»Wenn du ein Ass aus dem Ärmel ziehen willst,
musst du es vorher reinstecken.«

Rudi Carrell

Stellen Sie sich vor, ein Mitarbeiter stürmt in Ihr Büro mit einer, wie er sagt, fantastischen Idee. Sie fragen ihn, wer schon alles davon weiß.1 »Ich habe schon mit allen anderen Abteilungsleitern gesprochen, aber die halten meine Idee für blödsinnig – diese Schwachköpfe.« Was geschieht nun? Sie halten die Idee sofort für wertlos. Hätte Ihnen der Angestellte aber gesagt, dass noch niemand davon wisse, oder dass jeder sie umsetzen wolle, er aber Sie dazu auserkoren hätte, würden Sie sich ganz anders damit befassen. Wettbewerb – ob echter oder nur scheinbarer – erhöht den Wert eines Verhandlungsgegenstandes immens.

Der Knappheitseffekt (Scarcity Effect) ist einer der stärksten psychologischen Mechanismen der Verhandlung. Wir wollen Dinge, die begrenzt verfügbar sind, und die andere wollen. Mit dem Knappheitseffekt wird ein Reflex in uns aktiviert.2 Wenn ich ein Stück Zwieback auf den Tisch lege und meinen vier kleinen Nichten und Neffen, die sich eigentlich nichts aus Zwieback machen, sage, dass es nur einen Zwieback gibt, und dass ihn der Erste bekommt, der ihn sich schnappt, dann mache ich lieber die Bahn frei, um nicht niedergetrampelt zu werden. Der Effekt ist so stark, dass er in den unterschiedlichsten Bereichen und in allen Altersklassen funktioniert: Wenn man alles Gold, das je gefördert wurde – alle Goldbarren, jeden Ehering und jeden Goldzahn – einschmelzen und in einen Würfel formen würde, was glauben Sie, wie lang die Kanten des Würfels wären? Wenn Sie knapp zwanzig Meter getippt haben, liegen Sie richtig.3 Gold würde nur spleenige Steinsammler interessieren, wenn es nicht so rar wäre. Viele Unternehmen, gerade in der Luxusindustrie, halten Ihre Produkte bewusst knapp. So steigt die wahrgenommene Macht jedes Händlers. Wenn ich Ihnen anböte, dass Sie 5 000 Euro in mein Immobilienportfolio investieren könnten, dann würden Sie es sich vielleicht näher ansehen, aber möglicherweise wäre es Ihnen zu riskant.4 Was aber, wenn ich Ihnen sagte, dass ich 100 000 Euro benötige, aber schon 19 Leute jeweils 5 000 Euro investierten, Sie also der letzte wären? Das Gefühl von Wettbewerb lässt Sie das Risiko vergessen. So können Sie auch bei Verhandlungen dieses Prinzip anwenden: Ihre Macht steigt, sobald Ihr Verhandlungsgegenstand rar erscheint.

Von der Hauptstadt Ghanas, Accra, fährt ein Bus, ein sogenannter »Mammy Wagon« in die zweitgrößte Stadt des Landes, nach Kumasi im Landesinneren.5 Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, diesen »Mammy Wagon« zu nehmen, sollten Sie sich beeilen. Er ist nämlich bis auf einen Platz gefüllt. Immer. Sobald Sie sich auf den letzten leeren Platz gesetzt haben, steht ein Statist auf und schafft den »letzten« freien Platz. Solange bis sich der nächste echte Passagier auf den scheinbar letzten freien Platz setzt und auf die sofortige Abfahrt hofft, die sich aber noch ein paar Stunden verzögern kann. Das Gefühl der Knappheit wird durch scheinbaren Wettbewerb angekurbelt: Wenn jeder Ihre Sache will, ist sie besonders knapp und Ihre Macht am größten.

Wenn Sie eine Wohnung vermieten wollen, laden Sie Freunde und Bekannte ein, um die Räume zu füllen und setzen Sie einen Sammeltermin an, um das Gefühl der Knappheit zu verstärken. Kataloge der Konkurrenz voller Post-it-Zettel und Stapel von Briefen mit Briefkopf der Mitbewerber sind beliebte Tricks, die Illusion der Konkurrenz bei Verkäufern zu erzeugen.6 Wenn Sie etwas kaufen wollen, betrachten Sie sich als jemand, der Geld verkaufen möchte.7 »Wer bietet mir am meisten für mein Geld?«, sollten Sie sich dabei fragen und so den Wettbewerb entfachen. Sogar wenn Sie sich Geld leihen, können Sie eine Konkurrenzsituation erzeugen.

Sie gehen in Ihre Bankfiliale, um einen günstigen Zins mit einer niedrigen Tilgung auszuhandeln. Sie verabschieden sich, gehen Mittagessen und kommen nach ein paar Stunden wieder: »Ihnen ist sicher klar, wo ich gerade war …« Niemand kennt seine Konkurrenz besser als Ihr Verhandlungspartner, seine Fantasie arbeitet nun auf Hochtouren.

Donald Trump hat seine eigene Methode, Knappheit zu erzeugen8: seine Bauprojekte, ob Trump Tower oder Trump World Tower leben vom Nimbus der Einzigartigkeit. Obwohl es zahlreiche ähnliche Hochhäuser in New York gibt, erweckt er den Eindruck, dass seine besser als alles bisher Dagewesene seien. Das Penthouse lässt er im Stil eines Rokoko-Monarchen einrichten und für jede Zeitschrift ablichten, um so den Glanz des Hauses zu erhöhen. Er verlangt absurde Preise für die Wohnungen, denn es gibt eben nur einen Trump Tower. Sie können aus allem etwas Seltenes machen: Bieten Sie eine »limitierte Auflage« Ihrer Ware mit einzigartigen Details für die ersten 50 Bestellungen.

Sie können jeden Verhandlungsgegenstand auf einfache Weise wertvoller erscheinen lassen: »Ich weiß auch nicht, aber dieses Bild hat eben eine besondere Bedeutung für mich.« Wir nehmen es Verhandlern ab, wenn Sie zögerlich sind und sich kaum von der Sache trennen können. Der Wert der Sache steigt, die Macht des Verhandlers ebenfalls. Die Reaktion, die wir auf den Anschein von Knappheit zeigen, ist weniger eine rationale als eine emotionale.9

THE GAME

Die Pick-up-Artist-Community hat sich aus einer Gruppe von Männern entwickelt, die alle das gleiche Ziel hatten: die effektivsten Methoden zu entwickeln und anzuwenden, um Frauen für sich zu gewinnen. Neil Strauss, ein renommierter Journalist, infiltrierte die Gemeinschaft und beschrieb die ausgefeilten Techniken in seinem lesenswerten Buch The Game10. Der Kern der besten »Aufreißer«-Techniken besteht, ganz wie in einer Verhandlung, in der Macht. Der Schlüssel ist, seine Macht zu erhöhen: In dem Moment, in dem der Mann die Frau anspricht, zeigt er ihr, dass er weniger Status und somit weniger Macht hat als sie. Schließlich spricht immer derjenige jemanden an, der etwas will oder haben Sie schon einmal einen Bettler angesprochen? Eine der Grundannahmen ist, dass Menschen von anderen Menschen fernbleiben, wenn sie das Gefühl haben, dass der andere einen niedrigeren sozialen Wert hat.

Der Mann muss seinen Wert erhöhen, indem er seine soziale Macht zeigt: Er bringt andere zum Lachen, ist der Anführer anderer Männer und der Beschützer der Schwachen: »Ich hatte keine Wahl, sie ist meine kleine Schwester, da kenne ich nichts!« Frauen lieben ihn, er ist begehrt. Im Idealfall ist er von Frauen umringt. Das Telefon klingelt unaufhörlich und es kommen ständig Nachrichten.

Auch die Körpersprache muss Macht zeigen: Derjenige mit dem niedrigeren Status lehnt sich in Richtung desjenigen mit höherem Status, der sich entspannt zurücklehnt.

Ein weiterer interessanter Ratschlag ist bekannt als »Peacocking«: Der Mann soll sich skurril kleiden, vielleicht mit einem riesigen Hut oder einer Feder am Revers. Der Gedanke dabei? Wenn jemand so überlebt hat in der Welt, muss er einen hohen Status haben. Wenn er lichtes Haar hat, soll er sich den Kopf rasieren: schütteres Haar zeugt von Machtlosigkeit, den Schädel zu rasieren aber ist eine Wahl.

Der erfolgreiche Pick-up-Artist stellt sich nicht vor, nur anbiedernde Verkäufer strecken jedem sofort ihre Hand entgegen. Außerdem bleibt er vage und prahlt nicht. Menschen mit hohem Status reiben ihn niemandem unter die Nase. Außerdem stellt er keine Fragen, sondern macht Aussagen.

Nun muss noch die wahrgenommene Macht der Frau verringert werden. Wie? Mit dem sogenannten »Negging« Man zieht sie runter, ohne dabei unverschämt zu sein: »Die an der Garderobe hatte genau das gleiche Kleid an wie du, aber bei dir sieht es einfach besser aus.« Oder: »Du hast schöne vorstehende Zähne, das ist so süß.«

Auf dieser Theorie basierend wurde sogar eine Methode entwickelt, wie man Nebenbuhler, die vielleicht sehr gutaussehend oder sehr gut gebaut sind, loswird. Nämlich indem man ihren Status untergräbt. Es ist als »AMOGing« (Alpha Male of the Group) bekannt, da hier der eigentliche Alpha-Mann unschädlich gemacht wird. Wenn er lustig ist: »Wow, du bist ein richtiger Comedian, aber du musst nicht extra lustig sein, damit wir dich mögen.« Wenn er sehr gut gebaut ist: »Du bist ein harter Kerl, ich sollte dich zu

meinem Bodyguard machen.« Ist er sehr clever: »Du solltest mein Personal Assistant sein. Du bist super!« Jede dieser Techniken hat zum Ziel, die wahrgenommene Macht im Vergleich zu der des Gegenübers zu erhöhen.

Wer unter Zeitdruck steht, hat weniger Macht. Lassen Sie den anderen daher nichts von Ihrem auch noch so hohen Zeitdruck wissen. Versuchen Sie auf der anderen Seite, jegliche zeitlichen Verpflichtungen des anderen herauszufinden. Je höher sein Zeitdruck, desto besser für Sie. Und je näher Ihr Gegenüber seiner Deadline kommt, desto mehr Macht haben Sie. Gerade am Ende einer Frist ist die Chance hoch, dass Ihr Gegenüber das Angebot annimmt.

Im Idealfall macht es Ihnen Ihr Verhandlungspartner leicht und sagt Ihnen, dass er das Bürohaus in den nächsten vier Wochen verkaufen müsse, weil dann sein Kredit auslaufe. Falls er nichts dergleichen zu verstehen gibt, machen Sie sich klar, dass Ihr Verhandlungspartner nur in den seltensten Fällen keinen Zeitdruck verspürt. Lassen Sie sich nicht täuschen: Wenn es ihm so egal wäre, wie er vorspielt, warum sollte er sich dann überhaupt mit Ihnen treffen?11 Wie erfahren Sie aber vom Zeitdruck des anderen, wenn er schweigt? Verlangsamen Sie den Verlauf der Verhandlung und schauen Sie, ob es dem anderen Probleme bereitet. Möchte er sich früher treffen? Will er Ihre Antwort in den nächsten zwei Tagen? Wird er nervös oder sogar verärgert, wenn Sie die Meetings verschieben?

Egal, ob der andere sowieso schon unter Zeitdruck steht oder nicht: eine Frist zu setzen, ist ein sehr wirksames Mittel, um den Zeitdruck des anderen zu verstärken und Ihre Macht zu erhöhen.12 Sagen Sie nicht »Kommen Sie einfach auf mich zurück, wenn Sie können«, sondern setzen Sie stets eine Frist.13 Sie sind Bankberater und bieten Ihrer Kundin einen guten Zinssatz für ihr Einfamilienhaus. Sie ist unschlüssig, weil sie denkt, bei einer anderen Bank vielleicht ein noch besseres Angebot herausschlagen zu können, oder weil sie hofft, dass die Europäische Zentralbank in den nächsten Monaten den Leitzins senkt. Nun sagen Sie ihr, dass sie sich in dieser Woche entscheiden müsse, da nächste Woche das neue Quartal beginne. Außerdem müsse dann der Vorstand noch einmal zusammentreten und erneut entscheiden – das ganze Prozedere also von vorn. Zumal einer der Vorstände, nämlich Ihre Vorgesetzte, in Rente gehe und ihr Nachfolger entscheiden würde – mit offenem Ergebnis. Und schon ist die Wahrnehmung der Macht erheblich zu Ihren Gunsten verändert.14 Wie in diesem Beispiel ist eine Frist dann besonders effektiv, wenn sie nicht willkürlich gesetzt ist – in diesem Fall würde sie wie eine Drohung wirken –, sondern wenn Faktoren die Frist bestimmen, die scheinbar außerhalb Ihres Einflussbereiches liegen. Und wenn die Frist verstreichen sollte, können Sie immer noch sagen, dass trotz Änderungen alles beim Alten bleibt, und Sie müssen die Verhandlung nicht abbrechen. In diesem Fall also könnte, wenn der Kunde die Frist verstreichen lässt, ohne Weiteres auch der neue Vorstand zustimmen. Sie können der anderen Partei also bewusst eine Frist setzen, um Ihre eigene Macht zu erhöhen. Sogar dann, wenn Sie selbst unter erheblichem Zeitdruck sind. Hier kann es durchaus klug sein, den eigenen Zeitdruck ganz offensiv zu erwähnen, nach dem Motto: Wenn ich keinen Deal habe, haben Sie auch keinen. Damit machen Sie Ihr Problem zum gemeinsamen Problem.

Eine weitere Möglichkeit, eine Frist zu setzen ohne einen Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu riskieren, ist die sogenannte Exploding Offer15: Wenn der andere Ihr Angebot bis Dienstag 12 Uhr nicht annimmt, dann steht zwar noch das Jobangebot, allerdings nicht mehr mit Dienstwagen, weil die Verträge mit den Fuhrparks für das Kalenderjahr dann abgeschickt sein müssen. Dieses Angebot schafft wieder den Druck einer Frist, ermöglich aber die weitere Zusammenarbeit auch nach ihrem Verstreichen.

Als Teenager stand ich einmal vor der Alten Oper in Frankfurt und wartete auf meine Mutter und meine Tante, die auf ein Udo-Lindenberg-Konzert gehen wollten. Ich hatte die Tickets abgeholt und sah viele Menschen mit »Suche Karten«-Schildern. Als sie mich, mit den zwei Tickets in der Hand erspähten, bildete sich eine Traube von Menschen um mich und die Gebote gingen auf mehrere Hundert Mark pro Ticket; bevor ich schwach wurde, kam meine Mutter und nahm die Tickets unter scheelen Blicken entgegen. Für ein paar Minuten war ich der mächtigste Kerl weit und breit. Warum? Die Tickets waren offensichtlich knapp, weil es einen so großen Wettbewerb gab und die Uhr tickte – ohne es zu wollen, war ich in eine Auktion geraten. Eine Frist mit Wettbewerb zu kombinieren, ist ein außergewöhnlich starkes Mittel und vervielfacht die Zustimmungsrate16: Bei Auktionen werden Mondpreise erzielt, weil die beiden sehr starken Mechanismen Knappheitseffekt und Zeitdruck zusammentreffen: Jeder im Raum könnte diesen einen Gegenstand haben wollen, und sobald der Hammer fällt, ist es schon zu spät. Das erklärt auch, weshalb die Rekordpreise auf dem Kunstmarkt regelmäßig von den großen Auktionshäusern wie Sotheby’s und Christie’s erzielt werden, nicht aber auf den berühmten Kunstmessen wie Frieze oder Tefaf. Das teuerste Gemälde der Welt, »Salvator Mundi«, (Leonardo da Vinci zugeschrieben – die Echtheit ist nicht gesichert), wurde für sage und schreibe 450 Millionen Dollar von Christie’s versteigert.

Zu sehen, wie sich Ihr Verhandlungspartner dem Druck beugt, sagt viel über die tatsächliche Machtposition aus. Wenn er gleich nachgibt, wissen Sie, dass er den Abschluss unbedingt will und können auch bei allen anderen Punkten hartnäckiger sein.

Eine Frist hat noch einen weiteren angenehmen Nebeneffekt: Die Verhandlung wird schneller beendet. Wann geben meine Studenten Ihre Masterarbeiten ab? Dann, wenn sie müssen. Gemäß dem Parkinson’schen Gesetz dehnt sich Arbeit in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.17 So wie eine ältere Dame einen halben Tag für die Versendung einer Postkarte an ihre Nichte benötigt (Welche Karte? Was schreiben? Zu welchem Briefkasten? Schirm mitnehmen?), erledigt jemand Vielbeschäftigtes die gleiche Arbeit in wenigen Minuten zwischen mehreren anderen Aufgaben. Das Gleiche gilt für Verhandlungen. Erfahrene Verhandler wissen, dass am meisten Bewegung und Entgegenkommen in einer Verhandlung stattfindet, kurz bevor die Frist erreicht ist – wenn zum Beispiel einer abreisen muss.18 Bei Gewerkschaftsverhandlungen spricht man von der »Macht der Nacht«.

Umgekehrt gilt: Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen! Wenn Sie nicht gerade Rechtsanwalt sind und nach einem Fristenkalender arbeiten, nehmen Sie Fristen nicht zu ernst. Zum einen ist die Frist des anderen dessen Problem und nicht Ihres. Häufig können auch Fristen nachverhandelt werden. Zumal Fristen wie auch Knappheit Bereiche sind, in denen die Lüge sehr präsent ist. Jedes Mal, wenn Ihnen Zögern wie Verlieren erscheint, hüten Sie sich davor, in diese Fallen zu tappen und gewinnen Sie erst einmal Abstand, um Ihre Machtposition zu eruieren und zu erhöhen.

Wenn der Verhandlungspartner etwas am Vertrag ändern will, sagen Sie: »Oh, die Rechtsabteilung akzeptiert leider keine Änderungen.« Als ob die interne Rechtsabteilung ein Verfassungsorgan sei – aber wer will schon mit einer Rechtsabteilung Ärger bekommen? »Wenn ich weiter runtergehe, werden ›die da oben‹ durchdrehen und ich kann direkt meine Kündigung abholen.«

Nicht die letzte Instanz zu sein, also nicht die letzte Macht zu haben, das finale »Okay« zu geben, ist eine sehr effektive Methode in der Verhandlung und gibt Ihnen – so paradox es auch klingen mag – mehr Macht in der Verhandlung.

Sobald Ihr Gegenüber denkt, dass Sie nicht das letzte Wort haben, sondern ein Vorstand, eine Rechtsabteilung oder Ihre Freundin, sind Sie in einer besseren Position: Nun versucht er nicht mehr, nur Sie zu überzeugen. Er geht jetzt davon aus, dass er ein gutes Angebot machen muss, da sich die letzte Instanz nicht von seinem Charme einwickeln lässt, sondern nur von bloßen Fakten. Je vager diese letzte Instanz, desto effektiver, da er nun keinen Menschen vor sich sieht, den er emotional gewinnen kann, sondern »graue Männer«, die nur Zahlen sehen. Außerdem kann Ihr Gegenüber nicht sagen, dass er den Entscheidungsträger vor sich haben möchte, wenn es sich um einen »Aufsichtsrat« oder einen »Ausschuss« handelt.19

Sie können nun eine Methode verwenden, die ich »indirektes Feilschen« nenne und die zu meinen persönlichen Favoriten gehört: »Ich weiß, dass dem Vorstand schon eine ganze Reihe von sehr guten Angeboten vorliegt, insofern müssten Sie schon etwas runtergehen, auch wenn ich Sie persönlich ganz toll finde.« Oder: »Mich müssen Sie gar nicht mehr überzeugen aber bitte helfen Sie mir, dass meine Frau zustimmt.« Sie können die höhere Instanz verwenden, um Zusatzleistungen zu bekommen oder um einen Rabatt rauszuschlagen: »Mein Mann ist einverstanden, er sagt aber, dass es für das Ausstellungsstück einen Rabatt geben muss. Auch wenn ich selbst finde, dass es aussieht wie neu.« Damit sind Sie selbst weniger angreifbar, weil Sie nun eher als ›Berater‹ Ihres Verhandlungspartners fungieren.20

Der britisch-amerikanische Verhandlungsexperte Roger Dawson hat diese Technik einmal erfolgreich in einer scheinbar ausweglosen Situation angewendet21: Sein Büro hatte einen Mietvertrag, der noch zwei Jahre lief. Wie sollte er die auf 1700 Dollar festgelegte Miete reduzieren?

Er ging zum Vermieter und sagte ihm, dass sein Vorstand – den es gar nicht gab – in einer halben Stunde tagt und ihn zwingen werde, das Büro zu schließen, wenn die Miete nicht auf 1400 Dollar reduziert würde. »Dann klage ich«, sagte der Vermieter. »Und Sie hätten absolut Recht! Aber der Vorstand wird sagen, dass Sie ruhig klagen sollen, Sie aber zwei Jahre brauchen würden, um hier in Los Angeles vor Gericht zu stehen«. Daraufhin sagte der Vermieter »Würden Sie in das Meeting gehen und sehen, was Sie für mich tun könnten? Ich wäre bereit, die Miete auf 1550 Dollar zu reduzieren, aber wenn sie nicht dazu bereit sein sollten, würde ich bis 1 500 Dollar herunter gehen«. Dawson bekam genau den Nachlass, den er von Anfang an im Auge hatte – schon ziemlich hinterhältig, aber eben auch effektiv. Was hätte er erreicht, wenn er dem Vermieter einfach nur gesagt hätte, dass er die Miete eines laufenden Vertrages reduzieren solle, weil er sonst nicht zahle? Empört und verärgert hätte der Vermieter auf die Miete bestanden und sie eingeklagt.

Es gibt noch einen weiteren Vorteil der höheren Instanz, nämlich die sogenannte »zweite Runde«. Stellen Sie sich folgende Situation vor: »Ich biete Ihnen 100 Euro für das Bild.« »Alles klar.« »Wunderbar, jetzt muss nur noch meine Frau zustimmen. Ich hole Sie mal eben.« Was ist geschehen? Der Käufer hat soeben eine zweite Verhandlungsrunde eröffnet, obwohl der Verkäufer seinem Angebot zustimmte.

Oder: »Einverstanden. Wir haben uns über alle Punkte geeinigt. Ich muss nur die Miete noch von der Geschäftsführung absegnen lassen, ich bin ja nur einer von drei Geschäftsführern.« Nach ein paar Tagen rufen Sie an: »Es ist mir entsetzlich peinlich aber die Geschäftsführung hat nicht zugestimmt. Weniger als 12 Euro würden sie auf keinen Fall akzeptieren. Es tut mir sehr leid.« Sie feilschen also bis es nicht mehr weiter geht und bringen am Ende eine weitere Instanz ins Spiel, sodass Sie eine weitere Verhandlungsrunde nur zu Ihren Gunsten eröffnen. Bei einem Immobilienkauf könnten Sie einen Vermittler nutzen, um für Sie zu verhandeln. Wenn er den Preis so weit heruntergehandelt hat, wie er konnte, können Sie sich nun mit dem Verkäufer treffen und noch einmal handeln, indem Sie den vom Makler heruntergehandelten Preis nun als bloßes Angebot umdeuten: »Sie wollen also 300 000 Euro. Das wäre kein schlechter Preis für die Wohnung, wenn Sie die Küche da ließen.«

Wenn Sie keine höhere Instanz wie einen Anwalt oder Vermittler haben und es Ihnen unangenehm ist, eine zu erfinden, dann bauen Sie sich ganz einfach eine auf: Sagen Sie Ihrem Vorgesetzten, Ihren Kollegen oder Ihrem Lebenspartner, dass sie Ihnen jeden Vorschlag der Gegenpartei vorlegen sollen, damit man dann gemeinsam entscheidet. Wenn Sie andere zu Verhandlungen schicken, sollten Sie ihnen keinesfalls eine Blankovollmacht geben, stets ist Ihre höchstpersönliche Absegnung vonnöten.

Der schlechteste Verhandler in einer Organisation ist derjenige mit der größten Macht: der CEO für ein Unternehmen, die Bürgermeisterin für eine Stadt und der Präsident für ein Land. Hier ist es umso wichtiger, dass er noch eine Instanz über sich erwähnt: den Aufsichtsrat, den Gemeinderat und den Bundestag oder – wie es der US-Präsident immer hervorhebt – den Senat.

Wie können Sie sich wehren, wenn Ihr Gegenüber diese Taktik gegen Sie verwendet? Lassen Sie ihn auflaufen und zahlen Sie es ihm mit gleicher Münze heim. Damit bringen Sie ihn vielleicht dazu, diesen Trick aufzugeben, zumindest aber stellen Sie die Machtbalance wieder her. Auf ein »Mein Chef sagt, wir dürfen nicht unter 1 000 Euro gehen«, erwidern Sie sofort: »Mein Vorstand/Vorgesetzter/Team sagt, wir dürfen nicht über 900 Euro gehen.« Sie werden sehen, wie schnell die angebliche Instanz dann nicht mehr erwähnt wird.

Wenn Sie ein Auto kaufen und die Verkäuferin bei jeder Ihrer Anfragen zu ihrem Chef rennen muss, der anderswo im Gebäude sitzt, dann gehen Sie jedes Mal telefonieren, wenn sie zurückkommt und lassen sie warten. Wenn sie sagt: »Mein Chef sagt, wir können Ihnen die Lederausstattung doch nicht kostenlos dazu geben,« dann antworten Sie nach einem Telefongespräch: »Meine Frau sagt, wir können kein Finanzierungsangebot annehmen, das über 800 Euro im Monat liegt.« Wenn Ihr Gegenüber eine angebliche Instanz hat, dann haben auch Sie eine.

Wenn der andere am Ende der Verhandlung sagt, dass er es nicht entscheiden könne, dann geben auch Sie zu verstehen, dass Sie sich nicht festnageln lassen: »Gut, Ihre Abteilungsleiterin muss noch entscheiden. Dann werde ich noch einmal mit meinem Chef darüber sprechen und schauen, was er dazu sagt.«22

Fragen Sie daher zu Anfang stets »Haben Sie die Autorität, jetzt zu entscheiden?« Viele sagen auch dann Ja, wenn Sie eigentlich noch jemanden konsultieren müssen, sie wollen aber mächtig erscheinen, denn nur die versiertesten Verhandler wissen, dass es ihnen mehr Macht gibt, gerade nicht das letzte Wort zu haben. Jetzt haben Sie dem anderen die Ausrede genommen, die Sache noch mal abzuklären. Wenn Sie Makler sind, fragen Sie: »Wenn wir heute die passende Wohnung für Sie finden, gibt es dann einen Grund, warum Sie heute keine Entscheidung treffen könnten?« So kann der Kunde später keine höhere Macht erfinden wie etwa: »Ich muss noch meine Mutter fragen, weil sie uns das Geld für die Kaution geben muss.«23

Wenn Sie hier eine gute Beziehung aufbauen, ist es vertane Liebesmühe, weil jemand anders als derjenige vor Ihnen schließlich entscheidet. Verschwenden Sie keine Zeit, mit Leuten zu verhandeln, die keine Entscheidungsbefugnis haben. Bei manchen Verhandlungen gibt es daher die Forderung »Principals only«: nur Entscheidungsträger dürfen überhaupt an den Verhandlungstisch. Entsprechend sollten Sie sich stets fragen: »Wäre es nicht sinnvoll, wenn Ihr Abteilungsleiter dabei wäre? Er trifft ja die Entscheidung.« Oder: »Bringen Sie doch Ihre Frau am besten mit, dann können wir alle direkt kommunizieren.« Es entscheidet ein Gremium? Fragen Sie, wann sich das Gremium trifft, damit Sie dort direkt Ihr Angebot vorlegen können. Wenn der andere mit einem großen Team kommt, fragen Sie, wer wofür zuständig ist. Wenn Sie mit einem Team verhandeln, müssen Sie wissen, auf wen Sie sich konzentrieren sollten.24

Was gibt Ihnen mehr Macht in einer Gehaltsverhandlung? Eine geladene Pistole oder das konkrete Angebot eines anderen Arbeitgebers?25 Na, eben. Um die tatsächlichen Machtverhältnisse einschätzen zu können, müssen Sie sich fragen, wer am meisten zu verlieren hat, wenn kein Deal zustande kommt. Ihre tatsächliche Macht ist vor allem von einem Punkt abhängig: der BATNA. Dieser Begriff wurde in den 1980er Jahren von den Leitern des Harvard Verhandlungsprogramms, Roger Fisher und William Ury eingeführt und steht für Best Alternative To A Negotiated Agreement, also für die beste Alternative, die man hätte, wenn man die Verhandlung platzen ließe. Mit anderen Worten: das, was Sie machen würden, wenn Sie den Verhandlungstisch verließen. Ihre BATNA zu kennen bedeutet, sich Ihrer besten anderen Option bewusst zu sein. Je besser diese Alternative ist, desto weniger abhängig sind Sie vom Verhandlungspartner und desto höher ist Ihre Verhandlungsmacht. Das klingt vielleicht selbstverständlich, wird aber häufig vernachlässigt.

Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade in der letzten Runde in einem Bewerbungsverfahren bei der Boston Consulting Group. Man bietet Ihnen ein stolzes, aber durchaus übliches Einstiegsgehalt von 120 000 Euro. Ihre tatsächliche Verhandlungsmacht ist nun abhängig von Ihrer Alternative. Wenn Sie schon zwei Angebote für ähnlich interessante Jobs mit Gehältern von 90 000 und 150 000 Euro auf dem Tisch haben, dann liegt Ihre BATNA bei 150 000 Euro. So wie es nur einen besten Freund und keine fünf allerallerbesten gibt, gibt es auch nur eine BATNA, eben die beste Alternative.

Was ist aber, wenn Sie noch keine konkreten Angebote von den beiden Alternativjobs haben? Dann haben Sie keine konkrete BATNA und Ihre Verhandlungsposition ist schwächer.

Die meisten setzen sich willkürliche Grenzen und sagen sich etwas wie: »Ich nehme auf keinen Fall weniger als 100 000 Euro.« Das ist aber reine Willkür; nur mit einer BATNA haben Sie ein sinnvolles Limit.

Was also tun? Erstens: Nehmen Sie sich immer die Zeit, vorher Ihre BATNA in Erfahrung zu bringen. Wenn Sie das nicht tun, sind Sie schwächer und werden bei der Verhandlung schlechter abschneiden. Die Alternativen fallen Ihnen nicht in den Schoß. Sich anderweitig umzusehen und mit Alternativen konkret zu verhandeln, kostet durchaus Zeit und Mühe. Und wenn Sie keine starken Alternativen haben, dann sind Sie ebenfalls besser vorbereitet auf das Gespräch und wissen, dass Sie es besser nicht platzen lassen sollten.

Zweitens: Erhöhen Sie Ihre BATNA. Die meisten versuchen erst einmal, überall so viel wie möglich herauszuschlagen. »Ich möchte ja schon sehr gerne bei der Boston Consulting Group arbeiten. Mal sehen, was ich da rausholen kann. Wenn es nicht klappt, schaue ich mich anderweitig um. Wenn das auch nicht klappt, gehe ich zum Nächsten und versuche mein Bestes.« Falsch! Bevor Sie zu Ihrem favorisierten Angebot gehen, peitschen Sie die Alternativen hoch. Wenn Sie mit Angeboten von Bain und McKinsey in die Verhandlung gehen, die beide über 130 000 Euro liegen, dann werden Sie auch bei der für Sie entscheidenden Verhandlung eher über 130 000 Euro kommen. Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit zwei sicheren Angeboten in der Tasche in ein Bewerbungsgespräch. Wäre Ihr Gefühl von Macht nicht größer, als wenn Sie ohne jegliche Alternative in das Gespräch gingen?

Wenn Sie sich eine Eigentumswohnung ansehen und denken: »Die Wohnung will ich haben, und falls der Deal jetzt platzt, müsste ich schon wieder monatelang im Internet suchen, eine neue Besichtigung vereinbaren und so weiter«, sind Sie in einer schwachen Position. Wenn Sie stattdessen mit dem Wissen hineingehen, dass es eine weitere Wohnung gibt, die auf Sie wartet, sind Sie ein völlig anderer Mensch in der Verhandlung. Verlieben Sie sich also nie in eine Position, eine Wohnung oder was auch immer – sonst ist die Verhandlung schon zuende, bevor sie begann.

Eine BATNA zu finden, ist heute übrigens leichter denn je. Mit dem Internet und dem Zugang zu einem gigantischen Pool an Informationen können Sie innerhalb weniger Minuten für fast jede Situation eine starke BATNA kreieren.26 Als Frischgesurfter wissen Sie mehr über die Preise eines neuen Audis als der Händler.

Dazu ein Beispiel: Ein Unternehmen hatte ein Werk verkauft und war nun für ein besonderes Teil auf einen einzigen Lieferanten angewiesen.27 Der Lieferant wusste, dass er ohne Konkurrenz war, und setzte das Unternehmen bei der Verhandlung unter massiven Druck. Was sollte das Unternehmen tun? Das Team des Unternehmens wollte seine Verhandlungsposition stärken und – beraten von einem Verhandlungsexperten – dafür bis zum nächsten Meeting an einer starken BATNA arbeiten. Sie erörterten, wie teuer es wäre, das verkaufte Werk zurückzukaufen und wieder für die eigene Produktion zu verwenden und berechneten die Kosten pro Stück. Statt abhängig und schwach zu sein wie beim ersten Treffen, marschierten sie nun mit Selbstvertrauen und einer klaren Preisvorstellung in die Verhandlung – ein völlig neues Team! Sie mussten die Fabrik gar nicht zurückkaufen und die Produktion wieder selbst aufnehmen. Ihre BATNA genügte, um einen guten Deal zu bekommen.

Es gibt sogar Unternehmen, die interne Regeln haben, niemals ohne BATNA in eine Verhandlung zu gehen. Sobald Sie also eine wichtige Verhandlung in Aussicht haben, gehen Sie ins Internet, suchen zehn Konkurrenten Ihres Verhandlungspartners und handeln mit ihnen, bis Sie eine gute BATNA haben. Jede Minute der Vorbereitung wird sich zigfach auszahlen. Statt gar nichts zu haben oder zu bluffen, haben Sie nun ein As im Ärmel. Unter Ihrer BATNA gehen Sie sicher nicht aus der Verhandlung.

In diesem Licht wird auch verständlich, weshalb die Atombombe von vielen politischen Analysten als der Hauptgrund für den Frieden der Supermächte während des Kalten Krieges angesehen wird: Die USA, wie auch die Sowjetunion fürchteten die Alternative zur Verhandlung so sehr, dass sie ungeachtet ihres jahrzehntelangen Säbelrasselns immer wieder zurück an den Verhandlungstisch kamen.28 Atomtests, Raketentests und die Entwicklung besonderer Panzer sind Mittel, die Verhandlungsposition eines Landes zu erhöhen. »Wenn du Frieden willst, bereite dich auf einen Krieg vor«, wusste schon der römische Redner Cicero.

Wie aber berechnen Sie die BATNA, wenn es nicht nur um den Preis geht? Sagen wir, Sie möchten einen BMW Kombi kaufen und haben zwei zur Auswahl29: Ein 2019er Modell mit Gangschaltung und 50 000 Kilometern auf dem Tacho vom BMW-Händler mit einjähriger Garantie für 25 000 Euro. Alternativ verkauft Ihre Nachbarin ihr 2021er Modell mit Automatikschaltung und 60 000 Kilometern auf dem Tacho, aber ohne Garantie, für 24 000 Euro. Was ist nun Ihre BATNA, wenn Sie zum Autohändler gehen? 24 000 Euro – der Preis für den Wagen Ihrer Nachbarin? Das würde aber den Unterschieden zwischen den Autos nicht gerecht werden. Der Wagen Ihrer Nachbarin ist zwar billiger und sogar neuer, er hat aber eine Automatikschaltung und mehr gefahrene Kilometer. In zahlreichen Situationen, vom einfachen Autokauf bis hin zur milliardenschweren Übernahmeverhandlung geht es um ein komplexes Gewirr von Optionen. Wie können Sie dennoch eine BATNA errechnen?

Sie nehmen alle für Sie wichtigen Punkte und ordnen ihnen einen Wert in Euro zu, ganz nach Ihren persönlichen Vorlieben. Sie berechnen also den Wert der Alternative, stets im Vergleich mit Ihrem anvisierten Verhandlungsgegner – hier der Autohändler:

  • Alter des Wagens: etwas neuer, das ist Ihnen 3 500 Euro wert.

  • Kilometer: 10 000 Kilometer mehr gelaufen führt in Ihren Augen zu einem Abschlag von 2 500 Euro.

  • Typ der Schaltung: eine Automatikschaltung hat für Sie einen Wert von 3 000 Euro.

  • Garantie: dass er keine Garantie hat, ergibt für Sie einen Abschlag von 1 500 Euro.

Es ist gar nicht so leicht, jedem Faktor einen Preis zu geben. Ist denn wirklich alles in Geld messbar? Nun, Versicherungen haben Tabellen mit klaren Beträgen für den Verlust eines rechten Arms oder den des Augenlichts. Selbstverständlich ist es sehr subjektiv, wie hoch die einzelnen Werte sind. Zurück zum Auto: Für mich etwa ist die Automatikschaltung extrem wertvoll, da ich meinen Führerschein in den USA erhalten habe und mit Schaltung nie warm geworden bin. In der Rechnung hier hätte ich ihr am liebsten einen Wert von 20 000 Euro gegeben, aber ich möchte keine Leser befremden: Es soll ja noch Autofahrer geben, die eine Handschaltung für »sportlich« halten, wobei es doch am sportlichsten wäre, zu laufen statt zu fahren oder zumindest einen Wagen zu wählen, den man – besonders sportlich – mit einer Kurbel startet.

Wir berechnen nun also den Wert der Alternative, die Rechnung sieht folgendermaßen aus: 3 500 – 2 500 + 3 000 – 1 500 = 2 500. Das Auto soll 24 000 Euro kosten, also ein Wert von – 24 000, da es sich um Kosten handelt. Nun nimmt man den Preis des Autos und addiert den Wert aller Extras: – 24 000 + 2 500. Ihre BATNA, also die Kosten für den Nachbarswagen im Vergleich zum Händlerwagen, ist also – 21 500.30

Mit anderen Worten: der Händlerwagen ist deutlich teurer für Sie als das Auto Ihrer Nachbarin, die Differenz beträgt ganze 3 500 Euro, wenn man sie in Geld misst. Das muss man in vielen Fällen wie diesem tun, denn schließlich kann der Händler nichts am Baujahr oder am Tachostand (hoffentlich!) ändern, er kann den Preis anpassen oder aber Dinge dazu geben – wie Winterreifen oder Navi-Updates.

Diese 3 500 Euro müsste der Händler runtergehen, um mit dem Angebot der Nachbarin gleichzuziehen oder Dinge dazugeben, die so viel Wert sind, also sein Preis von 25 000 Euro abzüglich der 3 500 Euro. Sie sehen: Selbst in verworrenen Situationen können Sie eine klipp und klare BATNA errechnen.

Gleichzeitig ist es hilfreich, die BATNA Ihres Gegenübers herauszufinden. Nehmen wir an, Sie wollen von Ihrem Nachmieter eine Ablöse für Ihre Küche. Wenn er behauptet, er könne von einem Bekannten eine passende Küche für 5 000 Euro bekommen, dann ist Ihre Verhandlungsmacht hinsichtlich eines Preises von 8 000 Euro gering. Ganz anders aber, wenn er ein vielbeschäftigter Pendler ist, der froh ist, so wenig Arbeit wie möglich zu haben. Fragen Sie dann einmal in einem Küchenstudio oder bei IKEA nach dem Preis einer passablen Küche inklusive Einbau und Sie kennen seine BATNA – möglicherweise sogar besser als er selbst.

Nirgendwo in der Verhandlung wird mehr gelogen als hier: »Ihr Mitbewerber macht es für 10 Prozent weniger.« Menschen sind nur ehrlich in Bezug auf ihre BATNA, wenn sie sehr stark ist. Ansonsten wird erfunden, übertrieben oder das beste aus verschiedenen Angeboten zu einem angeblichen zusammengefügt (Cherry Picking).

Wenn Sie Ihre Macht nun erfolgreich erhöht haben, zeigen Sie Fingerspitzengefühl: Je größer Ihre Macht ist, desto wichtiger ist es, dass Sie dem anderen Respekt zollen. Als Nelson Mandela nach jahrzehntelanger Haft freikam, vom Volk wie ein Heiliger gefeiert wurde und seine erste Fernsehdebatte mit dem damaligen Präsidenten Südafrikas Willem de Klerk führte, ging er nicht zimperlich mit ihm um, da er die Macht der Massen hinter sich wusste.31 »Als die Debatte sich dem Ende zuneigte«, so erinnert sich Mandela später, »hatte ich das Gefühl, zu hart zu dem Mann gewesen zu sein, der mein Partner sein sollte in einer Regierung der nationalen Einheit.« Daher wandte er sich de Klerk schließlich zu und sagte: »Trotz meiner Kritik an Herrn de Klerk: Sir, auf Sie kann ich mich verlassen. Wir werden die Probleme dieses Landes zusammen anpacken.« Er reichte ihm die Hand: »Ich bin stolz, Ihre Hand zu halten und mit Ihnen nach vorn zu schreiten.« Hätte Mandela ihn seine ganze Macht spüren lassen und ihn damit gedemütigt, hätte es zu einem Bürgerkrieg kommen können.

Ein sehr aufschlussreiches Experiment ist in diesem Zusammenhang das sogenannte 4–3–2 Spiel.32 Drei Versuchspersonen wird jeweils eine unterschiedliche Stimmanzahl für eine Entscheidung zuerkannt, zum Beispiel darüber, wie eine bestimmte Summe Geld aufgeteilt werden soll. Versuchsperson 1 hat vier Stimmen, Versuchsperson 2 hat drei Stimmen und Versuchsperson 3 hat nur zwei Stimmen. Die Mehrheit entscheidet über die Aufteilung. Doch dazu müssen zwei Teilnehmer eine Koalition bilden. Auch wenn die Anzahl der Stimmen unterschiedlich ist, hat jeder Spieler gleich viel Macht: Keiner kann allein entscheiden und jeder kann mit jedem zusammenarbeiten, um die Mehrheit zu erlangen. Dennoch kristallisiert sich etwas Interessantes heraus: In der Regel arbeiten Spieler 2 und Spieler 3 zusammen, also die Spieler mit drei und zwei Stimmen. Woran liegt das? Die scheinbar höhere Macht von Spieler 1 führt dazu, dass die anderen ihn als arrogant wahrnehmen und sich als Außenseiter sehen, die nun zusammenhalten müssen. Die Moral daraus: Blanke Macht schreckt ab, führt zu schlechterer Kooperation und damit zu verpassten Chancen.33

Zeigen Sie Ihre Macht, aber demütigen Sie Ihr Gegenüber nicht. Arbeiter in Japan tragen zum Beispiel schwarze Armbänder, um ihren Arbeitgebern zu zeigen, dass sie unzufrieden sind. Die Arbeitnehmer weisen höflich auf ihre Macht hin, statt sie direkt auszuüben.34 Solche symbolischen Streiks sind überraschend wirksam. Kommunizieren Sie daher durchaus Ihre Macht, steigern Sie mit Ihrer Macht aber auch Ihren Respekt vor dem anderen.

MACHT VERSTEHEN

  • Macht ist subjektiv.

  • Lassen Sie sich nicht einschüchtern.

  • Nehmen Sie wahr, wann Ihr goldener Moment ist.

  • Verringern Sie Ihre Macht nicht unnötig.

  • Manchmal sind Dritte der Schlüssel zu Ihrer Macht.

MACHT ERHÖHEN

  • Erzeugen Sie das Gefühl von Knappheit und Wettbewerb.

  • Setzen Sie Ihr Gegenüber unter Zeitdruck.

  • Schaffen Sie eine letzte Instanz, die das letzte Wort hat.

  • Werden Sie sich über Ihre und die BATNA Ihres Verhandlungspartners klar.

  • Erhöhen Sie Ihre BATNA, bevor Sie in die wichtigste Verhandlung gehen.