»Nichts verleiht einem mehr Überlegenheit,
als unter allen Umständen ruhig und gelassen zu bleiben.«
Thomas Jefferson
So gut eine Beziehung auch ist, so wenig ist sie vor Emotionen gefeit, denn irgendeine Emotion wirkt immer auf uns ein: Wir sind glücklich und wollen tanzen, oder wir sind traurig und wollen am liebsten allein sein. Ob es uns gefällt oder nicht: Es sind Emotionen, die uns zu den meisten Handlungen motivieren.1 Auch in Verhandlungen lassen sich Menschen von ihren Emotionen leiten, selbst wenn sie später versuchen, ihr Verhalten rational zu erklären.2 Vor allem negative Emotionen sind der Feind effektiver Verhandlungen: Sie schalten das Gehirn aus. Beide Parteien verhalten sich nun irrational und tun Dinge, die ihnen später leidtun. Wenn die Emotionen überkochen, ist es Menschen wichtiger, anderen zu schaden, als ihre eigenen Ziele zu verfolgen.3 Je wichtiger die Verhandlung, desto emotionaler reagieren Menschen. Negative Emotionen sind wie eine Lawine: Je weiter sie rollt, desto größer wird sie. Sie müssen sie so schnell wie möglich stoppen. So wie die Notaufnahme in einem Krankenhaus nicht erst anfängt, sich über die Behandlung von Notfällen Gedanken zu machen, wenn der erste Herzinfarktpatient eingeliefert wird, so müssen auch Sie sich über Ihre Vorgehensweise klar sein, bevor es zu spät ist.4 Dieser Abschnitt zeigt Ihnen die effektivsten Techniken für diesen – leider häufigen – Ernstfall.
Wenn Ihr Gegenüber Sie angreift, kann es entweder Ihre Argumente attackieren oder Sie persönlich. Es fällt uns schwer, es anderen dann nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. »Aber sie hat angefangen«, denken wir unbewusst und spielen die gleichen psychischen Programme ab wie ein Neunjähriger. In den seltensten Fällen ist der Gegenangriff effektiv. Meistens bestärkt er den Gegner nur darin, dass er von Anfang an Recht hatte. Sogar, wenn Sie dieses Scharmützel gewinnen, werden Sie verlieren, da Ihre Beziehung zum anderen oft irreparabel beschädigt wird.5 Wer möchte schon jemanden wiedersehen, der ihn – vielleicht auch noch vor anderen Menschen – bloßgestellt hat? Eine gute Methode ist, den Angriff auf Sie als Person in einen Angriff auf das Problem umzudeuten.6 »Du sagst, ich interessiere mich überhaupt nicht für die Familie. Ich mache mir auch Sorgen darum, nicht genug Zeit mit den Menschen zu verbringen, die mir am nächsten sind. Ich werde alles tun, damit ich nur noch bei Projekten involviert bin, für die ich nicht ständig reisen muss.«
Nach Newtons Gesetz folgt auf eine Reaktion eine Gegenreaktion. Das gilt aber nur in der Physik, in der Kommunikation haben wir die Wahl.7 »Nicht reagieren, sondern agieren. Sonst spielen Sie das Spiel des anderen«, soll der mehrfache Schachweltmeister Gary Kasparov gesagt haben. Wenn Sie wütend sind, reagieren Sie nicht. Jetzt zu sprechen, bringt nicht viel. Ihre Urteilskraft ist verzerrt, der Zorn lässt Ihr Blut aus dem Gehirn in die Beine und Fäuste schießen zum steinzeitlichen »Fight or Flight« – abhauen oder kämpfen. Es ist wie bei Herkules‹ Kampf gegen die Hydra: Für jeden abgehackten Kopf wachsen zwei neue nach. Erst das Abwarten lässt das Monster wieder auf seine ursprüngliche Größe schrumpfen. Genauso ist es auch beim Verhandeln: Wenn Sie zornig sind, atmen Sie durch und zählen Sie bis zehn, wenn Sie sehr zornig sind bis hundert, wie der amerikanische Präsident Thomas Jefferson schon empfahl. Dadurch warten Sie so lange, bis Ihr Gehirn wieder voll funktionsfähig ist. Das gleiche geschieht derweil mit Ihrem Verhandlungspartner – er regt sich ebenfalls ab.
Es gibt wohl keine Technik der Verhandlungskunst, die mir so schwerfällt. Wenn ich wieder einmal einen halben Vormittag in der Warteschleife einer Hotline verbringe, nur um dann zu hören, dass man leider keine Entscheidungsgewalt habe, die Rechnung zu korrigieren, muss ich mir immer wieder klar machen, dass ich nichts anderes möchte, als meine Ziele zu verfolgen. Ich will weder mein Ego befriedigen, noch die Person am anderen Ende der Leitung mit Rachefeldzügen überziehen. Vielmehr möchte ich ein Problem lösen und brauche dazu den anderen auf auf meiner Seite.
Wenn Ihr Gegenüber angreift, erwartet es eine Verteidigung oder einen Gegenangriff. Machen Sie daher etwas völlig anderes und ergreifen Sie Partei für die Gegenseite. Sagen Sie: »Sie haben völlig Recht, an Ihrer Stelle würde ich mich genau so ärgern.« Pause. Wie sollte man Sie nun weiter attackieren? Wie japanische Judoka benutzen Sie die Kraft des anderen. Geben Sie der anderen Seite Recht, so oft es geht. Das widerspricht dem, was wir typischerweise machen: Wir erwidern Patzigkeit mit Patzigkeit, Angriffe mit Gegenangriffen. Erst wenn Sie die Dynamik brechen, können Sie Ihre Ziele erreichen.
Der britische Modedesigner Paul Smith erzählte mir einmal, was er tut, wenn die Verhandlungen zu hitzig werden: Er greift in seine Aktentasche, in der er immer ein Gummihuhn parat hat, und legt es kommentarlos auf den Tisch. Nach einer kurzen Pause der Verblüffung lachen alle, und die negativen Emotionen verpuffen – die Verhandlung kann weitergehen.
Emotionen zu kontrollieren, heißt nicht, sie zu ignorieren – das wäre geradezu unmöglich. Machen Sie sich ruhig bewusst, was Sie empfinden. Aber identifizieren Sie sich nicht mit Ihren Gefühlen: Sie sind nicht Ihre Emotionen, Sie fühlen sie nur.8 Es ist ein erheblicher Unterschied, ob Sie sagen: »Ich bin enttäuscht« oder »Gerade fühle ich Enttäuschung.« Das ist keine Haarspalterei, vielmehr sind Sie nun wieder der Protagonist und nicht das Opfer Ihrer eigenen Gefühle.
Teilen Sie Ihrem Gegenüber ruhig Ihre Emotion mit: »Ich fühle mich verärgert, weil Sie mit dem Angebot zu unserer Konkurrenz gegangen sind.« Aber auch das Gespräch über Emotionen muss in einem rationalen Rahmen bleiben, um effektiv zu sein.
Gerade wenn Dinge völlig offensichtlich sind, muss der hervorragende Verhandler das Kind beim Namen nennen, damit die Verhandlung wieder die richtige Dynamik bekommt: »Wir diskutieren die ganze Zeit nur über Bagatellen. Woran liegt das?«
Auch wenn Ihnen Ihr Gegenüber noch so irrational erscheint, verhalten Sie sich stets sachlich und professionell. Schließlich werden auch die Insassen einer Psychiatrie nicht von einem Patienten, sondern von einem Arzt behandelt.9 Wie sich andere Menschen verhalten ist deren Sache und nicht Ihre. Verlieren Sie Ihre Ziele nicht aus den Augen, und machen Sie dem anderen klar, dass sein Theater zu nichts führen wird. »Sich über jemanden zu ärgern bedeutet, sich für die Fehler anderer Leute zu bestrafen«, lautet ein arabisches Sprichwort.
Machen Sie sich deshalb bewusst, dass es nicht die Aktion Ihres Gegenübers ist, die Sie wütend macht, sondern Ihre Erklärung für sein Verhalten.10 Stellen Sie sich vor, Sie sitzen an einem Sonntagmittag gemütlich vorm Fernseher und haben gerade eine Schüssel Smacks verputzt. Ihre fast leere Schüssel steht vor Ihnen auf dem Couchtisch. Ihre Frau kommt rein und räumt sie sofort ab. Sie sind verärgert und denken sich, was für eine Gemeinheit es ist, Sie nicht einmal an Ihrem freien Tag guten Gewissens herumgammeln zu lassen. Nicht das Abräumen ärgert Sie, sondern Ihre Erklärung. Möglicherweise möchte Ihre Frau Sie nur verwöhnen, damit Sie sich völlig entspannen können. Wie häufig entstehen Konflikte dadurch, dass man eine Erklärung für das Verhalten anderer hat, die schlicht und ergreifend falsch ist? Es sind Ihre Erklärungen, die zu Ihren Emotionen führen: statt Aktion → Reaktion gilt die Reihenfolge Aktion → Erklärung → Reaktion.
Wir haben unsere schlimmsten Befürchtungen vor Augen und sehen dabei unseren Verhandlungspartner vor uns sitzen. Sogleich glauben wir, dass er genau das erreichen will, was wir am meisten fürchten. Dieser fundamentale Attributionsfehler ist die Tendenz, das Verhalten eines anderen seinem Charakter statt den Umständen zuzuschreiben.11 Das nervöse Gebaren des Gegenübers schreibt man eher seiner Persönlichkeit zu, anstatt zu überlegen, ob er nicht vielleicht unter einem immensen Druck steht, oder ob er eine Stunde zuvor von seiner Vorgesetzten zusammengestaucht worden ist.
Aber wenn Sie die Gedanken Ihres Gegenübers verstanden haben, können Sie sie in der Regel nachvollziehen, und aus dem vermeintlichen Monster wird ein Mensch. Jemand, der Ihnen eben noch störrisch und irrational erschien, wirkt nun zielstrebig und intelligent. Ihr Chef ist nicht verrückt, Ihre Kollegin spinnt nicht. Auch Geiselnehmer und Terroristen verhalten sich innerhalb ihrer Welt rational.12
Geben Sie dem anderen also zu verstehen, dass Sie seine Ideen nachempfinden. »Ich verstehe Ihre Gedanken und kann sie nachvollziehen.«13 Es geht nicht darum, dass Sie ihm Recht geben. »Putin-Versteher« ist kein gutes Schimpfwort. Auch wenn man etwas versteht, muss man es ja nicht gutheißen. Ich kann zum Beispiel vollkommen nachvollziehen, wenn mein Friseur für die Dauerwelle 50 Euro mehr berechnet, weil die Preistafel veraltet ist. Dennoch bin ich nicht damit einverstanden, derart viel mehr zu zahlen, als auf der Preistafel steht.
In dem Moment, in dem Sie Verständnis für eine Position zeigen, wird Ihrem Verhandlungspartner klar, dass es unterschiedliche Perspektiven geben kann. Verständnis trifft auf Verständnis. Sie müssen sich nicht für hartes oder weiches Verhandeln entscheiden. So wie das Wasser, das unablässig fließt und Starres überwindet, können Sie den anderen verstehen und ihm das zeigen, dennoch aber eisern an Ihren Forderungen festhalten.14
Wenn Sie dem anderen Ihr Problem mitteilen wollen, beginnen Sie immer mit dem, was am wenigsten angreifbar und emotional aufgeladen ist, den Fakten: »Du warst die letzten fünf Male dagegen, wenn ich mich für ein Auto entschieden hatte.« Dann teilen Sie Ihre Erklärung in einer Ich-Aussage15 mit: »Ich habe das Gefühl, du möchtest nicht, dass ich es mir selbst aussuche.« Sie machen also klar kenntlich, dass es sich um Ihre Erklärung handelt und nicht um eine Tatsache. Schließlich hängen Sie noch eine Frage an: »Und, liege ich richtig?« Damit signalisieren Sie, dass Sie offen für die Erklärung des anderen sind. Mit dieser Methode – Fakten → Ihre Erklärung → Frage – sprechen Sie über sich und Ihre Gedankengänge und nicht über die des anderen. Es ist geradezu unmöglich, darauf emotional zu reagieren. Die meisten Menschen machen aber den Fehler, mit ihren Erklärungen zu beginnen, ohne sie als solche kenntlich zu machen: »Du bist einfach nur egoistisch.« Danach erst kommen die Fakten. Wie sollen so die Emotionen gebannt werden? Eine simple Veränderung der Reihenfolge macht den Unterschied.
Versuchen Sie grundsätzlich, die Emotionen des anderen nicht gegen sich zu mobilisieren. »Aber« ist ein Wort, das eine negative Emotion Ihres Gegenübers geradezu herausfordert. Menschen mögen es nicht, wenn mal eben widerlegt wird, was sie sich mühevoll überlegt und ausgedrückt haben. Statt offen zu widersprechen, sagen Sie »Ja … und …« Mit einem Ja entwaffnen Sie den anderen und bringen ihn dazu, Ihnen zuzuhören. Wenn Ihr Kunde Ihnen sagt, Sie seien einfach zu teuer,16 sagen Sie nicht: »Aber Qualität hat ihren Preis.« Besser wäre: »Ja, das ist viel Geld. Und sicherlich sind Ihnen Qualität, Zuverlässigkeit, Fachwissen der Verkäufer und des gesamten Personals sehr wichtig.«
Was geschieht, wenn ich mich vor Sie stelle und meine Handflächen gegen Ihre presse? Sie werden dagegen drücken – Druck erzeugt Gegendruck.
Sehr wirksam ist auch die Feel, felt and found-Methode17: Anstatt zu sagen: »Nein, wir sind nicht zu teuer!«, sagen Sie: »Ich kann verstehen, wie Sie sich gerade fühlen. Es hatten schon einige den Eindruck, dass wir zu teuer sind. Aber dann haben Sie gemerkt, dass sie dafür fünf Jahre keine weiteren Kosten hatten.« Sie geben dem anderen also zu verstehen, dass seine Gefühle völlig in Ordnung sind und schaffen damit ideale Voraussetzungen dafür, dass er Sie dennoch anhört.
Variieren Sie die Methoden ruhig je nach Situation und Ihrer persönlichen Präferenz.
Nennen Sie die Emotion Ihres Gegenübers beim Namen: »Du wirkst sehr enttäuscht darüber, dass wir dieses Jahr nur eine Woche in den Sommerurlaub fahren können. Ich wäre es wohl auch an deiner Stelle.« Ihm zu sagen, dass er sich nicht ärgern solle, stachelt die Emotionen nur weiter auf, da er sich nun nicht ernst genommen fühlt.18 Profis im Empfangen von Beschwerden, wie Callcenter-Personal und Hotelangestellte, wissen, dass man aufgebrachten Kunden lieber nicht mit einem »Regen Sie sich ab« begegnet. Vielmehr hört man Ihnen zu und lässt sie reden. Gerade in Konfliktsituation fühlen sich die wenigsten verstanden und sind regelrecht überrascht, wenn Sie ihnen mit diesen Techniken begegnen. Die negativen Emotionen weichen, und das Gehirn wird wieder eingeschaltet.
Natürlich kann Ihr Gegenüber seine Emotionen auch einsetzen, um Sie zu manipulieren. Stellen Sie sich vor, Sie sind mitten in der Verhandlung und Ihr Gegenüber wird plötzlich ganz still und ist scheinbar den Tränen nahe: »Ich kann wirklich nicht mehr runter gehen im Preis, sonst bin ich meinen Job los. Ich habe für Sie immer herausgeholt, was ich konnte, das wissen Sie doch. Ich kann nicht mehr.« Das mag auch mal echt sein, ist aber ein beliebter Trick.19 Wir möchten niemanden verletzen und sobald wir Tränen wittern, werden wir großzügig und unvorsichtig. Nehmen Sie die Emotionen des anderen daher genau unter die Lupe.
Einer der berühmtesten Samurai des alten Japans war Miyamoto Musashi, ein Krieger aus dem 17. Jahrhundert. Schon als Zwölfjähriger besiegte er einen erfahrenen Samurai und perfektionierte schließlich den Kampf mit zwei Schwertern, bevor er die Waffen niederlegte und ein meisterhafter Tuschezeichner wurde. Seinem letzten Schüler übergab er sein Werk Gorin no Sho (»Das Buch der Fünf Ringe«), in dem er seine Gedanken für die Nachwelt festhielt. Das Geheimnis seiner Kampferfolge, so berichtete Musashi, habe in seiner Perspektive gelegen: Vor seinem geistigen Auge habe er sich nie mitten im Kampf befunden, sondern betrachtete alles von oben, so als ob er auf einem Berg stünde. Dieser Perspektivenwechsel mache den entscheidenden Unterschied.
Ähnliches gilt bei einer Verhandlung. Seien Sie nicht zu involviert. Behalten Sie Ihre Ziele im Auge und betrachten Sie alles aus ein wenig Distanz: Zoomen Sie heraus. Stellen Sie sich vor, Sie sähen die Verhandlung von einem Balkon aus, als ob Sie gar nicht selbst beteiligt seien. Eine gute Technik, um innerlich immer wieder auf den Balkon zu gelangen ist, die Taktik des anderen zu benennen20:
»So wenig ist dein Wort also Wert.« → Schuld
»Dann warten Sie mal ab, bis Ihre anderen Kunden davon hören.« → Drohung
So, wie man Rumpelstilzchen unschädlich macht, wenn man seinen Namen nennt, so verpuffen die Taktiken anderer, sobald Sie sich ihrer bewusst werden. Statt darauf einzugehen, betrachten Sie sie nun mit einem Lächeln, ganz als ob Sie der Samurai Musashi wären und das Geschehen von der Ferne beobachten.
Bleiben Sie also stets sachlich und kontern Sie nicht mit einer Gegenreaktion. Reagieren Sie angemessen auf Ihre eigenen Emotionen. Beachten Sie die Emotionen des anderen. Gehen Sie auf den »Balkon«, um alles aus der Vogelperspektive zu beobachten.