1Ruwen Ogien, Penser la pornographie, Paris, PUF, 2003, und L’Éthique aujourd’hui: maximalistes et minimalistes, Paris, Gallimard, 2007.
2Ruwen Ogien, »L’incohérence des critiques des morales du consentement«, Cahiers de recherche sociologique, Bd. 43, 2007, S. 133-140, S. 137.
3Die Bedeutung des Wortes »Puritanismus« ist selbst interessant, um die spezifisch französische Ablehnung einer vermeintlichen Amerikanisierung der Sitten zu verstehen: Historisch gesehen, werden als Puritaner Teile der englischen Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts bezeichnet, die versuchten, die Kirche von England von ihren katholischen Praktiken zu reinigen und sie insbesondere den calvinistischen Geboten anzunähern. Ein Teil dieser Puritaner war an der britischen Kolonisierung Neuenglands beteiligt, vor allem zwischen 1629 und 1640, wo sie dazu beitrugen, die spätere Kultur der Vereinigten Staaten hinsichtlich Bildung und Sitten zu prägen. Zwar haben mehrere Theologen und Historiker gezeigt, dass die Puritaner in Bezug auf die Sexualmoral insgesamt weniger streng waren als viele andere religiöse Gruppen der damaligen Zeit (die Puritaner betonten zum Beispiel sehr stark, dass Sex ein Geschenk Gottes sei, dessen Freuden in der Ehe kultiviert werden müssten), ihre entscheidende Rolle in der amerikanischen Prohibition trug jedoch dazu bei, die teilweise falsche Vorstellung von einem Puritanismus aufkommen zu lassen, der von Mäßigung, Genusslosigkeit und der Bekämpfung des Hedonismus besessen war, was zu der allgemeinen Bedeutung von »Puritanismus« als moralischem Rigorismus führte. Weiter gefasst wurde dieser Puritanismus zu einer der Hauptachsen einer gewissen antiamerikanischen Stimmung in Frankreich, die man zum Beispiel bei Céline feststellen kann, wenn er 1932 in der Reise ans Ende der Nacht schreibt: »Der angelsäch297sische Puritanismus macht uns mit jedem Monat saftloser und hat die umstandslosen Hinterzimmervergnügungen so gut wie ausgerottet.« Die Vorstellung, dass die französischen »umstandslosen Vergnügungen« durch den angelsächsischen Puritanismus bedroht sind, ist mindestens neunzig Jahre alt, was erlaubt, an der Realität der betreffenden Bedrohung zu zweifeln. Zur Geschichte des Puritanismus siehe zum Beispiel Francis Bremer, Puritanism: A Very Short Introduction, Oxford, Oxford University Press, 2009, oder Denis Lacorne, De la religion en Amérique: Essai d’histoire politique, Paris, Folio Essais, 2007.
4Georges Vigarello, Histoire du viol, XVIe-XXe siècle, Paris, Gallimard, 1998.
5In dieser Hinsicht kann man die Frage, die uns beschäftigt, entlang der beiden Achsen »negative Freiheit« und »positive Freiheit« denken, die Isaiah Berlin in seinem berühmten Artikel »Zwei Freiheitsbegriffe« vorschlägt, in Isaiah Berlin, Freiheit. Vier Versuche, übers. v. Reinhard Kaiser, Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, 1995. Wir erwarten von der Zustimmung, dass sie unsere Freiheit garantiert, nicht nur nicht zu ungewollten sexuellen Beziehungen gezwungen zu werden, sondern auch uns über den Sex positiv zu entfalten.
6Renee Bolinger, »Moral Risk and Communicating Consent«, Philosophy and Public Affairs, Bd. 47, 2019, S. 179-207, S. 180.
7John Stuart Mill, Über die Freiheit, vollst. überarb. Übers. v. Else Wentscher, Leipzig u. Weimar, Gustav Kiepenheuer Verlag, 1991, S. 11.
8Freiheit als das zu verstehen, was »in der Stille des Gesetzes« fortbesteht, war zum Beispiel Hobbes’ Freiheitslehre.
9Siehe Über die Freiheit, op. cit., 3. Kap., S. 85ff.
10Ebd., S. 87.
11Während dieser Begriff wörtlich mit dem Prinzip der »Nichtschädigung« anderer übersetzt werden kann – und auch übersetzt wurde –, scheint der Begriff der Schädigung zu schwach zu sein, um alle Fälle von harm, das heißt eines Schadens, der jemandem zugefügt werden kann, abdecken zu können.
12Ebd., S. 17f.
13Ebd., S. 20f.
14Diese Unterscheidung ist wichtig, um die Stichhaltigkeit des liberalen Rahmens zu beurteilen, die Zustimmung zu denken.
15John Stuart Mill, Über die Freiheit, op. cit., S. 20. Die genaue Formulierung in Englisch lautet: »only with their free, voluntary, and undeceived consent and participation«.
16Hier wird »undeceived« mangels einer besseren Übersetzung mit 298»nicht erzwungen« übersetzt. Für Mill geht es aber weniger darum, positiv eine erzwungene Zustimmung zu bewerten, als darum, die Fälle auszuschließen, bei denen die Zustimmung durch Täuschung oder Lüge erlangt wurde.
17Man kann in der Tat behaupten, dass eine Zustimmung, die nicht frei, freiwillig und informiert ist, nicht als wirkliche Zustimmung angesehen werden kann, da:
–die Zustimmung zu A, wenn man glaubt, zu B zuzustimmen, weil man über den Gegenstand seiner Zustimmung getäuscht wurde, nicht als tatsächliche Zustimmung zu A angesehen werden kann;
–die Zustimmung als Ausdruck des freien Willens desjenigen betrachtet wird, der sie erteilt, weshalb sie keine Zustimmung im vollen Sinne darstellen kann, wenn sie nicht frei und freiwillig ist.
18Jeremy Bentham, Essai sur la pédérastie (1785), frz. Übers. v. J.C. Bouyard des von L. Crompton herausgegebenen Textes, Lille, Questions de genre/GKC, 2002.
19Es ist schwierig, diese Begriffe im Rahmen der kantischen Philosophie zu verwenden, da Kant sie zwar auch gebraucht, doch in einem Sinn, der weit vom gewöhnlichen Sprachgebrauch entfernt ist. Wenn man Kants Vokabular verwendet, bemüht sich Kant genau darum, die formale und nicht substanzielle Dimension der Moral zu beleuchten, das heißt die Form des Sittengesetzes unabhängig von den Zielen, die die Handlung verfolgen kann, doch schlägt er dabei ein substanzielles – im alltäglichen Sinne – Moralverständnis vor, da das Sittengesetz einen Wortlaut und einen Inhalt hat.
20Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in Werkausgabe, hrsg.v. Wilhelm Weischedel, Bd. VII, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 1974, S. 21.
21Ebd., S. 23.
22Ebd., S. 51.
23Ebd., S. 59f.
24Ebd., S. 74.
25Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, übers. v. Hermann Denhardt u. Werner Bahner, Frankfurt am Main, Röderberg-Verlag, 1984, I, 8.
26»Der Wille ist eine Art von Kausalität lebender Wesen, so fern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Kausalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann.« Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 81.
27Noch einmal: Es ist klar, dass gemäß Kant die Moral, um die es hier geht, formal ist, weil der kategorische Imperativ eine Maxime (also 299eine Form) und kein Inhalt ist. Dennoch kann sie im Gegensatz zum Formalismus Mills in dem Sinne als substanziell angesehen werden, als die äußere formale Qualität einer Handlung nicht ausreicht, um ihre Moralität zu begründen.
28Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, op. cit., S. 61.
29Siehe vor allem Martha Nussbaum, »Objectification«, Philosophy and Public Affairs, Bd. 24, 1995, S. 249-291, u. Barbara Herman, »Could It Be Worth Thinking About Kant on Sex and Marriage?«, in Louise Antony u. Charlotte Witt (Hg.), A Mind of One’s Own, Boulder, Westview Press, 1993, S. 53-72.
30Onora O’Neill, »Between Consenting Adults«, Philosophy and Public Affairs, Bd. 14, 1985, S. 252-277.
31Ebd.
32Ebd.
33Wie Michaela Marzano zeigt, sind die Auffassungen von Mill und Kant nicht notwendig ein Gegensatz, jedoch hat die Art und Weise, wie sie jeweils verwendet wurden, insbesondere im Bereich der Sexualethik, zu zwei unterschiedlichen Verständnissen der sexuellen Zustimmung geführt. Siehe Michaela Marzano, Je consens, donc je suis: Éthique de l’autonomie, Paris, PUF, 2006, S. 68-70.