Kapitel 25

Der Rücktritt vom Versuch

IN DIESEM KAPITEL

  • Der fehlgeschlagene Versuch
  • Rücktritt vom unbeendeten Versuch
  • Der Tatplanhorizont und der Rücktrittshorizont
  • Rücktritt vom beendeten Versuch
  • Rücktritt bei fehlender Verhinderungskausalität

In § 24 StGB ist der sogenannte Rücktritt vom Versuch geregelt. Diese Regelung wird als persönlicher Strafaufhebungsgrund bezeichnet.

Unter bestimmten Voraussetzungen wird derjenige, der den Versuch einer Straftat aufgibt oder deren Vollendung verhindert, nicht bestraft.

Als Begründung für diese Rechtswohltat wird angeführt, dass der Täter mit seinem Rücktritt den durch den Versuch erweckten rechtserschütternden Eindruck wieder zurücknimmt, sodass von Strafe abgesehen werden kann. Eine andere populäre Begründung für die Regelung des § 24 StGB ist, dass dem Täter eine goldene Brücke zurück in die Rechtschaffenheit gebaut werden soll, indem man ihm Straffreiheit für die Umkehr anbietet.

Als Strafaufhebungsgrund ist der Rücktritt erst nach Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld und wegen seiner persönlichen Natur für jeden Beteiligten einzeln zu prüfen.

Der Rücktritt vom Versuch enthält eine große Zahl von Problemen, die ich Ihnen in diesem Abschnitt vorstellen möchte.

Der fehlgeschlagene Versuch

Von einem fehlgeschlagenen Versuch kann ein Täter nach der Rechtsprechung und ganz herrschenden Meinung nicht zurücktreten.

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter aus seiner Sicht den Taterfolg mit den ihm am Tatort zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr oder jedenfalls nicht ohne einen Einschnitt im Geschehen erreichen kann.

Dies bedeutet, dass der Täter seine Tat nicht deswegen aufgibt, weil er über die goldene Brücke zur Strafbefreiung gehen möchte (»Ich will nicht mehr«), sondern weil er die Tat in der aktuellen Situation nicht mehr verwirklichen kann (»Ich kann nicht mehr«).

Fehlgeschlagene Versuche können sich ergeben:

  • aus tatsächlicher Unmöglichkeit

    Anton schießt das ganze Magazin seiner Pistole auf Bert leer, um ihn zu töten. Alle Schüsse gehen daneben. Anton wirft wütend die Waffe weg und läuft davon.

  • aus mangelnder Identität des angetroffenen mit dem vorgesehenen Tatobjekt

    Anton schleicht sich im Dunkeln von hinten an eine Person an, die er für Bert hält, und beginnt, sie zu würgen. Er erkennt im letzten Moment, dass es sich um Chris handelt und läuft davon.

  • aus einem hinter den Erwartungen des Täters zurückbleibenden Tatobjekt

    Anton bricht in die Wohnung von Bert ein, um eine dort vermutete wertvolle chinesische Vase zu entwenden, stellt aber dann fest, dass es sich nur um eine billige Imitation handelt.

Dass es vom fehlgeschlagenen Versuch keinen Rücktritt geben kann, ergibt sich klar aus dem Gesetzeswortlaut des § 24 StGB. Wenn ein Täter seine Vorstellung von der Tat aus den genannten Gründen objektiv nicht vollenden kann, dann ist es logisch nicht möglich, sein Verhalten als eine Aufgabe der Tat oder die Verhinderung ihrer Vollendung zu beschreiben.

Bitte achten Sie genau auf diese Abgrenzung. Sehr häufig wird in Klausuren das gesamte Prüfprogramm für den Rücktritt vom Versuch abgespult, obwohl klar ist, dass der Täter die Tat aufgegeben hat, weil er sie nicht mehr vollenden konnte.

Der Rücktritt vom unbeendeten Versuch

Die Regelung über den strafbefreienden Versuch in § 24 I StGB enthält zwei Alternativen:

  1. unbeendeter Versuch: wenn der Täter den Erfolgseintritt noch nicht für möglich hält

    Bei einem unbeendeten Versuch kann der Täter allein durch das Aufgeben der Tat zurücktreten, das heißt, seine persönliche Strafaufhebung ergibt sich alleine aus dem Nichtweiterhandeln. Das Aufgeben der Tat in diesem Sinne kann freilich nur so lange genügen, wie der Täter den Erfolgseintritt aufgrund seiner bisherigen Handlungen nicht für möglich hält.

  2. beendeter Versuch: wenn der Täter den Erfolgseintritt schon für möglich hält

    Hält der Täter den Erfolgseintritt dagegen infolge seiner bisherigen Handlungen schon für möglich, liegt ein beendeter Versuch vor. Für den Rücktritt des Täters verlangt das Gesetz Aktivitäten zur Verhinderung des Erfolgseintritts.

Für die Beurteilung, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, ist nach mittlerweile herrschender Meinung und Rechtsprechung des BGH der Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung maßgeblich. Dieser Zeitpunkt wird Rücktrittshorizont genannt und ist erheblich täterfreundlicher als die früher herrschende Meinung und Rechtsprechung, die von dem sogenannten Tatplanhorizont ausging und die Tatverläufe nach den Vorstellungen des Täters bei Tatbeginn beurteilte. Dies lässt sich am besten durch einen Fall illustrieren (nach BGHSt 35, 90):

Andreas hatte den Entschluss gefasst, Manfred in seine Wohnung zu locken und ihn dort durch einen Stich mit einem Messer von hinten zu töten. In Ausführung seines Planes stieß er in seiner Wohnung dem völlig arglosen Manfred ein Messer mit langer spitzer Klinge von hinten ohne jede Vorwarnung kräftig in den linken hinteren Nacken. Die Spitze des Messers drang 7 cm tief in den Hals von Manfred ein, ohne jedoch lebenswichtige Gefäße zu verletzen.

Nach dem Stich ließ Andreas das Messer sofort los, sodass es im Hals von Manfred stecken blieb. Manfred, der völlig überrascht war und glaubte, Andreas habe ihm einen Schlag in den Nacken gegeben, drehte sich um und fragte Andreas, was mit ihm denn los sei. Kurz danach bemerkte er das noch in seinem Hals steckende Messer, zog es augenblicklich heraus und warf es zu Boden.

Andreas, der erkennen musste, dass Manfred nicht, wie erhofft, tödlich getroffen zusammenbrach, sondern offenbar ohne erhebliche körperliche Beeinträchtigung vor ihm stand, gab auf der Stelle seinen Tatvorsatz auf, und war augenblicklich bestrebt, die Sache, so gut es ging, zu seinem Vorteil ausgehen zu lassen. Er redete beschwichtigend auf Manfred ein und schlug ihm vor, das Erscheinen eines Arztes oder Krankenwagens hier abzuwarten.

Kurz danach verließ Andreas fluchtartig die Wohnung, um sich zu verbergen, weil er wusste, dass er nun sehr bald mit dem Erscheinen der Polizei zu rechnen haben würde.

Nach der Lehre vom Rücktrittshorizont liegt hier ein unbeendeter Versuch vor, da Andreas nach seiner Ausführungshandlung noch die Möglichkeit zum Weiterhandeln offenstand. Er hätte bloß das zu Boden geworfene Messer wieder aufnehmen und erneut zustechen müssen.

Lesen Sie einmal die Beurteilung durch den BGH:

»Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch auf die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, also auf den ›Rücktrittshorizont‹ an. Danach ist der Versuch unbeendet, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt glaubt, der Erfolg werde nicht eintreten, und er von weiteren Handlungen absieht, die noch zum Erfolg führen könnten. Hier hatte der Angeklagte erkannt, dass sein Opfer ohne erhebliche körperliche Beeinträchtigung vor ihm stand und auf der Stelle seinen Tatvorsatz aufgegeben. Das spricht für das Vorliegen eines unbeendeten Versuches.«

Und wie wäre der Fall nach der alten Rechtsprechung des BGH zu beurteilen gewesen? Lesen Sie, was der BGH hierzu schreibt:

»Fraglich könnte allerdings sein, ob dann etwas anderes gelten muss, wenn der Angeklagte nach seinem Tatplan Manfred mit (nur) einem Stich töten wollte. Nach der früheren Rechtsprechung sollte es allein von den Vorstellungen des Täters bei Tatbeginn abhängen, ob der Versuch als unbeendigt oder beendigt anzusehen sei. So ist ein beendeter Versuch bejaht worden, wenn der Täter von vornherein vorgehabt hatte, das Opfer dadurch zu töten, dass er ihm lediglich einen Messerstich versetzte, oder er nur einen Schuss abgeben wollte, um den Tod des Opfers herbeizuführen. Der Senat [ist in mehreren neueren Entscheidungen davon] ausgegangen, dass ein Versuch nicht schon dann beendet ist, wenn der Täter die von vornherein geplante Tat ausführt. [Vielmehr ist] auf die Vorstellungen des Täters nach der letzten Ausführungshandlung abzustellen … An dieser Rechtsprechung, die einen Versuch erst dann als beendet ansieht, wenn der Täter unabhängig von seinem ursprünglichen Tatplan nach der letzten Ausführungshandlung die tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nahelegen, erkennt oder wenn er den Erfolgseintritt in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält, ist festzuhalten.«

Nach der bis heute stabilen Rechtsprechung des BGH zum Rücktrittshorizont hat Manfred also durch sein bloßes Aufgeben der Tat den Anforderungen an einen Rücktritt genügt.

Nach der alten Lehre vom Tatplanhorizont wäre hier von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen gewesen und überhaupt keine Rücktrittsmöglichkeit eröffnet gewesen. Wer den Tatplan hat, einen Menschen mit einem Stich zu töten und bei der Ausführung scheitert, hört auf, weil sich sein Plan nicht verwirklichen lässt.

Der BGH hat die Lehre vom Rücktrittshorizont mittlerweile auch auf den sogenannten korrigierten Rücktrittshorizont ausgeweitet. Von einem unbeendeten Versuch wird sogar in der Konstellation ausgegangen, wenn der Täter nach seiner letzten Ausführungshandlung zunächst irrig annimmt, er habe alles für den Erfolg Notwendige getan, diese Vorstellung aber sofort danach korrigiert und dann nicht weiterhandelt. Ein wichtiger Fall hierzu ist BGHSt 36, 224:

Um Günther zu töten, stach Andreas mit einem Messer heftig auf ihn ein, wobei die Stiche überwiegend gegen dessen linke Oberkörperseite geführt wurden und dort auch Verletzungen hervorriefen.

Schließlich ließ Andreas von Günter ab, wobei er äußerte: »Jetzt bist du erledigt.« Er war der Meinung, er habe nun alles Erforderliche getan, um Günter zu töten. Günther erwiderte jedoch: »Ich lebe noch, ich rufe die Polizei.« Günther wandte sich ab und lief davon. Andreas steckte das Messer ein und folgte Günther nicht.

Der BGH geht hier nach dem Konzept des korrigierten Rücktrittshorizonts von einem unbeendeten Versuch aus und hat das bloße Nichtweiterhandeln von Andreas nach § 24 I 1 1. Alternative StGB für den Rücktritt ausreichen lassen.

Studierende in Anfängersemestern sind bei diesen Fällen zum Rücktritt vom Versuch einer Tötung immer entsetzt, weil sie denken, dass der strafaufhebende Rücktritt meint, dass die Täter ganz ohne Strafe davonkommen. Das ist natürlich nicht der Fall: In jedem versuchten Tötungsdelikt steckt die Körperverletzung, die zum Tod führen soll. Die Messerstiche als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) sind vollendete Taten und werden bestraft.

Verlangt wird vom Täter in den Fällen des unbeendeten Versuchs nicht mehr als das Aufgeben der weiteren Tatausführung, das jedoch von einer selbstbestimmten Motivation getragen und freiwillig erfolgen muss.

Doch was ist ein freiwilliges Aufgeben? Das sehen Sie sehr schön an dem, was der Täter sagen würde:

  • freiwilliger Rücktritt: »Ich will nicht zum Ziel kommen, selbst wenn ich es könnte.«
  • unfreiwilliger Rücktritt: »Ich kann nicht zum Ziel kommen, selbst wenn ich es wollte.«

Freiwillig ist also ein Rücktritt immer dann, wenn der zurücktretende Täter Herr seiner Entschlüsse war und keine Fremdbestimmung in seiner Rücktrittsmotivation erkennbar ist.

Die ethische Qualität des Rücktrittsmotivs ist dabei ohne Bedeutung. So hat der BGH (BGHSt 35, 184) einen freiwilligen Rücktritt vom Versuch selbst dann angenommen, wenn der Täter den Versuch der Tötung einer Person aufgibt, um sich der von ihm wichtiger genommenen Tötung einer anderen Person zu widmen.

Hiergegen ist in der Lehre zu Recht Widerspruch erhoben worden. Wenn für den Rücktritt eine derartige kriminelle Güterabwägung anerkannt werde, dann sei das nicht mit dem Kerngedanken des Rücktritts vereinbar, eine goldene Brücke zurück in die Rechtschaffenheit zu bauen.

Der Rücktritt vom beendeten Versuch

Ist der Versuch beendet, hält der Täter also nach der letzten Ausführungshandlung alles für den Erfolgseintritt Notwendige für getan, so kommt ein Rücktritt nur noch in Betracht, wenn er die Vollendung verhindert. In dieser Phase des Geschehens genügt Nichtweiterhandeln oder bloß passives Verhalten auf keinen Fall mehr. Der Täter muss hier etwas in Gang setzen, was die Nichtvollendung der Tat bewirkt. Hierfür muss der Täter nicht eigenhändig tätig werden, sondern darf sich zur Verhinderung des Taterfolges auch der Hilfe Dritter (zum Beispiel durch Herbeirufen eines Arztes) bedienen. Grenzwertig ist der folgende Fall (BGH NJW 1986, 1001):

Der Angeklagte stieß seinem Vater ein etwa zehn Zentimeter langes Küchenmesser in die linke Brustseite. Er war sich bewusst, dass ein solcher Stich in die Herz- und Lungengegend tödlich sein konnte. Solche möglichen Folgen waren ihm gleichgültig. Nach der Tat reinigte er das Messer, um Spuren zu beseitigen, und fegte die Glasscherben der zuvor bei der Auseinandersetzung mit seinem Vater zerstörten Türfüllung zusammen. Das schwer verletzte Opfer bedrängte er, die Polizei aus dem Spiel zu lassen und das Ganze als Unglücksfall darzustellen. Als dieses um die Benachrichtigung eines Krankenwagens bat, blätterte er einige Zeit im Telefonbuch, erklärte dann, er könne die Nummer nicht finden, und reichte ihm das Telefon. Das Opfer wählte die Nummer 110, sprach von einem Unglücksfall und bat um ärztliche Hilfe, die aufgrund des Anrufs – erfolgreich – geleistet wurde.

Der BGH hat das Herüberreichen des Telefons als Verhinderung der Vollendung und damit für den Rücktritt genügen lassen. Dies ist in der Literatur zum Teil scharf kritisiert worden, da in dem bloßen Herüberreichen eines Telefons kein Rettungsbemühen zu erkennen ist. Diese Auffassung verdient Zustimmung, da auch ansonsten die Voraussetzungen des § 24 I S. 1 2. Alt. StGB streng sind. So trägt der Täter, der vom beendeten Versuch zurücktritt, das Erfolgsabwendungsrisiko. Das heißt, ihn trifft die Strafbarkeit wegen vollendeter Tat, wenn seine Verhinderungsbemühungen aufgrund einer unglücklichen Wendung des Geschehens scheitern.

Anton sticht Bert mit Tötungsvorsatz ein Messer in die Brust. In einem Sinneswandel ruft er dann doch einen Notarzt herbei, dem bei der Grundversorgung ein Behandlungsfehler unterläuft, sodass Bert stirbt. Anton ist hier strafbar wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, seine Rücktrittsbemühungen können ihm nicht zugutekommen.

Auch beim Rücktritt vom beendeten Versuch wird verlangt, dass der Täter freiwillig handelt. Für die Freiwilligkeit gelten dieselben Voraussetzungen wie für den Rücktritt vom unbeendeten Versuch.

Rücktritt bei fehlender Verhinderungskausalität

Die Regelung des § 24 I S. 2 StGB betrifft Fälle der Vollendungsverhinderung ohne Zutun des Täters. Dies kann einmal deswegen der Fall sein, weil es sich um einen untauglichen Versuch handelt, bei dem so oder so der Erfolg nicht eintreten kann. Weiterhin können Dritte den Bemühungen des Täters um Vollendungsverhinderung zuvorkommen. Schließlich sind Fälle denkbar, in denen sich nicht genau aufklären lässt, ob der ausgebliebene Erfolg auf einer Rücktrittshandlung des Täters oder auf anderen Ursachen beruht.

Da andere Umstände als das Rücktrittsverhalten des Täters zur Nichtvollendung geführt haben beziehungsweise nicht aufgeklärt werden kann, wodurch die Nichtvollendung bewirkt worden ist, knüpft die Regelung des § 24 I S. 2 StGB an dem ernsthaften und freiwilligen Bemühen des Täters um die Verhinderung an.

Der Täter muss seinen Rücktrittswillen durch Handlungen zum Ausdruck bringen, die als ausreichend erscheinen, um die Tatvollendung zu verhindern. Von einem ernsthaften Bemühen können Sie dann ausgehen, wenn der Täter alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, um die Vollendung abzuwenden.

Ob sich der Täter freiwillig bemüht hat, ist nach den bereits dargelegten Grundsätzen zu beurteilen.

Besonderer Fall: Rücktritt bei mehraktigem Geschehen

Zuweilen unternehmen Täter mehrere Anläufe, um zu einem Erfolg zu kommen. Man kann nun jeden dieser Anläufe als eigenständige Tat (Einzelaktstheorie) oder jeden Anlauf als Teil eines mehraktigen Gesamtgeschehens betrachten (Gesamtbetrachtungslehre). Diese unterschiedliche Sichtweise hat erhebliche Auswirkungen darauf, wie die Rücktrittsregelungen zur Anwendung kommen. Dies macht der folgende Fall sehr deutlich (BGH NStZ 1986, 224):

»Der Angeklagte wollte seine Ehefrau aus Verzweiflung wegen der von ihr geäußerten Scheidungsabsicht töten. Er übergoss sie plötzlich mit einem Eimer voll Benzin und versuchte, sie anzuzünden. Bei der sich anschließenden Rangelei zwischen beiden, bei der er immer noch versuchte, Streichhölzer zu entzünden, gelang es ihr zu flüchten. Er folgte ihr in den Garten, riss sie zu Boden, umklammerte mit beiden Händen ihren Hals und würgte sie, sodass sie vorübergehend das Bewusstsein verlor. Später ließ er von seiner Ehefrau ab, ohne dass geklärt ist, warum er von seiner Tötungsabsicht Abstand nahm. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Angeklagte nicht im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB von der Ausführung der Tat zurückgetreten ›hinsichtlich des vorangegangenen fehlgeschlagenen Versuchs, seine Frau mittels Benzin umzubringen‹.«

Nach der Einzelaktstheorie wären der Versuch der Tötung durch Anzünden und der Tötungsversuch durch Erwürgen zwei getrennte Akte eines Dramas:

  1. Bei dem ersten Akt »Verbrennungsversuch« würde es sich um einen fehlgeschlagenen Versuch handeln, weil das Entzünden des Benzins nicht gelang, sodass der Angeklagte von diesem nicht mehr zurücktreten konnte.
  2. Der zweite Akt »Würgen« wäre dagegen als ein rücktrittsfähiger Versuch anzusehen. Der Angeklagte wäre also strafbar wegen eines versuchten Tötungsdelikts durch Verbrennen.

So hat das auch das Landgericht in erster Instanz entschieden.

Hiergegen kann man einwenden, dass es sich doch um ein »Schauspiel« mit dem Titel »Ich töte meine Frau« handelt. Eine Betrachtung nach einzelnen Akten würde eine einheitliche Handlung unnatürlich aufspalten und die Rücktrittsmöglichkeiten unangemessen beschränken. Der BGH und herrschende Lehre werten in solchen Fällen tatsächlich sämtliche Teilakte als ein einheitliches Geschehen und stellen für die Frage, ob ein fehlgeschlagener oder ein rücktrittsfähiger Versuch vorliegt, auf die Situation nach der letzten Ausführungshandlung des Gesamtgeschehens ab – Gesamtbetrachtung und Lehre vom Rücktrittshorizont werden also miteinander verknüpft. Danach ist ein rücktrittsfähiger Versuch zu bejahen, wenn der Täter sein bisheriges Tun mit den bereits eingesetzten oder noch bereitstehenden Mitteln noch vollenden zu können meint. Dass der Angeklagte also nicht noch einmal versucht, seine Frau anzuzünden, und vom Würgen ablässt, ist gesamtbetrachtend als ein Rücktritt von dem einheitlichen Versuch, seine Frau zu töten, anzusehen.

Rücktritt vom Versuch bei mehreren Tatbeteiligten

Für dieses Kapitel über den Rücktritt vom Versuch muss ich noch einmal auf meine Ausführungen zu Täterschaft und Teilnahme (Kapitel 19) zurückkommen:

Straftaten werden häufig nicht von Einzeltätern begangen, sondern es sind mehrere Personen daran beteiligt, die entweder als Mittäter, als Gehilfen oder als Anstifter anzusehen sind. Sind mehrere Personen an der Ausführung einer Tat beteiligt, so werden gruppendynamische Effekte wirksam, die für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der Tatausführung sprechen. Die Regelung des § 24 II StGB über den Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten lässt es deswegen niemals genügen, dass sich eine Person einfach durch Untätigbleiben aus dem Tatgeschehen »abseilt«. Immer wird bei dem Rücktritt gemäß § 24 II StGB von dem »Aussteiger« aus dem Tatgeschehen eine Aktivität zur Verhinderung der Tatvollendung gefordert.

Am klarsten ist die Berechtigung einer persönlichen Strafaufhebung in der Konstellation des § 24 II S. 1 StGB. Hier wird die Tat nicht vollendet, weil der zurücktretende Tatbeteiligte freiwillig die Vollendung verhindert. Anders ausgedrückt: Der Tatbeteiligte verhindert gerade durch seine Aktivität, dass die Beiträge der anderen Beteiligten wirksam werden können, er hält also ein kriminelles Geschehen auf.

Die zweite Alternative kennen Sie bereits vom Rücktritt des Alleintäters: In § 24 II S. 2 1. Alternative StGB beruht die Nichtvollendung der Tat nicht auf dem Verhalten des Zurücktretenden. Das ist der Fall des Rücktritts bei fehlender Verhinderungskausalität. Eine Strafaufhebung wegen Rücktritts kommt hier nur dann in Betracht, wenn sich das freiwillige und ernsthafte Bemühen des Tatbeteiligten, die Vollendung zu verhindern, in geeigneten Handlungen gezeigt hat.

Schließlich enthält § 24 II S.2 2. Alternative StGB noch die Konstellation, dass eine Tat vollendet wird, obwohl sich der Tatbeteiligte freiwillig und ernsthaft bemüht hatte, die Vollendung zu verhindern. In diesen Fällen sind die Rücktrittsvoraussetzungen noch einmal verschärft. Ein Rücktritt wird gemäß § 24 II S. 2 2. Alternative StGB nur dann honoriert, wenn die Tat unabhängig vom Tatbeitrag des Zurücktretenden vollendet worden ist. Unabhängig vom Tatbeitrag des Zurücktretenden ist die Tat aber nur dann vollendet, wenn der Tatbeitrag des ausgestiegenen Beteiligten in der weiteren Entwicklung der Tat neutralisiert worden ist, das heißt, die Kausalität des Beitrags für die Vollendung entfallen ist. Einen solchen Fall wird es kaum einmal geben.