16 Nahender Crash
Das Ende des amerikanischen Zeitalters

Ich habe in den vorherigen Kapiteln dargelegt, wie die Grundlagenphysik langsam ihren Zenit überschritten hat und in eine Phase der Degeneration geraten ist. Seine Wurzeln hat dieses Phänomen in einer oberflächlichen Denktradition, die sich vor etwa hundert Jahren von Amerika aus verbreitete und heute meist »westliche« Kultur genannt wird. Diese Art von theoretischer Physik wird früher oder später kollabieren, sobald der Öffentlichkeit bewusst wird, wie kontraproduktiv diese Aktivitäten sind.

»Der Kollaps der Wissenschaft hängt zusammen mit dem Kollaps der Moderne – sowohl als Ursache als auch als Folge.« – Bruce G. Charlton

Die gleiche nicht nachhaltige Denkkultur hat jedoch weitere Auswirkungen auf die Zivilisation. Wie in den ersten Kapiteln angedeutet, können diese so dramatisch sein, dass der Zustand der Wissenschaft vergleichsweise als ein Luxusproblem erscheint. Tatsächlich sind sehr viele Systeme reif für den Zusammenbruch, und die wechselseitigen Abhängigkeiten machen Vorhersagen nicht leicht. Sicher ist wohl nur, dass die westliche Kultur in keinem gesunden Zustand ist.

Die Instabilität der Universitäten, ja des ganzen Bildungssystems, wurde schon angesprochen. Hinzu kommt, dass sich in einer digitalisierten Welt Wissen praktisch nicht geheim halten und als solches nicht mehr vermarkten lässt. Abgesehen von konkreter Ausbildung an Menschen oder mit Geräten entzieht dies den Bildungsinstitutionen die wirtschaftliche Grundlage. Man könnte aber auch sagen, dass die Kommerzialisierung von Bildung einer fehlgeleiteten Denktradition entspringt, die nun ihr natürliches Ende findet. Schließlich werden auch die staatlich finanzierten Schulen in Europa einer Krise nicht entgehen. Im Übrigen wird es in manchen Fächern für Absolventen immer schwerer, die Leistungen von künstlicher Intelligenz zu übertreffen.

Make it great again nicht ganz gelungen

»In Russland wird das Volk durch die Partei verdummt, in den Vereinigten Staaten durch die Television.« – Friedrich ­Dürrenmatt (19211990)

In den USA war Bildung schon immer sehr teuer, was dazu führte, dass sich die sozialen Schichten wenig ausgleichen konnten. Diese Unterschiede haben sich in den letzten Jahrzehnten durch die Verarmung der Mittelschicht dramatisch verstärkt und führten zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft. Die Zeiten, in denen sozialer Aufstieg durch Tüchtigkeit erreicht werden konnte, sind längst vorbei. Niemand wird heute mehr vom Tellerwäscher zum Millionär, der amerikanische Traum ist zu Ende.CXXXIII Die für Amerika in den 1960er Jahren so typische Vorstellung, dass man durch normale Arbeit zu Haus, Auto, Familie und Wohlstand kommen könne, ist für die meisten Amerikaner längst unerreichbar geworden. Kilometerlang reihen sich die Zelte der Obdachlosen in den Städten der Westküste, exzessiver Drogenkonsum, verbreitete Zivilisationskrankheiten, überbordende Kriminalität und Schießereien sind längst zur Normalität geworden. Auch ein Bürgerkrieg entlang der ethnischen Trennlinien ist in einer aufgeheizten Stimmung langfristig nicht mehr auszuschließen.

Die fehlende Tradition der Ordnungspolitik führt letztlich dazu, dass sich die Schere zwischen der großen Mehrheit in wirtschaftlichem Abstieg und den ungefähr 300 000 Superreichen sich immer weiter öffnet.1 Dies ist natürlich auch Konsequenz einer lockeren Geldpolitik, die den Großen beliebige Spekulationsgewinne erlaubt, während die Risikoabsicherung durch den Steuerzahler erfolgt. Die in Umlauf gebrachte Geldmenge ist in den letzten Jahren exponentiell angewachsen, ebenso wie die Staatsverschuldung im Westen. Da eine Umkehr zu Hochzinspolitik nicht nur den Staat, sondern auch einen Großteil der Unternehmen in die Pleite treiben würde, ist auf lange Sicht ein inflationäres Überhitzen des Systems unvermeidlich. Amerika, aber auch Europa, Japan und Großbritannien sind insofern längst bankrott.2

In diese Sackgasse hat ein Denken geführt, das sich an Quartalszahlen orientiert und jede langfristige Planung vermissen lässt. Es kann natürlich nicht nur Amerika angelastet werden, sondern ist inzwischen jedenfalls ein globaler Systemfehler. Unklar ist, ob eine faktische Zahlungsunfähigkeit zuerst bei den USA eintritt oder in Europa, ob andere Formen eines Währungs-Resets kommen werden oder ob der Finanzkapitalismus überhaupt in seiner derzeitigen Form zusammenbricht. Diese bedrohliche Situation wird von vielen Menschen konkreter wahrgenommen als eine Krise der Wissenschaft. Die Instabilität hat jedoch ein ähnliches Ausmaß.

Petrodollar, Islam und Erdölkriege

»Ölpreis zu niedrig: USA sagen alle Kriege bis 2022 ab.« – Der Postillon

Der US-Dollar kann sich nur deswegen behaupten, weil der Erdölverkauf global damit abgewickelt wird. Dieser Zustand der Weltreservewährung wird aber nicht ewig dauern, schon weil früher oder später das fossile Zeitalter endet. Immer mehr Länder lösen sich der US-Währungsdominanz, indem sie ihre Zahlungen nicht mehr in Dollar abrechnen.3 Vor zehn Jahren konnte Libyen dafür noch mit einem Regime Change abgestraft werden, der Rückhalt für solche Interventionskriege schwindet jedoch. Obwohl die USA mit praktisch allen Ländern außerhalb ihres Imperiums Spannungen schüren, können sie es sich wohl kaum mehr erlauben, beispielsweise den Iran anzugreifen, der es gewagt hatte, sein Öl nicht in Dollar zu verkaufen.

Die Interventionskriege der USA in den muslimischen Ländern des Nahen Ostens hatten eine weitere verheerende Folge. Im Interesse der Zivilisation wäre es eigentlich durchaus wünschenswert, den in diesen Ländern verbreiteten intoleranten religiösen Ideologien die Stirn zu bieten und eine aufgeklärte und im besten Sinne wissenschaftsbasierte Weltordnung anzustreben. Denn die Vorzüge des Abendlandes liegen nicht darin, dass es historisch christlich geprägt war, sondern dass es eine säkular-humanistische Tradition entwickelte.

Diese schmerzhafte Auseinandersetzung mit der Kirche wurde jedoch vor langer Zeit in Europa geführt und ist im amerikanischen Bewusstsein bis heute nicht in gleichem Maße verankert. Vielmehr zeigt der dortige Exzeptionalismus immer noch religiöse Anwandlungen. Wie erklärt sich sonst, dass US-Generäle bei der Invasion im Irak 2003 darüber schwadronierten,4 ihr Gott sei der größere? Mit diesen sinnlosen Zerstörungen hat das westliche Imperium jede Glaubwürdigkeit verspielt, einen nachhaltigen und friedlichen Fortschritt der Zivilisation anzuführen.

Diese in Wirklichkeit im Interesse der Waffen- und Ölindustrien geführten Kriege lassen sich selbst mit den Propagandakampagnen der US-Medien nicht mehr als Einsatz für Demokratie und Menschenrechte verkaufen,CXXXIV insbesondere wenn Särge aus aller Welt eingeflogen werden. Dabei war der mit einem langjährigen Lügengebäude gerechtfertigte Krieg in Afghanistan mit Kosten von über zwei Billionen Dollar zwar eine groß angelegte Subvention der Rüstungsindustrie, aber sicher keine besonders effiziente. Selbst wenn man also die moralische Verrottung der Führung der USA – wer auch immer das ist – durch illegale Kriege,5 Menschenrechtsverletzungen, Folter und Drohnenmorde ausklammert, so bleibt doch die Frage, welchen gesamtwirtschaftlichen Nutzen das militärische Imperium der USA langfristig bringen soll, vor allem weil die exzessiven »Verteidigungs«-Ausgaben von über 700 Milliarden Dollar – mehr als die zehn folgenden Länder zusammen – ein Hauptgrund für die schwindelerregend hohe Staatsverschuldung sind.

Die See- und Luftstreitkräfte, die teils geheimen Kommandos in drei Viertel der Länder der Erde6 sowie die 800 auf dem Globus verteilten Militärstützpunkte verleihen natürlich noch ein Macht- und Erpressungspotenzial, dass für wirtschaftliche Zwecke genutzt werden kann, auch bei den »verbündeten« NATO-Staaten. Aber es ist alles andere als beruhigend, dass ausgerechnet das Militär das Imperium stabilisieren muss. Die ohne das Risiko der eigenen Apokalypse praktisch unangreifbaren Länder wie Russland, China und Indien haben sich schon so weit emanzipiert, dass sie sich zusammen mit vielen anderen von dem Gebaren der Vereinigten Staaten unabhängig machen können. Man fragt sich, was passieren würde, wenn zum Beispiel die SCOCXXXV zur Abwechslung Sanktionen gegen die USA verhängen würden.

Das überdehnte Imperium

Obwohl Russland im Moment im Bereich der Hyperschallraketen technologisch führend ist,7 haben die USA natürlich militärisch kaum etwas zu fürchten, solange sie nicht selbst einen Weltkrieg anzetteln. Auch die technologische Überlegenheit der Geheimdienste CIA und NSA, welche wohl die ganze Welt auszuspionieren und zu kontrollieren in der Lage sind, stützt das Imperium so, dass ein unmittelbarer Zusammenbruch nicht zu erwarten ist. Auf lange Sicht kann man sich jedoch darauf einstellen, dass es von innen heraus kollabiert. Europa ist daher gut beraten, in jeder Hinsicht so unabhängig zu werden, dass es nicht mit in den Abgrund gezogen wird. Die langfristigen Gefahren sind damit freilich auch nicht gebannt, denn die – natürlich weitgehend freiwillige – Rekolonialisierung Europas in der oberflächlichen westlichen Denktradition hält weiter an.

China, generell Asien, hat mit seiner immens großen, immer besser gebildeten Bevölkerung die westliche Zivilisation in vielerlei Hinsicht überrundet. Es strotzt vor wirtschaftlicher Stärke und stellt sich zielstrebig auf den Zusammenbruch der westlichen Währungen ein, indem es mit seinen Devisen die Infrastruktur der Welt aufkauft. Insofern ist ihr Denken langfristiger. Dennoch geht von diesen östlichen Konkurrenten mehr Perfektion aus als Innovation. Die chinesische Wissenschaft wird nicht dadurch florieren, dass sie die sinnlosen Teilchenbeschleuniger baut, die sich der Westen nicht mehr leisten kann.8 In den östlichen Kulturen hat das Individuum einen geringeren Stellenwert als im Westen, was für die Organisation von Gesellschaften von Vorteil sein kann, gerade wenn man an materielle Lebensbedingungen für die Bevölkerung denkt. Die damit einhergehende geringe individuelle Freiheit, verbunden mit einer stärkeren Stellung der kollektiven Meinung, hat aber auch dazu geführt, dass wissenschaftliche Durchbrüche von Individuen gegen die Mehrheitsmeinung hauptsächlich im Westen stattgefunden haben. Noch heute würden die meisten kreativen Erfinder oder Forscher sich wohl kaum in Peking niederlassen, um dort ihre Visionen zu realisieren.

Das Bewusstsein um diese kulturellen Unterschiede bedeutet keineswegs, in die antichinesische Propaganda der hiesigen Presse einzustimmen. Nüchtern betrachtet, dient die Führung in Peking wohl den Interessen des eigenen Volkes aufrichtiger als die vielfach korrupten Eliten des Westens, die oft nur eine Fassade von Demokratie errichten, welche durch die Narrative ihrer Medien ziemlich gut kontrolliert ist.9 Man beklagt gerne die fehlende Freiheit in Russland und China, wobei diese Einschränkungen wenigstens der Erhaltung der politischen Stabilität dienen.CXXXVI Die zunehmende Unterdrückung der freien Meinung in unseren Gesellschaften erinnert dagegen manchmal schon an eine Massenpsychose.

Denn der Westen ist inzwischen nur mehr ein Zerrbild der Kultur jener Freiheit, auf die sein zivilisatorischer Erfolg zurückzuführen war. Wenn man an das zunehmende Klima der geistigen Unfreiheit, Cancel Culture und Zensur denkt und sich die heutigen Dissidenten und politischen Gefangenen ansieht, beispielsweise Edward Snowden, Julian Assange oder Craig Murray, würden sich die Europäer Kant, Schiller und Voltaire zusammen mit den Amerikanern Lincoln, Jefferson und Washington im Grabe umdrehen.

Postamerikanische Perspektiven

»Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.« – Albert Einstein

Samuel Huntington hat in seinem Bestseller The Clash of Civilizations mit vielen ökonomischen Fakten belegt, dass sich die westliche Kultur in einem relativen Niedergang befindet. Es liegt nahe, darüber zu spekulieren, welche Macht als Nächstes die globale Vorherrschaft übernehmen könnte. Ich denke dennoch nicht, dass dies der gegenwärtigen Weltlage angemessen ist. Bei aller Vorsicht, mit der man die Gegenwart für etwas Besonderes halten soll, gibt es doch objektive Merkmale, welche die heutige Zeit gegenüber früheren Epochen auszeichnen. Kriege der Atommächte sind nicht mehr zu gewinnen, sondern noch viel mehr Lose-Lose als früher. Doch durch Verrücktheit oder Versehen kann jederzeit die ganze Menschheit in Gefahr geraten.

Die Technologie bestimmt mehr als alles andere die Lebensbedingungen. Die Globalisierung hat den Waren- und Dienstleistungsverkehr revolutioniert, vor allem verändert die ungehindert fließende Information die Welt. Die Nationalitäten und die entsprechenden Denkkulturen vermischen sich also nicht nur durch Migration, sondern es entstehen global Gruppen, die sich stärker verbunden fühlen als durch die Nationalität. Insofern kann die künftige kulturgeschichtliche Entwicklung nicht mehr aus der Sicht nationaler Denktraditionen diskutiert werden, wie dies am Anfang dieses Buches geschehen ist. Inzwischen gibt es auf der ganzen Welt und natürlich auch in Amerika Forscher, die in der naturphilosophischen Tradition arbeiten und sich vernetzen, während die Kultur der Großforschungseinrichtungen dominierend bleibt.

Es ist interessant, darüber zu reflektieren, dass die gesamte hier beschriebene Entwicklung wohl seit Entdeckung der Elektrizität, zusammen mit deren Wellen und der Mikroelektronik, vorgezeichnet war. Sie macht es in jedem Fall notwendig, in anderen Maßstäben zu denken, als dies die Struktur der Nationalstaaten seit Jahrhunderten vorgibt.

Man kann daher kaum erwarten, dass die etwa einhundert Jahre dauernde Dominanz der Vereinigten Staaten in Zukunft durch eine entsprechende Vorherrschaft von beispielsweise China abgelöst wird. Wahrscheinlicher ist, dass die Weltgeschichte in eine Phase eintritt, in der die Zugehörigkeit zu einem Imperium eine geringere Rolle spielt oder die Zeit der nationalen Imperien überhaupt zu Ende geht.

Tatsächlich geht die Macht einiger Internetkonzerne wie Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft und Twitter, die ihre Monopolstellung teils unverfroren ausnutzen, schon über die der meisten Nationalstaaten hinaus. Dass die Hauptsitze dieser Marktführer sich sämtlich in Amerika befinden, sagt immerhin aus, dass sich dort noch erhebliches Innovationspotenzial befindet und zumindest auf diesem Gebiet noch wenig vom Niedergang der USA zu spüren ist. Auch wesentliche Strukturen des gesamten Internet wie die ICANN sind fest in der Hand der USA. Obwohl sich die obigen Konzerne, etwa durch Beschlüsse des GeheimgerichtsCXXXVII FISA, noch der Staatsmacht beugen müssen, sind sie doch ein potenzieller Gegenpol zu dieser. Im Moment sind eher die negativen Aspekte sichtbar, weil YouTube, Facebook und Twitter, im Übrigen auch Wikipedia, sich intensiv an der Kontrolle, Manipulation und Zensur der öffentlichen Meinung beteiligen, die in der gesamten westlichen Hemisphäre auf dem Vormarsch ist. So bedenklich dies ist, so wenig muss es doch auf Dauer so bleiben. Dadurch, dass ihr Wert hauptsächlich aus Immaterialgütern besteht – Software und Daten –, können Sie sich im Prinzip an jedem Ort des Globus niederlassen, ganz abgesehen davon, dass potenzielle Konkurrenten ebenso schnell entstehen können wie sie selbst.

Vernetzte neue Welt

Gleichzeitig schaffen die Internetkonzerne selbst die Bedingungen dafür, dass sich die Welt immer stärker vernetzt und die Bedeutung der Nationalstaaten zurückgeht. Scheinbar ein Detail, aber sicher nicht unwichtig werden dabei Übersetzungsprogramme sein, die die Kommunikation in verschiedenen Sprachen erleichtern und im besten Fall zur Völkerverständigung beitragen. Nebenbei werden die Internetkonzerne den Bildungsbereich besetzen und die Universitäten obsolet machen, spätestens dann, wenn sie eigene automatisierte Prüfungskonzepte entwickelt haben, die ohne große Kosten skalierbar sind. Kostenloser Zugang zu Bildung und Wissen der Menschheit ist eine der größten Visionen, die das Internet bietet. Sie wird womöglich zu einer Blüte von Talenten führen, welche in früheren Zeiten nie Gelegenheit gehabt hätten, ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Man mag insofern optimistisch sein, dass sich künftige wissenschaftliche Durchbrüche irgendwann außerhalb der jetzigen Institutionen in einer offenen weltweiten Gemeinde von Forschern entwickeln, die sich an die großen ungelösten Fragen der Grundlagenwissenschaft wagen.

»Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit übertrifft.«– Albert Einstein

Ob die Intelligenz von einzelnen Genies die gleiche Rolle wie in der Vergangenheit spielen wird, ist allerdings eine andere Frage. Möglicherweise wird die Forschung in nicht allzu ferner Zukunft künstliche Gehirne entwickeln, welche den menschlichen in jeder Hinsicht überlegen sind.10 Eine derartige Superintelligenz mit unseren Werten in Einklang zu bringen, ist eine der größten Herausforderungen der nächsten Zeit, obwohl sie der Allgemeinheit noch kaum bewusst ist.

Vor diesem Hintergrund hat Elon Musk übrigens seine Firma NeuraLink gegründet. Sie soll eine Verbindung des menschlichen Gehirns mit einem Computer ermöglichen, sodass eine potenzielle Superintelligenz allen zur Verfügung stünde, bevor sie von Einzelnen missbraucht werden kann.

Trotz dieser Gefahren birgt die Künstliche Intelligenz Perspektiven zur Lösung jener Probleme, die die Biosphäre früher oder später an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringen. Der Klimawandel ist dabei das Thema, welches die meiste Popularität erfahren hat, besorgniserregend ist aber auch vieles andere. Es gibt Risiken, die der Mensch nicht beeinflussen kann, welche jedoch eine technologieabhängige Zivilisation als Ganzes bedrohen. Dazu zählen Asteroideneinschläge (wahrscheinlich mit Vorwarnzeiten, während der Gegenmaßnahmen entwickelt werden können), Supervulkanausbrüche oder auch Sonnenstürme, die im ungünstigen Fall zu einem Zusammenbruch der Stromnetze führen können, was schon nach wenigen Tagen katastrophale Auswirkungen hätte.CXXXVIII

Es kann noch dicker kommen

Die Corona-Pandemie war nur ein Vorgeschmack dessen, was durch aggressivere oder noch ansteckendere Viren ausgelöst werden kann. Dazu zählt natürlich auch biologische Kriegführung, welche durch HighTech-Labore in mehreren Ländern,11 die Viren beliebig manipulieren können, längst möglich ist. Nicht zu unterschätzen sind resistente Erreger, die sich über die Nahrungskette ausbreiten können. Die Erosion der Böden und die Verschmutzung der Meere geben ebenso Anlass zur Sorge wie der dramatische Rückgang der Arten. Die Reduzierung des natürlichen Genpools könnte ebenso gefährliche Kipppunkte erreichen, wie dies beim Klima diskutiert wird. Noch tückischer als alles Erwähnte sind vielleicht jene Gefahren, die Nassim Taleb als »unbekannte Unbekannte« bezeichnet, das heißt schleichende Entwicklungen, welche unbemerkt die Lebensgrundlagen der Menschheit unterminieren, bis es zu spät ist.

Auch wenn es vielleicht als eine etwas ungerechte Anklage gegen Amerika erscheinen mag, sind doch all diese Themen, welche in der Tagespolitik dramatisch unterrepräsentiert sind, das Resultat einer zu kurzfristig denkenden Zivilisation, deren kulturelle Grundlagen etwa vor hundert Jahren gelegt wurden, als sich das Machtgefüge von Europa in die USA verschob.

»Die Nationen der Welt ähneln heute einer Gruppe von Bergsteigern, die durch ein Kletterseil miteinander verbunden sind. Entweder steigen sie zusammen weiter bis zum Gipfel, oder sie stürzen zusammen in einen Abgrund.« – Michail Gorbatschow

Dies ist nicht so einfach ungeschehen zu machen; abgesehen davon gab es auch in der Blütezeit der Wissenschaft in Europa keine Rezepte, welche die globalen Probleme einer vernetzten Welt lösen könnten. Wenigstens ein paar Grundlagen sollten jedoch noch gelten: Primat der Vernunft, Freiheit des Geistes, Wahrhaftigkeit in der Erkenntnissuche, Kontrolle durch Evidenz. Zu beobachten ist dagegen heute eine beunruhigende Irrationalität; daran ist die Wissenschaft nicht unschuldig, die es versäumt hat, ihre Methoden angemessen zu vermitteln. Erst wenn Forscher sich wieder durch ein Ethos der Wahrheitssuche auszeichnen, können sie als Vorbilder für ein vernunft- und evidenzbasiertes Handeln dienen.

Alle Nationen müssen dagegen begreifen, dass für die künftige Entwicklung dieser auf einem Planeten vereinten Zivilisation Kooperation und nicht aggressives Dominanzstreben nötig ist. Ob wir dieses der menschlichen Natur leider nicht eingebaute Verhalten kulturell erwerben können, muss sich leider erst zeigen.