»Setze auf den Himmel
und du bekommst die Erde dazu,
setze auf die Erde und du bekommst nichts.«
C. S. Lewis
Die Glühbirne, der Phonograph, der Kinetograph: Thomas Edison ist der vielleicht produktivste und geschäftstüchtigste Erfinder, der jemals lebte. Eine seiner frühen Arbeiten war die Entwicklung des modernsten Börsentickers seiner Zeit, dem Universal Stock Ticker, der mit mehreren Geräten synchron die Börsenkurse empfangen konnte. Der 22-jährige Edison hatte einen Termin bei Marshall Lefferts, dem Präsidenten der damals bedeutenden Gold & Stock Telegraph Company, um ihm seine Errungenschaft zu verkaufen. Vorher rechnete er aus, wie viel Zeit und Material er in die Erfindung gesteckt hatte und kam auf einen Betrag von 5 000 Dollar – zur Not würde er auch 3 000 Dollar akzeptieren. Als er Lefferts gegenübersaß, war er zu nervös, eine derart hohe Summe zu verlangen und schwieg. Lefferts fackelte nicht lange und bot ihm 40 000 Dollar. Der sprachlose Edison nahm sofort an. Hätte er das erste Angebot gemacht, hätte er also 35 000 Dollar verschenkt.1
Wer das erste Angebot abgibt und wie er es tut, ist von entscheidender Bedeutung für das Verhandlungsergebnis.
Bitte tippen Sie intuitiv auf das Ergebnis folgender Rechenaufgabe:
1 × 2 × 3 × 4 × 5 × 6 × 7 × 8
Auf welches Ergebnis hätten Sie bei der folgenden Aufgabe getippt?
8 × 7 × 6 × 5 × 4 × 3 × 2 × 1
Da es sich um eine Multiplikation handelt, sind selbstverständlich beide Ergebnisse gleich, nämlich stolze 40 320. Die beiden Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman befragten zwei Gruppen von Schülern.2 Beide lagen völlig daneben, unterschieden sich aber dennoch in einem entscheidenden Punkt. Die Gruppe der ersten Aufgabe schätzte das Ergebnis durchschnittlich auf 512 ein, die zweite auf 2 250.
In der gleichen Studie ließen die Psychologen Versuchspersonen ein Glücksrad drehen mit den Zahlen von 1 bis 100. Allerdings war das Rad so manipuliert, dass es nur bei zwei Zahlen, nämlich bei 10 und 65 halten konnte. Nachdem jeder Teilnehmer eine Zahl ermittelt hatte, sollte er schätzen, bei wie viel Prozent der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen es sich um afrikanische Staaten handelte. Die Ergebnisse waren verblüffend: Diejenigen, die die Zahl 10 erdrehten, schätzten im Mittelwert, dass 25 Prozent der Mitgliedsstaaten afrikanisch seien. Diejenigen, die vorher die Zahl 65 auf dem Glücksrad hatten, tippten auf 45 Prozent.
Offensichtlich hatte die zufällig ermittelte Zahl des Glücksrads nichts mit einer UN-Mitgliedschaft zu tun, das war jedem klar. Und dennoch beeinflusste diese Zahl die Schätzung erheblich.
Ähnliches geschieht bei Verhandlungen. Die Zahl, die nach einem ersten Angebot im Raum steht, setzt den sogenannten Anker und schraubt wie ein Referenzpunkt die Erwartungen in die entsprechende Richtung. Es gibt wohl kaum eine Erkenntnis in der Verhandlungspsychologie, die so gut dokumentiert ist.3 Der Anker ist wie ein erster Eindruck und dieser wiederum beeinflusst die Erwartungen des anderen. Derjenige, der das erste Angebot macht, hat den größten psychologischen Einfluss auf den weiteren Verhandlungsverlauf.4
Sagen wir, Sie bieten 12 000 Euro für ein Auto, das Sie kaufen möchten. Der Verhandlungspartner denkt sich: »Oh, vielleicht hatte ich völlig falsche Vorstellungen und das Auto ist deutlich weniger wert als die erhofften 15 000 Euro.« Damit sieht Ihr Verhandlungsgegenstand weniger wertvoll aus und Ihr Verhandlungspartner erkennt, dass er Abstriche machen muss.5
Sobald ein Anker einmal gesetzt ist, gilt er als Messlatte für die gesamte weitere Verhandlung. Auch Profis sind nicht immun dagegen: In einer Studie sollten Makler den Wert eines Hauses einschätzen.6
Sie bekamen dazu ein zehnseitiges Exposé, mit allen relevanten Daten wie Quadratmeteranzahl, Lage, Preise vergleichbarer Häuser und besichtigten das Objekt. Dann kam der entscheidende Unterschied: Der einen Maklergruppe wurde der Preis genannt, den der Verkäufer angeblich verlangte, der anderen Gruppe wurde ein um 25 Prozent höherer Betrag genannt. Obwohl den Maklern gesagt wurde, dass der Verkäufer keine Ahnung von Häusern habe, beeinflusste sie der Anker immens: Die zweite Gruppe bewertete den Wert des Hauses zwischen 11 bis 14 Prozent höher. Und das, obwohl die Makler ausgewiesene Experten waren. In Situationen, in denen man sich nicht auskennt, lässt man sich noch stärker von Ankern beeinflussen.7
Ein weiterer Grund für die Wirksamkeit des Ankerns ist, dass es den Kontrasteffekt nutzt. Tauchen Sie Ihre rechte Hand in heißes und Ihre linke in kaltes Wasser. Wenn Sie jetzt beide Hände in ein Becken mit lauwarmem Wasser tauchen, kommt es Ihrer rechten Hand kalt und Ihrer linken Hand warm vor – obwohl beide Hände im gleichen Becken sind. Der Effekt bewirkt Folgendes: Wenn wir eine Sache wahrnehmen und dann eine zweite, die sich von der ersten unterscheidet, erscheint der Unterschied größer als er tatsächlich ist.8 Autohändler bieten die Extras des Wagens daher erst an, wenn man sich schon zum Kauf des Autos entschieden hat. Ein Navigationssystem und eine Klimaanlage für 4 000 Euro wirken günstiger, wenn man gerade ein Auto für 60 000 Euro gekauft hat. Der geschickte Herrenausstatter verkauft uns erst den Anzug, bevor er auf das passende Hemd und die entsprechende Krawatte aufmerksam macht.
Auf die Verhandlung bezogen heißt das: Wenn ich erst einmal 1 000 Euro für meinen antiken Esstisch verlange, dann aber auf 750 Euro runter gehe, wirkt der neue Preis im Vergleich zu den anfänglichen 1 000 Euro niedrig.9 Hätte ich dagegen bei 800 Euro eröffnet, würden die 750 Euro weniger niedrig wirken. Der Kombination aus Anker und Kontrasteffekt begegnen Sie häufig, etwa wenn Sie auf einem Produkt lesen »Unverbindliche Preisempfehlung 50 Euro – Unser Preis: 35 Euro«.
Als Dead Dog on the Table wird der Trick bezeichnet, dem anderen ein fast schon unverschämtes Angebot zu unterbreiten und hart dafür zu kämpfen.10 Dann aber, kurz bevor es zum Abbruch der Verhandlung kommt, wird eine realistischere Alternative präsentiert, die nun wie ein großes Entgegenkommen aussieht. Dabei ist es genau dies, was der Verhandler von Anfang an wollte. Hier wird neben dem Kontrasteffekt das Prinzip der Gegenseitigkeit aktiviert: Sie kommen Ihrem Gegenüber scheinbar erheblich entgegen, und er fühlt sich verpflichtet, Ihren Schritt zu erwidern.11
Die sogenannte Phony Bid, ein mieser Trick, der ebenfalls den Kontrasteffekt nutzt, funktioniert so12: Sie möchten ein Auto kaufen, für das der Verkäufer 20 000 Euro haben will. Sie schicken nun ein paar Freunde und Bekannte zu ihm, die ihm alle unter 15 000 Euro bieten. Eine Woche später kommen Sie mit Ihrem Gebot von 16 000 Euro und strahlen wie ein Erlöser.
DER REFERENCE-POINT-EFFEKT – GELD IST GELD
Sehen Sie sich die beiden folgenden Szenarien an13:
Szenario A: Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Taschenrechner für 50 Euro kaufen. Nun sagt Ihnen der Verkäufer, dass genau dieses Modell in einer Filiale, die zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt ist, im Ausverkauf ist, er Ihnen aber leider keinen Rabatt geben darf. Für welche Ersparnis würden Sie die Fahrt auf sich nehmen?
Szenario B: Stellen Sie sich vor, Sie wollen einen Laptop für 2 000 Euro kaufen. Nun sagt Ihnen der Verkäufer, dass genau dieses Modell in einer Filiale, die zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt ist, im Ausverkauf ist, er Ihnen aber leider keinen Rabatt geben darf. Für welche Ersparnis würden Sie die Fahrt auf sich nehmen?
Im Szenario A entschieden sich die Befragten bei einer Ersparnis von durchschnittlich 20 Euro für die Fahrt, in Szenario B aber erst bei einem Ersparnis von knapp 200 Euro (jeder wurde zu entweder A oder B befragt). Wir bewerten Kosten also nicht objektiv, sondern immer im Vergleich zu einem Referenzpunkt.
Wenn Sie in relativ großen Verhandlungen dabei sind, bei denen es um Millionen geht, wird Ihnen auffallen, wie locker mit Beträgen wie 50 000 Euro umgegangen wird. Vor allem, wenn sie in Prozenten ausgedrückt werden: 3,25 statt 3,2 Prozent. Was spielen da »lächerliche« Nachkommastellen schon für eine Rolle? Genauso ist es, wenn Sie ein Haus kaufen und es um die Badezimmermöbel für 5 000 Euro geht. Aber vergessen Sie nie: Es sind die gleichen 5 000 Euro, für die Sie sonst hart arbeiten müssen, bis Sie sie – auch noch netto! – zusammengekratzt haben. Geld ist Geld und keine Prozentzahl.14 Gewöhnen Sie sich an, immer nur den Betrag zu sehen und nicht den Prozentsatz, ob Sie um Zinssätze feilschen, um den Bodenbelag pro Quadratmeter oder um Dachziegel.
Wenn uns etwas nicht wie Geld erscheint, dann neigen wir dazu großzügiger zu sein, weshalb auch Casinos Plastikchips verwenden, die wie Spielzeug aussehen, und Kreditkartenunternehmen Plastikkarten ausgeben, die so unschuldig wirken.
Wie also nutzen Sie das Ankern für Ihre Verhandlung? Die Forschung ist hier einer Meinung: Extrem eröffnen (Highballing) und langsam entgegenkommen ist der Königsweg zum optimalen Verhandlungsergebnis.15 Kinder sind instinktiv sehr gut im Ankern. Sie stellen absurde Forderungen (»Ich will ins Disneyland!«) und bekommen dann das, worauf sie eigentlich spekuliert haben: ein Eis. Die Faustregel ist also einfach: Ehrgeizig beginnen, geizig entgegenkommen.
Ein Gewerkschaftsführer verfasste einen Brief an den Arbeitgeber, in dem er seine Forderung nach höheren Gehältern formulierte.16 Sein tatsächliches Ziel war eine Erhöhung um 7 Prozent, er wollte die Verhandlung aber aus taktischen Gründen mit einer Forderung von 12 Prozent beginnen. Statt 12 Prozent schrieb seine Sekretärin versehentlich 21 Prozent. Das Ergebnis? Das Unternehmen erwiderte mit einem Angebot von 12 Prozent und man einigte sich schließlich auf 15 Prozent.
Das ist ein beeindruckendes Beispiel und zeigt, wie stark der Mechanismus ist; dennoch aber ist es empfehlenswert, etwas konservativer zu ankern. Wenn der Listenpreis eines Autos bei 20 000 Euro liegt, dann sollten Sie nicht 3 000 Euro bieten. Sagen wir, Ihr Ziel ist es, das Auto für 17 500 zu bekommen, weil Ihre BATNA bei 18 000 liegt. Wie niedrig sollten Sie nun bieten, um einen Anker zu setzen? Sie sollten von Ihrem Zielpreis noch einmal so viel abziehen, wie der Zielpreis vom Angebot des Käufers entfernt ist17: Bieten Sie also 15 000 Euro. Wenn Sie den Wagen verkaufen und mindestens 17 500 Euro erzielen wollen, und der andere bietet 15 000 Euro, dann verlangen Sie eben 20 000 Euro.
Dieses sogenannte Bracketing (Einklammern) funktioniert auch dann gut, wenn Sie keine Ahnung von dem Marktwert des Gegenstandes haben; ja sogar, wenn der andere sein Angebot zuerst vorlegt. Auch wenn man in diesem Fall die Differenz hälftig teilt, kommen Sie genau auf den Betrag, den Sie wollten.
Wenn Sie geübter sind, können Sie Ihre Ziele durchaus optimistischer ansetzen. Der Unterschied zwischen einem optimistischen und einem unverschämten ersten Angebot ist der, dass Sie ein optimistisches Angebot noch rechtfertigen können – wenn auch mit einer sehr wohlwollenden Deutung objektiver Kriterien.18
Sie dürfen Ihr extremes Angebot jedoch nicht mit »Friss oder stirb!« auf den Tisch knallen. Statt: »Entweder 10 000 oder wir vergessen es,« Sagen Sie besser: »Nach dem, was ich recherchiert habe, ist meine Porzellansammlung mindestens 10 000 Euro wert.« So haben Sie einen Anker gesetzt, ohne die Tür für weitere Verhandlungen zu schließen. Oder: »Ich habe jetzt noch nicht genau nachgerechnet und verglichen, aber ganz grob würde ich mir so um die 2 500 Euro für meine Vespa vorstellen.« »So wie ich Ihr Mehrfamilienhaus mit den Informationen, die mir vorliegen, bisher einschätze, scheint der Wert bei ungefähr 800 000 Euro zu liegen. Vielleicht weiß ich aber noch nicht alles und Sie belehren mich eines Besseren.«19
Wenn Sie das Risiko des Abbruchs minimieren wollen, formulieren Sie den Anker noch nicht einmal als Forderung, denn entscheidend ist, dass eine Zahl im Raum steht. Unter Versuchsballon versteht man in Verhandlungen vorsichtig vorgestellte Gedanken, etwa: »Andere Berater verlangen ja Tagessätze von 12 500 Euro, ich bin da deutlich fairer und transparenter.« Oder, zurück zum Haus: »Ein Bekannter von mir hat hier in der Gegend ein Haus für nur 400 000 Euro gekauft. Das war etwas kleiner und nicht vergleichbar mit Ihrem.« Mit einem Versuchsballon können Sie völlig extreme Zahlen einführen, aber da Sie ja nichts fordern, machen Sie sich auch nicht angreifbar.
Entscheidend ist eben, dass die Zahl ins Spiel gebracht wurde. Jetzt kann Ihnen die Verkäuferin erklären, weshalb sie das Haus für doppelt so wertvoll hält, und versuchen, den Preis nach oben zu treiben, statt dass Sie sie von 1,6 Millionen nach unten drücken. Die »Beweislast« ist nunmehr umgekehrt. Und falls die Verkäuferin sich vorher dachte, zwischen 1,6 bis 1,8 Millionen zu erzielen, ist die Chance hoch, dass sie nun gleich ihr Minimum nennt.
Wenn Sie um Ihr Einstiegsgehalt handeln, könnten Sie – ohne irgendetwas zu fordern – darauf aufmerksam machen, dass Ihre Kommilitonin, die die gleiche Abschlussnote hatte wie Sie, gerade ein Angebot über 95 000 Euro im Jahr angenommen hat, aber das sei ja ein ganz anderer Job. Der Versuchsballon wäre damit gesetzt. Bei Verhandlungen über Bonuszahlungen könnten Sie etwas sagen wie: »Letztes Jahr gab es ja 60 Prozent des Gehalts als Bonus, aber ich würde schon verstehen, wenn es dieses Jahr weniger wären.« Und wieder haben Sie – höflich und vorsichtig – einen Anker gesetzt.
»Messen, was messbar ist, messbar machen,
was nicht messbar ist.«
Galileo Galilei
Alice steht an einer Kreuzung im Wunderland, als die Grinsekatze plötzlich vor ihr erscheint. Alice fragt sie, welchen Pfad sie einschlagen soll: »Das kommt ganz darauf an, wo du hin willst,« antwortet die Katze. »Das ist mir ziemlich egal«, erwidert Alice, woraufhin die Grinsekatze sagt: »Dann ist es egal, welchen Weg du nimmst.«20
Ohne Ziele in eine Verhandlung zu gehen und zu versuchen, so gut wie möglich abzuschneiden, ist eine beliebte Methode von Laien, die nichts von Verhandlungsdynamiken verstehen. Bevor Sie nun zur Verhandlung schreiten, müssen Sie sich ein Ziel setzen, und zwar ein klares. Ihr Ziel ist Ihr Anker. Eine ganze Reihe von Studien sind sich einig: Je klarer Ihre Ziele sind, desto mehr erreichen Sie.21 Denn zum einen sind Ihre Ziele das obere Limit für das, was Sie bekommen – mehr zu bekommen, als Sie verlangen, ist sehr unwahrscheinlich, in zivilrechtlichen Streitigkeiten sogar unmöglich. Alles unterhalb Ihres Ziels werden Sie zu vermeiden versuchen. Ihre Zufriedenheit mit dem Deal hängt also weniger vom objektiven Ergebnis ab, sondern davon, wie weit oder nah es an Ihren Erwartungen liegt. Das Ziel ist also die Richtschnur, nach der wir jedes Ergebnis entweder als Erfolg oder als Misserfolg sehen. Ohne eine solche Messlatte stimmen Sie während der Verhandlung im Eifer des Gefechts Dingen zu, die Ihnen später leidtun – einfach, weil Sie in dem Moment nicht wussten, ob das Angebot nun gut war oder nicht.
Statt wie ein Schakal um einen Wagen zu schleichen und zum dritten Mal gegen den Reifen zu treten, der nicht platzt und für Sie damit einen soliden Eindruck macht, muss Ihr Ziel von Beginn der Verhandlung an konkret sein.22 »Ich will 19 000 Euro für den Wagen und 1 500 Euro für die Winterreifen« ist besser als »Ich will so viel wie möglich bekommen«. Konkrete Zahlen motivieren uns. Gehen Sie in Gehaltsverhandlungen mit dem Ziel, ein 20 Prozent höheres Gehalt zu bekommen und nicht mit dem Ziel »Irgendwas rauszuschlagen«. Dabei ist es sehr hilfreich, wenn Sie Ihr Ziel aufschreiben, Es gibt Vertriebsorganisationen, die ihre Mitarbeiter dazu anhalten, ihre genauen Verkaufsziele vorher aufzuschreiben, weil sie nach Jahren der Erfahrung wissen, dass das Notieren sie dazu zwingt, sehr konkret zu sein und sie sich dem Ziel verpflichteter fühlen.23
Aber Ziele sind noch mehr: Wenn wir von einem Ziel überzeugt sind und uns darauf konzentrieren, bereiten wir uns besser vor und sind überzeugender, was wiederum zu besseren Ergebnissen führt.24
Die beiden Psychologen Sydney Siegel und Lawrence Fouraker führten ein interessantes Experiment durch: Ihre Versuchspersonen sollten miteinander in einfachen Szenarien verhandeln. Das Besondere: Sie versprachen eine Bonusrunde, bei der jeder seinen Profit verdoppeln könne. Aber nur Verhandler ab einer gewissen Profitsumme dürften an dieser Bonusrunde teilnehmen. Der einen Gruppe wurde gesagt, dass dieser Mindestprofit bei 6,10 Dollar lag, der anderen wurde gesagt, er liege bei 2,10 Dollar. Jeder hatte nun also ein konkretes Ziel vor Augen. Was geschah? Diejenigen in der 6,10 Dollar-Gruppe kamen auf einen Durchschnittsprofit von 6,25 Dollar. Diejenigen in der 2,10 Dollar-Gruppe hingegen auf einen von 3,35 Dollar.
Das Ergebnis ist eindeutig: Je optimistischer Ihre Ziele, desto besser schneiden Sie ab.25
Warum ist das so? Mit einem spezifischen Ziel vor Augen betrachten Sie die Welt aus einem anderen Blickwinkel: Sie sehen nun eher Fakten, die Ihre Ziele unterstützen, und visualisieren schon einmal den Erfolg, so wie ein professioneller Marathonläufer die Zielgerade schon vor sich sieht.26
Niedrige Ziele beugen zwar Enttäuschungen vor, sie führen aber zu schlechteren Ergebnissen. »Mal sehen, wie ich abschneide« ist ein typisches aber ineffektives Motto auf dem Weg in eine Verhandlung. Was uns meist wirklich davon abhält, ein konkretes Ziel zu formulieren ist Feigheit: Wir haben schlicht Angst davor, zu scheitern und uns unser Versagen eingestehen zu müssen.
Natürlich muss Ihr Ziel über Ihrer BATNA liegen, denn Sie wollen ja besser abschneiden durch die Verhandlung und gerade nicht mit demselben Ergebnis wie Ihre beste Alternative. Ihr Fokus während der Verhandlung muss aber auf dem Zielpreis liegen, nicht auf der BATNA: Eine Studie hat gezeigt, dass es für den persönlichen Verhandlungserfolg schädlich ist, sich auf das Minimum zu konzentrieren, da dann das Minimum zur Richtschnur wird. Wenn wir uns auf das Wunschziel konzentrieren, nehmen wir alles andere als Verlust wahr, und wir sind hoch motiviert, Verluste zu vermeiden.27 Stellen Sie sich vor, Sie verkaufen Ihre alte Vinylplatten-Sammlung und Sie sagen sich, dass Sie auf keinen Fall weniger als 50 Euro haben wollen. Was geschieht nun, wenn man Ihnen 55 Euro bietet? Sie entspannen und freuen sich. Ihr Verhandlungspartner bemerkt es und geht nun keinen Cent höher. Wie aber wäre es, wenn Sie sich vorher sagen: »Ich möchte 80 Euro (mindestens aber 50)«? Dann werden Sie alles tun, um den Preis nach oben zu treiben und erst bei 80 Euro Anzeichen von Zufriedenheit zeigen. Die meisten fokussieren sich auf ihr Minimum mit dem Ergebnis, dass sie fast immer nur einen Preis erzielen, der genau an diesem Minimum, also ziemlich genau bei ihrer BATNA, liegt. Hervorragende Verhandler richten ihren Fokus stets auf ihr Maximum, nämlichen den Anker, auch wenn sie ihr Minimum im Hinterkopf haben.28
Sich über seine eigenen oder die Ziele des Unternehmens klar zu sein, ist gerade bei Organisationen oft nicht einfach. Der Wharton-Professor Stuart Diamond erzählt von einer Topmanagerin, die ihren ersten Tag in einem amerikanischen Großunternehmen hatte, und an der strategischen Ausrichtung arbeiten sollte.29 Im ersten Meeting bat sie die anderen zwölf Führungskräfte, ihr jeweiliges Ziel für das Unternehmen aufzuschreiben. Der Vorstandschef nahm sie zur Seite und sagte grummelnd: »Sie sind neu und wir arbeiten schon seit Jahren hier, wir kennen die Ziele.« Dennoch ließ er sie gewähren. Zur Verblüffung der Manager kamen am Ende nicht zwei oder drei verschiedene Ziele heraus – nein, jeder einzelne hatte ein anderes. Gerade dann, wenn Sie für andere oder in einem Team verhandeln, müssen Sie sich vorab genauestens über Ihre gemeinsamen Ziele im Klaren sein.
Formulieren Sie also Ihr Ziel optimistisch aber realistisch. Schreiben Sie alles auf und nehmen Sie es mit in die Verhandlung. Widerstehen Sie der Versuchung, Ihre Ziele deutlich zu senken, wenn Sie nicht gleich Erfolg haben sollten.30 Sie müssen Ihre Ziele erst anpassen, wenn Sie neue, entscheidende Informationen erhalten, zum Beispiel über die beste Alternative Ihres Verhandlungspartners, die Ihnen vorher nicht bekannt war.
Wie oft sind wir in Verhandlungen aufgebracht und gekränkt und bräuchten dringend jemanden, der uns wieder auf die richtige Bahn lenkt, die Bahn, die uns zu unseren Zielen führt? Haben Sie daher Ihre Ziele immer vor Augen. Sie verhandeln nicht, um zu zeigen wie klug Sie sind, oder wie dumm und im Unrecht der andere ist, sondern um ein höheres Gehalt, den besten Tisch im Restaurant oder den besten Preis für Ihr altes Auto. Alles, was Sie von jetzt an tun, muss sich diesem Ziel unterordnen.
ENDOWMENT EFFEKT
Gemäß dem Endowment-Effekt schätzen wir den Wert von Dingen, die wir besitzen, viel höher ein, als er objektiv ist.31 Warum ist das der Fall? Sobald wir einmal etwas haben, lässt uns die Angst, es zu verlieren, irrational denken und handeln. Die Harvard-Professoren David A. Lax und James Sebenius wiesen den Managern in ihrem Seminar eine Rolle zu32: Entweder waren sie Käufer oder Verkäufer eines Unternehmens. Nachdem sie genug Zeit für die Durchsicht der (identischen) Unterlagen erhalten hatten, sollten sie einen fairen Preis für das Unternehmen ansetzen. Die Verkäufer schätzten den Wert des Unternehmens durchschnittlich als doppelt so hoch ein.
Der Effekt ist klar: Wir überschätzen den Wert unserer Verhandlungsposition und gefährden so den Abschluss. Sicherlich sind hohe Ziele sehr empfehlenswert, allerdings darf die Grenze zum Absurden nicht überschritten werden, und wir müssen stets einen realistischen Blick für die Position unseres Gegenübers bewahren. Ihr Geschäftspartner, der Sie verklagt, ist nicht dumm oder verrückt, auch wenn Ihr Anwalt es Ihnen sagt. Jeder Anwalt sagt seinem Klienten, dass er hohe Erfolgsaussichten vor Gericht hätte. Warum sonst ist Ihr Gegner so klagefreudig?
Auch der Status quo, also der Ist-Zustand, etwa der Umwelt, ist etwas, das wir schon haben, und was daher als besonders wertvoll erscheint. Das Risiko der Veränderung erscheint uns höher als das der Nicht-Veränderung. So kommt es dann dazu, dass Menschen sich gegen jeden Fortschritt sperren, weil ihnen das, was sie schon haben, irrational kostbar erscheint.33
Wir bleiben gerne bei Altbewährtem und verteidigen den Status quo mit Argumenten, ebenso wie sich ein Betrunkener an eine Laterne lehnt: zur Unterstützung, aber sicherlich nicht zur Erleuchtung.34
Einen weiteren Vorteil hat der extreme Anker in Hinblick auf die sogenannte »goldene Mitte«. Sicherlich haben Sie schon viele Deals abgeschlossen, in dem Sie sich mit Ihrem Verhandlungsgegner »in der Mitte« getroffen haben. Diese Mitte aber verschiebt sich durch das Ankern zu Ihren Gunsten. Die sogenannte Midpoint Rule besagt, dass die Mitte des ersten Angebots und des ersten Gegenangebots zumeist sehr nah an dem tatsächlich erzielten Verhandlungsergebnis liegen.35 Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger, der einige der komplexesten diplomatischen Verhandlungen der Geschichte führte, ankerte genau deshalb mit absurden Forderungen: »Je unerhörter der anfängliche Vorschlag, desto höher die Aussicht, dass das, was man wirklich möchte, als Kompromiss gilt.«36
Halbe-halbe erscheint fair: Jeder gibt gleichzeitig gleichviel nach.37 Es ist leicht zu verstehen und geht sehr schnell; es abzulehnen gilt schon fast als unhöflich. Wohlgemerkt: Wenn Sie tatsächlich nur ein paar Euro auseinanderliegen und bereits faire Verhandlungen hinter Ihnen liegen, dann kann das durchaus ein kluges Vorgehen sein.
Wie wäre es aber, wenn ich aus heiterem Himmel zu Ihnen käme und sagte, dass Sie mir eine Million Euro schuldeten. Sollen wir uns in der Mitte treffen? Sie geben mir 500 000 Euro und die Sache ist erledigt? Wohl kaum. Entscheidend sind die zwei Zahlen, die im Raum stehen. Machen Sie sich also vorher immer klar, ob Ihr versierter Verhandlungspartner die »Mitte« in seine Richtung ankern will.
Trickreich ist die »Platin-Mitte«: Wenn Sie die Bereitschaft des anderen zum Teilen in der Mitte geschickt nutzen, können Sie aus 50:50 einen 75:25 Split zu Ihren Gunsten machen. Sagen wir, jemand möchte Ihr Auto kaufen. Nach zähen Verhandlungen um die Winterreifen, Felgen und darüber, wer die anstehende Inspektion zahlt, geht es nur noch um den Preis: Er bietet Ihnen 25 000 Euro, aber Sie wollen 30 000 Euro. Sie haben ein gutes Gefühl und sind sich ziemlich sicher, dass er das Angebot, in der Mitte zu teilen, annehmen würde. Tun Sie es nicht. Lassen Sie ihn das Angebot machen. Wie? Sagen Sie etwas wie: »Jetzt haben wir schon so lange verhandelt und uns so gut geeinigt, nur ein paar Tausend Euro liegen zwischen uns …« Die Chance ist hoch, dass er nun anbietet, sich in der goldenen Mitte zu treffen. Was ist nun passiert? Sein Angebot ist nach oben gerutscht, nämlich von 25 000 auf 27 500 Euro. Nutzen Sie es klug: »Also 27 500 Euro klingen schon viel besser! Lassen Sie mich das nochmal mit meiner Frau besprechen.« Sie kehren zurück und sagen etwas wie »Jetzt liegen nur noch 2 500 Euro zwischen uns. Nach allem anderen, bei dem wir uns schon so einig waren. Ich schlage vor, wir treffen uns in der Mitte und die Sache ist erledigt.« Aus dem 50:50-Treffen ist nun ein 75:25-Treffen geworden – die Platin-Mitte.
Der Verhandlungsexperte Roger Dawson rät sogar, diesen Trick mehrere Male hintereinander anzuwenden, sodass es sogar zum 87,5:12,5 oder 93,75:6,25 Split kommen kann.
POSITIONSEFFEKTE
Wie sollen wir unsere Argumente strukturieren? Sollen wir die Argumente des anderen überhaupt nennen oder sollen wir nur bei unseren bleiben? Würden wir damit unnötig Werbung für die Position des anderen machen oder ist es sinnvoll für unsere Sache, die Argumente der anderen Schritt für Schritt zu widerlegen?38 Die Forschung liefert hier ein klares Ergebnis: Wir sind überzeugender, wenn wir explizit auf die Argumente der Gegenseite eingehen.39 Eine gute Strategie ist, ein Argument Ihres Verhandlungsgegners herauszupicken, das Sie klar widerlegen können. Bevor Sie das aber tun, gehen Sie sicher, das Argument als so wichtig wie möglich darzustellen. Wie ein Boxer seinen Gegner perfekt platziert, bis er ihn mit einem Haken zum K. o. auf die Bretter befördert, eliminieren Sie nun diesen scheinbaren Kern der Argumentation des anderen.40
Sie selbst sollten Ihr stärkstes Argument immer am Anfang anbringen. Der Primacy Effect führt dazu, dass das erste Argument die Wahrnehmung der gesamten Verhandlung beeinflusst und in einem anderen Licht erscheinen lässt. Am Ende sollten Sie Ihr zweitbestes Argument liefern, da das letzte Argument am besten im Gedächtnis bleibt (Recency Effect). Wenn Sie also etwa Makler sind und eine Wohnung präsentieren, fangen Sie immer mit dem
besten Zimmer an. Dann erscheint die ganze Wohnung sofort besser, der gute erste Eindruck strahlt auf jeden anderen Raum ab. Dann zeigen Sie den Rest und zu guter Letzt zeigen Sie den zweitbesten Raum, damit der Interessent mit einer guten Erinnerung geht. Die Erinnerung ist selbstverständlich wichtig, aber der erste Eindruck beeinflusst eben die Wahrnehmung von allem Folgenden und ist daher noch wichtiger.41
Der erste Film der Beatles war A Hard Day’s Night. Ihr Manager, Brian Epstein, wusste nicht viel über das Filmgeschäft und verlangte 7,5 Prozent des Gewinns. Die Produzenten stimmten sofort zu. Tatsächlich waren sie bereit gewesen, den Beatles 25 Prozent zu überlassen. Der Film wurde sehr erfolgreich, aber die Beatles verdienten eben nur einen Bruchteil von dem, was sie hätten verdienen können.42
Zeigt dieses, wie auch das Edison-Beispiel vom Anfang nicht, dass man gerade nicht das erste Angebot machen darf, sondern den anderen sprechen lassen sollte?
Stellen Sie sich vor, Sie gehen auf einen Antikmarkt und sehen eine Biedermeieranrichte, die perfekt in Ihr Wohnzimmer passt. Es ist kein Preisschild daran und Sie bieten 800 Euro, weil Sie eine ganz ähnliche irgendwo mal für 1 000 Euro gesehen hatten. »Alles klar«, sagt der Verkäufer und lächelt. Sie haben genau das bekommen, was Sie wollten. Aber freuen Sie sich? Vielleicht kurz, doch es wird der Gedanke an Ihnen nagen, ob Sie die Anrichte auch für 700 oder gar 500 Euro bekommen hätten. Als Negotiator’s Curse, den »Fluch des Verhandlers«, bezeichnet man das quälende Gefühl, dass man besser hätte abschneiden können. Egal was für einen hervorragenden Preis Sie erzielen: »Was wäre nur gewesen, wenn ich weniger geboten hätte …« ist der Gedanke, der Sie quält.43
Der Punkt ist: Wenn Sie wirklich keine Ahnung vom Wert Ihres Verhandlungsgegenstandes haben, seien Sie still – es kann eine erfreuliche Überraschung auf Sie warten, so wie auch Edison überrascht wurde und die Beatles hätten überrascht werden können.44 Wenn Sie aber auch nur die leiseste Ahnung vom Wert des Verhandlungsgegenstandes haben, ankern Sie. Nur in den seltensten Fällen haben wir so wenig Ahnung, dass wir schweigen sollten.
Aber egal, wie gut das Angebot für Sie klingt: Nehmen Sie es nicht sofort an! Ganz egal, ob Sie Ihrem Gegenüber den Vortritt lassen, weil Sie wirklich keine Ahnung haben oder ob Ihr Gegenüber einfach schneller war: Sie müssen jetzt sofort reagieren mit dem sogenannten Flinch, mit dem Sie die Wahrnehmung zu Ihren Gunsten verschieben. Der Flinch besteht aus einem kurzen körperlichen und verbalen Zusammenzucken. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, beim ersten Angebot des anderen grundsätzlich mehr oder weniger theatralisch zu reagieren – je nach Ihrem Naturell. Der sehr dramatische Verhandlungsprofi Herb Cohen schmückt das bloße Zusammenzucken gerne noch aus: »Sind Sie wahnsinnig?«, fragt er, »Das ist Wegelagerei!« Er wird so laut, dass sich Unbeteiligte umdrehen und sich fragen, ob er gerade überfallen wird.45 Oder lachen Sie kurz und sagen etwas wie »Alles klar. Und jetzt lassen Sie uns ernsthaft verhandeln.« Wenn Ihnen das zu aggressiv ist, können Sie die Zahl nach einem kurzen milden Lächeln auch einfach ignorieren und so tun, als ob sie nie genannt wurde. Es muss jedenfalls klar sein, dass Sie die Zahl für absurd halten und sie daher keinerlei Referenzpunkt darstellt. Wenn Ihnen das zu viel ist, belassen Sie es beim dezenten Zusammenzucken gepaart mit einem erschütterten Gesichtsausdruck und einem wirkungsvollen Schweigen.46 Das ist auch deshalb so effektiv, weil es klare nonverbale Signale sind, und Menschen nonverbale Signale für glaubwürdiger halten als bloße Worte. Sollten Sie am Telefon verhandeln, können Sie zumindest verbal zusammenzucken.47
Einer der New Yorker Immobilienlegenden, Sol Goldman, machte einen Millionendeal quasi nur mit dem Flinch.48 Als er vor vielen Jahren ein weiteres Hochhaus in Manhattan kaufen wollte, nannte ihm der Verkäufer gleich seine Forderung: 15 Millionen Dollar in bar. Goldman schrie: »Was?!« Daraufhin sagte der Verkäufer: »Das ist vielleicht etwas hoch, ich würde auch 14 Millionen in bar akzeptieren.«
»Was?!«, schrie Goldman wieder mit einem erschütterten Gesichtsausdruck. Wieder kam ihm der Verkäufer entgegen: »Ich würde auch ein paar Millionen vom Preis abziehen, wenn Sie ein Darlehen mit 6 Prozent Zinsen übernehmen würden.« Zum dritten Mal brüllte Goldman: »Was?!«, und der Verkäufer stellte ihm nun in Aussicht, ihm bessere Konditionen für das Darlehen zu geben. Tatsächlich war Goldman bereit gewesen, 15 Millionen Dollar in bar zu zahlen.
Nach dem Flinch ist es empfehlenswert, seinen eigenen Anker zu nennen, der in seiner Höhe vom Anker des anderen etwas beeinflusst sein kann. Wenn ich für meine Uhr also gerade ein Angebot von 4 000 Euro erhalten habe, obwohl ich keine Ahnung vom Wert hatte, könnte mein Gegenanker nun bei 6 000 Euro liegen, den ich nun in den Raum stelle.
Wenn ich nach dem Flinch noch ratlos bin, empfiehlt sich noch die Technik, die als Crunch bekannt ist. Der Crunch ist eine effektive Art, auf das Gebot des anderen zu reagieren – auch wenn Sie keine Ahnung haben, ob es gut oder schlecht ist. Sie sagen lediglich: »Das ist noch nicht gut genug.« Und lassen Sie danach den Druck des Schweigens für Sie arbeiten.
Über den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger erzählt man sich folgende Geschichte: Sein Stabschef legte ihm einmal einen Bericht zur Außenpolitik vor. Kissinger schaute darüber und fragte ihn: »Ist das die beste Arbeit, die Sie abliefern können?« Der Stabschef nahm den Bericht wieder mit und setzte sich daran, ihn zu verbessern. Wieder trat er mit dem Bericht vor seinen Chef, und dieses Mal schickte Kissinger ihn nach einer Woche zurück mit der Notiz: »Sind Sie sicher, dass das Ihre beste Arbeit ist?« Wieder feilte der Stabschef an seinem Werk. »So, das ist nun wirklich meine bestmögliche Arbeit«, sagte er und übergab den Bericht an Kissinger, der ihm nur antwortete: »Gut, dann werde ich ihn jetzt auch lesen.« Leadership: Note 4, Verhandlungstechnik: Note 1!
Eine englische Einkäuferin hat diese Methode für sich verfeinert49: Sie bekommt Angebote von Lieferanten, lässt sie einige Tage warten und ruft sie dann an, um ihnen zu sagen, dass ihr Angebot nicht gut genug sei. Wenn die Vertriebler nun fragen, wie groß der Preisunterschied zwischen ihnen und dem anderen Angebot ist, antwortet sie nur mit »Erheblich!«, ohne die Mitbewerber zu nennen – dies sei eine vertrauliche Information. Einige Zulieferer verabschieden sich hier, aber genügend bleiben im Rennen und verhandeln gegen unsichtbare Gegner: »Sie liegen immer noch etwas über den anderen«, »Das ist schon besser, aber noch nicht gut genug«, »Ein wenig müssen Sie uns noch entgegenkommen« – bis die absolute Schmerzgrenze erreicht ist. Dabei verhandeln die Verkäufer nur gegen sich selbst.
Diese Taktik ist auch deshalb wirksam, weil sie die Verhandlung nicht nur auf eine Dimension herunterbrechen muss, sondern es offenlässt, ob man sich über Punkte wie Preis, Lieferdatum oder andere Konditionen unterhält. Das einzig Entscheidende ist, dass man Ihnen ein besseres Angebot vorlegen muss.
Sie müssen dabei gar nicht aggressiv sein: Sie haben sich ein Auto angesehen und rufen den Verkäufer am nächsten Tag an: »Wir haben uns drei Autos angeschaut, die uns gefallen haben. Jetzt geht es nur noch um den Preis. Das Fairste wäre es, wenn uns jetzt alle drei ihren untersten Preis geben, damit wir entscheiden können.«50 Wer könnte Ihnen das verübeln?
Wenn jemand den Flinch oder Crunch bei Ihnen anwendet, fragen Sie: »Was genau möchten Sie denn?« Oder noch deutlicher: »Ich habe Ihnen mein bestmögliches Angebot gemacht. Sie müssen sich nun entscheiden, ob Sie es annehmen oder nicht.«
Es heißt, wenn Sie sich Geld leihen, leihen Sie es sich von einem Pessimisten, da er sowieso nicht damit rechnet, es je zurückzubekommen. Auch bei Verhandlungen ist es für Sie nützlich, wenn Ihr Gegenüber niedrige Erwartungen hat. Schrauben Sie seine Erwartungen also so früh wie möglich herunter und setzen Sie einen Anker zu Ihren Gunsten mit dem Maximum oder Minimum, das Sie noch irgendwie rechtfertigen können. Es kann schon sein, dass Ihnen einige Deals durch die Lappen gehen, wenn Sie hoch pokern. Dennoch lohnt es sich für Sie: lieber fünf hoch lukrative Deals als zehn mittelmäßige.
Lassen Sie den anderen also nur dann ein Angebot abgeben, wenn Sie keine Ahnung von der Sache haben. Reagieren Sie auf sein Gebot immer schockiert – egal, wie gut es klingt. Hätte Edison in dem anfänglichen Beispiel zusammengezuckt, als er das Angebot von 40 000 Dollar bekam, hätte er wohl knapp 60 000 Dollar herausschlagen können und die Legende um Edison wäre um eine Erzählung reicher.
SCHNELLES DENKEN, LANGSAMES DENKEN
Im alten China gab es einen großen Feldherrn namens Zhuge Liang, der ehrfuchtsvoll der »Schlafende Drache« genannt wurde.51 Als er sich einmal mit einer nur kleinen Garde von etwa einhundert Mann in einer Stadt aufhielt, wurde er von dem Anmarsch eines feindlichen Heeres mit über 100 000 Soldaten überrascht. Er überlegte kurz und tat dann Folgendes: Er ließ die Stadttore öffnen und stellte sich mit einem Mönchsgewand bekleidet, auf die Stadtmauer, spielte auf einer Laute und sang. Der feindliche Heerführer erblickte ihn und ordnete augenblicklich den Rückzug an: Die Stadttore offen, der große Schlafende Drache alleine auf der Mauer – irgendetwas musste hier faul sein.
Wenn Sie wenig in der Hinterhand haben, in der Verhandlung also etwa schlechte Argumente für Ihr Ziel, müssen Sie die Aufmerksamkeit Ihres Gegenübers auf anderes lenken.
Die beiden israelisch-amerikanischen Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman unterscheiden zwei Kanäle, mit denen wir Entscheidungen treffen.52 Unser System 1 entscheidet schnell und intuitiv. Allerdings hält es sich dabei nicht unbedingt an Vernunft, sondern gelangt oft zu schlechten Entscheidungen. Unser System 2 hingegen ist das, was wir unter Nachdenken verstehen, es ist rational, braucht aber auch mehr Zeit. Gerade unsere Vorväter mussten viel häufiger System 1 verwenden, wenn sie etwa vor einem Löwen flohen – für tiefe Reflexionen blieb wenig Zeit. Allerdings verwenden wir unser intuitives System 1 auch dann, wenn wir besser System 2 verwenden sollten.
Bei den zwei Systemen spricht man auch von zwei Pfaden des Einflusses: dem zentralen und dem peripheren. Der zentrale wendet sich mit Argumenten an das rationale System 2, der zweite verwendet unbewusste Kriterien.53 Experimente haben gezeigt, dass einfache Tricks schon dazu führen, dass wir intuitiv handeln. Das ist besonders dann hilfreich, wenn Sie keine guten Argumente haben und sich am System 2 des anderen vorbeischleichen wollen.
Was also tun, um das System 1 beim anderen zu aktivieren? Ein erhöhtes Tempo, also das schnellere Sprechen, führt eher zur Verwendung des Systems 1.54 Ein weiterer Trick ist es, das Medium zu wechseln, also über Slides, Flipchart und über Clips zu kommunizieren. Hier wird das systematische Prozessieren der Informationen gestört, was wiederum zu einer Bevorzugung von System 1 führt.55 Auch das Verteilen von Handouts während eines Vortrags ist eine Methode, den intellektuellen Widerstand gar nicht erst aufkommen zu lassen.56
Geübte Verhandler überrumpeln einen mit einem Übermaß an Information: Hunderte Slides, tausendseitige Gutachten und Dutzende E-Mail-Anhänge, gerne noch im Fachjargon und die wirklich entscheidenden Informationen sind, wenn überhaupt, auf Seite 576 in einer Fußnote verborgen. Diese unlautere Taktik wird Snow Job genannt.57 Politiker wenden sie gerne an, um Gesetzesänderungen durchzusetzen, die isoliert niemals eine Chance hätten.
Was aber, wenn Sie gute Argumente haben und das System 2 bei Ihrem Gegenüber aktivieren wollen? Sprechen Sie langsam und leise. Damit bringen Sie den Verhandlungspartner dazu, zuzuhören und sich auf die Argumente einzulassen.58 Verwenden Sie auch eher lebendige Worte, Geschichten und Metaphern. Jetzt hört der andere nicht nur zu, er denkt auch mit – wieder ist System 2 aktiviert.59
Aktivieren Sie also – je nach Ihrer Situation – abwechselnd die verschiedenen Denksysteme Ihres Verhandlungspartners.