1Es versteht sich von selbst, dass BDSM wie jede Praxis und Subkultur vielfältig ist und dass man zweifellos verschiedene Arten von BDSM identifizieren kann. Wir beziehen uns hier auf BDSM, wie es von den Kommentatoren und Kommentatorinnen in der zeitgenössischen philosophischen, juristischen und soziologischen Literatur dargestellt und analysiert wird, wie zum Beispiel von Darren Langdridge und Meg Barker (Hg.), Safe, Sane and Consensual: Contemporary Perspectives on Sadomasochism, Basingstoke, UK, Palgrave MacMillan, 2007; Lynda Hart, Between the body and the flesh: performing sadomasochism, New York, Columbia University Press, 1998; Anne McClintock, »Maid to Order: Commercial Fetishism and Gender Power«, Social Text, Nr. 37, Winter 1993, S. 87-116; Damien Lagauzère, Le Masochisme. Du sadomasochisme au sacré, Paris, L’Harmattan, 2010.
2»Subkultur« wird hier im soziologischen Sinne verwendet. Für eine detaillierte Geschichte der Entstehung des BDSM als Subkultur 300siehe Kathy Sisson, »The Cultural Formation of S/M: History and Analysis«, in Darren Langdridge u. Meg Barker (Hg.), Safe, Sane and Consensual, op. cit., S. 10-34.
3Ich beziehe mich hier mit Gewinn auf: Dick Hebidge, Subculture: The Meaning of Style, London, Routledge, 1979; Stuart Hall u. Tony Jefferson, Resistance Through Rituals: Youth Subcultures in Post-War Britain, London, Routledge, 1993.
4Dick Hebidge, Subculture, op. cit.
5Ich denke zum Beispiel an den Film Secretary von Steven Spielberg mit Maggie Gyllenhaal, der 2002 herauskam und der erste Film über BDSM war, der dem breiten Publikum gezeigt wurde (Maggie Gyllenhaal hat für diesen Film sogar den Golden Globe für die beste Komödien-Darstellerin bekommen, was sein breites Publikumsinteresse belegt). Lars von Triers Nymphomaniac von 2013, insbesondere die Bondage-Szene im zweiten Teil, gehört zur gleichen Bestrebung, die Praktiken des BDSM im Autorenkino ins Rampenlicht zu rücken. Das literarische Pendant zu dieser Beliebtheit von BDSM-Darstellungen lässt sich in Frankreich im Erfolg von Catherine Millets La Vie sexuelle de Catherine M. (dt.: Das sexuelle Leben der Catherine M.) erkennen, das 2001 veröffentlicht wurde.
6E.L. James, Fifty Shades of Grey – Geheimes Verlangen, übers. v. Andrea Brandl u. Sonja Hauser, München, Goldmann, 2012; Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebe, übers. v. Andrea Brandl u. Sonja Hauser, München, Goldmann, 2012; Fifty Shades of Grey – Befreite Lust, übers. v. Andrea Brandl u. Sonja Hauser, München, Goldmann, 2018.
7»Anhang I. Zwei Verträge von Sacher-Masoch, in Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz. Mit einer Studie über den Masochismus von Gilles Deleuze, Frankfurt am Main, Insel Verlag, 1980, S. 140-141.
8Laut Jill Weinberg nutzt und eignet sich BDSM die gesetzlichen Regeln neu an, damit diese sowohl als Regulierung wie auch als kulturelles Werkzeug fungieren, das einerseits die Konformität mit der sozialen Ordnung signalisiert und andererseits eine Gruppenidentität und -zugehörigkeit herstellt. Jill Weinberg, Consensual Violence: Sex, Sports, and the Politics of Injury, Oakland, California, University of California Press, 2016, S. 13.
9So werden zum Beispiel der sexuelle Sadismus und Masochismus in der neuesten Fassung des Diagnostic and Statistical Manual of the American Psychiatric Association (DSM-V), dem Standardwerk der amerikanischen Psychiatrie, immer noch als psychiatrische Pa301thologien eingestuft. Allerdings ist eine Veränderung zwischen dem DSM-IV und dem DSM-V zu bemerken: Der sexuelle Sadismus und Masochismus werden von »paraphilia« zu »paraphilic disorder«, und diese Änderung bedeutet, dass sie nicht mehr als direkt pathologisch angesehen werden. Zur Strafbarkeit von BDSM siehe unten.
10Siehe Darren Langdridge u. Meg Barker (Hg.), Safe, Sane and Consensual, op. cit.
11Die Anwälte in den jüngsten Strafverfahren gegen BDSM-Anhänger in den USA berufen sich insbesondere auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs Lawrence v. Texas (2003), das unter Berufung auf das Recht auf ein privates Sexualleben die Entkriminalisierung der Homosexualität erlaubte. Der Gerichtshof stellte nämlich fest, dass ein einvernehmliches sexuelles Verhalten in der Intimsphäre Teil der Freiheit ist, die in den Klauseln zum ordnungsgemäßen Verfahren (Due Process Clauses) des Vierzehnten Verfassungszusatzes garantiert wird. Bisher haben die Gerichte diese Ausweitung mit der Begründung abgelehnt, dass BDSM an sich unter sexuelles Fehlverhalten (»per se sexual misconduct«) fällt. Siehe zum Beispiel: 〈https://www.washingtonpost.com/news/volokh-conspiracy/wp/2016/03/04/no-constitutional-right-to-engage-in-consensual-bdsm-sex/〉.
Das gleiche Argument des Rechts auf Privatleben steht im Mittelpunkt der Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in zwei Fällen, die sadomasochistische Praktiken betreffen: Laskey, Jaggard, Brown c. Royaume-Uni und K.A. et A.D. c. Belgique. Siehe unten.
12Im Bereich des BDSM spricht man in Bezug auf sexuelle Begegnungen von »Spielszenen«, was die theatralische Dimension dieser Praktiken unterstreicht.
13Im Internet findet man sehr leicht Musterverträge und vorformulierte Verträge, die eine Vorstellung von einem Standardvertrag vermitteln. Siehe zum Beispiel 〈https://bdsmcontracts.org〉, 〈http://badgirlsbible.com/bdsm-contract〉, 〈www.xoobs.com/MasterContract.pdf〉.
14Um die Gesundheit des Unterworfenen zu gewährleisten, ist es üblich, als Grenze auf jeden Fall jede Praxis einzubeziehen, die eine dauerhafte körperliche Spur hinterlässt oder mittel- oder langfristig schädliche Folgen für die Gesundheit haben könnte. Für weitere Einzelheiten sei zum Beispiel auf die Interviews von Catherine Robbe-Grillet auf France Culture verwiesen: 〈https://www.radiofrance.fr/franceculture/podcasts/serie-catherine-robbe-grillet-la-singuliere〉.
302Es ist nämlich üblich, zwei verschiedene safe words zu verwenden, die als »orange« und »rot« bezeichnet werden: Das orange safe word bedeutet, dass die spezielle Praxis, die gerade stattfindet, der Person nicht genehm ist, das rote safe word bedeutet, dass die Person möchte, dass die gesamte Spielszene sofort beendet wird.
16Man kann beim BDSM zwei Arten von Verträgen unterscheiden, die sich aus der Ambiguität des eigentlichen Stellenwerts von Sex bei diesen Praktiken erklären: Denn man kann zwischen einem voll sexuellen BDSM unterscheiden, das sich um kodifizierte sexuelle Praktiken herum organisiert (Bondage, Sadomasochismus etc.) und einem BDSM, bei dem es direkter um erotisierte Machtverhältnisse geht – das ist der Fall bei den sogenannten Dominanz-Unterwerfungs-Beziehungen, bei denen es nicht in erster Linie um sexuelle Spiele geht, sondern um die dauerhafte Begründung einer ungleichen Machtbeziehung. Diese beiden Arten von Praktiken können sich überlagern, doch führen sie zu zwei Arten von Verträgen: Im ersten Fall unterzeichnen die Protagonisten in der Regel für jede neue Spielszene einen Vertrag, während im zweiten Fall der Vertrag für eine längere Dauer unterzeichnet wird, die mehrere Jahre umfassen kann. Der zweite Fall bringt besondere Schwierigkeiten mit sich, auf die ich zurückkommen werde.
17Man kann auf die ethnologische Arbeit von Jill Weinberg verweisen, die eine Reihe von Merkmalen aufzeigt, die für Verhandlungen im BDSM typisch sind: Sie können langwierig sein, sie werden häufig und insbesondere bei Anfängern von anderen, erfahreneren Praktizierenden betreut, sie finden bei demselben Paar oft mehrmals statt. Consensual Violence, op. cit., 2016, S. 54-61.
18Ich erinnere hier an die im ersten Kapitel getroffene Unterscheidung: Man spricht von positiver Zustimmung, wenn die Zustimmung im juristischen Sinne einer »Übereinkunft von zwei oder mehreren Willen zur Schaffung von Rechtswirkungen« verstanden wird (Cornu, Vocabulaire juridique, op. cit., S. 215). Aufgrund des Sieges des Konsensualismus über den Formalismus im französischen Recht werden im Vertragsrecht durch den Grundsatz des »Konsensualismus« (Code civil, früherer Artikel 1108, Artikel 1128 des neuen Code) alle Anforderungen an die Form des Willensausdrucks fallengelassen: Sobald zwei Zustimmungen vorliegen, gilt der Vertrag nach französischem Recht als zustande gekommen. Die Zustimmung kann formalisiert sein (zum Beispiel bei der Unterzeichnung eines Mietvertrags), aber die Zustimmung kann auch nur sprachlich ausgedrückt werden (zum Beispiel bei der Änderung eines Vertrags per Telefon) oder sogar einfach stillschweigend erfol303gen (zum Beispiel wenn ich ein Taxi anhalte und einsteige). All diese Fälle sind Ausdrucksformen der Zustimmung, die, sobald sie auf die Zustimmung eines anderen treffen, für das Zustandekommen eines Vertrags ausreichen. Im Weiteren kann man dann von Zustimmung in einem erweiterten Sinne oder von passiver Zustimmung sprechen, um die einfache Zustimmung eines Individuums zu einem Vorschlag zu bezeichnen, den man ihm macht.
19Ich werde in den folgenden Kapiteln auf die Debatten zwischen diesen beiden Konzeptionen der sexuellen Zustimmung zurückkommen.
20D.J. Williams et al., »From »SSC« and »RACK« to the »4Cs«: Introducing a New Framework for Negotiating BDSM Participation«, Electronic Journal of Human Sexuality, Bd. 17, 2014, 〈www.ejhs.org/volume17/BDSM.html〉.
21Pierre-Yves Quiviger, »Du droit au consentement. Sur quelques figures contemporaines du paternalisme, des sadomasochistes aux Témoins de Jéhovah«, Raisons politiques, Bd. 2, Nr. 46, 2012, S. 79-94.
22Ebd., S. 82.
23Siehe zu diesem Punkt zum Beispiel Roberto Mangabeira Unger, »The Critical Legal Studies Movement«, Harvard Law Review, Bd. 96, Nr. 3, 1983, S. 561-676, vor allem S. 622-624; Elizabeth F. Emens, »Compulsory Sexuality«, Stanford Law Review, Bd. 66, Nr. 2, Februar 2014, S. 303-385, S. 356.
Allgemeiner zum Verhältnis von Recht und BDSM im amerikanischen Recht: Margo Kaplan, »Sex Positive Law«, New York University Law Review, Bd. 89, Nr. 1, April 2014, S. 89-164; Devin Meepos, »50 Shades of Consent: Re-Defining the Law’s Treatment of Sadomasochism«, Southwestern Law Review, Bd. 43, Nr. 1, Herbst 2013, S. 97-120.
24Die betreffenden Fälle sind: Commonwealth v. Appleby, 1980; Govan v. State, 2009; People v. Febrissy, 2006; People v. Samuels, 1967; State v. Collier, 1985; State v. Van, 2004.
25Brooke Willig, »Non Binding Bondage«, Harvard Law Review, Bd. 128, Nr. 2, Dezember 2014, S. 713-734.
26Die einzige Verfolgung erfolgt durch Staaten aufgrund der Rechtswidrigkeit von Handlungen, die als kriminell gelten, oder aufgrund von Folter.
27Lawrence v. Texas, 26. Juni 2003. Das Urteil wurde übersetzt und kommentiert in Elizabeth Zoller, Les Grands Arrêts de la Cour suprême des États-Unis, Paris, Dalloz, 2010, S. 809-824. Eine detaillierte Analyse dieses Urteils findet sich bei Laurence Tribe, »Lawrence 304v. Texas: the »Fundamental Right« That Dare Not Speak Its Name«, Harvard Law Review, Bd. 117, Nr. 6, April 2004, S. 1893-1955.
28Zur rechtlichen Dimension des Vergleichs von BDSM und Sport siehe Vera Bergelson, »The Right to Be Hurt: Testing the Boundaries of Consent«, George Washington Law Review, Bd. 75, Nr. 2, Februar 2007, S. 165-236; Cheryl Hanna, »Sex Is Not a Sport: Consent and Violence in Criminal Law«, Boston College Law Review, Bd. 42, Nr. 2, März 2007, S. 239-290; Margo Kaplan, »Sex Positive Law«, op. cit., insbesondere S. 115-141.
29Jill Weinberg, Consensual Violence, op. cit.
30MMA ist ein Akronym für »Mixed Martial Arts«; es handelt sich um einen Kampfsport, der zahlreiche Kampfkünste mischt und bei dem die Kämpfe in der Regel in einem Käfig stattfinden. MMA war in Frankreich aufgrund der Gewalttätigkeit der Kämpfe lange Zeit für Wettkämpfe verboten, wurde aber 2020 legalisiert.
31Auch wenn man sich vorstellen kann, dass das Würgen eines durch den Kampf bereits verletzten Boxers ein größeres Risiko birgt als das sadomasochistische Würgen.
32Siehe z.B. Everett J. Lehman, Misty J. Hein, Sherry L. Baron, Christine M. Gersic, »Neurodegenerative Causes of Death Among Retired National Football League Players«, Neurology, Bd. 79, Nr. 19, November 2012, S. 1970-1974, wo festgestellt wird, dass Profifußballer neben anderen Risiken ein dreimal höheres Risiko haben, an einer neurodegenerativen Krankheit zu sterben, als die allgemeine Bevölkerung.
33Das Recht auf Menschenwürde taucht im internationalen Recht in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 auf, wo es von den anderen Rechten unterschieden wird: »Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet«. Im französischen Recht findet sie sich seit einem der 1994 verabschiedeten »Bioethik-Gesetze« in Artikel 16: »Das Gesetz gewährleistet den Vorrang der Person, verbietet jede Verletzung ihrer Würde und garantiert die Achtung des Menschen von Anbeginn seines Lebens.« 1994 verlieh der Verfassungsrat dem Schutz der Menschenwürde Verfassungsrang: »Der Schutz der Würde der menschlichen Person gegen jede Form von Unterwerfung und Entwürdigung ist ein Grundsatz mit Verfassungsrang« (Entscheidung Nr. 94-343/344 DC vom 27. Juli 1994). Im europäischen Recht ist sie im 1. Kapitel der im Jahr 2000 proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert.
305Für eine Darlegung der Streitpunkte dieser Diskussion auf der rechtlichen Ebene und ihre Verbindungen mit der Zustimmung kann man auf die Nummer 28 der Zeitschrift Droits rekurrieren, die 2008 dieser Frage gewidmet wurde.
35Siehe Michaela Marzano, Je consens, donc je suis …, op. cit.
36Der Conseil d’État, dt.: Staatsrat, ist das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs, Anm. d. Übers.
37Für eine philosophische Analyse dieser Entscheidung siehe Pierre-Yves Quiviger, »L’inquiétante protection de la dignité humaine«, Klesis, Nr. 21, 2011 (〈www.revue-klesis.org/pdf/Klesis-Philosophie-analytique-du-droit-1-Quiviger.pdf〉); Olivier Cayla, »Jeux de nains, jeux de vilains«, in Gilles Lebreton (Hg.), Les Droits fondamentaux de la personne humaine en 1995 et 1996, Paris, L’Harmattan, 1998, S. 149-164; Antonin Sopena, »La dignité à l’épreuve du sadomaso-chisme, et inversement«, Vacarme, Nr. 51, 2010, 〈www.vacarme.org/article1887.html#nh5〉.
38Pierre-Yves Quiviger, »L’inquiétante protection de la dignité humaine«, op. cit, S. 6.
39Nichts im Gesetz oder in der Rechtsprechung verbietet nämlich ähnliche Praktiken, bei denen keine kleinwüchsigen Personen im Mittelpunkt stehen würden.
40EGMR, Affaire Laskey et autres c. Royaume-Uni, 19. Februar 1997, Nr. 21627/93; 21628/93; 21974/93, §8, S. 3.
41Ebd., §15, S. 4.
42»1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. 2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.« Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 〈https://www.echr.coe.int/documents/convention_deu.pdf〉.
43Ebd., S. 11-12.
44Pretty c. Royaume-Uni, Urteil vom 29. April 2002, §66, zit. in K.A. et A.D. c. Belgique, Urteil vom 17. Februar 2005, Nr. 42758/98 und Nr. 45558/99, §83, S. 23.
45Das Gericht beschreibt sehr gewalttätige Handlungen, die unter anderem dazu führen, dass das Opfer das Bewusstsein verliert, und die dauerhafte Spuren hinterlassen (es wird mit glühendem Eisen gebrandmarkt), und fährt fort: »15. Das Berufungsgericht stellte 306auch fest, dass die Angeklagten mehrmals einfach ignorierten, dass das Opfer »Erbarmen!« schrie, das Wort, mit dem zwischen den Beteiligten vereinbart worden sein soll, dass das Opfer die laufenden Operationen sofort beenden konnte. […] Als sie vor Schmerzen schrie und weinend »Erbarmen!« rief, machten die Angeklagten mit ihr weiter [graphische Darstellung der Misshandlungen]. 16. Auch wenn diese Taten außer einigen Narben keine bleibenden Folgeschäden hinterließen, waren sie nach Ansicht des Berufungsgerichts aufgrund der bei dieser Gelegenheit angewandten Gewalt sowie der dem Opfer zugefügten Schmerzen, Ängste und Erniedrigungen von besonderer Schwere und geeignet, ernsthafte Verletzungen und Verwundungen zu verursachen. 17. Das Berufungsgericht stellte außerdem fest, dass die Beschwerdeführer bei ihrem Liebesspiel entgegen der Norm in diesem Bereich immer große Mengen Alkohol tranken, was sie schnell die Kontrolle über die Situation verlieren ließ.«
46Ebd., S. 23
47Muriel Fabre-Magnan, »Le sadisme n’est pas un droit de l’homme«, Recueil Dalloz, 2005, S. 2973-2981. Da in der elektronischen Version des Artikels keine Seitenzahlen angegeben sind, können die genauen Seiten, auf denen sich die Zitate befinden, nicht genannt werden.
48Für eine moderatere Analyse dieser Entscheidung, in der die Übernahme dieser Rechtsprechung in das französische Recht abgelehnt wird, ohne darin eine Verletzung der Menschenrechte zu sehen, wird mit Gewinn auf Xavier Pin verwiesen, »Le consentement à la lésion de soi-même en droit pénal: Vers la reconnaissance d’un fait justificatif?«, Droits, 2009/1, Nr. 49, S. 83-106.
49Wenn man der »persönlichen Autonomie« einige Grenzen setzen muss, dann nicht im Namen der Moral«, schreibt sie. Ich beschränke mich hier darauf, ihre Argumente zusammenzufassen, die für das Verständnis der Debatte über die Zustimmung hilfreich sind, ohne inhaltlich Stellung zu nehmen.
50M. Fabre-Magnan: »Le sadisme n’est pas un droit de l’homme«, op. cit.
51Der sogenannte Fall des Kannibalen von Rotenburg spielte sich 2001 in Deutschland ab. Armin Meiwes hatte online Kleinanzeigen geschaltet, in denen er seinen Wunsch äußerte, einen Mann zu finden, der damit einverstanden ist, gegessen zu werden. Nach einer positiven Antwort ermordete und verspeiste er eine Person mit deren Einverständnis. Dieser Fall, der damals ein enormes Aufsehen erregte, ist ein paradigmatisches Beispiel für die Unmöglichkeit eines auf Zustimmung basierenden Strafrechts. Siehe Alicia-Dorothy Mornington, »Kann man in alles einwilligen? L’Allemagne face à 307un cas de cannibalisme consentié«, in Manon Garcia, Julie Mazaleigue-Labaste u. Alicia-Dorothy Mornington (Hg.), Envers et revers du consentement: La sexualité, la famille et le corps, entre consentement, contraintes et autonomie, Paris, Mare et Martin, 2021.
52Für eine Analyse der Zusammenhänge von Strafjustiz und Liberalismus wird Bezug genommen auf die Dissertation von Raphaëlle Théry, Libéralisme pénal. Principes, contradictions et enjeux d’une institution non idéale, op. cit.
53Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Artikel 8.
54Dies ist der Hauptgrund für die Änderung der Rechtsprechung, da es bis dahin als unmöglich galt, der Körperverletzung oder einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung zuzustimmen.
55Es sei hier daran erinnert, dass das Strafrecht die Einreichung oder Nicht-Einreichung einer Anzeige nicht als konstitutiven Bestandteil einer Straftat ansieht. Im vorliegenden Fall könnte die Nichteinreichung einer Anzeige jedoch möglicherweise ein Indiz für die Zustimmung der Frau und somit ein Hindernis für die Erfüllung des Straftatbestands darstellen. In diesem Sinne könnte die Nicht-Anzeige dazu beitragen, eine Zustimmung festzustellen, die nicht rechtfertigend wäre, sondern »die Straftat ausschließen« würde. Xavier Pin, »Le consentement à la lésion de soi-même en droit pénal: Vers la reconnaissance d’un fait justificatif?«, op. cit., S. 99.
56K.A. et A.D. c. Belgique, §76, S. 21, »Was die Behauptung angeht, dass die Worte ›Stopp‹ oder ›Erbarmen‹, die von der Ehefrau des ersten Beschwerdeführers ausgesprochen wurden, ignoriert worden seien, so bestreiten die Beschwerdeführer die genaue Bedeutung dieser Worte und betonen, dass die Betroffene einverstanden war, nie Anzeige erstattet hat und nie als Nebenklägerin aufgetreten ist«.
57M. Fabre-Magnan: »Le sadisme n’est pas un droit de l’homme«, op. cit.
58Siehe hierzu Michaela Marzano, Je consens, donc je suis …, op. cit., vor allem Kapitel 6.
59Ebd.