»Auch mit einer Umarmung kann man
einen Gegner bewegungsunfähig machen.«
Nelson Mandela
Hollywoodfilme haben das Bild des harten Verhandlers in unsere Köpfe eingebrannt: der Fiesling im Nadelstreifenanzug, der seine Forderungen knallhart auf den Tisch schleudert und genau so auch erfüllt bekommt. Aber Filme werden von Drehbuchautoren geschrieben und Drehbuchautoren werden verhältnismäßig schlecht bezahlt. Meistens haben sie noch nicht einmal das Recht, das Filmset zu betreten, auf dem gerade ihr eigenes Buch verfilmt wird. Traditionell haben sie den schlechtesten Vertrag aller Kreativen, die an einem Film mitarbeiten. Mit anderen Worten: Sie sind miserable Verhandler. Ironisch, dass gerade dieser Berufszweig das Bild des Verhandlers geprägt hat.
Wenn Sie wissen wollen, warum es für Ihren Verhandlungserfolg wichtig sein soll, eine Beziehung zu Ihrem Gegenüber aufzubauen, dann stellen Sie sich folgende Frage: Sind Sie in Verhandlungen großzügiger zu Menschen, die Sie mögen, oder zu solchen, die Sie nicht mögen? Die Sache ist ganz einfach: Menschen verhalten sich viel aggressiver gegenüber ihrem Verhandlungspartner, wenn keine Beziehung zu ihm besteht. Sie denken möglicherweise, dass die Beziehung nur in Situationen wichtig ist, in denen man viele Jahre Seite an Seite zusammenarbeitet. Tatsächlich gibt es kaum eine Verhandlung, die keine Chancen für die Zukunft bereithält. Sogar bei scheinbar einzelnen Transaktionen wie Autokäufen ist das der Fall: Verkäufer, die eine Beziehung zum Kunden aufbauen und sich auch nach dem Kauf um ihn kümmern, stehen bei ihren Kunden ganz oben auf der Liste, falls das Kind, der Ehepartner oder der Kunde selbst wieder einmal ein Auto brauchen sollte. Joe Girard, der wohl erfolgreichste Autoverkäufer der Welt, schickt nicht umsonst monatlich etwa 13 000 Grußkarten an seine Kunden. Die Beziehung zu Ihnen ist ein handfester Vorteil und ein klares Unterscheidungsmerkmal von anderen Anbietern der gleichen Ware.
In seinem Verhandlungskurs lässt Stuart Diamond seine Studenten bewerten, welche Verhandlungteams in Verhandlungssimulationen bessere Ergebnisse erzielten. Das Resultat ist fast immer das gleiche: Diejenigen, die sich gegenseitig schlecht behandelten, schnitten schlechter ab (Drohungen, Beleidigungen, Unterbrechungen, Sarkasmus …). Je besser die Beziehung war, die sie herstellten, desto besser das Verhandlungsergebnis. Menschen behandeln andere nicht nur besser, wenn sie sie mögen, sie lassen sich auch eher von ihnen überzeugen – Sie können niemanden überzeugen, der Sie nicht mag.1 Beim Verhandlungspartner beliebt zu sein, ist also von entscheidender Bedeutung. Der Sänger ist wichtiger als das Lied.
Es spielt dabei keine Rolle, wie unsympathisch Ihnen der andere ist und in welcher Exremsituation Sie sich befinden. Von Geiselnahmen wissen wir mittlerweile, dass, mit jeder Minute, die die Geiseln am Leben bleiben, die Chance steigt, dass der Geiselnehmer sie frei lässt. Warum ist das so? Weil er eine Beziehung zu den Geiseln herstellt und es ihm mit jedem Moment schwerer fällt, sie zu töten. Bekannt ist das regelmäßig auftretende Stockholm-Syndrom, benannt nach einem Banküberfall in der schwedischen Hauptstadt im Jahr 1973, bei dem sich Geiselnehmer und Geisel ineinander verliebten und schließlich sogar zusammenblieben, als der Bankräuber seine Haft hinter schwedischen Gardinen absaß.2
Josef Stalin soll einmal gesagt haben, ein einzelner Toter sei eine Tragödie, eine Million Tote aber nur eine Statistik. Und tatsächlich: Wir müssen uns mit den Protagonisten identifizieren, um etwas zu empfinden. Wenn Sie also eine große Organisation oder eine Behörde repräsentieren, sorgen Sie dafür, dass Sie als Individuum wahrgenommen werden: »Ich habe lange mit meinen Vorgesetzten über Ihren Fall gesprochen – bitte lassen Sie mich jetzt nicht hängen.« So bringen Sie den anderen dazu, eine persönliche Beziehung zu Ihnen aufzubauen, statt Sie als »das Unternehmen« oder »die Behörde« zu sehen.
Beziehungen herzustellen, um seine Ziele durchzusetzen, mag auf den ersten Blick manipulativ und unmoralisch erscheinen. Allerdings geht es hier nicht darum, den anderen zu täuschen. Eine gute Beziehung verbessert das Klima und ist für beide Seiten ebenso angenehm wie vorteilhaft. Feinde hingegen werden Ihnen noch jahrzehntelang Steine in den Weg legen. Egal, wie gut Ihre Argumente und wie sinnvoll Ihr Anliegen auch ist: Sie werden stets ein Haar in der Suppe finden und Ihnen das Leben schwer machen.
Sie müssen also rechtzeitig damit beginnen, sich Freunde zu machen: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mitten in einer heißen Verhandlung. Ihr Gegenüber holt eine Pralinenschachtel hervor und reicht sie Ihnen. Was denken Sie in dem Moment? Wahrscheinlich etwas wie: »Was für ein billiger Trick, um mich weich zu klopfen.« Warum? Weil es zu spät ist. Wenn er Ihnen während der Verhandlung einen starken Kaffee bringt, denken Sie vielleicht: »Was für ein gerissener Hund, er will, dass ich nachts nicht schlafen kann und morgen müde bin.« Das, was vor der Verhandlung oder zumindest vor der heißen Phase als Nettigkeit positiv wirkt, sieht nun aus wie kühle Berechnung.3
Wenn Sie – mit einem verkrampften Lächeln – an die Tür des anderen klopfen, sobald Sie etwas brauchen, ist es schon zu spät. Stellen Sie sich vor, Ihre Nachbarin hat die unangenehme Gewohnheit, ab 23 Uhr ihr Wohnzimmer in einen Technotempel zu verwandeln. Bitten, Diskutieren, Drohen – nichts hat genützt. Schließlich kommt einer der schönsten Tag Ihres Lebens: Ihre Nachbarin zieht aus. Was machen Sie, damit sich der Ärger nicht wiederholt? Abwarten, hoffen und möglicherweise das gleiche Theater noch einmal erleben? Werden Sie sofort aktiv! Begrüßen Sie den neuen Nachbarn mit einem Kuchen, lassen Sie sich hineinbitten und erzählen Sie ihm, wie sehr Sie sich freuen, dass er nun hier wohnt. Je früher Sie anfangen, eine gute Beziehung aufzubauen, desto besser. So wird es von vorneherein zu weniger Missverständnissen kommen. Das gilt für die unterschiedlichsten Situationen. Statt auf den schlechten Charakter werden unklare Handlungen nun auf die Umstände geschoben: »Er hat bestimmt persönlichen Ärger und ist heute nicht gut drauf.« Oder »Sie steht bestimmt im Stau«.4
Beginnen Sie früh genug, auf so vielen Ebenen und mit so vielen Personen wie möglich Beziehungen aufzubauen. Anwaltskanzleien und Berater konzentrieren sich auf gute Beziehungen zum Topmanagement in den Unternehmen, die sie konsultieren. Wenn die Führungskräfte abwandern, haben sie allerdings ein Problem. Je dichter das Netz, desto nachhaltiger Ihr Verhandlungserfolg. Womöglich sind die Betas von heute die Alphas von morgen. Die Beziehung wird zu einer Art Auffangnetz, falls alle anderen Verhandlungsstricke reißen.5
Warum, denken Sie, gilt Ronald Reagan noch immer als Lichtgestalt unter den US-Präsidenten? Was genau hat er getan? Selbst hartgesottene Fans wissen es nicht. Der Biograf Edmund Morris verglich ihn daher mit dem Planeten Jupiter: »Ein diffus amorphes Objekt mit einer riesigen Anziehungskraft.« Jimmy Carter hingegen war nicht gerade für sein Charisma bekannt. Wenn er irgendwo hereinkam, war es, so scherzte man, als ob gerade jemand den Raum verlassen habe, bei Kamingesprächen mit ihm ginge meist das Feuer aus.6 Dennoch erreichte er als Verhandler ausgesprochen viel, was ihm schließlich sogar den Friedensnobelpreis einbrachte. Charisma ist also nicht unbedingt notwendig, um eine Beziehung zum Verhandlungspartner herzustellen.
Stellen Sie sich eine Verhandlung der Amerikaner mit den Taliban vor, und das Gespräch beginnt mit Anmerkungen zum Wetter, Fragen zur Familie und zur Lieblingsspeise. So seltsam es klingen mag, aber tatsächlich ist das die beste Eröffnung für eine zielführende Verhandlung.
Anstatt sich hinzusetzen und zu sagen: »Kommen wir zum Punkt«, messen Sie erst einmal die emotionale Temperatur im Raum. Ist Ihr Gegenüber gestresst, nervös und aggressiv, oder ist er gutgelaunt, aufgeschlossen und zuvorkommend? Auch Menschen, die Sie gut kennen, können tagesabhängig völlig anders erscheinen. Selbst wenn Ihr Gegenüber dafür bekannt ist, unverschämt in seinen Forderungen und seinem Auftreten zu sein, sollten Sie ihm offen und freundlich begegnen. Statt ihn in seinen Aggressionen zu bestärken, machen Sie ihn so nachsichtiger. Menschen verhalten sich nämlich häufig genau so, wie man es von ihnen erwartet.
Wenn Sie Freunde bei einer Unterhaltung beobachten oder generell Menschen, die sich gut verstehen, wird Ihnen etwas auffallen: Sie passen sich einander an. Die Körpersprache, das Tempo der Bewegungen und der Worte, ja sogar der Sprachstil, ob umgangssprachlich oder formell, ähnelt sich. Wir beeinflussen andere dann am besten, wenn wir den Gefühlszustand des Gegenübers spiegeln: Zornige Menschen lassen sich am besten von anderen Zornigen beeinflussen und traurige am besten von Traurigen.7 Damit ist nicht gegenseitiges Anbrüllen oder eine gemeinsame Heulorgie gemeint, sondern eine leicht zur Schau gestellte Emotion. Stellen Sie sich auf Ihren Gesprächspartner ein, ohne ihn nachzuäffen. Dieser Rapport, die wechselseitige Aufmerksamkeit zwischen zwei Personen in einer Interaktion, spielte schon für Sigmund Freud eine entscheidende Rolle bei seiner Beziehung zu seinen Patienten.8
Was heißt das nun für Sie? Statt mit »Also, wie teuer soll das Haus nun sein?«, beginnen Sie mit: »Wohin ziehen Sie denn nun?«9 Starten Sie mit einer Plauderei über Dinge, die fast jeden interessieren und niemandem weh tun: das Wetter, Filme, Urlaub, Essen oder Sport. Sie sprechen über die Bilder an der Wand und erfahren, dass Ihr Verhandlungspartner eine Tochter hat, die Künstlerin ist, obwohl er ursprünglich wollte, dass sie ihr Medizinstudium beendet. Anknüpfungspunkte ebnen den Weg für ein interessantes Gespräch. Natürlich hilft es, sich vor dem Gespräch über die anderen zu informieren: Was sind ihre Interessen? Wie verliefen ihre Lebenswege? Manchmal fragen mich Menschen Persönliches nach meiner Familie oder meinen liebsten Reisezielen, aber ich merke, dass sie die Antworten eigentlich gar nicht interessieren. Sie scheinen lediglich antrainiertes Verhalten abzuspulen. Die Kunst des Smalltalk besteht allerdings darin, unter den üblichen Höflichkeiten schnell Dinge zu finden, die beide Gesprächspartner tatsächlich interessieren. So wird aus einem lästigen Ritual nicht nur etwas Angenehmes für alle Beteiligten, sondern auch etwas Nützliches für Sie, denn schlechtgelaunte Verhandler sind in der Regel deutlich kritischer.10
Nett zum Verhandlungspartner zu sein, bedeutet nicht, Ihre Ziele mit weniger Inbrunst zu verfolgen. Gerade dann, wenn Ihr Gegenüber den Unterschied zwischen Ihrer Position und Ihnen als Person bemerkt, fühlt er etwas, das in der Psychologie als Kognitive Dissonanz bekannt ist: ein unangenehmes und widersprüchliches Gefühl. Jetzt ist die Chance hoch, dass er das Störgefühl aus der Welt schaffen wird, indem er sich bei dem Problem kooperativ zeigt und so die Harmonie wiederherstellt.11
Beginnen Sie daher stets mit den unproblematischen Punkten. Je häufiger Sie den anderen dazu bringen, Ja zu sagen, desto eher wird er auch bei den kritischen Punkten zustimmen.12 Dadurch wird die Atmosphäre positiv aufgeladen, und Sie schaffen von Anfang an Rapport und ein Klima der Zusammenarbeit. Eine Maklerin, zum Beispiel, die ihren Kunden während einer Hausbesichtigung dazu bringt, zuzustimmen, dass das Haus in einer guten Gegend liegt, über eine wunderbare Terrasse und eine schöne Aussicht verfügt, hat ihre Chance auf einen Verkauf bereits deutlich erhöht.13 Probieren Sie diese Vorgehensweise mal aus, wenn Sie Streit mit Ihrem Partner haben und dicke Luft herrscht: Stellen Sie banale Fragen wie »Ist es schon acht Uhr? Hast du auch Hunger?« Viele auch noch so belanglose Ja machen aus einem verfahrenen Konflikt einen offenen Dialog.14
Sollten Sie in der Verhandlung auf problematische Punkte stoßen, können Sie diese auf eine Liste setzen und später angehen. Gleich am Anfang können Sie festlegen, dass jeder Punkt, dessen Besprechung vermutlich länger als 15 Minuten dauern wird, nach hinten gesetzt wird.15 So sind Sie um Mitternacht bei Punkt 22, statt bei Punkt 5.
Es gibt keinen kürzeren Weg, eine Beziehung aufzubauen als über Dritte. Sicherlich kennen Sie viele Paare, die sich »über Freunde« kennengelernt haben. Wenn Sie jemanden bei einem Abendessen mit Freunden kennenlernen, steht diese Beziehung direkt unter einem guten Stern. Wenn Sie in Ihrem Unternehmen oder Bekanntenkreis Menschen haben, die eine gute Beziehung zu Ihrem Verhandlungspartner pflegen, nehmen Sie sie mit oder lassen Sie sich zumindest vorstellen – am besten persönlich.
Das Gleiche gilt auch umgekehrt: Suchen Sie sich Ihre Verhandlungspartner über Freunde und Bekannte. Wenn Sie etwa ein neues Auto kaufen wollen, lassen Sie sich einen Händler empfehlen, mit dem jemand, den Sie kennen, gute Erfahrungen gemacht hat. Ihre Vorteile? Statt einer einzelnen Transaktion sieht der Händler nun die Möglichkeit, mit dem Netzwerk Ihres Freundes langfristig Geschäfte zu machen, und er wird deutlich zuvorkommender sein. Suchen Sie also lieber einen Händler als ein Auto.16
Rapport und gute Beziehungen herzustellen, ist also sehr einfach: Es genügt schon, sich nach der Stimmung des anderen zu erkundigen und kurz nett zu plaudern, damit der Verhandlungspartner nachgiebiger wird.17 Das scheint vor allem daran zu liegen, dass durch ein nettes Gespräch eher ein freundschaftlicher Rahmen geschaffen wird, in dem andere Kriterien gelten als bei einer Verhandlung mit einem Fremden.18 Versuchen Sie, möglichst viel Zeit auf informelle Weise mit dem anderen zu verbringen. Wenn Sie keine Zeit haben, essen zu gehen oder sich auf ein Bier zu treffen, dann kommen Sie zumindest etwas früher an, bevor die offizielle Verhandlung losgeht.19
Wie auch Schüler und Studenten besser in Kursen lernen, in denen sie mitarbeiten statt nur zuzuhören, sind Menschen eher bereit, ihre Ansichten zu ändern, wenn sie in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden.20 Hinzu kommt, dass Menschen weniger gewillt sind, eine Verhandlung abzubrechen, wenn sie selbst schon Zeit und Mühe investiert haben.
Bei den meisten Verhandlungen sind nicht alle Personen anwesend, die von der Entscheidung betroffen sind: Vorstände entscheiden über Fusionen, die Tausende von Mitarbeitern betreffen; Gewerkschaften verhandeln über die Arbeitsbedingungen aller Mitglieder; Eltern entscheiden über einen Umzug der ganzen Familie. Wenn die Beteiligten aber nicht involviert werden, fühlen sie sich ausgeschlossen und werden eher gegen die Entscheidung aufbegehren.
Ausgeschlossen zu sein weckt tiefe Ängste. Ob es um ein Mittagessen geht, zu dem man nicht eingeladen wird, ein Kollegengeburtstag in der Etagenküche oder um ein Meeting, über das man nicht informiert wurde. Vom Stamm ausgeschlossen zu werden, bedeutete den sicheren Tod für unsere Urahnen. Diese Urangst kann noch heute sehr leicht geweckt werden.21
Indem Sie Beteiligte nicht in den Entscheidungsprozess involvieren, schaffen Sie sich Gegner. Vielleicht wollen Sie nur Zeit sparen, am Ende kostet es Sie aber umso mehr, alle Widerstände aus dem Weg zu räumen, die Ihnen die gekränkten Kollegen entgegensetzen, weil sie übergangen wurden. Häufig genügt es schon, eine E-Mail zu schreiben und Ihren Mitstreitern Ihre geplante Entscheidung zu schildern. Dann fügen Sie einen Satz an wie »Wenn ich bis morgen 12 Uhr nichts höre, gehe ich davon aus, dass Ihr nichts dagegen habt.« Auch wenn es nun Gegenstimmen gibt, müssen Sie noch nicht einmal einlenken: Entscheidend ist, dass Sie den anderen das Gefühl geben, dass ihre Meinungen und Gedanken geschätzt werden.22
Die Weltpolitik wäre sicherlich ganz anders verlaufen, wenn George Bush am 12. September 2002 vor den Vereinten Nationen nicht einfach nur angekündigt hätte, den Irak anzugreifen.23 Denn das führte dazu, dass sich knapp 200 Staatsoberhäupter überrumpelt und übergangen fühlten. Der Krieg wurde mehrheitlich kritisiert, schließlich fand sich eine sogenannte »Koalition der Willigen«, die die USA unterstützten; darunter globale Schwergewichte wie El Salvador, Eritrea, Lettland, Mikronesien, Palau und Costa Rica, das nicht einmal über eine Armee verfügt. Hätte Bush die Welt involviert, wären die Argumente gegen eine Invasion selbstverständlich nicht einfach verpufft, aber zweifellos hätte er größere Unterstützung bekommen und sich nicht den Ruf des Kriegstreibers eingehandelt, der sich bis heute hält.
Was Sie immer tun können, ist, den Betroffenen sobald wie möglich von Ihrer Entscheidung in Kenntnis zu setzen, am besten, bevor er über Dritte davon erfährt. Eine weitere einfache Methode, den anderen zu involvieren, ist es, ihn um Rat zu fragen. Ihr Verhandlungspartner wird überrascht sein und sich geschmeichelt fühlen, dass Sie seine Expertise und sein Urteil respektieren.24 Zudem geben Sie ihm damit die Möglichkeit, das Problem aus Ihrer Sicht zu sehen: »Was soll ich meinem Chef sagen, wenn ich Ihr Angebot annehme?« Vielleicht ist nun das erste Mal, dass Ihr Verhandlungspartner Ihre Situation versteht. Wenn Sie Ärger mit einer Behörde haben, weil Ihr Mietshaus die Brandschutzauflagen nicht erfüllt, dann blaffen Sie den Beamten nicht an, sondern fragen ihn: »Sie kennen sich da ja am besten aus. Wozu würden Sie mir jetzt raten?« Aus einem Gegner machen Sie so einen Ratgeber. Sein großes Ego ist Ihnen nun sogar von Nutzen. Der Harvard-Professor William Ury hält das Um-Rat-Fragen für eine der effektivsten Methoden überhaupt, die Verhandlung zu beeinflussen: Ihr Gegenüber fühlt sich ernst genommen und möchte Sie nicht enttäuschen. »Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?« Wenn Ihnen die Antwort nicht gefällt, kann hierauf immer ein ironisches »Wie schade, dass Sie nicht ich sind« folgen.25
Als sich Armand Hammer, der legendäre amerikanische Öl-Tycoon in den Sechzigerjahren um die Bohrrechte in Libyen bewarb, tat er dies auf eine sehr originelle Art: Er ließ sein Angebot auf Schafshaut schreiben und mit Bändern in den libyschen Nationalfarben verschnüren – grün und schwarz. Damit zeigte er, dass er nicht nur ein Geschäft abschließen wollte, sondern auch, dass er sich mit den Traditionen seines Verhandlungspartners befasst hatte und sie respektierte. Anders als andere Bewerber war er nicht irgendjemand, der etwas wollte, sondern ein Mensch, der seinen Verhandlungspartner schätzte.26 Und siehe da: Er erhielt die Rechte. Wertschätzung funktioniert nicht nur von oben nach unten. Auch seinem Verhandlungspartner kann man Wertschätzung entgegenbringen.
Der österreichische Psychotherapeut Alfred Adler sah im sogenannten Minderwertigkeitskomplex das über die Jahre gesteigerte Gefühl niedrigen Status, das seinen Ursprung in unserer Machtlosigkeit als Kind hat. Das Streben nach höherem Status begleitet daher unser gesamtes Leben. Und tatsächlich: Wenn man jemandem seinen Status abspricht, fühlt er sich gedemütigt und reagiert oft unklug – eine rationale Verhandlung wird jetzt fast unmöglich.
Gerade wenn ein Dritter dabei ist, müssen Sie vorsichtig sein. Wenn Ihr Verhandlungspartner Sie im Eifer des Gefechts als Idioten und Betrüger bezeichnet und sich am nächsten Tag bei Ihnen entschuldigt, kann es gut sein, dass Sie ihm verzeihen. Wenn allerdings noch andere dabei waren, wird das deutlich schwieriger. Sie würden zumindest eine öffentliche Entschuldigung fordern, und wenn Sie sie nicht bekämen, würden Sie es dem anderen vielleicht bis ans Ende Ihrer Tage nachtragen.27
Die Verhandlung gleicht häufig einem Kampf um den höheren Status, allerdings gibt es kein Gesetz, dass nur eine Partei pro Verhandlung einen solchen haben darf. In Universitätskliniken zum Beispiel herrscht, ganz ähnlich wie in Großunternehmen, eine klare Hackordnung: Der Chefarzt wird wie ein König behandelt, bei der Chefvisite lauscht sein Tross aus Oberarzt, Assistenzärzten, Pflegern und dem restlichen Anhang wie gebannt seinen häufig ahnungslosen Ergüssen, man lacht über jeden seiner dämlichen Witze. Dabei ist Status nicht an Hierarchien gebunden. Es gibt aber viele Bereiche, in denen Menschen über einen hohen Status verfügen können. So schrieb schon der amerikanische Schriftsteller Ralph Waldo Emerson: »Jeder Mensch, mit dem ich zu tun habe, ist mir in irgendeiner Beziehung überlegen, und ich kann von ihm lernen.« Finden Sie heraus, was das besondere Talent Ihres Gegenübers ist, denn jeder Mensch hat zumindest eine Fähigkeit, die Sie nicht haben: Lebenserfahrung, Beziehungen, emotionale Intelligenz, Sportlichkeit, Kochkünste.28 Sobald Sie etwas gefunden haben – und wenn es auch nur eine Expertise zu Modelleisenbahnen der Jahre 1923–24 ist – wird Ihr Respekt und damit Ihre Wertschätzung für diesen Menschen spätestens in dem Moment steigen, in dem er voller Begeisterung beginnt, über seine Leidenschaft zu sprechen.29 Jemanden zu respektieren, bedeutet weder, ihn zu mögen, noch mit ihm einer Meinung zu sein. Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen »re-« für »noch einmal« ab in Kombination mit »spectare« – also »schauen«: noch einmal schauen. Wenn Sie also auf den ersten Blick nichts Besonderes sehen, schauen Sie genauer hin, um das Schätzenswerte hinter allem Getöse zu sehen.
Nun können Sie Wertschätzung zeigen, etwa indem Sie Ihr Gegenüber loben. Merken Sie sich dabei, dass ein spezifisches Lob besonders wirkungsvoll ist. Wenn nach einer Veranstaltung jemand zu mir kommt und sagt »Super Vortrag!« hat es nicht annähernd die gleiche Wirkung wie »Der logische Aufbau und die lebendigen Beispiele haben mir sehr gefallen«.
Gerade Dienstleister am unteren Ende der Nahrungskette fühlen sich häufig nicht gewürdigt, sondern kommen sich vor wie der selbstverständliche Teil einer Infrastruktur, wie ein Automat oder ein Möbelstück. Gerade weil sie nur in einem so begrenzten Kontext ihre Macht ausüben können und ansonsten wenig zu melden haben, nutzen sie sie umso mehr aus. Ihre Wertschätzung kann das ändern.30
Der Kellner, der über Ihren gelungenen Abend entscheidet, die Rathausbeamtin, die Ihnen eine Woche bürokratischer Scherereien verursachen könnte. Wenn Sie die Macht Ihrer Gegenüber schätzen, werden sie keine Freude mehr daran haben, sie auszuüben. Wer würde es schon genießen, auf die andere Wange Jesu einzuschlagen?
Wenn Sie auf einen Polizisten, der Sie unangeschnallt in Ihrem Auto erwischt, genervt und abweisend reagieren, dann wird er es auskosten, Sie zu bestrafen. Wenn Sie den Polizisten aber schätzen und anerkennen, ändert es alles. Auch wenn es Ihnen schwerfällt, versuchen Sie es mal damit: »Vielen Dank, dass Sie mich angehalten haben. Sie haben vielleicht mein Leben gerettet.«31 Noch ein Tipp an dieser Stelle: Je länger Sie ihn vom Ausstellen des Strafzettels abhalten – etwa mit einer Salve von Fragen –, desto wahrscheinlicher werden Sie ungeschoren davonkommen. Denn sobald er etwas aufgeschrieben hat, greift das Konsistenzprinzip und er möchte nicht schwach erscheinen, indem er seine Meinung ändert. Geben Sie ihm auch einen nachvollziehbaren Grund für Ihren Fehler: Ärger mit dem Partner, der Chefin oder den Kindern – das macht es ihm noch leichter, Sie davonziehen zu lassen.32 Frauen kommen im Übrigen häufiger davon in solchen Situationen. Warum? Weil Sie Polizisten intuitiv auf einer menschlichen Ebene ansprechen, statt ihnen mit Dienstaufsichtsbeschwerden zu drohen.
KINDER UND WERTSCHÄTZUNG
»Alle glücklichen Familien ähneln einander, jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich«, schrieb der russische Schriftsteller Leo Tolstoi. Ministerposten und die Elternschaft gehören zu den wenigen verantwortungsvollen Positionen, für die keinerlei Ausbildung erforderlich ist, und so gibt es unzählige Fehler, die Eltern machen können, einfach deshalb, weil sie ihr Kind nicht richtig verstehen.
Das Weinen ist ein Druckmittel von Kindern, denn sie können sich noch nicht gut artikulieren und wissen, dass sie eine Diskussion mit ihren Eltern wahrscheinlich verlieren werden. Es ist ihnen klar, dass ihre Eltern sie ungern weinen sehen und auch, dass es ihnen in der Öffentlichkeit unangenehm ist. Kinder weinen auch dann häufig, wenn sie eine negative Emotion in sich tragen, die sie einfach nicht ausdrücken können. Aber sie tun es nicht gerne. Weinen kostet Kraft, ist anstrengend und macht keinen Spaß – es ist die Ultima ratio.
Kinder sind sich völlig bewusst darüber, dass sie weniger klassische Macht haben als Erwachsene: Wohnen, Essen, Kleidung – bei allem sind sie abhängig von den Eltern. Sie haben kein eigenes Geld. Wenn man Kindern droht, führt man ihnen ihre Machtlosigkeit vor Augen und erreicht eine starke Gegenreaktion wie das Weinen. Geben Sie Ihrem Kind stattdessen das Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben und der Wertschätzung. Wenn Ihr Kind etwas will, egal wie irrational es Ihnen in diesem Moment erscheint, wiegeln Sie es nicht ab, sondern fragen Sie nach. Wenn Ihr Kind lieber im Schlafzimmer isst, dann sehen Sie genauer hin. Liegt es vielleicht am Hocker dort, auf dem das Kind höher sitzt als sonst, und so mit den »Großen« auf Augenhöhe wäre? Stellen Sie den Hocker ins Esszimmer.
Wenn Sie wollen, dass Ihr Kind Ihre Bedürfnisse ernst nimmt, müssen Sie auch seine ernst nehmen. Lassen Sie Ihr Kind eine Wahl treffen, so häufig es eben geht: Wenn es um die Wahl des Restaurants geht aber auch bei scheinbar zwangsläufigen Dingen wie Zähneputzen: Geben sie ihm die Wahl über die Zahnbürste und die Zahncreme.
Laut einer Studie ist für 75 Prozent der Teenager das Wichtigste für eine gute Beziehung zu den Eltern, dass diese ihnen zuhören und sie verstehen. Nur 41 Prozent der Eltern aber empfinden das als ebenso wichtig.33
Stellen Sie sich vor, Sie schauen sich gerade die neue Staffel Ihrer Lieblingsserie an, jemand kommt rein und schaltet den Bildschirm ab. Statt sich zu entschuldigen, sagt er Ihnen jetzt auch noch, was Sie zu tun haben. Wie würden Sie sich fühlen?
Kinder kennen die Wirkung einer Entschuldigung. Auch wenn sie Überwindung kostet, so lernen sie früh von den Eltern, dass das Problem damit aus der Welt geschafft ist. Als Erwachsene haben wir das vergessen.34
Anwälte warnen häufig vor Entschuldigungen, weil damit der Weg zu Schadenersatzklagen geebnet werden könnte. Im Extremfall gestehen ganze Nationen über Generationen hinweg vergangene Fehler nicht ein: Das Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien – und damit mit vielen verbündeten Nationen auf der Welt – wäre um Längen besser, wenn sich die Türkei für das Massaker an Armeniern entschuldigte, statt es als »kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahme« zu verhöhnen.
Eine Entschuldigung ist häufig der einzige Weg, eine Angelegenheit abschließend zu klären und sachliche Gespräche zu ermöglichen, ohne dass das Gegenüber auf Rache sinnt – im Großen wie im Kleinen.35 Als ich als Rechtsreferendar am Landgericht Frankfurt medizinrechtliche Prozesse verfolgte, war es für mich ganz offensichtlich, dass mehr als die Hälfte der Prozesse niemals stattgefunden hätte, wenn der Arzt sich bei seinem Patienten einfach nur entschuldigt hätte.
Eine aufrichtige Entschuldigung stellt Vertrauen wieder her, Herumdrucksen zerstört es: »Ich bin zwar eine halbe Stunde zu spät da, aber eigentlich wäre ich pünktlich gewesen. Denn die U-Bahn, die ich eigentliche nehmen wollte, kam dummerweise zu früh und die, die ich danach nehmen musste, hatte Verspätung.« Die Entschuldigung ist glaubwürdiger, wenn Sie Verantwortung übernehmen und nicht versuchen, sie anderen Faktoren zuzuschreiben.
Sie müssen sich nicht selbst kasteien, aber seien Sie ehrlich und entschuldigen Sie sich für das, was Ihnen wirklich leidtut. Und wenn es nicht Ihre Tat war, dann doch zumindest für das Gefühl, dass es bei Ihrem Gegenüber auslöste: »Sie sind eine meiner besten Kundinnen, und es ist mir wirklich unangenehm, wenn Sie sich nicht gut beraten fühlen.« Es ist Ihnen ja wirklich unangenehm. Auch wenn Sie die Reaktion Ihres Gegenübers für völlig überzogen halten, so wollen Sie ja nicht, dass sie derartige negative Emotionen fühlt. Die ideale Entschuldigung beinhaltet außer dem Verständnis für die Gefühle des Gegenübers auch das explizite Eingestehen des eigenen Verhaltens: »Es tut mir leid, dass Sie aufgebracht sind, weil ich Sie angegriffen habe.« Die Forschungsergebnisse sind eindeutig36: Je schneller eine Entschuldigung geäußert wird, desto besser. Es ist allerdings wichtig, Ihren Fehler als außergewöhnliche Entgleisung darzustellen, damit Ihr Gegenüber nicht befürchten muss, dass es wieder vorkommt.
Essen erzeugt als lebensnotwendige Bedürfnisbefriedigung ein positives Gefühl, zumal vor Urzeiten Menschen nur dann zusammen aßen, wenn sie einem Stamm angehörten und vorher gemeinsam jagen waren. Dieses alte Gemeinschaftsgefühl wird wieder erweckt, wenn wir gemeinsam speisen. Wir bewerten sogar die Menschen und unsere Umgebung während des Essens positiver.37 Diese sogenannte Luncheon-Technik kommt häufig – bewusst oder unbewusst – zum Einsatz, ob man gemeinsam essen geht oder Fundraising-Dinner veranstaltet.
Wenn Sie also die Möglichkeit haben, mit Ihrem Verhandlungspartner zu speisen, dann nehmen Sie sie unbedingt wahr. Dazu müssen Sie ihn nicht einmal einladen. Lassen Sie Ihren Verhandlungspartnern nicht nur zu wichtigen Treffen und Konferenzen Kekse reichen, sondern immer, wenn sie Sie besuchen. Sie erhöhen das positive Gefühl, wenn Sie mitessen.
Ganz entgegen dem Image des gerissenen Hundes, der Verkaufen mit Lügen gleichsetzt und der Geschäftspartnerin nach der Unterschrift grinsend sagt, dass sie viel zu viel gezahlt habe, ist ein erfolgreicher Verhandler sehr darauf bedacht, ehrlich und korrekt zu sein – jedenfalls so wahrgenommen zu werden .38 Denn: Der Ruf des Verhandlers ist buchstäblich Gold wert.39
Wenn man das Vertrauen in Sie verliert, wird Sie das teuer zu stehen kommen. Der Verhandlungstrainer Stuart Diamond berichtet von einer Verhandlungssimulation, bei der ein Teilnehmer den anderen gemäß den Regeln explizit übers Ohr hauen darf.40 Genau das nutzte auch einer aus, woraufhin der andere vor versammelter Mannschaft schrie: »So, jetzt weiß ich alles über dich für den Rest deines Lebens.« Als man versuchte, ihn zu beruhigen, weil es doch nur ein Spiel sei, wurde er noch rasender: »Wenn du so schon bei einem Spiel bist, was machst du dann erst für echtes Geld?« Ähnliches kenne ich aus meinen Verhandlungstrainings, bei denen immer mal wieder ein Teilnehmer kein Wort mehr mit einem anderen wechselt, weil er sich übervorteilt fühlt – auch wenn es nur um eine fiktive Simulation ging.
Nein, den Wert seines guten Rufes darf ein Verhandler nie unterschätzen. Der US-Milliardär Warren Buffett, einer der erfolgreichsten Investoren der Geschichte, hat ganz Recht, wenn er sagt: »Es dauert 20 Jahre, einen Ruf aufzubauen, und fünf Minuten, um ihn zu ruinieren. Wenn Ihnen das bewusst ist, ändern Sie Ihr Verhalten.« Gegenseitiges Misstrauen schadet aber nicht nur dem Einzelnen, sondern allen Beteiligten. Der oberste Richter von Neu-Delhi schätzt, dass es etwa 466 Jahre dauern würde, alle dort anhängigen Verfahren abzuschließen.41 Wenn Sie einen Rechtsstreit mit einem indischen Geschäftspartner haben und in Neu-Delhi klagen, haben Sie also ein ernsthaftes Problem. In vielen Ländern der Welt ist die Justiz völlig überlastet oder hoffnungslos korrupt. Das führt dazu, dass Geschäftsleute mühevoll eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen müssen, bevor sie auch nur die kleinste Transaktion durchführen. Mit einem gut funktionierenden Rechtssystem im Rücken liegt unser Fokus hingegen weniger auf dem Aufbau der Beziehung als auf der Ausarbeitung des Vertrages.42 Vertrauen dem Verhandlungspartner gegenüber ist schön, wenn es aber gebrochen wird, können wir ja immer vor den Kadi ziehen. Sogar Eheverträge können wir durchsetzen, ein absurder Gedanke für andere Kulturkreise. Bei uns ist es nicht ungewöhnlich, dass wir gerade einen Geschäftspartner verklagen, aber gleichzeitig Geschäfte mit ihm machen. Je weiter Sie sich von einem traditionellen Rechtsstaat entfernen, desto wichtiger wird die Beziehung. Wenn auch nicht so unerlässlich wie in anderen Kulturen, so führt Vertrauen auch bei uns zu handfesten Vorteilen und der Mangel daran zu Nachteilen.
Nach der Finanzkrise im Zuge der Lehman-Pleite wurde es komplizierter, Darlehen zu bekommen; seit dem 11. September sind Sicherheitskontrollen an Flughäfen langwieriger. Die Transaktionskosten (für Informationsbeschaffung, Vertragsverhandlungen et cetera) des Einkaufs von General Motors etwa waren in den späten Neunzigerjahren doppelt so hoch wie die von Chrysler und sechsmal so hoch wie die von Toyota. Der Grund? Das Unternehmen wurde von seinen Zulieferern als deutlich weniger vertrauenswürdig eingestuft.43 Misstrauen ist teuer.
Wenn sich Verhandlungspartner vertrauen, neigen sie dazu, offen zu kommunizieren.44 Gewöhnen Sie sich daran, in jeder Konversation gestellte Fragen zu beantworten. Auszuweichen, indem man eine Gegenfrage stellt oder die Frage gar ignoriert, ist typisch für unsympathische Politiker und beschädigt Ihre Glaubwürdigkeit nachhaltig.
Wir mögen und vertrauen Menschen, die etwas von sich preisgeben, zum Beispiel wie gerne sie reisen oder welche Filme sie mögen. Durch die Preisgabe persönlicher Informationen werden Sie glaubwürdiger und beliebter. Ein kleiner Blick hinter die Kulissen genügt. Die persönliche Information muss ja nicht intim sein; sie darf es nicht einmal sein. Zu intime Informationen, etwa ein ausführlicher Bericht über eine unangenehme Scheidung, sind für den Zuhörer unangenehm.
ETHIK IN DER VERHANDLUNG
Das Gerede über Ethik und soziale Verantwortung von Unternehmen hat mittlerweile schon unerträgliche Ausmaße angenommen. Im wirtschaftlichen Kontext haben Unternehmen nur eine einzige Pflicht: Profit zu maximieren.45 Nur so bleiben Arbeitsplätze langfristig erhalten und ein Land besteht im internationalen Wettbewerb. Selbstverständlich müssen Unternehmen dabei die gesetzlichen Rahmenbedingungen einhalten. Manager, die aufgrund eines sozialen Gewissens Geld des Unternehmens verschenken – etwa für soziale Projekte, – verschenken fremdes Geld. Ein Unternehmer selbst darf natürlich über sein Eigentum verfügen wie er möchte, und eine Großzügigkeit gegenüber der Gemeinschaft ist sehr begrüßenswert, wie auch jeder Manager sein Gehalt gerne spenden darf.
Als ich Rechtsreferendar am Frankfurter Strafgericht war und gesehen habe, wie der Staatsanwalt jeden armen Tropf, der sich etwas zuschulden kommen ließ, bevormundete, als ob er selbst Jesus 2.0 sei, habe ich mich entschlossen, mich niemals derart über Menschen zu erheben. Eine sehr nüchterne Analyse habe ich in meinem Buch Die Moral des Glücks angesetzt: Hier bin ich der für mich interessantesten Moralphilosophie, der Ethik der Glücksmaximierung – dem Utilitarimus – näher auf den Grund gegangen. Fragen in den Raum zu stellen und dann zu verschwinden, ist der sicherste Weg, anderen moralische Tipps zu geben.46 Tun Sie, was Sie wollen, aber denken Sie dabei an Folgendes:
Je strenger das ethische Korsett, dass Sie sich für Ihre Verhandlungen anlegen, desto höher der Preis, den Sie zahlen müssen: Sie werden so häufiger Deals platzen lassen und auf höhere Profite zugunsten Ihrer Werte verzichten. Umgekehrt: Wenn Ihre
moralischen Standards zu niedrig sind, dann nehmen Sie vielleicht jeden Krümel vom Verhandlungstisch, Ihr Ruf wird aber schnell ruiniert sein, und Sie fühlen sich – falls noch etwas Anstand in Ihnen wohnt – miserabel.47 Was Sie tun, ist Ihre Entscheidung. Wichtig ist, dass Sie bei Ihren moralischen Standards bleiben, ganz egal wie Ihr Gegenüber handelt.48
Wenn Sie bei einem ersten Date im Restaurant sitzen, sagen Sie dann: »Du hasst also Fisch? Wie faszinierend, denn ich liebe ihn!« Wohl kaum. Auch wenn es Unterschiede sind, die unser Leben interessant machen, so stoßen sie uns erst einmal ab. Es sind Gemeinsamkeiten, deretwegen wir uns sympathisch sind. Diese sogenannte Ähnlichkeits-Attraktions-Hypothese ist sehr gut dokumentiert. Erfolgreiche Verhandler zeigen gut viermal häufiger Gemeinsamkeiten mit ihren Geschäftspartnern als mittelmäßige. In so gut wie jeder Verkaufsschulung wird beigebracht, auf Ähnlichkeiten aufzubauen – völlig zu Recht.
Finden Sie also mögliche Gemeinsamkeiten und heben Sie sie hervor: Herkunftsort, Schulen, Universitäten, Geburtstage, gemeinsame Freunde.49 Die Ähnlichkeiten müssen nicht besonders tiefgehend sein. Es gibt genug, bei dem Sie sowieso schon übereinstimmen. Ein US-Senator sagt zu jedem seiner Mitarbeiter, dass sie niemals mit seinen Wählern streiten dürften, auch wenn sie völlig falsch lägen.50 Statt, wie üblich, bei 99 Prozent Einigkeit sofort über das 1 Prozent Uneinigkeit zu diskutieren, sollen sie sich sogar bei 99 Prozent Uneinigkeit auf das 1 Prozent Einigkeit konzentrieren. Als Harmony-and-Light-Speech bezeichnet man das nette Vorgeplänkel vor der Verhandlung. Typische Sätze sind: »Wir sitzen doch in einem Boot.« Oder: »Wir wollen uns vernünftig einigen, damit wir noch viele Jahre gut zusammenarbeiten.« Sogar wenn der andere am Inhalt der Sätze zweifelt, zeigen sie doch, dass man eine persönliche Beziehung aufbauen möchte und nicht nur den schnellen Vorteil sucht.51 Es gibt immer ein gemeinsames Ziel, auch wenn es nicht offensichtlich ist: Wo liegt es zum Beispiel beim Schach, wo es scheinbar nur darum geht, den anderen zu besiegen? Wenn ein Hund alle Figuren umrempelt, dann wird Ihnen bewusst, dass es sehr wohl ein gemeinsames Ziel gibt, nämlich das, in Ruhe zu spielen.52
Fast ebenso nützlich wie gemeinsame Ziele sind gemeinsame Feinde. Der »Feind« muss noch nicht einmal eine Person sein. Es kann eine Gruppe (»der Vorstand«) oder sogar nur eine Idee (»der Sozialismus«) sein. Dieses Stammesdenken appelliert an eine scheinbare Gruppenidentität: Wir sind gut, die anderen sind böse.53
Im Kleinen kennen Sie das bestimmt: Sie beschweren sich über eine Woche Regen, über die immer schlechter werdende Parkplatzsituation oder über die Bürokratie in Unternehmen. Instinktiv erwähnen Sie derlei im Alltag, weil Sie wissen, dass Sie so Ihrem Gesprächspartner näher kommen. Nutzen Sie es bewusst für Ihre Verhandlung!
Ein US-Automobilkonzern hielt einen Aktienanteil von 10 Prozent an einem koreanischen Automobilhersteller.54 Der amerikanische Vorstandsvorsitzende besuchte seinen koreanischen Kollegen und fragte ihn bei der Gelegenheit, ob sein Unternehmen den Anteil auf 50 Prozent aufstocken könne, woraufhin der Koreaner mit »Das ist nicht unmöglich« antwortete. Kaum wieder zu Hause schickte der Amerikaner eine Gruppe Manager zu Verhandlungen nach Korea. Sonderbarerweise wurde dort über Wochen jedes Meeting abgesagt und verschoben. Irgendwann hatte ein koreanischer Manager Erbarmen und nahm die ratlosen Amerikaner zur Seite: »Das ist nicht unmöglich«, hieß nicht etwa »Das ist möglich«, sondern »Nur über meine Leiche!«
»Im HIMMEL … |
In der HÖLLE … |
Die Italiener sind die Liebhaber, |
Die Schweizer sind die Liebhaber, |
Die Franzosen kochen das Essen, |
Die Engländer kochen das Essen, |
Die Schweizer führen die Hotels, |
Die Franzosen führen die Hotels, |
Die Deutschen sind die Mechaniker |
Die Italiener sind die Mechaniker |
Und die Engländer sind die Polizisten. |
Und die Deutschen sind die Polizisten.« |
George Carlin |
Kulturelle Vorurteile sind platt und häufig auch gefährlich, aber es gibt nun mal Unterschiede. Die Inhalte der Verhandlungen allerdings sind nicht kulturabhängig, woran sie meistens scheitern, sind einfache Missverständnisse. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, zu verstehen, wie in der jeweiligen Kultur Information geteilt wird.55 Kulturelle, religiöse und geschlechtliche Identitäten hingegen werden überschätzt, vielmehr zählt das, womit Menschen sich tatsächlich identifizieren.56 Eine arabische Internistin in Beirut ist einer israelischen Internistin in Tel Aviv sicherlich ähnlicher als einer arabischen Sängerin. Ein deutscher Vertriebsleiter fühlt sich einem indonesischen Vertriebsleiter möglicherweise viel näher als seinem Kollegen aus der Produktion im Büro nebenan. Dasselbe gilt auch für Konzerne: Sony zum Beispiel, ist zwar ein japanisches Unternehmen. Es ist allerdings in seiner Kultur direkt und konfrontativ wie ein westliches Unternehmen.57 Man neigt dazu, in seinen Verhandlungspartnern »die Chinesen« oder »die Amis« zu sehen. Stellen Sie sich vor, dass auch Sie vom anderen als ein Haufen Deutscher, Österreicher oder Schweizer gesehen werden, und schauen Sie sich Ihr Team genau an: Sie sind keineswegs eine homogene Einheit, sondern eine Ansammlung unterschiedlichster Charaktere. Kulturelle Normen sind lediglich Durchschnittswerte mit riesigen Abweichungen und daher nicht zu überschätzen.
Versuchen Sie nicht, in die Kultur des anderen zu schlüpfen. Viele Manager verbiegen sich bei ihrem Gastgeber: Sie zwängen sich für stundenlange Teezeremonien in Kimonos und essen Dinge, die sie in ihrer Heimat in den Müll werfen würden. Sie erwarten von einem australischen Besucher hoffentlich auch nicht, dass er Sülze und Eisbein isst, nur weil der ein oder andere wunderliche Deutsche so etwas mag. Ebenso gilt: Sie müssen nicht so werden, wir Ihr Verhandlungspartner. Sie müssen nur zeigen, dass Sie ihn schätzen und respektieren.58 Ein »Guten Tag« in der Sprache Ihrer Gastgeber genügt schon. Entschuldigen Sie sich im Vorfeld für mögliche Fehltritte: »Falls ich in ein Fettnäpfchen trete, möchte ich mich schon einmal dafür entschuldigen. Bitte helfen Sie mir und sagen Sie es mir dann, damit ich Ihre Kultur besser verstehen kann.« Jeglichen kulturellen Missverständnissen haben Sie damit schon den Wind aus den Segeln genommen und eine vertrauensvolle, kooperative Atmosphäre hergestellt.