Die sexuelle Revolution und der feministische und lesbische Aktivismus haben deutlich gemacht, dass Sex politisch ist und dass er zu den wichtigsten Terrains des Patriarchats gehört. Und die Zustimmung scheint das zentrale Instrument für die Forderung nach sexueller Autonomie und Agentivität zu sein, die das Patriarchat den Frauen historisch verweigert hat. Folglich scheint die Zustimmung für den Feminismus ein höchst bedeutendes Instrument zu sein. Gleichzeitig ist das Konzept der Zustimmung ambivalent, wie wir beim BDSM gesehen haben: Es kann ein zentrales Instrument zur Gewährleistung erfüllter sexueller Beziehungen bieten, bei denen jede und jeder frei ist, ihre oder seine eigene Auslegung vom Guten und von der Lust zu wählen, aber es kann auch Macht- und Herrschaftsverhältnisse ermöglichen oder sogar legitimieren, die den Frauen schaden und patriarchale Strukturen fortschreiben. Wir müssen also die Kritik am Begriff der Zustimmung ausloten, bevor wir positiv bestimmen können, welchen Platz man ihm bei der moralischen Bewertung der Sexualität einräumen soll.
Die Zustimmung ist ein zentrales Konzept der liberalen Tradition und steht von daher im Mittelpunkt der zeitgenössischen Theorien der sozialen Gerechtigkeit des sogenannten fortgeschrittenen Liberalismus, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von John Rawls verkörpert wurde.1 Dieser Liberalismus ist keine politische Theorie des Politischen im engeren Sinne, verstanden als das, was zur Regierung gehört, sondern eine Gesellschaftstheorie, da sie die Aufgabe hat, festzustellen, welche sozialen Konfigurationen gerecht sind, welche Form von Beziehung des Staates zur Gesellschaft gerecht und möglich ist. Sie beruht auf der Hypothese, dass das gute Leben vor allem Gegenstand des Denkens und Handelns des Einzelnen ist, und stellt somit das Individuum in den Mittelpunkt ihrer Bestrebungen, mit dem Ziel, ihm den für das sittliche Leben seiner Wahl notwendigen Raum zu verschaffen. Aus dem Individualismus dieser Theorie und der Hypothese, dass der Einzelne in der Privatsphäre wählen kann, welchen Sinn er seinem Leben geben will, folgt die Teilung der Welt des Einzelnen in eine öffentliche Sphäre, in der er mit anderen zusammenlebt, und in eine private Sphäre, die die Sphäre seiner persönlichen Autonomie ist.
Die Zustimmung ist hier einer der Garanten für Gerechtigkeit. Genauer gesagt wird die Zustimmung als zentral angesehen, da sie die persönliche Autonomie des Individuums zum Ausdruck bringt, die das Fundament des Liberalismus ist. Bei dem amerikanischen Philosophen John Rawls ist, wie Bertrand Guillarme zeigt,2 die 165Zustimmung gültig – das heißt, sie wird als Ausdruck einer Wahl angesehen, die frei genug ist, um die Folgen zu rechtfertigen, die sie hervorruft –, wenn die Bedingungen, unter denen die Wahl getroffen wird, zufriedenstellend sind. Die Zustimmung ist die Grundlage dessen, was Rawls als »reine Verfahrensgerechtigkeit« bezeichnet, die besagt, »wenn das Verfahren, in dem die Wahl getroffen wird, gerecht ist, dann können die Entscheidungen der Individuen als frei genug angesehen werden, um ihre Verantwortung zu begründen und die Ergebnisse dieser Wahl, wie auch immer sie aussehen mögen, für gültig erklären«.3 Die Idee, die dieser Form der Gerechtigkeit zugrunde liegt, lautet, dass die Zustimmung, wenn sie die Autonomie des Einzelnen zum Ausdruck bringt, das heißt, wenn sie ausreichend frei ausgeübt wird, die Gerechtigkeit des Ergebnisses dieser Zustimmung gewährleistet.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Zustimmung dem Feminismus als ein nützlicher Begriff erscheint. Feminismus und Liberalismus ist gemeinsam, dass die Autonomie im Vordergrund steht, und zwar sowohl die persönliche als auch die politische. Wie die Philosophin Anne Phillips zeigt,4 ist die Freiheit, für sich selbst zu entscheiden, für Feministinnen sowohl ein Bestreben als auch ein Anliegen. In dem Wunsch, mit Jahrhunderten der Abhängigkeit und Unterwerfung zu brechen, in denen die Frauen die von ihren Vätern ausgewählten Ehemänner akzeptieren mussten, religiösen Auflagen hinsichtlich angemessenen Formen der Sexualität und Mutterschaft und 166einer paternalistischen Gesetzgebung gehorchen mussten, die vorgab, sie vor ihren eigenen Schwächen zu schützen, oder einfach die Erwartung erfüllen mussten, dass eine gute Frau ihre eigenen Bedürfnisse und Ambitionen für die Bedürfnisse derer opfert, die sie liebt, haben die Feministinnen die Selbstbestimmung stets zur Voraussetzung für die Befreiung der Frauen gemacht. Die Tatsache, dass den Frauen historisch betrachtet eine Reihe von Rechten, die die Männer hatten – das Wahlrecht, aber auch das Recht, ein Auto zu fahren oder ein Bankkonto zu haben –, im Namen einer angeblich natürlichen Unfähigkeit, Entscheidungen für sich selbst zu treffen, also im Namen einer dauerhaften Unmündigkeit der Frauen, vorenthalten wurden, hat die Strukturierung des Feminismus um die Forderung nach Autonomie verstärkt. Auch wenn diese Autonomie sehr unterschiedliche Formen annehmen kann,5 bleibt sie doch das Herzstück der feministischen Forderungen, und die Tatsache, dass die liberale Theorie, insbesondere die von Rawls verkörperte liberale, kantianisch inspirierte Theorie, die einzige politische Theorie ist, deren ausdrückliches Ziel es ist, sowohl die persönliche als auch die politische Autonomie des Einzelnen zu gewährleisten, erklärt, dass die Zustimmung ein zentraler Begriff des Feminismus ist.
Die relative Ineffizienz der zeitgenössischen Gerechtigkeitstheorien, die mit dem Geschlecht verbundenen sozialen Ungleichheiten zu denken, führt gleichwohl dazu, dass sie von feministischen Philosophinnen kritisiert und reformuliert werden. Die erste große feministische Re167vision der liberalen Gerechtigkeitstheorien stammt von Susan Moller Okin in Justice, Gender, and the Family.6 Sie zeigt die Spannung zwischen dem Ideal des Egalitarismus der USA und dem Fortbestehen von Geschlechterungleichheiten auf, in deren Mittelpunkt die ungleiche Verteilung unbezahlter Arbeit in der Familie steht. So schreibt sie zu den Folgen des Vergessens der Familie in der liberalen Theorie für die moralische Entwicklung der Kinder:
Was soll ein Kind, unabhängig vom Geschlecht, in einem Haushalt, in dem beide Elternteile Vollzeit arbeiten und die Mutter mindestens doppelt so viel Familienarbeit leistet wie der Vater, über Gleichberechtigung lernen? Was soll ein Kind in einem Haus mit einer traditionellen Arbeitsteilung, in dem der Vater die Tatsache, dass er der Hauptverdiener ist, mehr oder weniger subtil ausnutzt, um seine Macht zu demonstrieren oder seine Frau zu misshandeln, über die Werte der Erziehung und der Hausarbeit lernen? Was soll ein Kind über die Verantwortung für andere in einer Familie behalten, in der eine Frau, die nach mehreren Jahren, die sie nach den Bedürfnissen des Ehemannes und ihrer Kinder organisiert hat, gezwungen ist, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, und sich aufgrund des Lebens, das sie geführt hat und das sie hofft, weiterhin führen zu können, für diese Prüfung, der sie doch zugestimmt hat, als nicht genügend gerüstet erweist?7
Dieser Auszug ist schlagend, weil er den Widerspruch zwischen der Zustimmung, der Freiheit der Frauen und ihrer strukturellen Unterlegenheit aufzeigt. Okin sagt nicht, dass Geschlechterungerechtigkeiten dazu führen, dass die Zustimmung dieser Frau ungültig ist, sondern sie zeigt, dass die Zustimmung ihr kein freies Leben ga168rantiert. Diese Frau hat einem Arrangement zugestimmt, das sie auf lange Sicht in eine Situation der Unterordnung und Abhängigkeit von ihrem Ehemann und ihrer Familie gebracht hat.
Dass diese Frau ihre Zustimmung gegeben haben könnte und sich dennoch in einer für sie ungerechten Situation befand, steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zu der Theorie von Rawls, insofern die reine Verfahrensgerechtigkeit ihm zufolge nur dann funktioniert, wenn die Bedingungen, unter denen die Wahl getroffen wird, zufriedenstellend sind. Insofern Rawls nun aber annimmt, dass die Familie eine gerechte Institution ist, erfüllen die im familiären Bereich getroffenen Entscheidungen ihm zufolge die Bedingungen für eine gültige Zustimmung. Da die Situation dieser Frau eindeutig als ungerecht erscheint und diese Situation dennoch Rawls’ Kriterien für Gerechtigkeit entspricht, versagt seine Theorie der Gerechtigkeit in diesem speziellen Fall bei der Bekämpfung der Ungerechtigkeit. Und wenn, wie Okin meint, dieser Fall repräsentativ für die Situationen ist, in denen sich Frauen üblicherweise befinden, dann muss die rawlssche Theorie der Gerechtigkeit in einem feministischen Sinne revidiert werden, das heißt, es muss sichergestellt werden, dass die spezifische Situation der Frauen berücksichtigt wird.8 Genauer gesagt ist eine der Herausforderungen der feministischen Kritik am Liberalismus, egal ob sie nun versucht, diesen Liberalismus von innen heraus zu reformieren oder ihn massiv ablehnt, um eine Kritik der Zustimmung herum strukturiert.
Die feministische Kritik am Liberalismus erfolgte Ende der 1970er Jahre in Form des Unternehmens einer kritischen Relektüre der klassischen Texte im Lichte der feministischen Problematiken.9 Diese kritischen Relektüren zeigen vor allem, dass die Ineffizienz der liberalen Theorien zu den Geschlechterungleichheiten auf die Unterscheidung zwischen Öffentlichem und Privatem zurückzuführen ist, auf der diese Theorien beruhen und die zur Folge hat, dass die Familie grundsätzlich als Gegenstand der philosophischen und politischen Analyse ausgeschlossen wird.
Für die Liberalen muss unterschieden werden zwischen der öffentlichen Sphäre, die die politische und soziale Sphäre ist, und der privaten Sphäre, die die familiäre und individuelle Sphäre ist und die für die meisten Autoren der Natur entspringt. Die Männer können sich in beiden Sphären bewegen, während die Frauen auf die private Sphäre beschränkt sind. Locke entwickelt seine politische Philosophie, indem er einem politischen Theoretiker seiner Zeit, Robert Filmer, widerspricht, der die Auffassung vertritt, dass die Macht des Königs über seine Untertanen zur Macht des Vaters über seine Familie analog ist. Locke macht hingegen geltend, dass die Macht des Vaters natürlich ist, während die politische Macht konstruiert ist. 170Da der Mann von Natur aus fähiger und stärker ist, ist es auch natürlich, dass er die Macht über seine Frau hat, denn »die Gesetze der Menschheit und die Sitten der Völker haben es allgemein so geordnet«.10 Die Unterordnung der Ehefrauen unter die Ehemänner ist nicht politisch: »So kann das nur eine eheliche, keinesfalls aber eine politische Gewalt sein. Es handelt sich hier um eine Gewalt, die jeder Ehegatte […] hat, um die Privatangelegenheiten seiner Familie zu regeln und in allen Dingen von gemeinsamem Interesse seinen Willen gegenüber dem der Frau dominieren zu lassen.«11 Er unterscheidet also zwischen einer privaten Sphäre, in der die Natur ihre Rechte ausübt, und der öffentlichen Sphäre, in der die politische Macht die einzige Quelle der Verpflichtung ist. Da diese Privatsphäre in ihren Augen in den Bereich der Natur fällt, interessieren sich die Theoretiker nicht dafür und betrachten sie nicht als einen Raum, in dem es Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit geben kann. Es ist also diese Unterscheidung, die einerseits den Ausschluss der Familie aus der Reflexion der Gerechtigkeit und andererseits den Ausschluss der Frauen aus der politischen Reflexion begründet.
Die Unterscheidung zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre ist äußerst wichtig, um zu verstehen, weshalb das Konzept der Zustimmung trotz seiner scheinbaren Nützlichkeit für den Feminismus seitens der Theoretikerinnen Gegenstand eines großen Misstrauens war.
Der Ausschluss der Frauen aus der öffentlichen Sphäre bedeutet, dass bei den Vertragstheoretikern den Frauen 171die Fähigkeit abgesprochen wird, in der rechtlichen und politischen Sphäre Verträge zu schließen. Frauen können streng genommen Verträgen nicht zustimmen, egal ob es sich in der realen Welt um Verträge im alltäglichen Leben oder allgemein um den Gesellschaftsvertrag handelt. Frauen sind von der Möglichkeit der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, und ihnen wird die Rechtspersönlichkeit versagt – was bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein zum Beispiel darin zum Ausdruck kommt, dass eine Frau ohne die Erlaubnis ihres Mannes kein Bankkonto eröffnen kann, kein Scheckbuch haben darf etc.
Außerdem ist ein Individuum jemand, der als frei und gleichberechtigt mit den anderen Individuen dieser Gesellschaft anerkannt wird und der, wenn auch nur virtuell, an dem Gesellschaftsvertrag beteiligt war, durch den die soziale Ordnung geschaffen wird. Bei den klassischen Vertragstheoretikern sind die Frauen nun aber von diesen beiden Bedingungen ausgeschlossen: Sie sind nicht am Gesellschaftsvertrag beteiligt, und sie werden weder als von Natur aus frei noch als mit anderen Individuen gleichwertig anerkannt – ihre Unterwerfung unter die Autorität der Männer scheint sich von selbst zu verstehen. Der Begriff des Individuums ist historisch so konstruiert, dass er nur für Männer gilt und Frauen ausschließt.12
Carole Pateman zufolge ändert die Tatsache, dass die Staatsbürgerschaft schließlich auch Frauen offenstand, nichts an der Tatsache, dass die politische Theorie, auf die sie sich gründet, es als unmöglich und widernatürlich ansah, dass Frauen Staatsbürgerinnen sein sollen.13 Die gesellschaftlichen Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert haben Frauen zwar erlaubt, formal rechtlich den Männern gleichgestellt und damit als Staatsbürge172rinnen und als Individuen anerkannt zu werden. Doch wird zum Beispiel die Unabhängigkeit des Bürgers, die eine seiner zentralen Eigenschaften ist, in der Vorstellung dieser Theoretiker dadurch möglich, dass dieser Bürger eine Frau hat, die ihn ernährt, kleidet, sich bei Bedarf um ihn kümmert und seine Kinder erzieht. Die Freiheit des Individuums in der öffentlichen Sphäre wird nur durch eine Privatsphäre ermöglicht, in der die männliche Dominanz herrscht.
Der ursprüngliche Ausschluss von der Staatsbürgerschaft hat zur Folge, dass die Frauen nicht zustimmen können wie die Männer, und gleichzeitig ist die Zustimmung der Frauen das, was die Unterscheidung zwischen den beiden Sphären, der privaten und der öffentlichen, möglich macht:
So wie die Demokratietheorie an die »Zustimmung« herangeht, betrifft sie die Art und Weise, in der [man davon ausgeht, dass] eine Zustimmung erteilt wird, und zwar mithilfe verschiedener [öffentlicher] Indikatoren für eine explizite oder stillschweigend gegebene Zustimmung, wie der Abstimmung, dem Erhalt staatlicher Leistungen oder der Beteiligung an gerechten Institutionen. Die Demokratietheoretiker achten nicht darauf, dass die Zustimmung auch für die Beziehung zwischen den Geschlechtern konstitutiv sein soll. Für die Frauen ist die Zustimmung etwas, das im Privatleben mindestens genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger ist als im öffentlichen Leben.14
173Nach den klassischen Vertragstheoretikern gehört die Zustimmung zur öffentlichen Sphäre, zur politischen Übereinkunft. Sie ist das Werk der Männer, die zugestimmt haben, den Gesellschaftsvertrag zu unterzeichnen, und die diese ursprüngliche Zustimmung in jedem Vertrag, dem sie zustimmen, wiederaufleben lassen. Folglich scheinen die Frauen aufgrund ihres Ausschlusses von diesem ursprünglichen Vertrag der Fähigkeit zuzustimmen beraubt. Trotzdem ist die Zustimmung das Herzstück des Ehevertrags.15 Die Zustimmung betrifft die Frauen also direkt, noch bevor ihre formale Freiheit und Gleichheit mit den Männern anerkannt zu werden beginnen. Es ist, als würde die Zustimmung zur Ehe dazu dienen, die Beziehung der Ehegatten von der zivilen Sphäre auszunehmen: Bis Ende des 20. Jahrhunderts geht es weder den Gesetzgeber noch den Richter oder den Philosophen etwas an, was innerhalb eines Paares geschieht; die Zustimmung der Ehegatten hat daraus eine Privatangelegenheit gemacht, die nur ihre Glieder etwas angeht. Man steht also vor einem Paradoxon: Einerseits wird den Frauen durch die Trennung der Sphären die Fähigkeit zuzustimmen entzogen, andererseits beruht diese Trennung auf einer ersten Zustimmung der Frauen, der Zustimmung zur Ehe.
Dieses Paradoxon liegt einer der radikalsten feministischen Kritiken der Zustimmung und der Vertragsform überhaupt zugrunde, die Carole Pateman zunächst in einem Artikel mit dem Titel »Women and Consent« und dann in The Sexual Contract vorbringt. Und sie stellt folgende Fragen: Welchen Sinn kann es haben, in einer Sphäre von Zustimmung zu sprechen, in der die Natur Autoritätsbeziehungen begründen soll? Wie können Frauen zustimmen?
Für Pateman bringt die Analyse des Ehevertrags zwei unterschiedliche Probleme zum Tragen: die Art und Weise, wie dieser Vertrag das Geschlechterverhältnis organisiert, und das, was dieser Vertrag über die Rechtspersönlichkeit der Frau aussagt. Die Originalität des Ehevertrags besteht darin, dass er die individuelle Unterordnung der Frau durch den Mann zu organisieren erlaubt. Anhand ihrer Analyse der rechtlichen Entwicklungen des Ehevertrags zeigt Pateman, wie die Ehe historisch gesehen die Aneignung der Frau durch den Mann gestattete. Einen paradigmatischen Status räumt sie dabei der bis Ende des 19. Jahrhunderts geltenden Doktrin der sogenannten »Deckung« ein,16 in der die Ehefrau mit einer Sklavin gleichgesetzt wurde: Sie war »zivil tot« und mit der Persönlichkeit ihres Mannes verschmolzen.17 Für Pateman hat die Deckungslehre trotz ihres allmählichen Verschwindens die Auffassung von den durch die Ehe begründeten Beziehungen nachhaltig geprägt, und »einige entscheidende Reformen des rechtlichen Status der Ehefrauen sind so neu, dass die meisten von uns immer noch Zeichen der Unterwerfung tragen, insbesondere die Tatsache, dass man uns unter dem Namen unseres Ehemannes kennt«.18 Die historische Analyse erlaubt mithin, die Fortdauer der Unterordnungsbeziehungen zwischen Männern und Frauen zu verstehen.
Pateman zufolge gehört der traditionelle Ehevertrag zu einer Kategorie von Verträgen, die – wie beispielsweise auch der Arbeitsvertrag – Unterordnungsverhältnisse schaffen. In Anlehnung an Lévi-Strauss, der in Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft zeigt, dass 175Frauen in primitiven Gesellschaften »die Kategorie der wertvollsten Güter« bilden und dass die Ehe »der Archetyp des Tauschs« ist,19 interpretiert Pateman den Ehevertrag als einen doppelten Tausch. Die Frauen sind Gegenstand einer Form von Tausch zwischen dem Vater und dem zukünftigen Ehemann: Gewiss werden die Frauen durch den Ehevertrag nicht wirklich getauscht, sie gehen nicht physisch von einer Hand in die andere über, aber sie gehen von einem Herrn zum anderen über, traditionell vom Vater zum Ehemann. Aber auch wenn der Ehevertrag eine Übergabe der Gewalt vom Vater an den Ehemann ist, ist er dennoch kein Vertrag zwischen dem Ehemann und dem Vater, sondern ein Vertrag zwischen den beiden Eheleuten. In diesem Vertrag kommt eine andere Form des Tauschs zum Tragen: Die Frau tauscht ihren Gehorsam gegen den Schutz ihres Mannes.20 Die Hochzeitszeremonie inszeniert die Zustimmung der Eheleute und stellt sie zur Schau: Der »Austausch der Zustimmungen« der Eheleute ist der Schlüsselmoment der Zeremonie. Diese Zeremonie ist also die Inszenierung der Zustimmung der Frau, ihrem Mann zu gehorchen, das heißt, ihm untergeordnet zu sein.
Der Ehevertrag ist für die Frauen entfremdend, da er den Männern erlaubt, sich den Körper der Frauen sowohl sexuell als auch wirtschaftlich anzueignen. Historisch betrachtet ist der Ehevertrag ein Vertrag, mit dem mindestens eine der Parteien ihre körperliche Autonomie aufgibt: Der Körper der Ehefrau steht dem Ehemann sexuell zur Verfügung. In Frankreich beinhaltet das Eherecht seit 1810 den Begriff der ehelichen Pflicht, wonach der Geschlechtsverkehr zu den gegenseitigen Pflichten der Ehegatten gehört. Man könnte also meinen, dass der Ehemann sich den Körper der Ehefrau nicht mehr aneignet 176als umgekehrt. Die Konstruktion der Sexualität als Ergebnis des Wunsches des Mannes, dem die Frau nachgibt, hat jedoch zur Folge, dass die eheliche Pflicht faktisch ein Recht des Mannes auf Geschlechtsverkehr mit seiner Frau ist, ohne die Verpflichtung, den Willen der Frau zu berücksichtigen. In dem durch die eheliche Pflicht strukturierten Ehevertrag stimmt die Frau ein für alle Mal allen sexuellen Beziehungen zu, die der Mann wünscht, und sie kann diese Zustimmung nicht mehr zurückziehen, außer sie kann sich scheiden lassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hat, und außer sie kann, seit den 1990er Jahren, beweisen, dass sie von ihrem Mann vergewaltigt wurde.21 Nach Pateman ist der Ehevertrag somit eine Aneignung des Körpers der Frau durch den Mann.22
Der Körper der Frau ist jedoch nicht auf die sexuelle Nutzung beschränkt: Dieser Körper kommt auch als Arbeitskraft zum Tragen. So begründet der Ehevertrag nicht nur ein sexuelles Unterordnungsverhältnis, sondern auch ein Arbeitsverhältnis, das dem eines Arbeitsvertrags ähnelt. Die Institution der Ehe, so Pateman, erlaubt die Ausbeutung der Arbeit der Frauen. Kapitalismus und Patriarchat sind in der Institution der Ehe selbst untrennbar miteinander verbunden: Der Ehemann ist – auch – ein Unternehmer. Durch die Heirat eignet sich der Ehemann also den Körper seiner Frau als sexuellen Körper und als Arbeitskraft an.23
Wenn der Ehevertrag jedoch tatsächlich eine Aneignung der Frau durch den Ehemann darstellt, ist es schwer verständlich, »weshalb ein freies und gleichberechtigtes weibliches Individuum […] sich an einem Vertrag beteiligen sollte, der sie immer in eine Situation der Unterwerfung und Unterordnung unter ein männliches Individuum bringen wird«.24 Diese Zustimmung ist umso problema177tischer, da, solange die Vergewaltigung unter Ehegatten nicht als Möglichkeit anerkannt wurde, die Zustimmung zur Heirat für eine Frau bedeutete, endgültig auf das Recht zu verzichten, dem Geschlechtsverkehr mit ihrem Ehemann zuzustimmen oder nicht. Es besteht also ein Widerspruch zwischen dem Anschein der Zustimmung im Ehevertrag und der Realität der Ehe, die der Frau die Fähigkeit zur Zustimmung entzieht (eine Ehefrau zu sein beinhaltet, dem Ehemann zu gehorchen, die von ihm verlangte Hausarbeit zu verrichten und zu akzeptieren, sexuell besessen zu werden, wenn er es möchte).
Laut Pateman löst sich dieser Widerspruch erst auf, wenn man begreift, dass die Zustimmung der Frau nicht wirklich eine Zustimmung ist. Im Ehevertrag stimmt die Frau nicht in derselben Weise zu, wie ein Individuum einem gewöhnlichen Vertrag im realen Leben zustimmt. Sie erkennt nur ihre angeblich natürliche Unterwerfung unter den Mann formell an und vollzieht öffentlich einen Akt der Unterwerfung.
Diese Zustimmung ist keine wirkliche Zustimmung, weil die Frauen nicht die Möglichkeit haben, nicht zuzustimmen: Erstens, wenn die Ehe grundsätzlich ein Tausch zwischen dem Vater und dem zukünftigen Ehemann ist, hat die Frau zu diesem Tausch nicht ihre Meinung zu sagen. Zweitens zeigt Pateman, dass die sprachlichen Voraussetzungen nicht unbedingt gegeben sind, damit die Nicht-Einwilligung der Frau gehört wird. Sie zitiert die rousseausche Anweisung, dass Frauen »immer ›nein‹ sagen müssen, auch wenn sie ›ja‹ sagen wollen. […] Die scheinbare Ablehnung oder Zustimmung darf bei einer Frau nie wörtlich genommen werden.«25 Wenn jedes »Nein«, das eine Frau ausspricht, als »Ja« verstanden werden kann oder muss, dann kann das »Ja«, das die 178Frau bei der Eheschließung als Zustimmung ausspricht, nicht wirklich als Akzeptanz gelten. Um als solche zu gelten, müsste die Frau »nein« sagen können, und dieses »Nein« müsste als Ablehnung verstanden werden. Die Gebote der Schamhaftigkeit haben zu einer Entsemantisierung der Sprache der Frauen geführt, die sie nicht mehr zu einer vollwertigen Ablehnung und auch nicht zu einer vollwertigen Zustimmung befähigt. Wenn »nein« »ja« bedeuten soll, ist keine authentische Zustimmung möglich. Drittens schließlich ist in dem Maße, in dem eine unverheiratete Frau in den meisten Gesellschaften sozial stigmatisiert wird, die Entscheidung, ob sie heiraten soll oder nicht, nicht wirklich eine.
Pateman nimmt nicht die liberale Perspektive ein, die darin besteht, vom Individuum und seinen Entscheidungen auszugehen, sondern eine sozialkritische Perspektive, die die Gesellschaft als zutiefst von der Herrschaft der Männer über die Frauen strukturiert versteht, und dies macht den binären und manchmal zu stark vereinfachenden Charakter der Bewertung in puncto Zustimmung komplexer. Die Frage ist beispielsweise nicht mehr, ob die Frau der Heirat zugestimmt hat oder nicht, ob sie zugestimmt hat oder nicht, ihrem vertraglich vereinbarten Partner als ihrem Herrn unterworfen zu sein, sondern inwieweit die patriarchale Organisation der Gesellschaft nicht nur ihre Fähigkeit zu wählen beeinflusst, sondern auch die Art der Wahl, die sie trifft. Insbesondere kehrt die Berücksichtigung der männlichen Herrschaft als herrschende Gesellschaftsstruktur die liberale Perspektive um und macht deutlich, wie schwierig es für Frauen ist, im Kontext der männlichen Herrschaft wirklich zuzustimmen. Diese Herrschaft führt zu einer Unterordnung der Frauen und tarnt diese als natürliche oder einvernehm179liche Ordnung, aber diese Unterordnung26 kann für die Frauen nicht wirklich Gegenstand einer Wahl oder einer Zustimmung sein. Wie wir sehen werden, zeigt die strukturale anthropologische Analyse schließlich das Faktum, dass etwas als Zustimmung der Frauen bezeichnet wird, was in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine Resignation angesichts der Unmöglichkeit eines anderen Verhaltens.
Noch tiefer angesetzt als bei der Frage nach der Stellung der Frauen im Vertrag, sei es der Gesellschafts- oder der Ehevertrag, und damit nach ihrer Fähigkeit, rechtlich zuzustimmen, war die Beziehung der Frauen zur Zustimmung Gegenstand wichtiger feministischer Analysen im Zuge der Reflexion der anthropologischen Ursprünge der Herrschaft. Wenn man feststellt, dass die Gesellschaften gemäß der Dynamiken der sozialen Herrschaft einer Gruppe über eine andere organisiert sind – beispielsweise der Männer über die Frauen oder der Kapitalisten über die Arbeiter –, und wenn man versucht, sich den Fortbestand dieser Herrschaft zu erklären, ist einer der am schwierigsten zu klärenden Punkte der nach dem Ursprung dieser Herrschaft. Während es üblich ist, in der Gewalt der Herrschenden den Ursprung ihrer Macht zu sehen, lässt sich seit La Boéties Über freiwillige Knechtschaft ein Erklärungsmuster ausmachen, welches das Verhalten der Beherrschten in den Mittelpunkt stellt. Auf die Frage nach dem Patriarchat und seinem Fortbestand angewendet, besteht es darin, zu sagen, dass die männ180liche Herrschaft nicht auf der Gewalt der Männer beruht, sondern auf der Zustimmung der Frauen zu dieser Herrschaft. Eine solche Position vertritt sinngemäß der Anthropologe Maurice Godelier in seiner Analyse der männlichen Herrschaft, wenn er schreibt:
Jede Macht zu herrschen besteht aus zwei unauflösbar miteinander vermengten Komponenten, die ihre Stärke ausmachen: der Gewalt und der Zustimmung. Unsere Analyse führt uns zwangsläufig zu der Feststellung, dass von den beiden Komponenten der Macht die wichtigste nicht die Gewalt der Herrschenden, sondern die Zustimmung der Beherrschten zu ihrer Beherrschung ist. Um einen Teil der Gesellschaft, die Männer gegenüber den Frauen, eine Ordnung, eine Kaste oder eine Klasse gegenüber anderen Ordnungen, Kasten oder Klassen »an die Macht« zu bringen und »an der Macht« zu halten, richtet die Repression weniger aus als die Anhänglichkeit, die physische und psychologische Gewalt weniger als die Überzeugung des Denkens, das die Anhänglichkeit des Willens, die Akzeptanz, wenn nicht »Kooperation« der Beherrschten mit sich bringt.27
Nach Godelier hängen die Beherrschten den Ideen an, die der Herrschaft zugrunde liegen, und diese Anhänglichkeit ist die Ursache für das Fortbestehen der Herrschaft. Die Beherrschten stimmen ihrer Beherrschung zu, weil diese »ihnen als ein Dienst erscheint, den die Herrschenden ihnen erweisen«.28 So teilen die Herrschenden und die Beherrschten die Ideen, die den Grund der Autorität und die Notwendigkeit der Unterwerfung darstellen, und deshalb stimmen die Beherrschten ihrer Beherrschung zu.
Die Widerlegung dieser Theorie der Zustimmung der Beherrschten zu ihrer Beherrschung durch die Anthropologin Nicole-Claude Mathieu führt zu einer der wichtigsten feministischen Kritiken des Begriffs der Zustimmung – und im Gegensatz zu dem, was viele zeitgenössische Werke anzunehmen scheinen, betrifft sie nicht die sexuelle Zustimmung, sondern die Zustimmung der Frauen zum Patriarchat im Allgemeinen. Der erste Schritt der Widerlegung besteht darin, zu zeigen, dass diese Theorie eine Symmetrie des Bewusstseins zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem voraussetzt, während die materielle und psychische Unterdrückung der Frauen so groß ist, dass es diese Symmetrie nicht gibt.29 Sie stützt sich auf anthropologische Studien in unterschiedlichen Kulturen, um die verschiedenen Aspekte der Beschränkungen auszumachen.
Zunächst untersucht sie die psychischen Folgen, die die materiellen Bedingungen, unter denen die Frauen leben, auf sie haben. Die physische Verfügbarkeit, die die männliche Herrschaft verlangt, hat erhebliche psychische Folgen. Zwischen Hausarbeit und Kindererziehung arbeiten die Frauen fast ununterbrochen: »Wie sollte sie in diesem Fall zusätzlich klar denken können … zum Beispiel über ihre Situation?«30 Außerdem sind Frauen strukturell unterernährt, was ihre körperliche und geistige Belastbarkeit mindert. Auch die Kinder zu betreuen und für sie zu sorgen führt zu einer Einschränkung. Die männliche Herrschaft schränkt die Frauen somit körperlich und geistig ein. Sie haben weder die Zeit noch die Energie 182oder den notwendigen geistigen Raum, um über ihre Situation nachzudenken, weshalb es schwierig scheint, ihnen das Vermögen zuzuschreiben, der Herrschaft, die über sie ausgeübt wird, zuzustimmen oder nicht.
Die männliche Herrschaft hat auch zur Folge, dass die Frauen sozial in Bezug auf andere definiert werden: Gesellschaftlich leitet sich die Bedeutung einer Frau von der Bedeutung ihres Ehemannes, Bruders oder ihrer Kinder ab. Diese Definition der Frau über ihren Ehemann oder ihre Kinder hat Auswirkungen auf das Bewusstsein der Frauen, die zum Beispiel darin zum Ausdruck kommen, dass ältere Frauen sich an den Ritualen der männlichen Herrschaft beteiligen. Entgegen der von Godelier vertretenen Auffassung, dass diese Beteiligung von der Zustimmung der Beherrschten zeugt, zeigt sie in Wirklichkeit das Ausmaß der körperlichen und geistigen Einschränkungen der Frauen:
Es scheint nicht schwer zu verstehen, dass: 1) sie, wenn sie es nicht täten, Ächtung und in manchen Gesellschaften sogar körperliche Repression erleiden würden; 2) da ihre eigene Unterwerfung in ihrer Jugend ihr Mittel zum Überleben war – in dem Sinne, im Falle einer Revolte dem Tod zu entgehen, und allgemeiner in dem Sinne, trotzdem zu leben (»man muss ja leben«), das heißt sich an die gegebenen sozialen Bedingungen anzupassen, um trotzdem ein Leben als Mensch zu führen und etwas Ruhe zu haben – können sich die alten Frauen keine andere Methode vorstellen, als die Jungen das zu lehren, was sie für »ihre« Methode der persönlichen Anpassung halten und was ihnen darüber hinaus als ihre Bedeutung oder ihr Mut als Frau präsentiert wird.31
183Die Vorstellung – die in der heutigen Gesellschaft häufig, wenn auch in anderer Form, vertreten wird –, dass die Tatsache, dass die älteren Frauen sich an den Ritualen der männlichen Herrschaft beteiligen, ihre Zustimmung zu dieser Herrschaft ausdrückt, verkennt zum einen die realen Gefahren, denen sie sich sonst aussetzen würden, und zum anderen die psychischen Folgen der Herrschaft, die ihnen ihre Unterwerfung als die beste Anpassung an die Umstände und als eine Anpassung erscheinen lassen, die von den sozialen Normen gewürdigt wird.
Nicole-Claude Mathieu stellt auch fest, dass die Männer die Kontrolle über die Werte und das Wissen in der Gesellschaft haben und dass diese Werte und dieses Wissen ihre Herrschaft widerspiegeln.32 Mathieu widerspricht sowohl Feministinnen als auch jenen, die wie Godelier von einer Zustimmung der Beherrschten zu ihrer Beherrschung sprechen: Sie lehnt die Position bestimmter Feministinnen ab, denen zufolge die männliche Dimension der Werte es erforderlich macht, sie schlicht und einfach abzulehnen (wie zum Beispiel Pateman, wenn sie darlegt, dass der Feminismus es erforderlich macht, die Vertragsform aufzugeben). Gleichzeitig beleuchtet sie, wie diese – männlichen – Werte das Bewusstsein der Herrschenden und Beherrschten auf unterschiedliche Weise prägen. Sie zeigt, dass die gesellschaftliche Organisation nach den Werten der Männer eine Folge und nicht die Ursache der männlichen Herrschaft ist. Weil diese Werte die Werte der Männer sind und ihre Herrschaft das unterdrückte Bewusstsein der Frauen so zu formen gestattet, dass sie sich gegenüber den Männern als minderwertig begreifen, werden die Frauen in die Irre geführt und perpetuieren die männliche Herrschaft. Der Ursprung der Herrschaft liegt nicht in einer Reihe von Ideen, die Männer und 184Frauen teilen und die die Überlegenheit der Männer rechtfertigen würden. Der Ausgangspunkt ist die männliche Herrschaft, die das Bewusstsein der Frauen derart einschränkt, dass sie die Vorstellungen der Männer hinsichtlich ihrer Minderwertigkeit teilen.
Nachdem Nicole-Claude Mathieu gezeigt hat, wie die materiellen Bedingungen der männlichen Herrschaft das Bewusstsein der Frauen einschränken, widerlegt sie Godeliers Argument, dass die Gewalt nicht die primäre Dimension der männlichen Herrschaft ist.33 Sie stützt sich dabei auf drei Argumente.
Erstens zeigt sie, dass sowohl die direkte Gewalt als auch psychische Verletzungen eine permanente Gewalt darstellen, die die Herrschaft der Männer über die Frauen gewährleistet.34 Die psychische Gewalt, die der männlichen Herrschaft innewohnt, schafft ein ungleiches Bewusstsein von Männern und Frauen, und diese Ungleichheit ist genau das, was erklärt, dass die Frauen »weder das Recht noch die Zeit noch die Kraft« haben, gegen die männliche Herrschaft auf Widerstand zu sinnen.
Zweitens zeigt Mathieu, dass entgegen dem, was Godelier zu verstehen gibt, die Handlungen der Frauen eingeschränkt werden, bevor ihr Bewusstsein eingeschränkt wird. Es ist nicht so, dass die Frauen Vorstellungen haben, die ihr Handeln prägen, sondern sie werden »dressiert«, auf eine bestimmte Weise zu handeln: »Zuerst hindert man zum Beispiel das Mädchen daran, zu laufen, zuerst lässt man sie ihren Vater, ihre Brüder bedienen […], dann wird sie feststellen: Männer können laufen, müssen be185dient werden. Das ist eine Feststellung. Eine erzwungene Feststellung ist kein Konsens.«35 Die Untersuchung der Art und Weise, wie Mädchen und Jungen erzogen werden, zeigt, dass die tatsächliche Gewalt der Gewalt der Vorstellungen vorausgeht, die die Herrschaft legitimieren. Anders als Männer haben Frauen die Vorstellungen, die die Herrschaft legitimieren, nicht ständig im Kopf. Die physische Gewalt ist hingegen ständig präsent, sei es aktuell oder potenziell. Es ist diese ständige Gewalt, die so viel Schaden anrichtet, dass die Frauen am Ende scheinbar zustimmen, und nicht ihr Glaube an die Ideologie der männlichen Herrschaft. Godeliers These erklärt sich aus seiner Position des Herrschenden: Die Herrschenden haben ständig die Vorstellungen im Kopf, die ihre Herrschaft rechtfertigen. Das Bewusstsein der Frauen wird jedoch eingeschränkt und durch ihre Angst vor der Gewalt der Männer versklavt.
Sobald man schließlich zur Kenntnis nimmt, dass die Einschränkung des Bewusstseins eine psychische Gewalt ist, die von den Herrschenden ausgeübt wird, und dass diese psychische Gewalt auf der ständigen Androhung physischer Gewalt beruht, versteht man, dass es absurd ist, die Entscheidungen der Frauen nach denselben Kriterien zu beurteilen wie die der Männer, das heißt, die Entscheidungen so zu beurteilen, als sei beider Bewusstsein symmetrisch:
Unterdrückungsverhältnisse, die auf der Ausbeutung der Arbeit und des Körpers beruhen, äußern sich in einer regelrechten Betäubung des Bewusstseins, die den konkreten – materiellen und intellektuellen – Einschränkungen innewohnt, die dem/der Unterdrückten auferlegt werden, was es ausgeschlossen macht, von Zustimmung sprechen zu können. Und 186für den Fall, dass die Kranke während der Narkose aufwacht (Widerstand), besteht die Gewalt, die ihr dann angetan wird, nicht nur aus Schlägen, Tod oder Beleidigungen: die Hauptgewalt der Situation der Unterdrückung besteht darin, dass es für die Frauen in den meisten Gesellschaften keine Fluchtmöglichkeiten gibt, außer von Charybdis bei Skylla zu landen, von der Macht der einen Gruppe von Männern bei einer anderen.36
Das herrschende und das beherrschte Bewusstsein unterscheiden sich grundsätzlich, weil die materiellen Bedingungen der Herrschaft derartige Einschränkungen des beherrschten Bewusstseins zur Folge haben, dass es so in die Irre geführt werden kann, dass es die Vorstellungen der Herrschenden teilt.
Die erste Konsequenz dieser Antwort auf Godelier ist, dass es am Anfang der Herrschaft tatsächlich eine Zustimmung zur Herrschaft gibt, dass diese Zustimmung aber von den Männern stammt. Bei den Männern sind die Vorstellungen, die die Herrschaft legitimieren, ständig präsent, und sie rechtfertigen die Anwendung von Gewalt, um diese Herrschaft zu errichten.
Die zweite Konsequenz ist, dass es nicht legitim ist, die Zustimmung der Frauen nach demselben Muster zu denken wie die Zustimmung der Männer. Eine solche Gleichsetzung beruht wieder auf einem – falschen – Verständnis des beherrschten Bewusstseins nach dem Modell des herrschenden Bewusstseins. In diesem Rahmen kann die Tatsache, dass die Frauen den Männern gehorchen und der männlichen Herrschaft entsprechend handeln, nicht als eine Form von Zustimmung gedacht werden, wenn man unter Zustimmung den Ausdruck eines autonomen Willens versteht. Wie der Titel des Artikels unterstreicht, 187ist »nachgeben nicht zustimmen«, und die Einschränkungen des beherrschten Bewusstseins sind so beschaffen, dass das beherrschte Bewusstsein nicht autonom zustimmen kann.
Die dritte Konsequenz ist, dass es hier keine Zustimmung der Beherrschten zur Herrschaft geben kann, weil eine solche Zustimmung voraussetzen würde, dass die Beherrschten sich des Herrschaftsverhältnisses bewusst sind, in dem sie sich befinden.37 Gemäß Mathieu setzt die Idee der Zustimmung der Beherrschten zur Herrschaft voraus, dass sich die Beherrschten dessen bewusst sind, dass das, wozu sie zustimmen, keine einfache Handlung ist, sondern eine Handlung, die Teil der sozialen Herrschaft ist, die auf sie angewendet wird. Die Zustimmung zur Herrschaft wäre also nicht die Zustimmung einer Frau zur Übernahme der gesamten Hausarbeit, weil ihr Mann außer Haus arbeitet, sondern die Zustimmung einer Frau zur Übernahme der gesamten Hausarbeit, weil sie anerkennt, dass sie mit dem Mann die Vorstellung teilt, dass sie ihm unterlegen ist und ihm dienen muss.
Wenn man die Zustimmung zur Herrschaft so versteht, dann ist Mathieus Argument überzeugend. Erstens gibt es einen Widerspruch zwischen der Zeit der Bewusstwerdung und der Zeit der Zustimmung: Wenn die Beherrschten ihrer Beherrschung zustimmen, weil sie die Vorstellungen der Herrschenden zur Legitimität dieser Herrschaft teilen, müssen sie sich zunächst der Herrschaft der Herrschenden bewusst geworden sein. Um sich dessen bewusst zu werden, muss diese Herrschaft nun aber bereits vorher bestanden haben. Somit ist es unmöglich, dass die Zustimmung zur Herrschaft der Ursprung dieser Herrschaft ist.
Abgesehen von diesem chronologischen Widerspruch, 188zeigt zweitens die Erfahrung der Unterdrückten, dass das Eingeständnis der Unterdrückung, der sie ausgesetzt sind, selten eintritt und dass es, wenn es eintritt, nicht die Zustimmung zur Unterdrückung zur Folge hat, sondern meistens den Widerstand gegen diese Unterdrückung.
Dass Unterdrückte ihre eigene Unterdrückung bestreiten oder abstreiten, ist nicht verwunderlich, wenn man weiß (aber um das zu wissen, muss man auf dieser Seite der Schranke sein), dass es absolut unerträglich und traumatisch ist, sich als unterdrückt anzuerkennen. Weshalb? Weil sich die Person in der gleichen Bewegung, in der sie ihre Unterdrückung sieht, als neues Subjekt (Subjekt der Unterdrückung) und als Richter dieses anderen Subjekts konstituiert: dieses anderen Selbst, das sie zuvor zu sein glaubte. […] In dem Moment, und nur in dem Moment, in dem nicht nur die Idee der Beherrschung nicht mehr verdrängt wird, sondern die Person sich als Teil des Herrschaftsverhältnisses akzeptiert, ist sie in der Lage, sich eventuell zu sagen: »Aber wie konnte ich dem zustimmen?«, weil sie sich als Akteurin eines zukünftigen Kampfes sieht. […] Nur auf der Grundlage der (individuellen und kollektiven) Bewusstwerdung könnte das Wort »Zustimmung« – sofern es überhaupt angemessen ist – angebracht sein.38
Wenn man die Sichtweise des beherrschten Bewusstseins einnimmt, erscheint die Zustimmung zu einer als solche anerkannten Beherrschung nicht denkbar. Die Zustimmung setzt ein volles Bewusstsein voraus, entweder des Herrschenden oder des Beherrschten, der sich dieser Beherrschung bewusst geworden ist. Nun ist einerseits eine solche Bewusstwerdung für den Unterdrückten so kostspielig, dass er dazu neigt, sie zu vermeiden, und ande189rerseits führt sie, wenn sie eintritt, nicht zur Zustimmung zur Beherrschung, sondern zum Widerstand gegen die Beherrschung.39 In diesem Moment kann die beherrschte Person ihre vergangenen Handlungen möglicherweise als Zustimmung zu dem verstehen, was ihr nun als Beherrschung erscheint, ihr damals aber nicht in ihrer Systematik bewusst war.
Mathieus Ausführungen erlauben uns somit zu folgenden Schlussfolgerungen zu gelangen: Erstens hat sich die Hypothese von der Zustimmung der Beherrschten zu ihrer Beherrschung, die als eine autonome Entscheidung der Beherrschten für ihre Beherrschung im Namen einer Teilung der Werte der Herrschenden verstanden wird, nicht bestätigt. Sie beruht auf der Ignoranz der psychischen Dimension der Beherrschung und der Auswirkungen von Gewalt, wenn diese ständig droht. Allgemeiner gesagt erfordern die Einschränkungen, denen die Psyche der Beherrschten ausgesetzt ist, eine vorsichtige Verwendung des Vokabulars der Zustimmung: Man muss begreifen, dass es möglicherweise eine Zustimmung gibt, dass diese Zustimmung aber nicht Ausdruck eines individuellen autonomen Willens ist. In vielen der von Mathieu diskutierten Fälle ist die Situation der Frauen so, dass es unmöglich erscheint, wirklich von einer Wahl zu sprechen: Wenn eine Frau in der Gesellschaft der Gainj Papuas durch das Verhalten ihres Mannes ihr gegenüber so entehrt ist, dass die Gesellschaft es als normal ansieht, dass sie Selbstmord begeht, ist es irrig, diesen Selbstmord als Zustimmung zu begreifen. Es bedarf einer minimalen Gleichheit von Mann und Frau, um den Begriff der Zustimmung verwenden zu können. Aus diesem Grund kann das Problem der Zustimmung von Frauen nur in Gesellschaften wirklich gestellt werden, in denen die Frauen den Männern 190formal gleichgestellt sind, das heißt in Gesellschaften, die offiziell die Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz anerkennen. Diese Mindestvoraussetzung ist notwendig, damit eine mögliche Zustimmung als solche anerkannt werden kann, insofern dann vor dem Gesetz anerkannt wird, dass die Frauen ebenso einen autonomen Willen haben wie die Männer. Die von Mathieu deutlich gemachte psychische Dimension der Beherrschung legt jedoch die Vermutung nahe, dass alles, was in diesem Rahmen als Zustimmung erscheint, in Wirklichkeit auf eine psychische Einschränkung des beherrschten Bewusstseins zurückgehen kann.
Während die Zustimmung als ein Begriff erschien, der soziale Gerechtigkeit garantiert, und damit als ein nützliches Instrument für den feministischen Kampf, begreift man somit, wie die Art und Weise, in der dieser Begriff verwendet wurde, um die Frauen als verantwortlich für ihre Situation der Unterdrückung erscheinen zu lassen, als hätten sie diese aus freiem Willen gewählt, und die Art und Weise, in der diese Zustimmung im Zentrum des Ausschlusses der Frauen aus der öffentlichen Sphäre und ihrer Beschränkung auf die private Sphäre steht, in der die Männer sich ihre Arbeit und ihren Körper aneignen, sie zu einem ambivalenten Begriff machen, der sowohl ein mögliches Werkzeug der Emanzipation als auch ein Instrument zur Verschleierung und Fortsetzung ihrer Unterdrückung ist. Wobei sich seine Ambivalenz im sexuellen Bereich am unverhohlensten zeigt.
Während die Lesben der Pro-Sex-Bewegung die Zustimmung als das beste Instrument zur Ausübung einer abenteuerlustigen Sexualität verteidigten, bei der allein die Beteiligten mithilfe von Verträgen und safe words entscheiden können, wo ihre Grenzen liegen, äußerten radikale Feministinnen das größte Misstrauen gegenüber einem Konzept, das imstande sein soll, den Frauen eine Autonomie, insbesondere eine sexuelle Autonomie, zu gewähren, die das Patriarchat unmöglich machen würde. Diese Position vertritt vor allem Catharine MacKinnon seit den 1980er Jahren konsequent. Für MacKinnon besteht das Problem nicht so sehr darin, wie Pateman meinte, dass das Vokabular der Zustimmung verwendet wird, obwohl die Bedingungen dafür nicht gegeben sind, sondern darin, dass der strukturelle Charakter der Unterdrückung der Frauen die scheinbar offensichtliche Verbindung von Zustimmung, Autonomie und Freiheit in Frage stellt. Die männliche Herrschaft ist eine repressive Struktur, die so beschaffen ist, dass die Frauen ihrer Unterwerfung zustimmen,40 obwohl diese Unterwerfung zu ihrer Freiheit in Widerspruch steht. In diesem System ist die Zustimmung kein Kriterium der Gerechtigkeit mehr oder gar ein Kriterium der Rechtfertigung, sondern erlaubt bestenfalls eine Beschreibung der Situation: Die männliche Herrschaft führt dazu, dass die Zustimmung der Frauen kein Ausdruck ihrer Freiheit, sondern ein Zeichen ihrer Unterdrückung ist.
Diese Infragestellung der normativen Bedeutung der Zustimmung impliziert eine Infragestellung dessen, was 192diese Zustimmung verkörperte, nämlich die Autonomie des Willens des Zustimmenden und die Verantwortung für seine Handlungen: Wenn die Frauen strukturell unterworfen sind, so dass die Zustimmung zu dieser Unterwerfung die statistisch normale Haltung ist, dann ist ihnen weder ihre Unterwerfung noch ihre Zustimmung zuzuschreiben. Die Zustimmung hat keine moralische Bedeutung mehr, sie ist rein rechtlich und nichts anderes als das, was das Recht als solches definiert, in einem Kontext, in dem das Recht ein von Männern gesetztes Recht ist, das sich auf das Leben der Frauen erstreckt.41 Die Frauen stimmen zu, aber diese Zustimmung ist nicht so sehr ein Ausdruck ihres Willens, sondern das, was von einem Rechtssystem, das von Männern gemacht wurde, um den Interessen der Männer zu dienen, als solches aufgebaut wird.
MacKinnon zufolge stellen die männliche Herrschaft und die damit einhergehende sexuelle Objektivierung die übliche Konzeptualisierung der Zustimmung in Frage. Die sexuelle Objektivierung macht die sexuelle Zustimmung problematisch.
Erstens kritisiert MacKinnon, dass die freudsche Hypothese von der Unterdrückung des Sexes und ihr Pendant, die Hypothese von der sexuellen Revolution, wonach der Sex ent-unterdrückt werden sollte, in den Dienst der Interessen der Männer gestellt wurde. Laut dieser Hypothese ist allen Menschen ein natürliches sexuelles Verlangen gemeinsam, und die Vorstellung, dass der Sex verborgen, verschwiegen und auf die heterosexuelle Ehe 193beschränkt werden soll, ist das Ergebnis einer politischen und hygienistischen Unterdrückung der sexuellen Natur der Individuen. Man sollte sich daher von dieser Unterdrückung befreien und den natürlichen sexuellen Trieben freien Lauf lassen, die aufgrund ihres sexuellen Charakters von Natur aus gut sind.
Laut MacKinnon entspricht eine solche Position den männlichen Wünschen, da sie impliziert, dass die Frauen – manchmal ohne es zu wissen – häufig Geschlechtsverkehr wollen. Eine solche Position impliziert auch, dass, wenn eine Frau den Geschlechtsverkehr ablehnt, diese Ablehnung nicht aus einem fehlenden sexuellen Verlangen ihrerseits resultiert, sondern aus einer schlechten und zu bekämpfenden Unterdrückung ihrer eigenen natürlichen sexuellen Wünsche. Kurz gesagt, es handle sich um Prüderie oder Frigidität. Folglich hat »die freudsche Theorie die ideologische Funktion, die Ablehnung der Frau angesichts der männlichen sexuellen Aggression zu delegitimieren«.42 Die Ablehnung erscheint als eine Form des falschen Bewusstseins der Frau, die glaubt, dass sie nicht will, während sie in Wirklichkeit will, und erlaubt die Rückkehr zu der rousseauschen Hypothese, nach der eine Frau »nein« sagt, um »ja« zu sagen.
Die Ent-Unterdrückungshypothese hat somit zur Folge, dass die Gültigkeit der Ablehnung der Frau in Frage gestellt wird, was für ihre Fähigkeit zur Zustimmung eine schwere Hypothek ist: Wenn die Ablehnung als Zustimmung interpretiert werden kann, gibt es für die tatsächliche Zustimmung keinen Platz mehr. Und die Vorstellung, dass eine Frau, die einen Übergriff ablehnt, diesen nicht ablehnt, sondern in Wirklichkeit begehrt, hat zur Folge, dass die Grenze zwischen (einvernehmlichem) Sex und Übergriff verschwindet.43
Auch wenn die notwendigen Voraussetzungen, damit die Frauen dem Geschlechtsverkehr zustimmen können, durch die Hypothese von der Ent-Unterdrückung gefährdet sind, ist der Anschein der Zustimmung in der Pornographie dennoch notwendig, da er die Realität der Gewalt zu verschleiern erlaubt. So argumentiert MacKinnon:
Der Anschein der Wahl oder Zustimmung und ihre Zuschreibung zu einer inhärenten Natur sind entscheidend, um die Realität der Gewalt zu verschleiern. Die Liebe der Frauen zur Verletzung, die auch als weiblicher Masochismus oder Zustimmung bezeichnet wird, definiert die weibliche Sexualität und legitimiert so dieses politische System, indem die Gewalt, auf der es beruht, verschleiert wird.44
Ihr zufolge hat die Zustimmung die gleiche Funktion wie der Mythos vom weiblichen Masochismus:45 In dem einen wie in dem anderen Fall geht es darum, glauben zu machen, dass die von den Frauen erlittene Gewalt keine wirkliche Gewalt ist, sondern im Gegenteil aus der Sicht dieser Frauen wie der Frauen überhaupt das ist, was ihnen Lust bereitet (Masochismus) oder was sie wählen (Zustimmung). Diese von MacKinnon hergestellte Verbindung verstärkt die Vorstellung von einer Identität der Unterwerfung in all ihren Formen: Nicht nur ist die sexuelle Unterwerfung im Wesentlichen dasselbe wie die soziale Unterwerfung, sondern auch der Masochismus, verstanden als psychisches Verlangen nach Unterwerfung, hängt mit derselben Logik zusammen. Auf alle Fälle geht es darum, die Frauen so darzustellen, wie die Männer sie 195sich wünschen, und sicherzustellen, dass sie sich dieser Darstellung anpassen.
Indem MacKinnon zeigt, dass die Zustimmung in der Pornographie ein Werkzeug im Dienste der Gewalt von Männern gegen Frauen ist, ebnet sie den Weg für eine Kritik des juristischen Konzepts der Zustimmung. Sie beginnt mit einem Hinweis auf die Schwäche des Konzepts: »Die ›Einwilligung‹ ist angeblich die entscheidende Trennlinie zwischen Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr, doch das rechtliche Kriterium, das sie definiert, ist so passiv, so kulant, dass eine Frau tot sein und ihm zufolge eingewilligt haben kann.«46 Als dieser Artikel verfasst wurde, bewertete das US-amerikanische Recht das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Einwilligung anhand des Kriteriums des Ausdrucks der Ablehnung.47 Der Geschlechtsverkehr mit einer toten Frau hätte somit als einvernehmlicher Sex betrachtet werden können.48 MacKinnon will nicht nur sagen, dass das Modell der Zustimmung als Ablehnung (»no means no«) unzureichend ist, sondern sie will auch die ideologische Dimension dieses juristischen Konzepts ans Licht bringen.
MacKinnon zufolge besteht das Problem der traditionellen rechtlichen Perspektive, die auf die Gleichheit der Geschlechter ausgerichtet ist, darin, von einer Gleichheit zwischen den Individuen auszugehen, obwohl diese Individuen in einer Gesellschaft leben, in der sie nicht gleich sind und in der vor allem die Männer die Macht über die Frauen haben. Die soziale Ungleichheit wirkt sich nun 196aber auf die Art und Weise aus, wie die Einzelnen ihre Entscheidungen treffen, welche Entscheidungen sie beispielsweise glauben, treffen zu können oder nicht treffen zu können. Wenn man diese soziale Ungleichheit nicht berücksichtigt, »kann die Interaktion zwischen A und B gegen kein Gesetz verstoßen, selbst wenn B sagt, dass A sie im engeren Sinne vergewaltigt (rape) oder auf andere Weise verletzt hat (violate)«.49 In diesem Rahmen
erweist sich die Zustimmung als ein an sich ungleiches Konzept, sei es im alltäglichen Leben, in der Philosophie, in der Geschichte oder in der Rechtspraxis, sowie als ein auf der rechtlichen Ebene wenig praktisches Instrument, um in einem Kontext sexueller Ungleichheit sexuelle Gleichheit anzustreben.50
Um dies festzustellen, hebt MacKinnon den Kontrast hervor zwischen der interindividuellen Beziehung, die in der gängigen Definition der Zustimmung enthalten ist – A erklärt freiwillig sein Einverständnis mit einem Vorschlag von B – und der Beziehung, die in der rechtlichen Definition der Zustimmung als Abwesenheit von Ablehnung enthalten ist. Erstens wird die rechtliche Definition der sexuellen Zustimmung von den stereotypen Vorstellungen von einer eroberungslustigen Männlichkeit und einer passiven Weiblichkeit strukturiert. Die Zustimmung wird als passives Einverständnis der Frau mit den sexuellen Annäherungsversuchen des Mannes verstanden. MacKinnon zufolge tut die traditionelle Rechtstheorie so, als sei diese Definition der Zustimmung neutral, obwohl sie auf der Geschlechterdifferenz beruht, die ihrerseits von der Herrschaft der Männer strukturiert ist. Die rechtliche Definition der Zustimmung wird von dem Schema Herr197schaft/Unterwerfung strukturiert, das zur Aktivität der Männer und zur Passivität der Frauen führt.51
Zweitens verschwindet in der Beziehung, die das juristische Konzept der Zustimmung beschreibt,52 die freiwillige Dimension der Einwilligung. Die Zustimmung wird als Einwilligung zu etwas betrachtet, was ein anderer oder andere tun, also als Reaktion einer Person, mit der man etwas macht. Freilich wird die Zustimmung weiter als Ausdruck eines Willens angesehen und bleibt insofern freiwillig. Doch interessiert sich, wie MacKinnon zeigt, das Recht nicht für das, was die Zustimmung motiviert, für das, was diese Zustimmung freiwillig macht. In einem Kontext, in dem die Männer strukturell die Macht über die Frauen haben, ist die Tatsache, dass eine Frau ihre Einwilligung zu einer Handlung an ihrem Körper gibt, die sie nicht initiiert hat, nun aber keine Garantie dafür, dass diese Einwilligung freiwillig im Sinne einer frei gewollten Entscheidung des Handelnden ist. In diesem Rahmen
erweist sich die tiefere Logik der Zustimmung für die Frauen im sexuellen Bereich als eine Gleichsetzung der Anpassung an die Ungleichheit mit Freiheit. Rigoroser formuliert, setzt sie die Anpassung an die Ungleichheit mit einem dem Kriterium der Zustimmung gehorchenden nicht kriminellen Geschlechtsverkehr gleich.53
Die Zustimmung erscheint somit als ein juristisches Instrument, das, anstatt davon auszugehen, dass ein nicht krimineller Geschlechtsverkehr ein Geschlechtsverkehr ist, an dem sich die Frau aktiv und freiwillig beteiligt, voraussetzt, dass der standardmäßige Geschlechtsverkehr der vom Mann initiierte ist, in den die Frau einwilligt oder sich vielleicht damit abfindet, ohne die Bedingungen 198zu berücksichtigen, die dieses Sichabfinden begründen. In dieser Hinsicht erfüllt dieses Instrument nicht nur nicht seine Funktion einer Trennlinie zwischen Geschlechtsverkehr und Vergewaltigung, sondern vermittelt auch eine Vorstellung von der Sexualität, die von der männlichen Herrschaft strukturiert ist.
In MacKinnons Kritik des juristischen Konzepts der Zustimmung als unfähig, nach den Grundlagen der Einwilligung der Frau zu fragen, kommt ein entscheidendes Element ihrer Vorstellung von Macht zum Vorschein: Die männliche Herrschaft hat nicht nur soziale, politische und sexuelle Folgen, sondern auch psychische Folgen, insbesondere für die Frauen, was bereits in den Arbeiten von Nicole-Claude Mathieu zu sehen war. Die psychische Dimension der männlichen Herrschaft erklärt, dass Frauen ihre Zustimmung geben, ohne dass diese Zustimmung ihrerseits eine echte Freiheit ausdrückt. Gemäß MacKinnon hat die männliche Herrschaft unbestreitbare praktische Folgen, welche die Frauen in eine materielle Abhängigkeit von den Männern bringen. Die Einzigartigkeit der männlichen Herrschaft und das, was dazu führt, dass die marxistische Analyse nicht reichen kann, um sie zu analysieren, ist jedoch in der Art und Weise begründet, wie sie Frauen in eine psychische Entfremdung einbettet, die einen Widerstand nahezu unmöglich macht.
Wie Estelle Ferrarese in ihrer Analyse der Grammatik der Zustimmung zeigt, entspringt der normative Gehalt des liberalen Konzepts der Zustimmung der normativen Äquivalenz, die zwischen Freiheit und Zustimmung postu199liert wird,54 und der Vorstellung, dass die Zustimmung die Gleichheit der Individuen ausdrückt und bezeugt. Das Vorhandensein der Zustimmung gilt somit als Ausdruck der Freiheit und Gleichheit der Individuen. Doch genau diese Hypothesen zur Zustimmung, mehr als die Möglichkeit der Zustimmung selbst, kritisiert MacKinnon. Die Untersuchung der männlichen Herrschaft als soziale Struktur – hinsichtlich dieser Struktur und nicht hinsichtlich der Individuen – erlaubt zu begreifen, dass die Wahl der Individuen nicht das Produkt einer hypothetischen Freiheit ist, die alle in gleicher Weise haben, sondern das Produkt der sozialen Struktur der männlichen Herrschaft. Die männliche Herrschaft lässt die Hypothese von der Gleichheit und natürlichen Freiheit, auf der die individualistische Perspektive des Liberalismus beruht, als eine Illusion erscheinen, die aus den epistemologischen Konsequenzen der männlichen Herrschaft hervorgeht. Erstens: Da die Macht der Männer ihnen erlaubt, ihre Wünsche und Werte als neutral und objektiv darzustellen, und da die Männer ein Interesse daran haben, dass die Unterwerfung der Frauen als Frucht ihrer Wahl erscheint, ist es logisch, dass eine scheinbar neutrale und universelle Hypothese gestattet, den Frauen die Verantwortung für ihre Unterwerfung zuzuschreiben. Zweitens: Da die Macht der Männer auf einer epistemischen Norm beruht, die darin besteht, die Regularitäten der aktuellen Welt als Indizien für die Natur der Dinge anzusehen,55 kann die Entscheidung der Frauen für die Unterwerfung als Zeichen für die unterwürfige Natur der Frauen interpretiert werden und erlaubt so eine Verstärkung der sexuellen Differenz im Namen des männlichen Sinns für Freiheit, der von den Frauen nicht geteilt wird.
Es ist daher unmöglich, die Agentivität der Frauen 200unter dem Gesichtspunkt individueller Entscheidungen zu denken, welche die Frauen unabhängig voneinander und unabhängig von der sozialen Struktur treffen und mit denen sie ihre Freiheit zum Ausdruck bringen würden. Die Wahl der Frauen erfolgt immer im Kontext der strukturellen Herrschaft der Männer, und diese strukturelle Herrschaft ist so beschaffen, dass sie weder in ihren Handlungen noch in ihren Gedanken frei sind. MacKinnon unterstreicht, dass es falsch ist, die Agentivität der Frauen zu denken, indem man ihre Sexualität mit der schwarzen amerikanischen Kultur vergleicht, ohne dabei die männliche Herrschaft zu berücksichtigen:
Die weibliche Sexualität als Ausdruck der weiblichen Agentivität und Autonomie zu interpretieren ist immer diffamierend, absonderlich und reduktionistisch, so als ob es keinen Sexismus gäbe, was damit vergleichbar wäre, die schwarze Kultur so zu interpretieren, als ob es keinen Rassismus gäbe.56
Die Wahlmöglichkeiten der Frauen außerhalb der männlichen Herrschaft zu denken, ist eine Illusion – die von der männlichen Herrschaft selbst wachgehalten wird –, derzufolge es eine präexistente und immer schon vorhandene menschliche Natur und eine sexuelle Differenz gibt, die nichts mit der männlichen Herrschaft zu tun hat.