Einleitung
Seit Erscheinen meiner ersten Anthologie Invisible Planets
im Jahr 2016 haben mich viele Leser angeschrieben, weil sie mehr chinesische Science-Fiction lesen wollen. Cixin Lius Trisolaris
-Trilogie, die Barack Obama als »unheimlich fantasievoll und interessant« bezeichnete, öffnete der westlichen Leserschaft die Augen für die Welt der chinesischen Science-Fiction. Und Invisible Planets
hat gezeigt, dass es noch viel mehr zu entdecken gibt.
Das ist natürlich eine gute Nachricht für mich, meine Herausgeberkollegen und die Fans der chinesischen Science-Fiction, aber auch für die Agenten, Lektoren und Verleger, die eine Veröffentlichung der übersetzten Werke möglich machen, und nicht zuletzt für die Autoren selbst, die sich über weitere Leser freuen dürfen.
Im Gegensatz zu meiner ersten Anthologie habe ich mich bei Zerbrochene Sterne
darum bemüht, möglichst viele Stimmen zu Wort kommen zu lassen und die Palette der Stimmungen und Erzählstile breit zu fächern. Dafür habe ich nicht nur die einschlägigen Publikationen gesichtet, sondern auch literarische
Magazine in Print- und Onlineform sowie Gaming- und Modezeitschriften. Insgesamt finden sich in dieser Anthologie sechzehn Geschichten von vierzehn Autoren – doppelt so viele wie in Invisible Planets
. Beinahe alle erschienen in den 2010er-Jahren auf Chinesisch, sieben dieser Geschichten sind hier zum ersten Mal in Übersetzung zu lesen. Einige Geschichten hier sind länger als die längste Story in Invisible Planets,
andere kürzer als die kürzeste dort.
Neben etablierten und bekannten Autoren – zum Beispiel Han Song, der seinen beißenden, boshaften Humor in zwei Erzählungen demonstriert – kommen auch neue Stimmen zu Wort. Ich finde, die Werke von Gu Shi, Regina Kanyu Wang und Anna Wang haben es verdient, einer größeren Leserschaft vorgestellt zu werden. Außerdem habe ich mich absichtlich dafür entschieden, mehrere Geschichten aufzunehmen, die dem westlichen Leser womöglich nicht so leicht zugänglich sind: Zhang Rans Zeitreisegeschichte spielt mit dem typisch chinesischen Genre der
Chuanyue
-
Literatur, und Baoshus Beitrag ist umso anrührender, je vertrauter der Leser mit chinesischer Geschichte ist. Ein bedauerlicher Nachteil dieses Ansatzes ist jedoch, dass es so nicht mehr möglich ist, mit der Aufnahme einer ganzen Reihe von Geschichten eines bestimmten Autors einen Querschnitt durch dessen Schaffen abzubilden. Doch ich hoffe, dass dies durch die größere Vielfalt wieder wettgemacht wird.
Trotz der großen Bandbreite an Autoren und Geschichten will ich darauf hinweisen, dass sich diese Anthologie keinesfalls als repräsentativ oder maßgebend für die chinesische Science-Fiction versteht. Ich hatte nicht die Absicht, eine »Best of«-
Sammlung zusammenzustellen, was bei der Verschiedenheit der Geschichten, die unter der Bezeichnung »chinesische Science-Fiction« firmieren, und der Heterogenität der Autoren sowieso von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Außerdem – nach welchen Eigenschaften sollte man diese »besten« Geschichten denn überhaupt auswählen?
Stattdessen verließ ich mich auf zwei einfache Auswahlkriterien: Die Geschichte musste mir gefallen,
und: Sie musste mir im Gedächtnis bleiben
. Bei konsequenter Anwendung dieser Kriterien blieben erstaunlich wenige Geschichten übrig, und diese sind nun in der vorliegenden Anthologie versammelt. Ob sie Ihnen auch gefallen, hängt also sehr davon ab, ob mein Geschmack auch den Ihren trifft. »Perfekte« Geschichten interessieren mich nicht; ich glaube, dass eine Geschichte, die eine einzige Sache richtig macht, besser ist als eine, die nichts »falsch« macht. Ich will mir nicht anmaßen, objektiv oder gar allgemeingültig zu urteilen, doch ich vertraue meinem Geschmack.
Noch einige kurze Anmerkungen, bevor wir zu den Geschichten kommen.
Alle Leser, die mehr über die chinesische Science-Fiction erfahren wollen, finden am Ende dieses Bandes drei Essays von Kennern der Materie (von denen manche auch selbst im Genre schreiben), in denen es darum geht, welchen Einfluss der zunehmende kommerzielle Erfolg und das wachsende öffentliche Interesse auf die Fans und die Schriftsteller hatte.
Die Namen der Figuren in den Geschichten folgen der gebräuchlichen chinesischen Schreibweise, der Nachname wird also zuerst genannt. Nicht ganz so einfach verhält es sich mit
den Namen der Autoren. Das Onlinezeitalter hat verschiedene Formen der Selbstdarstellung mit sich gebracht. Manche Autoren schreiben unter ihrem richtigen Namen (z. B. Hao Jingfang), andere unter Pseudonymen, die aus ihren richtigen Namen abgeleitet sind und die ich deshalb wie gewöhnliche chinesische Namen behandele. Andere bevorzugen in westlichen Publikationen einen englischen Namen und/oder die im Westen gebräuchliche Nennung des Vornamens vor dem Nachnamen (z. B. Anna Wu oder Regina Kanyu Wang). Hier folge ich selbstverständlich den Wünschen der Autoren. Dann gibt es noch die Pseudonyme, die nicht als gewöhnliche chinesische Namen behandelt werden können, weil es sich um Anspielungen oder Wortspiele handelt (z. B. Baoshu, Fei Dao oder Xia Jia). In diesem Fall weise ich in meinem kurzen Einführungstext zum jeweiligen Schriftsteller darauf hin, dass es sich hier nicht um wirkliche Vor- und Nachnamen, sondern um Pseudonyme handelt, deren Elemente in ihrer Reihenfolge unveränderlich sind – ähnlich eines Benutzernamens in einem Internetforum.
Ich möchte Tor Books in den USA und Head of Zeus in Großbritannien dafür danken, dass sie Zerbrochene Sterne
veröffentlicht haben. Bei Tor bedanke ich mich ganz besonders bei Lindsey Hall für ihre redaktionellen Vorschläge, bei meiner Lektorin Deanna Hoak, der Grafikdesignerin Jamie Stafford-Hill für die Umschlaggestaltung und Patty Garcia für die Öffentlichkeitsarbeit.
Außerdem bedanke ich mich bei Nicolas Cheetham und Sophie Robinson, meinen Herausgebern bei Head of Zeus, sowie bei der Herstellerin Clemence Jacquinet, der Grafikdesignerin Jessie Price, der Vertriebsabteilung unter der Leitung von
Dan Groenewald und Blake Brooks für die Öffentlichkeitsarbeit. Ohne ihre Hilfe würde dieses Buch keinen einzigen Leser finden, weil es nie existiert hätte.
Eines noch: Sie finden die ursprünglichen Veröffentlichungsinformationen (samt Autorennamen und Titeln der Geschichten in chinesischer Schrift) hinten im Anhang dieser Anthologie.
Ken Liu