KAPITEL 2
ÜBERSCHREITEN DER SCHWELLE:
1967–1979
I
n meinen neuen Lebensabschnitt trat ich ein mit all den verzerrten Vorstellungen, die darauf basierten, was ich aus meinen Erfahrungen und von den Menschen um mich herum aufgeschnappt hatte. Im Jahr 1966 hatten die Preise an den Börsen den Zukunftsoptimismus der Anleger widergespiegelt. Doch im Zeitraum von 1967 bis 1979 führten negative wirtschaftliche Überraschungen zu erheblichen und unerwarteten Kursrückgängen. Die Wirtschaft und die Märkte verschlechterten sich, und das galt auch für die gesellschaftliche Stimmung. In dieser Zeit zu leben, hat mich gelehrt, dass zwar jeder erwartet, die Zukunft werde eine nur leicht veränderte Version der Gegenwart sein, dass es aber in Wirklichkeit meistens ganz anders kommt. Damals jedoch wusste ich das noch nicht. Im Jahr 1967 war ich überzeugt, dass sich die Aktien irgendwann erholen würden. Also kaufte ich weiter, obwohl der Markt nachgab und ich Geld verlor – bis ich irgendwann herausfand, was falsch lief und wie ich damit umzugehen hatte. Allmählich lernte ich, dass die Kurse die Erwartungen der Menschen widerspiegeln: Sie steigen, wenn die tatsächlichen Ergebnisse besser sind als erwartet, und sie fallen, wenn die Ergebnisse schlechter sind. Und die meisten Leute lassen sich zu sehr von ihren jüngsten Erfahrungen leiten, da diese ihnen noch frisch im Gedächtnis sind.
Im Herbst jenes Jahres begann ich mein Studium an einem lokalen College, dem C. W. Post Campus. Wegen meines bloß befriedigenden Notenschnitts wurde ich zunächst nur unter Vorbehalt angenommen. Im Gegensatz zur Highschool liebte ich das College, weil ich dort etwas über Dinge lernen konnte, die mich
interessierten, und nicht lernen »musste«, und so waren meine Noten hervorragend. Außerdem liebte ich es, nicht mehr zu Hause zu wohnen und unabhängig zu sein.
Dass ich zu meditieren gelernt habe, war ebenfalls hilfreich. Als die Beatles im Jahr 1968 nach Indien reisten, um sich im Ashram von Maharishi Mahesh Yogi in transzendentaler Meditation unterweisen zu lassen, wurde ich neugierig darauf und erlernte sie ebenfalls. Meditieren hat mir mein ganzes Leben über enorm geholfen, weil es in mir eine ruhige Aufgeschlossenheit entstehen lässt, die es mir ermöglicht, klarer und kreativer zu denken.
Als Hauptfach auf dem College wählte ich Finanzwissenschaft, wegen meiner Liebe zu den Märkten und weil ich für dieses Fach keine Fremdsprachen brauchte – dadurch konnte ich das lernen, was mich interessierte, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb des Hörsaals. Ein Kommilitone – ein Vietnamveteran, der deutlich älter war als ich und den ich als Person sehr interessant fand – brachte mir viel über Rohstofftermingeschäfte bei. Rohstoffe waren attraktiv, weil sie sich mit sehr niedrigen Margin-Anforderungen handeln ließen – ich konnte also die begrenzte Menge an Geld, die mir zur Verfügung stand, beim Investieren hebeln. Wenn ich die richtigen Entscheidungen traf, was ich natürlich anstrebte, konnte ich mehr Kredit aufnehmen, um noch mehr zu gewinnen. Terminkontrakte auf Aktien, Anleihen und Währungen gab es damals noch nicht. Bei den Rohstoff-Futures ging es ausschließlich um reale Rohstoffe wie Mais, Sojabohnen, Rinder und Schweine. An diesen Märkten begann ich zu handeln und zu lernen.
Meine Zeit am College fiel zusammen mit der Zeit der freien Liebe, der Experimente mit bewusstseinserweiternden Drogen und der Ablehnung traditioneller Autoritäten. Diese Zeit wirkte stark und dauerhaft auf mich und viele andere Mitglieder meiner Generation. Tiefen Einfluss hatte sie zum Beispiel auf Steve Jobs, den ich zusehends immer besser verstand und bewunderte. Genau wie ich praktizierte er Meditation und war wenig daran interessiert, sich belehren zu lassen, liebte es aber, sich in seiner Fantasie verblüffende neue Dinge zu erdenken und dann zu realisieren. Die Zeit, in der wir lebten, führte uns beide dazu, etablierte
Vorgehensweisen infrage zu stellen. Die späteren Apple-Werbespots »1984« und »Here’s to the Crazy Ones« brachten Jobs’ Haltung meisterhaft zum Ausdruck – zwei Kampagnen, die mich sehr ansprachen.
Für das Land insgesamt waren es schwierige Jahre, und ein Riss ging durch die Gesellschaft, als immer mehr junge Männer zum Militärdienst in Vietnam eingezogen wurden und immer mehr von ihnen in Leichensäcken zurück nach Hause kamen. Die Reihenfolge der Einberufungen wurde durch eine »Lotterie« ermittelt, bei der die 366 Geburtsdaten vom 1. Januar bis zum 31. Dezember die »Lose« waren. Ich weiß noch, wie ich die Ziehung im Radio verfolgte, während ich mit meinen Freunden Billard spielte. Angenommen wurde, dass nur etwa die ersten 160 Geburtstage eingezogen würden; mein Geburtsdatum wurde als Nummer 48 genannt. Tatsächlich vorgelesen wurden aber alle
366 Geburtstage des Jahres.
Ich war nicht intelligent genug, um Angst davor zu haben, in den Krieg zu ziehen. Naiv, wie ich war, war ich überzeugt, mir würde schon nichts Schlimmes passieren. Trotzdem wollte ich nicht gehen, weil ich mit meinem Leben vorwärtskommen wollte und mir eine zweijährige Unterbrechung wie eine Ewigkeit vorkam. Mein Vater hingegen war vehement gegen den Krieg und wild entschlossen, mich nicht gehen zu lassen, auch wenn er selbst an die zwei vorigen Kriege geglaubt und in ihnen gekämpft hatte. Er ließ mich von einem Arzt untersuchen, der feststellte, dass ich an Hypoglykämie, also an krankhaft hoher Unterzuckerung, litt, sodass ich freigestellt wurde. Ich bin also durch eine Formalie um den Kriegseinsatz herumgekommen – letztlich half mir mein Vater, mich vor dem Wehrdienst zu drücken –, was bei mir im Rückblick gemischte Gefühle hervorruft. Denn ich fühle mich schuldig, nicht meinen Teil beigetragen zu haben, bin andererseits erleichtert, dass mir die schädlichen Folgen erspart blieben, die so viele in dem Krieg erlitten, und bin meinem Vater dankbar für die Liebe, die hinter seinen Bemühungen steckte, mich zu schützen. Ich habe keine Ahnung, was ich machen würde, wenn ich heute als Vater mit derselben Situation wie er damals konfrontiert wäre.
Als sich der Zustand der amerikanischen Politik und Wirtschaft verschlechterte, wurde die Stimmung im Land zusehends deprimiert. Die Tet-Offensive
1
im Januar 1968 schien zu zeigen, dass Amerika den Krieg verlieren würde; ein paar Monate später beschloss Präsident Lyndon B. Johnson, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Nach den Wahlen zog Richard Nixon ins Weiße Haus ein, mit dem eine noch schwierigere Phase begann. Zu dieser Zeit ließ der französische Präsident Charles de Gaulle die Dollar seines Landes gegen Gold eintauschen, weil er befürchtete, die USA könnten zur Finanzierung ihrer hohen Ausgaben einfach Geld drucken. Ich beobachtete, wie sich die Nachrichtenlage und die Märkte parallel zueinander bewegten, und begann, das Gesamtbild zu sehen und die Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen beidem zu erkennen.
Um 1970 oder 1971 herum stellte ich fest, dass beim Goldkurs ein Anstieg an den Weltmärkten einsetzte. Bis dahin hatte ich, wie die meisten Leute, Devisenkursen keine große Aufmerksamkeit geschenkt, weil das Währungssystem mein ganzes Leben über stabil gewesen war. Doch als in den Nachrichten immer häufiger Ereignisse mit Bezug zu Währungen auftauchten, erregten sie zusehends meine Aufmerksamkeit. Ich erfuhr, dass andere Währungen an den Dollar gekoppelt waren, dass der Dollar an Gold gekoppelt war, dass Amerikaner kein Gold besitzen durften (ich wusste allerdings nicht genau, warum) und dass andere Zentralbanken ihre Papier-Dollar gegen Gold eintauschen konnten, was ihnen garantieren sollte, dass sie nicht in Schwierigkeiten geraten würden, falls die USA zu viele Dollar drucken. Ich hörte, wie unsere Regierungsvertreter die Sorgen um den Dollar und die Aufregung um Gold abtaten und beteuerten, der Dollar sei gesund und Gold nur ein archaisches Metall. Hinter dem steigenden Goldpreis stünden Spekulanten, sagten sie, und die würden ruiniert, wenn sich die Lage erst normalisieren würde. Damals glaubte ich noch, dass Regierungsvertreter ehrlich sind.
Im Frühjahr 1971 beendete ich das College mit einem fast perfekten Notendurchschnitt, mit dem ich an der Harvard Business School angenommen wurde. In den Sommerferien vor meinem
Studienbeginn fand ich einen Job als Gehilfe an der New Yorker Börse. Zur Mitte des Sommers hin näherte sich das Dollar-Problem seinem Höhepunkt. Berichten zufolge akzeptierten Europäer keine Dollar mehr von amerikanischen Touristen. Das globale Währungssystem war im Begriff zusammenzubrechen, aber mir war das noch nicht recht klar.
Am 15. August 1971, einem Sonntag, verkündete Präsident Nixon in einer Fernsehansprache, die USA würden ihr Versprechen zurückziehen, Dollar gegen Gold zurückzunehmen, was dazu führte, dass der Dollar abstürzte. Ich hörte Nixons Worten verwundert zu, hatten doch Regierungsvertreter versprochen, den Dollar keinesfalls abzuwerten. Statt die fundamentalen Probleme hinter dem Druck auf den Dollar anzusprechen, gab der Präsident weiterhin Spekulanten die Schuld und wählte seine Worte so, dass es klang, als wolle er den Dollar stützen, obwohl er mit seinen Maßnahmen in Wirklichkeit genau das Gegenteil tat. Die Währung »frei schwanken« zu lassen, wie es Nixon beschlossen hatte, sie dann aber wie einen Stein fallen zu lassen, nun, das sah für mich sehr nach einer Lüge aus. In den seither vergangenen Jahrzehnten habe ich wiederholt erlebt, wie Politiker solche Zusicherungen unmittelbar vor einer Währungsabwertung gegeben haben. Also habe ich gelernt, Vertretern von Regierungen nicht zu glauben, wenn sie beteuern, sie würden keine Währungsabwertung zulassen. Je lauter diese Beteuerungen vorgebracht werden, desto verzweifelter ist wahrscheinlich die Lage, und desto wahrscheinlicher wird eine Abwertung folgen.
Während ich Nixon zuhörte, fragte ich mich, was diese Entwicklungen bedeuteten. Geld, wie wir es bis dahin gekannt hatten – als Coupon mit dem Anrecht zur Einlösung gegen Gold –, gab es nicht mehr. Offensichtlich ging das Zeitalter der Versprechen, für das Kennedy gestanden hatte, zu Ende.
Als ich am Montagmorgen das Parkett der Börse betrat, dachte ich, es würde zu Tumulten kommen. Die gab es tatsächlich, aber nicht so, wie ich es erwartet hatte: Statt zu fallen, sprang der Aktienmarkt um 4 Prozent nach oben, was ein bedeutender Gewinn für einen Tag war.
Weil ich verstehen wollte, was sich da abspielte, verbrachte ich den Rest des Sommers damit, mich mit früheren Währungsabwertungen zu beschäftigen. Wie ich herausfand, hatte es alles, was gerade passierte, schon einmal gegeben – und logische Ursache-Wirkungs-Beziehungen machten diese Entwicklungen unvermeidlich: Eine Währung verliert die Anbindung an Gold und wertet ab, als Reaktion steigt der Aktienmarkt stark an. Vorausgeahnt hatte ich das nicht, und zwar deswegen, weil ich von etwas überrascht worden war, das ich noch nie zuvor erlebt hatte. Es war aber früher schon mehrere Male genau so passiert. Die Botschaft, die mir die Realität übermittelte, lautete: »Du solltest verstehen, was anderen Leuten in anderen Zeiten und an anderen Orten passiert ist, denn wenn du das nicht tust, wirst du nicht wissen, ob diese Dinge auch dir passieren können, und wenn sie passieren, wirst du nicht wissen, wie du damit umgehen sollst.«
Als ich im Herbst an der Harvard Business School begann, freute ich mich darauf, die außergewöhnlich intelligenten Menschen kennenzulernen, die meine Kommilitonen sein würden. Und obwohl ich meine Erwartungen bereits sehr hoch gesteckt hatte, kam es sogar noch besser. Ich wohnte mit Leuten zusammen, die von überall aus der Welt kamen, und wir feierten Partys in einem spannenden, bunt gemischten Umfeld. Es gab keinen Lehrer, der vor einer Tafel stand und uns sagte, was wir uns merken sollten, und es gab keine Tests, um zu prüfen, ob wir es wirklich taten. Stattdessen sollten wir reale Fallstudien analysieren. In den anschließenden Gruppensitzungen wurde diskutiert, wie wir an der Stelle der Protagonisten der Fallstudien handeln würden. Diese Art von Schule mochte ich!
Unterdessen entwickelten sich Wirtschaft und Aktienmarkt prächtig, dank der Welle des Gelddruckens nach der Abkehr vom Goldstandard. Im Jahr 1972 waren Aktien wieder angesagt, und besonders in Mode waren zu dieser Zeit die Nifty Fifty (»die schicken Fünfzig«). Diese Gruppe von 50 Aktien zeichnete sich durch schnelles und stetiges Gewinnwachstum aus und galt weithin als sichere Sache.
Der Aktienmarkt mag heiß gewesen sein, doch ich interessierte
mich mehr für den Handel mit Rohstoffen. Daher bettelte ich im Frühjahr beim Chef der Rohstoffabteilung von Merrill Lynch um einen Job für die Sommerferien. Er war überrascht, denn normalerweise interessierten sich Studenten von Universitäten wie der Harvard Business School nicht für Rohstoffe, die damals als obskures Stiefkind der Wall-Street-Broker galten. Soweit ich weiß, hatte noch nie zuvor ein Student der Harvard Business School irgendwo im Bereich Rohstoff-Futures gearbeitet. Bei den meisten Wall-Street-Firmen gab es nicht einmal eine Rohstoffabteilung, und die von Merrill Lynch war klein, in einer Seitenstraße versteckt und mit einfachen Metalltischen möbliert.
Ein paar Monate später war ich für mein zweites Studienjahr wieder an der HBS. Der zweite Ölschock setzte ein, bei dem sich die Preise innerhalb von Monaten vervierfachten. Die US-Wirtschaft schwächte sich ab, die Rohstoffpreise stiegen sprunghaft, und im Jahr 1973 ging der Aktienmarkt auf Tauchkurs. Erneut wurde ich von der Entwicklung überrascht – aber im Rückblick konnte ich erkennen, dass die Dominosteine in einer logischen Reihenfolge gefallen waren.
In diesem Fall hatten sich die mit Schulden finanzierten überhöhten Staatsausgaben der 1960er-Jahre bis in die frühen 1970er-Jahre fortgesetzt. Die Federal Reserve (Fed), das US-Zentralbanksystem, hatte diese Ausgaben mit lockerer Kreditpolitik finanziert, doch indem die USA ihre Schulden mit abgewertetem Papiergeld statt mit goldgedeckten Dollar beglichen, ließen sie die Rückzahlung im Grunde ausfallen. Angesichts des enormen Gelddruckens war es nur folgerichtig, dass der Kurs des Dollar abstürzte. Das ermöglichte mehr lockere Kredite, die wiederum zu mehr Ausgaben führten. Der Inflationsschub, der auf den Zusammenbruch des Währungssystems folgte, ließ die Rohstoffpreise sogar noch weiter steigen. Die Fed reagierte darauf, indem sie im Jahr 1973 ihre Geldpolitik straffte, so wie es Zentralbanken immer tun, wenn Inflation und Wachstum zu heftig werden. Dieses Mal aber waren die Folge die schwersten Kursverluste bei Aktien und die deutlichste Abschwächung der Wirtschaft seit der Großen Depression. Besonders stark erwischte es
die Nifty Fifty, die massiv abstürzten.
Die Lektion daraus? Wenn jeder das Gleiche denkt (etwa, was für eine sichere Wette die Nifty Fifty doch sind), ist das fast mit Sicherheit bereits im Kurs berücksichtigt, und weiter darauf zu wetten, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als Fehler erweisen. Ebenso habe ich gelernt, dass jede Aktion (wie etwa lockeres Geld und Kredit) eine Konsequenz hat (in diesem Fall höhere Inflation), die ungefähr proportional zur ursprünglichen Aktion ist und eine entgegengesetzte Reaktion (Straffung der Geld- und Kreditpolitik) und Trendwenden am Markt auslöst.
Langsam begann ich zu begreifen, wie bestimmte Dinge immer wieder passierten, und betrachtete nun fast alles, was geschah, als »noch so ein Fall«: Fast alles war aus logischen Gründen von Ursache und Wirkung zuvor schon mehrmals vorgekommen. Natürlich war es trotzdem weiterhin schwierig zu identifizieren, was genau sich gerade wiederholte, und zugleich die Ursache-Wirkungs-Beziehungen dahinter zu verstehen. Im Rückblick mochte fast alles unvermeidlich und logisch erscheinen, doch in Echtzeit war nichts auch nur annähernd so deutlich zu erkennen.
Weil Menschen jagen, was heiß ist, und sich von dem fernhalten, was nicht heiß ist, kam Geldanlage in Aktien nach 1973 aus der Mode. Stattdessen wurde der Rohstoffhandel attraktiv. Mit meiner Erfahrung in diesem Bereich und meinem Harvard-MBA-Abschluss wurde ich zu einer gefragten »Ressource«. Dominick & Dominick, eine mittelgroße, 100 Jahre alte Broker-Firma, stellte mich für ein Jahresgehalt von 25 000 Dollar als Leiter des Rohstoffbereichs ein; das Gehalt lag nah an der Spitze von dem, was frischgebackene HBS-Absolventen in diesem Jahr verdienen konnten. Mein neuer Chef setzte mich mit einem älteren Kollegen zusammen, der über reichlich Erfahrung im Rohstoff-Brokerage verfügte, und wir bekamen die Aufgabe, eine Rohstoffabteilung aufzubauen. Damit war ich völlig überfordert, aber auch zu arrogant, um das zu erkennen, geschweige denn zuzugeben. Wahrscheinlich hätte ich einige schmerzhafte Lektionen gelernt, wenn ich den Job länger gemacht hätte. Doch der schwache Aktienmarkt ließ Dominick & Dominick untergehen, bevor wir sehr weit gekommen waren.
Als die Wirtschaft aus den Fugen geriet, dominierte der Watergate-Skandal die Schlagzeilen. Noch ein Beispiel dafür, wie Politik und Wirtschaft miteinander zusammenhängen, wobei die Wirtschaft meist vorangeht. Die Abwärtsspirale führte dazu, dass in der Bevölkerung der Pessimismus wuchs; also verkauften die Leute ihre Aktien, und der Markt fiel immer weiter. Viel schlimmer konnte die Lage nicht mehr werden, doch jeder hatte Angst davor, dass es genau so kommen würde. Es war das Spiegelbild von dem, was ich im Jahr 1966 erlebt hatte, als der Markt seinen Höchststand erreichte – und genau wie damals lag die allgemeine Meinung wieder falsch. Wenn die Leute sehr pessimistisch sind, verkaufen sie alles, die Kurse fallen auf ein meist sehr niedriges Niveau, und es muss etwas getan werden, um die Umstände zu verbessern. Wie zu erwarten, lockerte die Fed ihre Geldpolitik, und im Dezember 1974 erreichten die Aktienkurse den Boden.
Damals war ich Single und lebte in New York City. Ich hatte viel Spaß beim Feiern mit Freunden von der HBS und ich hatte viele Dates. Mein Mitbewohner traf sich mit einer Frau aus Kuba und arrangierte ein Blind Date mit einer ihrer Freundinnen, einer Spanierin namens Barbara, die kaum Englisch sprach. Das war kein Problem, denn wir kommunizierten auf andere Weisen. Sie begeisterte mich fast zwei Jahre lang, bevor wir zusammenzogen, heirateten, vier Söhne bekamen und ein wunderbares Leben zusammen führten. Sie begeistert mich noch heute, legt aber viel Wert auf ihre Privatsphäre, sodass ich hier nicht mehr über sie verraten darf.
Während ich im Broker-Geschäft arbeitete, handelte ich gleichzeitig auf eigene Rechnung. Ich hatte zwar mehr Gewinner- als Verliererpositionen, kann mich heute aber nur noch an die Verlustgeschäfte erinnern. Ein großes erlebte ich mit Schweinebäuchen. Mehrere Tage lang erreichte der Markt für sie sein Abwärtslimit – fiel also so weit, dass der Handel eingestellt werden musste. Die Auswirkungen dieser Erfahrung habe ich später gegenüber Jack Schwager beschrieben, dem Autor von Hedge Fund Market Wizards
:
In dieser Zeit hatten wir die großen Rohstoffkurstafeln, die
klickten, wann immer sich die Kurse änderten. Also sah und hörte ich jeden Morgen den Markt um 200 Punkte herunterklicken, bis zum täglichen Limit. Bei diesem Kurs blieb er stehen, und ich wusste, dass ich noch viel mehr verloren hatte, und die Höhe meiner potenziellen weiteren Verluste war immer noch offen. Das war eine sehr spürbare Erfahrung (…) und durch sie habe ich gelernt, wie wichtig Risikokontrollen sind, denn derartige Schmerzen wollte ich nie wieder erleben. Sie hat meine Angst davor verstärkt, falschzuliegen, und sie hat mich gelehrt, dafür zu sorgen, dass keine Einzelwette und auch nicht mehrere Wetten zusammen mehr Verluste bei mir verursachen können als eine vertretbare Summe. Im Handel muss man defensiv und aggressiv gleichzeitig sein. Wenn man nicht aggressiv ist, wird man kein Geld verdienen, und wenn man nicht defensiv ist, wird man es nicht behalten. Ich glaube, dass jeder, der im Handel Geld verdient hat, irgendwann einmal schreckliche Schmerzen erleben musste. Handeln ist wie das Arbeiten mit Elektrizität: Man kann dabei einen Schlag bekommen. Bei dem Schweinebauch-Geschäft und anderen Geschäften habe ich den elektrischen Schlag und die Angst, die er auslöst, zu spüren bekommen.
Nachdem Dominick & Dominick sein Privatanlegergeschäft geschlossen hatte, wechselte ich zu einer größeren, erfolgreicheren Broker-Firma. Während meiner kurzen Zeit dort übernahm diese Firma viele andere Broker und änderte mehrmals ihren Namen. Am Ende lautete er Shearson, aber die ganze Zeit über stand Sandy Weill an der Spitze.
Shearson übertrug mir die Verantwortung für die Absicherung von Termingeschäften, zu denen sowohl Rohstoff-Futures als auch Finanz-Futures zählten. Ich war derjenige, der Kunden, deren Geschäftstätigkeit Preisrisiken mit sich brachte, dabei half, sie mit Termingeschäften zu steuern. Ich entwickelte einige Kompetenz über die Märkte für Getreide und Lebendvieh, was mich häufig nach Westtexas und in die landwirtschaftlichen Gegenden Kaliforniens führte. Die Shearson-Broker, Rinderzüchter und Getreidehändler, mit denen ich dort zu tun hatte, waren tolle Leute und zeigten mir
ihre Welt. Sie nahmen mich mit in Country-Kneipen, zu Taubenjagden und Barbecues. Wir arbeiteten und hatten viel Spaß zusammen, und ich baute mit ihnen ein zweites Leben auf, das mehrere Jahre andauerte – obwohl ich nur etwas länger als ein Jahr lang bei Shearson blieb.
Denn so sehr ich diesen Job und die Menschen mochte, mit denen ich arbeitete, passte ich doch nicht in die Shearson-Organisation. Ich war zu wild. Zum Beispiel habe ich einmal eine Stripperin bestellt, die sich ausziehen sollte, während ich beim Jahrestreffen der California Grain & Feed Association eine Rede hielt – eine Idee, die mir heute ziemlich blöd vorkommt. Außerdem schlug ich meinen Chef mit der Faust ins Gesicht. Dass ich gefeuert wurde, war also keine Überraschung.
Aber die Broker, ihre Kunden und selbst die Leute, die mich rauswarfen, mochten mich und wollten weiterhin von mir beraten werden. Noch besser: Sie waren bereit, mich dafür zu bezahlen. Also gründete ich im Jahr 1975 Bridgewater Associates.
DIE GRÜNDUNG VON BRIDGEWATER
Genau genommen gründete ich das Unternehmen erneut
. Direkt nach meinem Abschluss an der HBS und dem Beginn meiner Arbeit bei Dominick & Dominick hatte ich gemeinsam mit meinem Kommilitonen Bob Scott ein kleines Unternehmen gegründet. Zusammen mit ein paar Freunden auf anderen Kontinenten unternahmen wir halbherzig den Versuch, Rohstoffe aus den USA in andere Länder zu verkaufen. Wir wählten den Namen Bridgewater, weil wir »eine Brücke über das Wasser bauten« und weil er gut klang. Im Jahr 1975 war von diesem Rohstoffunternehmen nicht mehr viel übrig, aber auf dem Papier existierte es noch.
Gearbeitet habe ich in meiner Zweizimmerwohnung. Ursprünglich hatte ich mir die Wohnung mit einem HBS-Studienfreund geteilt, und als er auszog, machte ich sein Schlafzimmer zu meinem Büro. Unterstützt wurde ich von einem anderen Freund, mit dem ich auch Rugby spielte, und wir stellten eine tolle junge Frau als unsere Assistentin ein. Das war Bridgewater.
Die meiste Zeit über beobachtete ich die Märkte, wobei ich die Perspektive meiner Kunden einnahm, denn wie sonst hätte ich ihnen zeigen können, wie ich mit den Marktrisiken umgehen würde, wenn ich sie wäre? Natürlich handelte ich auch weiter auf eigene Rechnung. Zusammen mit Freunden auf einer Mission zu sein, die darin bestand, Kunden beim Schlagen der Märkte zu helfen, war viel unterhaltsamer als ein richtiger Job. Solange meine Lebenshaltungskosten gedeckt waren, wusste ich, dass ich glücklich mit dieser Art Arbeit sein würde.
Im Jahr 1977 beschlossen Barbara und ich, ein Kind zu bekommen. Wir heirateten und mieteten in Manhattan ein Reihenhaus, in das ich auch das Unternehmen umsiedelte. Die Russen kauften damals viel Getreide und wollten meinen Rat, also unternahm ich mit Barbara eine Mischung aus Hochzeits- und Geschäftsreise in die Sowjetunion. Am Silvestertag kamen wir in Moskau an und fuhren mit dem Bus vom düsteren Flughafen durch Schneetreiben an der Basilius-Kathedrale vorbei zu einer großen Party mit vielen unglaublich freundlichen, lebensfrohen Russen.
Mein Unternehmen war für mich schon immer eine Möglichkeit, zu exotischen Orten zu reisen und interessante Menschen kennenzulernen. Wenn ich auf solchen Reisen auch noch Geld verdiene, ist das nur das Sahnehäubchen für mich.
MÄRKTE ALS MASCHINEN
Ich tauchte tief in die Welt der Märkte für Lebendvieh, Fleisch, Getreide und Ölsaaten ein. Ich liebte sie, weil sie konkret waren und weniger anfällig für verzerrte Wahrnehmungen des Wertes als Aktien. Während Aktien lange Zeit zu hoch oder zu niedrig stehen konnten, weil es immer »noch größere Idioten« gab, die sie weiter kauften oder verkauften, endete Lebendvieh irgendwann in der Fleischtheke, wo sich der Preis für es danach richtete, was Verbraucher zu zahlen bereit waren. Ich konnte mir die Prozesse vorstellen, die zu diesen Verkäufen führten, und die Beziehungen, die dafür eine Rolle spielten. Weil Vieh Getreide (hauptsächlich Mais) und Sojamehl frisst, und weil Mais und Soja im Wettbewerb um
Anbauflächen stehen, hängen diese Märkte eng miteinander zusammen. Ich lernte fast alles über sie, was man sich nur vorstellen kann: die genutzten Flächen und typischen Erträge in jedem der wichtigen Anbaugebiete; wie man die Regenmengen in unterschiedlichen Wochen der Wachstumssaison für Ernteprognosen heranzieht; wie man Erntemengen, Lagerkosten und Lebendviehbestände nach Gewichtsgruppe, Standort und Tempo der Gewichtszunahme vorhersagt; und wie sich Schlachtausbeute, Einzelhändlermargen, Verbraucherpräferenzen für verschiedene Fleischstücke und die Schlachtmengen in jeder Saison vorausberechnen lassen.
Das hatte nichts mit wissenschaftlichem Lernen zu tun. Menschen mit praktischen Erfahrungen in diesem Geschäft zeigten mir, wie die landwirtschaftlichen Prozesse funktionierten. Was sie mir erzählten, fasste ich in Modellen zusammen, die ich benutzte, um die Interaktionen der einzelnen Elemente im Zeitverlauf abzubilden.
Wenn ich zum Beispiel wusste, wie viele Kälber, Hühner und Schweine gefüttert wurden, wie viel Getreide sie fraßen und wie schnell sie Gewicht zulegten, konnte ich prognostizieren, wann und wie viel Fleisch auf den Markt kommen würde und wann und wie viel Mais und Sojamehl gebraucht würden. Ähnlich konnte ich, wenn ich wusste, wie viel Fläche in allen Anbaugebieten mit Mais und Soja bepflanzt wurde, mit Regressionsgleichungen abschätzen, wie Regen den Ertrag in diesen Gebieten beeinflusste, und mit Wettervorhersagen und Daten zu den Regenmengen konnte ich Timing und Qualität der Produktion von Mais und Sojamehl prognostizieren. Für mich war das wie eine elegante Maschine mit logischen Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Indem ich die Beziehungen verstand, konnte ich Entscheidungsregeln (oder Prinzipien) entwickeln, die sich modellieren ließen.
Diese frühen Modelle waren weit entfernt von dem, wie wir heute arbeiten. Sie waren auf einem Stück Papier entstandene Skizzen, analysiert und in Computerprogramme umgesetzt mit der Technologie, die ich mir damals leisten konnte. Ganz am Anfang berechnete ich Regressionen mit meinem Taschenrechner vom Typ Hewlett-Packard HP-67, zeichnete Kursgrafiken von Hand mit
farbigen Stiften und hielt jede Transaktion in Notizbüchern fest. Als der Personal Computer auf den Markt kam, konnte ich Zahlen eingeben und beobachten, wie in Tabellen ein Bild von dem entstand, was passieren würde. Ich wusste, wie Kälber, Schweine und Hühner die verschiedenen Phasen ihrer Produktion durchliefen, wie sie um das Geld von Fleischkonsumenten konkurrierten, wie viel diese Kunden dafür ausgeben würden und warum, und wie die Gewinnmargen von Fleischgroß- und -einzelhändlern deren Verhalten beeinflussen würden (zum Beispiel, welche Fleischstücke sie besonders bewarben). So konnte ich erkennen, wie die Maschine Preise für Rinder, Schweine und Hühner produzierte, auf die ich wetten konnte.
So einfach diese frühen Modelle auch waren, ich liebte es, sie zu entwickeln und zu überarbeiten – und sie waren gut genug, um damit Geld zu verdienen. Der Ansatz zur Preisbestimmung, den ich nutzte, unterschied sich von dem, den ich in meinen Wirtschaftsvorlesungen gelernt hatte – hier wurden sowohl Angebot als auch Nachfrage anhand der verkauften Mengen gemessen. Als viel praxisgerechter erwies sich für mich, die Nachfrage anhand des ausgegebenen Geldes (statt der gekauften Menge) zu messen und mich damit zu beschäftigen, wer die Käufer und Verkäufer waren und warum sie kauften oder verkauften. Diesen Ansatz werde ich in meinem nächsten Buch Prinzipien für Ökonomie und Geldanlage
erklären.
Mein abweichender Ansatz war einer der wichtigsten Gründe dafür, dass ich Wirtschafts- und Marktentwicklungen erwischte, die andere verpassten. Von da an konnte ich, wann immer ich mich mit einem Markt – Rohstoffe, Aktien, Anleihen, Währungen, was auch immer – beschäftigte, Ungleichgewichte erkennen und verstehen, die anderen entgingen, weil sie Angebot und Nachfrage auf die hergebrachte Weise definierten (also als Einheiten, die einander entsprechen).
Komplexe Systeme als Maschinen visualisieren, die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen ihnen herausfinden, die Prinzipien für den Umgang damit aufschreiben und sie in einen Computer eingeben, der dann für mich »Entscheidungen trifft«: All das wurden
Standardpraktiken für mich.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Mein Ansatz war alles andere als narrensicher. Noch lebhaft in Erinnerung ist mir eine »todsichere« Wette, die mich rund 100 000 Dollar gekostet hat, was zu dieser Zeit den Großteil meines Privatvermögens ausmachte. Noch schmerzhafter war, dass auch meine Kunden von dem Reinfall betroffen waren. Die schmerzhafteste Lektion, die mir wiederholt eingebläut wurde, lautet, dass man sich nie über irgendetwas sicher sein kann: Es gibt da draußen stets Risiken, die schwere Probleme verursachen können, selbst bei den scheinbar sichersten Wetten; also geht man am besten immer davon aus, dass man etwas übersieht. Diese Erkenntnis hat meine Herangehensweise an Entscheidungen auf unterschiedliche Weisen verändert, die in diesem Buch immer wieder aufscheinen werden – und auf die ich meinen Erfolg zurückführe. Aber bevor ich mein Verhalten umfassend änderte, sollte ich noch viele weitere Fehler machen.
DAS UNTERNEHMEN WIRD AUFGEBAUT
Geld zu verdienen war gut, aber eine sinnerfüllte Arbeit und sinnerfüllte Beziehungen zu haben, war noch viel besser. Für mich bedeutet sinnerfüllte Arbeit, auf einer Mission zu sein, die mich ausfüllt, und mit sinnerfüllten Beziehungen meine ich Beziehungen mit Menschen, die mir sehr am Herzen liegen und denen umgekehrt ich sehr am Herzen liege.
Denken Sie darüber nach: Sein Ziel im Geldverdienen zu sehen, ist sinnlos, denn Geld hat keinen intrinsischen Wert – sein Wert beruht darauf, was man damit kaufen kann, und nicht alles lässt sich kaufen. Klüger ist es deshalb, damit anzufangen, dass Sie bestimmen, was Sie wirklich wollen, das heißt, Ihre wahren Ziele zu erkennen; von dort ausgehend können Sie sich zurückarbeiten zu dem, was Sie brauchen, um die Ziele zu erreichen. Geld wird zu den Dingen zählen, die Sie brauchen, aber es ist nicht das einzige und mit Sicherheit nicht das wichtigste Ding, wenn man erst einmal die nötige Summe zusammen hat, um zu bekommen, was man wirklich will.
Wenn Sie überlegen, was Sie wirklich wollen, lohnt es sich, an den
relativen Wert Ihrer Wünsche zu denken, um sie richtig gewichten zu können. In meinem Fall wollte ich sinnerfüllte Arbeit und sinnerfüllte Beziehungen gleichermaßen, und Geld war mir weniger wichtig – solange ich genug davon hatte, um meine Grundbedürfnisse zu erfüllen. Als ich über die relative Bedeutung von tollen Beziehungen und Geld nachdachte, war für mich klar, dass Beziehungen wichtiger waren, weil es keine Summe gab, für die ich auf eine sinnerfüllte Beziehung verzichtet hätte; denn ich hätte mit diesem Geld nichts kaufen können, das für mich wertvoller gewesen wäre. Für mich waren und sind also sinnerfüllte Arbeit und sinnerfüllte Beziehungen die primären Ziele, und alles, was ich getan habe, habe ich für sie getan. Dass ich damit Geld verdiente, war eine zufällige Nebenwirkung.
Ende der 1970er-Jahre begann ich, meine Beobachtungen über die Märkte per Telex an die Kunden zu schicken. Die Entstehungsgeschichte dieser Daily Observations
(»Getreide und Ölsaaten«, »Lebendvieh und Fleisch«, »Wirtschaft und Finanzmärkte«) war ziemlich einfach: Unser Hauptgeschäft bestand zwar in der Steuerung von Risikopositionen, doch unsere Kunden meldeten sich auch, um meine Meinung über die Märkte zu hören. Das Beantworten dieser Anrufe wurde zeitaufwendig, also beschloss ich, dass es effizienter wäre, meine Gedanken jeden Tag aufzuschreiben, damit andere meine Logik verstehen und zu ihrer Verbesserung beitragen konnten. Das war eine gute Übung für mich, denn ich war nun gezwungen, jeden Tag zu recherchieren und über die Ergebnisse zu reflektieren. Außerdem wurden unsere Daily Observations
zu einem wichtigen Kommunikationskanal für unser Unternehmen. Heute, fast 40 Jahre und 10 000 Veröffentlichungen später, werden sie von Kunden und Politikern in aller Welt gelesen, analysiert und kritisiert. Ich schreibe sie noch immer, zusammen mit anderen bei Bridgewater, und ich gehe davon aus, dass ich das so lange weiter tun werde, bis sie nicht mehr gelesen werden oder bis ich sterbe.
Ich legte unseren Kunden also meine Beobachtungen und Empfehlungen vor und begann zusätzlich, ihre Positionen durch Käufe und Verkäufe in ihrem Namen zu steuern. Manchmal bekam
ich dafür ein festes Honorar pro Monat, manchmal einen Anteil an den Gewinnen. Einige meiner Beratungskunden zu dieser Zeit waren McDonald’s, ein gewaltiger Fleischeinkäufer, und Lane Processing, damals der größte Hühnerfleischproduzent des Landes. Für beide verdiente ich viel Geld – vor allem für Lane Processing, das mit seinen Spekulationen an den Getreide- und Sojamärkten noch bessere Ergebnisse erzielte als mit der Zucht und dem Verkauf von Hühnern.
Ungefähr zu dieser Zeit hatte McDonald’s mit den Chicken McNuggets ein neues Produkt entwickelt, zögerte aber, es auf den Markt zu bringen, weil man fürchtete, die Preise für Hühnerfleisch könnten steigen und dadurch auf die Gewinnmarge drücken. Hühnerfleischproduzenten wie Lane wiederum wollten sich nicht auf Verkäufe zu Fixpreisen einlassen, weil sie fürchteten, dass ihre Kosten steigen und dadurch sie
unter Druck geraten könnten.
Als ich über dieses Problem nachdachte, fiel mir auf, dass Hühnerfleisch wirtschaftlich gesehen als eine einfache Maschine verstanden werden kann, die aus einem Huhn und seinem Futter besteht. Die volatilsten Kosten, um die sich ein Hühnerfleischproduzent sorgen muss, sind deshalb die Futterpreise. Ich zeigte Lane, wie das Unternehmen mit einer Mischung aus Mais- und Sojamehl-Terminkontrakten die zukünftigen Kosten im Griff behalten und somit McDonald’s einen festen Preis anbieten konnte. Nachdem das Preisrisiko deutlich reduziert worden war, bot McDonald’s im Jahr 1983 erstmals in seinen Restaurants Chicken McNuggets an. Ich fühlte mich prima, weil ich dazu beigetragen hatte, diese Markteinführung zu ermöglichen.
Ähnliche Preisbeziehungen identifizierte ich auch auf den Märkten für Vieh und Fleisch. Zum Beispiel erklärte ich Viehzüchtern, wie sie sich hohe Gewinnmargen sichern konnten, indem sie gute Preisbeziehungen zwischen ihren Kostenfaktoren (Mastrinder, Mais und Sojamehl) und dem Produkt (gemästete Rinder), das sechs Monate später verkauft werden sollte, absicherten. Ich entwickelte eine Methode für den Terminverkauf von unterschiedlichen Stücken frischen Fleisches zu festen Preisen, die weit unter den Preisen für gefrorenes Fleisch lagen, aber
trotzdem hohe Gewinnmargen ermöglichten. Ich kombinierte das tiefe Wissen meiner Kunden über die Funktionsweise der »Maschine« ihres Geschäfts mit meinem eigenen Wissen über die Funktionsweise der Märkte, was von Vorteil für beide Seiten war und dazu betrug, die Märkte insgesamt effizienter zu machen. Meine Fähigkeit, komplexe Maschinen zu visualisieren, gab uns einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen, die aus der Hüfte schossen, und veränderte letztlich die Art und Weise, wie diese Branchen funktionierten. Und wie immer war es eine Freude, dabei mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ich mochte.
Am 26. März 1978 brachte meine Frau unseren ersten Sohn Devon zur Welt. Vater zu werden, war die schwierigste Entscheidung gewesen, die ich je getroffen hatte, denn ich konnte nicht wissen, was für eine Erfahrung das werden würde, und sie würde unwiderruflich sein. Doch sie stellte sich auch als meine beste Entscheidung heraus. Ich möchte in diesem Buch nicht zu viel über mein Familienleben erzählen, aber ich habe es nicht weniger intensiv verfolgt als meine Karriere und habe stets beides miteinander verbunden. Um Ihnen eine kleine Vorstellung davon zu geben, wie eng Familie und Beruf für mich zusammengehörten: Devon erhielt seinen Namen nach einer der ältesten dem Menschen bekannten Rinderrassen, die zu den ersten gehörte, die in die USA importiert wurden, und bekannt ist für ihre hohe Fruchtbarkeit.