MUT ZUM NATURNAHEN GARTEN

Viele Gartenbesitzende möchten einen Garten, der möglichst keine Arbeit macht. So ein bisschen Grün um die Terrasse, wo dann der Grill stehen kann, ist okay. Artenvielfalt wollen die Menschen natürlich auch – ist ja klar heutzutage!

Als pflegeleichter Garten wird dann eine Fläche mit Schotter oder Rindenmulch auf Unkrautvlies und vielleicht noch ein paar kleinen Koniferen angelegt, dazu noch ein paar Quadratmeter Rasen. Artenvielfalt gibt es hier nicht. Eine vom Mähroboter gemanagte Rasenfläche ist eigentlich mehr tot als lebendig, hier gibt es keine Blüten für Nektar saugende Insekten und im dichten Wurzelfilz keine Regenwürmer für Amseln.

Summen, Zwitschern, Pfeifen: Mut wird belohnt.

Für Artenvielfalt im Garten muss man schon ab und zu im Garten werkeln, aber viel weniger Pflege als bei Englischem Rasen und blank geputzten Beeten einplanen. Naturnaher Garten bedeutet nicht, dass alles wild durcheinander wächst, sondern dass die natürlichen Entwicklungen von Pflanzen und Tieren bei der Gestaltung, Bearbeitung und Weiterentwicklung eines Gartens berücksichtigt werden. Heimischen Pflanzen kommt hier eine wichtige Bedeutung zu (Seite 56). Eine gesunde Mischung aus vielleicht exotischen Lieblingsblumen und Wildpflanzen ist eine ideale Voraussetzung für Freude am Garten und für die Natur. Die Gartengröße spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Auch schließen sich verschiedene Nutzungen nicht aus. Ein Stück gemähte Wiese für Kinder zum Spielen oder Gemüsebeete sind auch in einem naturnahen, artenreichen Garten gut möglich. Wie wäre es mit einer „Wilden Ecke“? Das ist doch ein guter Anfang (Seite 22)!

Im naturnahen Garten darf in Beeten „Unkraut“ wachsen. Es gibt Gestaltungselemente, die ganz natürlich sind, wie Totholz und Steine. Gartenzwerge aus Plastik oder Terrakotta-Buddhas sind Geschmackssache. Was im naturnahen Garten jedoch nichts zu suchen hat, sind solarbetriebene Deko-Leuchten abseits von Hauseingängen oder Wegen, deren Licht nachtaktive Tiere wie Nachtfalter, Fledermäuse oder Igel verwirren kann.

Wilde Gärten sind bunt und abwechslungsreich, hier tobt das Leben.

Ist das „Unordnung“?

Naturnahe Gärten wirken auf manche Mitmenschen unordentlich. Das liegt daran, dass es keine scharfe Rasenkante entlang des Rasens gibt, nicht jedes Grashälmchen aus den Pflasterritzen geklaubt wird und der Boden zwischen den Rosenstöcken nicht blank geputzt ist. Wo sich übrigens ganz schnell neues „Unkraut“ einfindet und Gartenpflege fordert ... Wurzelstöcke als Struktur werden als Unrat oder Abfall, ein Steinhaufen als Bauschutt bezeichnet.

Über diese verstaubten Ansichten müssen Gartenfreund*innen, denen Natur und Artenvielfalt am Herzen liegen, mit einem Lächeln hinweggehen. Sicher braucht man erstmal Mut, neben dem Rosenbusch auch Natternkopf und Mohn wachsen zu lassen. Und das ist sogar erlaubt, denn im eigenen Garten besteht keine Verpflichtung zum Entfernen von „Unkraut“. Löwenzahn und Disteln dürfen in der Wiese wachsen, egal was die Nachbarn dazu sagen! Und um es mal ganz klar im Behördenjargon auszudrücken: Samenflug gilt als Immission und muss geduldet werden, wenn die Nutzung des betroffenen Anwesens nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt ist.

Selbstverständlich müssen, besonders an Grundstücksgrenzen, überhängende Pflanzen und Hecken in sinnvollem Maß zurückgeschnitten werden. Wo wucherndes Kraut überhandnimmt und andere, gewünschte Pflanzen bedrängt, muss es entfernt werden. Dennoch, wer Tagpfauenauge möchte, muss auch Brennnesseln zulassen. Überall sollen die sich natürlich nicht ausbreiten.

Heimische Wildpflanzen im Garten sind ungeheuer wertvoll, denn viele der vorkommenden Insekten gibt es hier nur, weil die richtigen Stauden und Sträucher wachsen dürfen. Viele davon betrachten die einen als Unkraut, für die anderen sind sie Bienenweiden.

Besonders im Winter, wenn die grünen Pflanzenteile von Stauden verschwunden sind, dafür aber vertrocknete Stängel noch anzeigen, wo im Sommer die Glockenblume oder eine Wilde Möhre geblüht haben, erscheinen Gärten vielen ungepflegt. Hier überwintern aber vielleicht Insekten und Vögel finden Sämereien.

Einfach anfangen!

Jeder Garten kann naturnah sein. Bei einer Neuanlage können die richtigen Strukturen und Pflanzen von vornherein berücksichtigt werden. Aber auch alten Gärten, die bislang „ordentlich“ gepflegt waren, kann man selbstverständlich neuen Schwung verleihen.

Thujahecken, Pflanzringe aus Beton oder Englischer Rasen müssen nicht unbedingt alle auf einmal entfernt werden, um hier ein Paradies für Insekten und Vögel zu schaffen. Mit wenig Aufwand kann der Garten nach und nach verändert werden. Es reicht schon, heimische Wildstauden zu pflanzen und Elemente wie Stein- oder Holzhaufen einzubringen. Mit ein paar Schubkarren Sand und Kies lässt sich an geeigneter Stelle ein Relief gestalten. Wer nicht alles auf einmal abmäht, sondern Teilflächen wachsen lässt, findet schnell heraus, ob im Rasen nicht vielleicht doch mehr als Gras wachsen möchte. Und die alte Thujahecke ist zumindest für Vögel nicht ganz unnütz, sie können sich hier gut verstecken oder sogar brüten. Nach und nach oder auch nur teilweise kann die alte Hecke durch eine gemischte Hecke für Vögel ersetzt werden.

Wohlfühl-Gärtnern

Erwiesenermaßen fördert der Aufenthalt in der Natur unser Wohlbefinden. Das gilt auch für Gärten. Im Grünen kann sich das Gehirn ganz nebenbei erholen, ohne durch bunte Blumen oder Vogelgezwitscher überfordert zu werden. Der Stress, Beete unkrautfrei und Rasenkanten gerade geschnitten zu halten, ist hausgemacht. Warum nicht ganz entspannt auf der Gartenbank sitzend beobachten, was so kreucht, fleucht, singt oder ruft, und die Eindrücke von Farbe, Duft, Sonne und Wind auf sich wirken lassen? Dass hier eine Blauschwarze Holzbiene vorbeifliegt oder ein Schwalbenschwanz auf der Wilden Möhre seine Eier legt, sollte einen stolz auf den Garten als ganz eigenes Naturreservat machen – und kein schlechtes Gewissen, weil die verblühten Samenstände noch nicht entfernt sind.

Ein naturnaher Garten verändert sich ständig, und dennoch bietet er nachhaltig Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Die natürliche Dynamik lässt den Garten jedes Jahr ein wenig anders aussehen, manche Pflanzen verschwinden einfach, andere kommen neu dazu. Und mit ihnen vielleicht auch neue Tiere, vom Ohrwurm bis zum Rotkehlchen. Willkommen im Abenteuer Garten!