichnung „weiß“ wohl durch die menschliche Wahrnehmung des Tageslichtspektrums auf der Erde (Hecht, 2014, S. 136). Für die menschliche Farbwahrnehmung zuständig ist die Großhirnrinde, die eine Mischung verschiedenster Frequenzen als weiß interpretiert, wenn die Farbrezeptoren des Auges in gleicher Weise angeregt werden. Trotzdem nehmen wir viele verschiedene Verteilungen als mehr oder weniger weiß wahr. Obwohl das Licht einer Glühlampe und das Tageslicht spektral unterschiedlich zusammengesetzt sind, erscheint uns ein Blatt Papier unter beiden Beleuchtungsarten als weiß. Unser Auge kann nicht immer zwischen verschiedenen Weißtönen unterscheiden, „da es das Licht nicht durch Zerlegung in seine harmonischen Komponenten analysieren kann, wie es etwa das Ohr mit dem Schall vermag.“ (Hecht, 2014, S. 137)
„Licht kann eingefärbt werden.“
Für Lernende ist es wenig glaubwürdig, dass „durchsichtiges Licht“ – etwa beim Durchgang durch ein Prisma – in unterschiedliche Lichtfarben aufgespaltet werden kann. Ebenso stößt die Idee des Herausfilterns einzelner Lichtfarben durch einen Farbfilter auf Ablehnung. Die Schülervorstellungen basieren hier meist auf einem additiven Mechanismus, dem zu Folge ein Farbfilter das durchgehende Licht als Ganzes umfärbt. Dem durch den Filter strömenden Licht wird Farbe hinzugefügt, es kommt also gleich viel Licht aus dem Filter heraus, wie auf der anderen Seite hineingegeben wurde.
„Farbe ist eine fixe Eigenschaft eines Objekts.“
Farbe wird typischerweise als feste Eigenschaft eines Körpers gewertet. Diese sehr stabile Vorstellung stammt aus unserer Erfahrungswelt, in der wir überwiegend Lichtquellen finden, die näherungsweise weißes Licht emittieren und somit Objekte in unserer Umgebung immer in ähnlichem Farbton erscheinen lassen. Diese Idee der fixen Körperfarbe ist zudem in unserer Alltagssprache angelegt, wie z. B. in der Aussage „Der Pullover ist blau.“ oder „Der Pullover hat die Farbe Blau.“ Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass eine in diesem Zusammenhang fachsprachlich angemessene Ausdrucksweise nicht mit dem Alltag kompatibel ist und zu sperrig wäre: „Das vom Pullover bei Bestrahlung mit weißem Licht re-emittierte Licht erzeugt im visuellen System von Menschen den Farbeindruck blau.“
Werden Objekte mit ihren vermeintlich fixen Farben mit farbigem Licht beleuchtet, so wenden Lernende zwei typische Erklärungsmuster dafür an, dass ‚seine Farbe‘ jetzt nicht mehr zu sehen ist: Nach einer Vorstellung wird dieser Vorgang als eine Art Wettstreit zwischen den beiden Farben (Körper und Licht) interpretiert, bei dem sich die „stärkere Farbe“ durchsetzt. Zum Beispiel: Wenn ein gelber Körper mit rotem Licht bestrahlt wird, ist das Rot stärker und der Körper erscheint unter dieser Beleuchtung rot. Die zweite Variante ist eine Mischvorstellung, in der sich die Farbe des Körpers mit der Beleuchtungsfarbe nach den Malkastenregeln mischt. So besteht z. B. vielfach die Meinung, dass ein blauer Körper, der mit rotem Licht bestrahlt wird, violett erscheint.
5.3 Unterrichtskonzeptionen
Geometrische Optik auf Grundlage des Sender-Strahlung-Empfänger-Konzepts
Wiesner, H., Engelhard, P., Herdt, D., Müller, R. und Schmidt-Roedenbeck, C. (in verschiedenen Autorenteams, 1995, 1996, 2003 und 2005). Unterricht Physik – Optik, Bd. 1–4. Köln: Aulis.
Haagen-Schützenhöfer, C.; Rottensteiner, J. und Fehringer, I. (2017). Optikunterricht für die Sekundarstufe I – Unterrichtsmaterial. Universität Graz: Eigendruck.
Der Lehrgang von Wiesner et al. basiert auf Forschungsergebnissen zu Schülervorstellungen in der Optik und wurde sorgfältig evaluiert. In der Reihe „Unterricht Physik“ erschien dazu das vierbändige Lehrerheft. Der Lehrgang umfasst alle Bereiche der Strahlenoptik, enthält Unterrichtsskizzen, fachdidaktische Hinweise, fachliche Klärungen und Kopiervorlagen. Im Zentrum steht das Sender-Empfänger-Streukonzept: Lichtwege werden konsequent von der Lichtquelle über optische Systeme bis zum Empfänger verfolgt. Der Zugang zur Optik erfolgt phänomenorientiert und versucht, Schülerbeobachtungen in das objektive System der Physik zu integrieren und physikalische Erklärungsansätze wieder an individuelle Wahrnehmungen rückzukoppeln. So wird etwa das Strahlenmodell als Abstraktion von Lichtbündeln erst allmählich eingeführt und strahlengeometrische Konstruktionen werden auf Realbeobachtungen bezogen.
Der Schülertext von Haagen-Schützenhöfer et al. ist eine Weiterentwicklung des Optiklehrgangs von Wiesner et al. In verschiedenen empirischen Studien wurden Variationen des sachstrukturellen Aufbaus untersucht. So schließt beispielsweise das typischerweise am Ende der Anfangsoptik unterrichtete Thema Farben nun zu Beginn des Lehrgangs an das Kapitel zum Sender-Empfänger-Streukonzept an. Zudem wurden sprachliche und bildliche Repräsentationsformen weiterentwickelt. Schließlich setzt der Lehrgang auf klingende Slogans, die Schülerinnen und Schüler darin unterstützen sollen, in unterschiedlichen Kontexten nicht in vorunterrichtliche Denkstrukturen zurückzufallen und unterstützt so die Entwicklung der epistemologischen Überzeugungen der Lernenden (Abschn. 2.4.3).
Vom phänomenorientierten Anfangsunterricht bis zum Fermatprinzip
Schön, L., Erb, R., Weber, T., Werner, J., Grebe-Ellis, J. und Guderian, P. (2003). Optik: Optik in Mittel- und Oberstufe. Online unter http://didaktik.physik.hu-berlin.de/material/forschung/optik/download/veroeffentlichungen/veroeffentlichungen_didaktik-hu.pdf (Zugriff: März 2018).
Schön, Erb et al. präsentieren Unterrichtsideen zur Anfangsoptik, die zur Fermatoptik erweitert werden. Ausgangspunkt dieses Curriculums ist das Sehen und Wahrnehmen mit einem am Subjekt orientierten Zugang, auch mit emotionalen Anteilen. Die Reflexion bildet das zentrale Phänomen zur Erarbeitung der Anfangsoptik. Das sicht- und erlebbare Spiegelbild bildet den Einstieg in dieses Curriculum und führt ein in die Spiegelwelt und das dafür eingesetzte „Prinzip Ameise“. In einem weiteren Schritt wird das Fermatprinzip zur Erklärung von Reflexion und Brechung herangezogen.
Active Learning in Optics
Sokoloff, D. (Hrsg.). (2006). Active learning in optics and photonics: Training Manual. Online unter: www.light2015.org/dam/LightForDevelopment/activelearning.pdf (Zugriff: Dezember 2017).
Im Zentrum dieses Lehrgangs steht die aktive Beteiligung von Schülerinnen und Schülern. Es wird ein experimentorientierter Zugang gewählt, der auf bekannte Schülervorstellungen und Lernhürden abgestimmt ist. Methodisch kommen Interactive Lecture Demonstrations zum Einsatz.
5.4 Testinstrumente
Im Gegensatz zu anderen Bereichen der Physik, etwa der Mechanik, gibt es kein weit verbreitetes Standardtestinstrument für den Unterricht in der geometrischen Optik. Im Folgenden werden Tests bzw. auch Sammlungen von Items und offenen Fragen vorgestellt, die gut für den Einsatz im Unterricht adaptiert werden können.
The Test of Image Formation by Optical Reflection (TIFOR)
In diesem Instrument steht die Bildentstehung bei ebenen Spiegeln im Mittelpunkt (Chen, Lin und Lin, 2002).
Light Propagation Diagnostic Instrument (LPDI)
Der Multiple-Choice-Test von Chu, Treagust und Chandrasegaran (2009) enthält Aufgaben zu Sehvorgang, Sichtbarkeit und Lichtausbreitung. Zusätzlich zur jeweiligen Lösung wird nach der physikalischen Begründung gefragt.
Light and Optics Conceptual Evaluation (LOCE)
Zur Evaluation und Verbesserung von Unterricht wurde die Light and Optics Conceptual Evaluation (LOCE) als Teil des Projekts „Active Learning in Optics and Photonics“ (ALOP) (Sokoloff, 2006) entwickelt. In der Handreichung von ALOP (Sokoloff, 2006) finden sich 51 Multiple-Choice-Items zur Strahlen- und Wellenoptik. Ergebnisse zum Einsatz des Testinstruments finden sich bei Thapa und Lakshminarayanan (2014).
Weitere Testaufgaben
Multiple-Choice-Items und einige offene Fragestellungen zu verschiedenen Teilbereichen der Optik, die sich vor allem für den Einsatz im Unterricht eignen, finden sich bei Fetherstonhaugh und Treagust (1992), Herdt (1990) oder Blumör (1993).
5.5 Literatur zur Vertiefung
Viennot, L. (2003).Teaching physics : Springer Netherlands.
Dieser Band enthält drei Abschnitte (Chapter 1 „Watersheds“, Chapter 5 „Superposition of Waves and Optical Images“, Chapter 6 „Colour Phenomena“), die jeweils auf Schülervorstellungen und typische Lernschwierigkeiten anhand einer Fülle von Beispielen eingehen. Zudem werden Unterrichtsvorschläge evaluiert und analysiert.
Haagen-Schützenhöfer, C. (2016). Lehr- und Lernprozesse im Anfangsoptikunterricht der Sekundarstufe I. Habilitation. Universität Wien.
Haagen-Schützenhöfer hat sich in ihrer Habilitationsschrift umfassend mit Schülervorstellungen und Lernprozessen in der geometrischen Optik befasst. Darüber hinaus wird die Entwicklung des oben genannten Lehrgangs dokumentiert.
5.6 Übungen
Übung 5.1

Übungsaufgabe:
- a.
Begründen Sie, warum Sie diese Zeichnung in Ihrem Anfangsoptikunterricht bei der Behandlung von Abbildungen mit Linsen einsetzen oder nicht einsetzen!
- b.
Welche Schülervorstellungen können durch diese Darstellung aktiviert werden?
- c.
Welche Darstellung schlagen Sie alternativ vor?
Übung 5.2
„Ein Spiegel wurde bei einer der Mondlandungen auf dem Mond montiert. Auf der Erde kann dieser Spiegel benutzt werden, um die Entfernung zum Mond zu bestimmen. Dazu strahlt man von der Erde aus kurz mit einem Laserstrahl auf diesen Spiegel und sieht nach etwa 2,5 Sekunden den Laserblitz. Berechne die Entfernung zwischen Erde und Mond, wenn wir die Lichtgeschwindigkeit gerundet mit 300.000 Kilometer pro Sekunde annehmen.“
Bis auf zwei Schülerinnen kommt der Rest der Klasse zum Ergebnis, dass der Mond in etwa 750000 Kilometer von der Erde entfernt ist.
Übungsaufgabe:
Interpretieren Sie dieses Ergebnis und diskutieren Sie mögliche weitere Schritte für Ihren Unterricht.
Übung 5.3
„Wenn man den Taschenspiegel im gezeigten Abstand hält, erkennt man im Spiegelbild nur einen Ausschnitt des Gesichts. Kann man mehr vom Gesicht sehen, wenn man den Spiegel näher an die Augen heranführt oder ihn weiter weghält?“

Übungsaufgabe:
Welche Antwort tritt bei Schülerinnen und Schülern besonders häufig auf? Auf welche Vorstellung kann sie zurückgeführt werden? Wie lautet die richtige Antwort?