»Man soll alles immer soweit vereinfachen, wie möglich.
Und kein bisschen weiter.«
Albert Einstein
»Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel«, schrieb vor vielen Jahren der österreichisch-amerikanische Kommunikationsforscher Paul Watzlawick. Das gilt auch für Verhandlungen: Es ist nicht immer die gleiche Methode, die Sie zum Ziel führt. Je mehr Werkzeuge Sie in Ihrem Köfferchen haben, desto besser.
Und sicherlich werden Ihnen manche Verhandlungstechniken leichter fallen als andere. Wettbewerbsorientierte Menschen etwa erkennen sehr schnell die Machtstrukturen und können ihre Macht erhöhen, es fällt ihnen aber nicht leicht, die Interessen anderer ausfindig zu machen. Harmonieorientierte hingegen erkennen leicht gemeinsame Ziele, tun sich jedoch schwer damit, manipulative Methoden wie das Ankern oder das Prinzip der Gegenseitigkeit anzuwenden.
Das macht nichts. Niemand muss jede Technik anwenden. Wie beim Sport oder in der Kunst liegt auch beim Verhandeln der Schlüssel zur Exzellenz darin, sich auf seine Stärken zu konzentrieren. So wie sich der Golfer Tiger Woods bei seinem Training auf seinen extrem langen Drive konzentrierte statt auf sein mittelmäßiges Sandspiel. Erst die Konzentration auf Stärken führt zur Weltklasse und Sie dazu, Ihr Potenzial zu entfalten. Wer hingegen an seinen Schwächen arbeitet, kann höchstens Mittelmaß erreichen.
Als hervorragender Verhandler vereinigen Sie die Eigenschaften vieler Berufsgruppen1: Wie Topmanager sind Sie auf ehrgeizige Ziele fokussiert, wie hervorragende Werber entwickeln Sie kreative Lösungen und wie die besten Anwälte kommen Sie sehr schnell auf Argumente, die Ihren Anteil vergrößern. Die vielleicht wichtigste Eigenschaft aber ist Hartnäckigkeit: Stets muss Ihnen klar sein, dass das Nein des anderen nichts anderes ist als eine Eröffnungsposition – auch wenn es verklausuliert ist wie ein: »Wir verhandeln nicht. Wir bieten Ihnen einen fairen Preis und das war’s.« Die Wahrheit ist: Alles ist verhandelbar und mit jedem kann verhandelt werden, sogar mit Gott.
Im Alten Testament wird beschrieben, wie Gott Sodom zerstören will. Abraham ließ sich von der offensichtlich höheren Machtposition seines Verhandlungspartners nicht einschüchtern, sondern stellte sich ihm entgegen: »Es wäre unrecht von dir, Sodom ganz zu vernichten! Denn dann tötest du ohne Unterschied den Schuldlosen und den Schuldigen und behandelst beide gleich. Das wäre nicht recht! Du bist der Richter der ganzen Welt und willst gegen die Gerechtigkeit verstoßen?« Abraham verwies also auf Fairness und objektive Kriterien – und es funktionierte. Der Appell an Fairness wirkt also sogar beim Schöpfer der Welt mit all ihren Regeln. Gott erwiderte:
»Wenn ich in Sodom 50 Unschuldige finde, werde ich um ihretwillen den ganzen Ort verschonen.« Abraham war hartnäckig und feilschte weiter: erst auf 45, 40, 30, dann auf 20 Unschuldige. Und er ließ nicht locker: »Mein Herr, bitte werde nicht zornig, wenn ich zum Schluss noch einmal spreche: Was wirst du tun, wenn dort nur zehn unschuldige Menschen wohnen?« Und Gott sprach: »Die zehn werden verschont bleiben und ebenso die ganze Stadt.«
So geschickt Abraham die Verhandlung auch führte, so war sie dennoch umsonst, da sich in ganz Sodom nicht einmal zehn Unschuldige auftreiben ließen. Dennoch hat sicherlich auch diese Legende dazu beigetragen, dass sich Juden, Christen und Moslems voller Stolz auf Abraham, Ibrahim, als ihren Stammvater berufen.
Die Verhandlung ist erst zu Ende, wenn ein Abschluss zwischen den beiden Parteien zustande gekommen ist, das heißt, die Verhandlung ist erst dann zu Ende, wenn Sie es wollen. Denn von der Struktur ist eine Verhandlung nichts weiter als ein Entscheidungsprozess, bei dem beide Parteien ein Vetorecht haben.2
Fürchten Sie sich nicht davor, als beharrlich zu gelten. Wenn Ihnen Ihr Gegenüber nach dem Abschluss sagt, wie hartnäckig Sie waren, ist es eher ein Kompliment als eine Beleidigung.3 Mit den hier beschriebenen Techniken können Sie aus fast jedem Nein ein Vielleicht machen und schließlich auch ein Ja.4
Ganz egal, worum es geht: Sicherlich gibt es eine Grenze, ab der die Verhandlung keinen Sinn mehr ergibt. Diese Grenze liegt aber deutlich weiter entfernt, als die meisten Menschen annehmen.
Dazu ein Beispiel aus meiner Schulzeit: Damals hatte ich den zweifelhaften Ruf, um jede Note mit dem Lehrer zu feilschen, was mir in meiner Abiturzeitung den ersten Platz als »größten Punktepienser« einbrachte, ein südhessischer Ausdruck für jemanden, der jede Notenbesprechung als Basar betrachtet. Meine Mitschüler hatten Recht: Die Bewertung eines halben Jahres war mir durchaus zehn Minuten der Feilscherei wert. Wenn ich so auch nur jede dritte Note beeinflussen konnte, dann verbesserte ich damit meinen Notendurchschnitt doch entscheidend. Der erfreuliche Nebeneffekt der Hartnäckigkeit: Die Lehrer überlegten zweimal, ob sie erst die schlechtere Note geben sollten, wenn ich zwischen zwei Zensuren stand. Die meisten Menschen scheuen die Konfrontation und wollen einfach ihre Ruhe haben. Warum sonst kaufen viele Mütter entgegen ihrer Prinzipien ihren Kindern an der Kasse Süßigkeiten? Jeder Fünfjährige wird es Ihnen bestätigen: Hartnäckigkeit führt Sie an Ihr Ziel.
Sicherlich kann man es auch übertreiben. Vor Jahren war ich mit drei Freunden in Barcelona. Wir hatten zwei Doppelzimmer in einem netten Hotel an der Promenade Las Ramblas reserviert und ich hatte um eine Verbindungstür gebeten, damit wir mehr Zeit zusammen verbringen konnten. Leider gab es jetzt aber nur noch Zimmer in zwei verschiedenen Stockwerken. Ich wollte dafür nun etwas anderes herausschlagen. Erst nachdem der Trainee an der Rezeption die Rezeptionschefin geholt, diese dann den Manager on Duty und der wiederum den Vizedirektor zu mir brachte, der uns nun endlich das Frühstück am nächsten Tag schenkte, ließ ich locker. Stolz ging ich zu meinen wartenden Freunden. Die aber hielten mich für schwachsinnig: Ich hatte anderthalb Stunden unseres sowieso viel zu kurzen Wochenendes damit vergeudet, über ein Frühstück zu feilschen, das wir sowieso verpassen würden. Sie hatten Recht: Ich war besessen. Immer das Maximum herausholen zu wollen, kann zu einer Sucht werden, die gerade professionelle Verhandler heimsucht.
Herb Cohen stieg einmal aus einem Taxi an seinem Hotel aus, als er sah, wie sich ein Mann im elften Stock scheinbar das Leben nehmen wollte.5 Müde von einem harten Tag, marschierte Cohen dennoch an die Rezeption, um einzuchecken. Leider seien sie überbucht, sagte der Hotelangestellte, es sei kein einziges Zimmer frei, er könne aber bei anderen Hotels in der Gegend nachfragen. »Natürlich haben Sie ein Zimmer frei! Der Mann im elften Stock checkt gerade aus.« Was geschah? Der Mann sprang nicht und landete in einer psychiatrischen Anstalt, Cohen bekam das Zimmer. Es ist ein schmaler Grat zwischen Verhandlungsgenie und -wahnsinn.6
Auch wenn noch so viele Menschen dieses Buch gekauft haben, so lesen es die wenigsten zu Ende. Sie gehören nun also zu einer kleinen, erlesenen Gruppe. Dafür, dass Sie mir und meinen Gedanken bis hierhin folgten, möchte ich mich erkenntlich zeigen und gebe Ihnen noch einen Verhandlungstipp, der sich mir als ungeheuer wertvoll erwies.
Vor ein paar Jahren organisierte ich eine Veranstaltungsreihe, die Soirée Fantastique: eine Mentalshow in den Suiten verschiedener Hotels. Der Mentalismus ist meine große Leidenschaft: eine Mischung aus Psychologie und Zauberkunst. Gerade auch deswegen, weil diese Art der Unterhaltung relativ unbekannt ist, war es nicht leicht, die Hotels als Partner zu gewinnen. Wie sollte ich vorgehen? Ich hätte mich direkt an die Direktoren wenden können. Meine Strategie war aber eine andere: Ich begann die Verhandlung mit der niedrigsten Hierarchieebene, die aber immerhin noch entscheidungsbefugt war, in der Regel mit einem Sales Assistant. Warum? Wenn dieser Ansprechpartner ablehnte, konnte ich mich an den Director of Sales wenden, danach an den Vizedirektor und danach erst an den Direktor. Ich brauchte nur ein einziges Ja, und ich war drin. Auf diese Weise bekam ich in kürzester Zeit fast ein Dutzend der besten Hotels Europas zusammen. Und das, obwohl ich pro Hotel im Durchschnitt zwei Neins zu hören bekam.
Viele Verhandlungsratgeber empfehlen, gleich im oberen Management anzufragen. Es mag schon sein, dass höhere Entscheidungsebenen auch weniger kleinlich sind und eher das große Ganze sehen, statt sich an Regeln aufzuhängen.7 Dieser Ratschlag ist dennoch nicht klug. Denn wenn der Chef einmal Nein sagt, müssen Sie sehr viel in Bewegung setzen, um dieses Nein zu revidieren. Sagt hingegen ein kleines Rad im Getriebe Nein, so hangeln Sie sich zur nächsten Ebene hoch. Sobald Sie ein Ja haben, ist alles gut. Je länger die Kette, je mehr Instanzen, also je weiter unten Sie beginnen, desto besser – gesetzt dem Fall, die unterste Instanz verfügt über Entscheidungsgewalt. Die Unternehmensgröße kann hier also Ihr Vorteil sein: Suchen Sie, bis Sie jemanden finden, der Ihnen hilft, Ihre Ziele durchzusetzen.
Auf den Alltag übertragen: Wenn etwa mein WLAN zu Hause für einige Tage unzuverlässig war, rufe ich bei der Hotline meines Internetproviders an. Wenn nun am anderen Ende der Leitung eine unfreundliche Stimme ist, die immer wieder etwas sagt wie »In unseren Vertragsbedingungen steht xy und daher geht es nicht«, verabschiede ich mich höflich, lege auf und wähle die gleiche Nummer noch einmal. Neues Spiel, neues Glück. In der Regel genügen zwei Anrufe und das Ziel ist erreicht. Wenn nicht, lasse ich mich mit einem Vorgesetzen verbinden. Es ist verblüffend: Auch wenn der erste Callcenter-Mitarbeiter genau erklärt hat, weshalb es keine Gutschrift geben kann und alles völlig einleuchtend erscheint, so hat die Erfahrung gezeigt, dass all das Unsinn war und es fast immer doch geht. Die meisten Menschen lassen sich mit wenigen Worten abspeisen, so als ob sie froh sind, es einmal versucht zu haben: »Siehst du, hier kann man halt nicht handeln, aber das hatte ich ja gleich gesagt.« Wir sind wie ein Kind, das fragt, woher die Babys kommen und bereits nach der Antwort »von Störchen« befriedigt sind und weiterspielen.
Wenn Sie alles andere aus dem Buch vergessen sollten, merken Sie sich diesen Ratschlag und behalten Sie ihn für sich, ich habe ihn absichtlich unauffällig ins Nachwort eingebettet, damit er unter uns bleibt.
Mit der Veröffentlichung dieses Buches habe ich mir keinen Gefallen getan. Wenn ich nun über mein neues Auto verhandeln will, wird sich der Verkäufer sagen: »Dem zeige ich es!« Und er kann es kaum erwarten, seinen Freunden und Kollegen zu erzählen, wie er den ach so großen Verhandlungsexperten aufs Kreuz gelegt hat. Der Reiz ist der gleiche, wie davon zu berichten, wenn man einen Ferrari überholt hat oder Jason Statham in der Disko zusammengeschlagen hat. Wenn ich die Verhandlung aber als Spiel sehe, ist es egal.
Herb Cohen, der amerikanische Grandseigneur der Verhandlung, hält es für den Ausgangspunkt jeder gelungenen Verhandlung, sie ernst zu nehmen, aber auch nicht sooo ernst.8 Für wen verhandeln Sie in der Regel am schlechtesten? Richtig, für sich selbst. Warum? Weil Sie selbst Ihnen wichtig sind. Dinge erscheinen Ihnen wichtig? Sicherlich gibt es wirklich Wesentliches: welchen Beruf Sie ergreifen, wen Sie heiraten, dass es Ihrer Familie gut geht. Überlegen Sie einfach, ob Sie sich in zwanzig Jahren noch daran erinnern werden. Je weniger ernst Sie die Angelegenheit jedoch nehmen, desto weniger Macht geben Sie Ihrem Verhandlungspartner. So werden Sie weniger Stress in der Verhandlung fühlen, und Sie werden mutiger werden, was wiederum zu einem besseren Ergebnis führt.9 Und am Wichtigsten: Sie werden besser abschneiden, weil der andere spürt, dass Sie jederzeit den Verhandlungstisch verlassen könnten.
In dem Moment, in dem Ihnen klar ist, dass die Verhandlung ein Spiel ist, bei dem Sie durchaus auch verlieren können, bekommen Sie das, was Sie wirklich wollen!