3

»DIE SPITZE DES EISBERGS«

SANKT PETERSBURG – Am südwestlichen Rand von Sankt Petersburg, wo die Stadt auf den Finnischen Meerbusen stößt, ragt zwischen den eleganten Fassaden der vorrevolutionären Paläste ein Gewirr aus Kränen und Containern in die Bucht hinein. Auf einer kleinen Insel warten haufenweise Holz und verbogenes Altmetall darauf, von Frachtschiffen abgeholt zu werden, während auf der anderen Seite eines Wasserarms noch die Backsteingebäude stehen, die in vorrevolutionären Zeiten den angesehensten Händlern der Stadt als Zollhäuser und Lagerräume dienten und jetzt halb verfallen zwischen dem schweren Gerät auszumachen sind. Weit draußen am westlichen Rand führt ein Betonkai zu einem Ort, der manchmal als »Golden Gates« bezeichnet wird: eine Betonlandschaft aus Öltanks, die so typisch sind für Sankt Petersburgs strategisch wichtigsten Außenposten – das Ölterminal, wo sich in den Neunzigerjahren einige der brutalsten Bandenkämpfe abspielten.

Dieser Archipel beherbergt den Petersburger Seehafen, der in der turbulenten Geschichte Russlands immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Als Peter der Große Sankt Petersburg Anfang des 18. Jahrhunderts gründete, hoffte er, dort den größten Hafen Russlands entstehen zu lassen, eine elementare, entscheidende Verbindung zwischen dem eurasischen Teil dieses riesigen Landes und den Märkten des Westens. Tausende Leibeigene schufteten und starben für seine Vision einer Stadt aus prächtigen Barockvillen und eleganten Kanälen inmitten der eisigen Sumpflandschaft. Sankt Petersburg war immer schon als Russlands »Fenster zum Westen« gedacht gewesen, als Hafenstadt, die das Land ohne Rücksicht auf Kosten und Verluste aus seiner mittelalterlichen und asiatisch geprägten Vergangenheit befreien sollte.

Schon bald trafen hier immer mehr Schiffe aus den Kolonialreichen des Westens ein, beladen mit Stoffen, Tee, Seide und Gewürzen, während die Schätze des russischen Reiches – Holz, Pelze, Hanf und Kali – das Land in umgekehrter Richtung verließen. Die Petersburger Händler und Adligen wurden reich, aber die Arbeiterschaft innerhalb der rapide wachsenden Stadtbevölkerung wurde geknechtet wie kaum irgendwo anders auf der Welt. Die Hafenarbeiter schleppten die Fracht, die auf die Schiffe geladen oder gelöscht werden musste, auf ihrem Rücken, ohne Schutz vor der Eiseskälte oder dem scharfen Wind, die den Hafen sechs Monate im Jahr fest im Griff hatten. Als Wladimir Lenin die Arbeiter der Stadt 1917 versammelte, um die Übergangsregierung zu stürzen, standen die Hafenarbeiter in der ersten Reihe. Während der Blockade der Stadt, die nun den Namen Leningrad trug, durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg, erlebte der Hafen den dramatischen Überlebenskampf gegen den Hunger und die Bomben an vorderster Front mit.

Auch als Russland sich aus der dritten Revolution des 20. Jahrhunderts herauskämpfte, spielte der Petersburger Hafen eine entscheidende Rolle. Hier entstand die Allianz zwischen dem KGB und der organisierten Kriminalität, deren Einfluss sich über ganz Russland und später sogar bis in die westlichen Märkte und Institutionen hinein erstrecken sollte. Der Hafen bildete die Grundlage der Geschäftskontakte zwischen dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt, Wladimir Putin, dem örtlichen Mafiaboss und Herrscher über den Hafen sowie dem Ölhändler, der über das Ölterminal ein Exportmonopol erlangte. Die damals durch ein komplexes Geflecht aus Tauschhandel und Exportgeschäften geschmiedeten Beziehungen entwickelten sich zum Modell dessen, wie Putins Russlands funktionieren sollte.

Anfang der Neunzigerjahre war der Hafen eine der finstersten Ecken in einer Stadt, in der Schießereien zwischen Banden und brutale Auseinandersetzungen um Geld an der Tagesordnung waren. »Die Geschichte des Hafens ist massiv von Kriminalität und schmutzigen Geschäften geprägt«, sagte ein ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter des Petersburger Stadtrates. 1 »Im Hafen herrschten die Verbrecher. Es gab ständig Schießereien«, meinte auch ein einstiges Mitglied des größten örtlichen Mafiaclans, der Tambow-Gruppe. 2

Durchsetzen konnte sich letztlich eine Allianz aus Mafiamitgliedern und dem KGB, die Sankt Petersburg in den Neunzigerjahren fest im Griff hatte und in deren Mittelpunkt Wladimir Putin stand. Während sich die KGB-Kräfte in Moskau größtenteils zurückhielten, waren sie in Sankt Petersburg deutlich präsenter. Der Wirtschaftssektor der Stadt war deutlich kleiner als der Moskaus, der Kampf um das Geld erbitterter, und die Verbindungen des Bürgermeisters und seiner Mitarbeiter reichten in die meisten Unternehmen hinein. Der Hauptgrund für den enormen Einfluss des KGB in Sankt Petersburg war die Tatsache, dass der Bürgermeister Anatoli Sobtschak kaum Interesse an den alltäglichen Aufgaben seines Amtes hatte. Die überließ er Putin, dem Leiter des Komitees für Außenbeziehungen, das für den gesamten Handel und weite Teile der übrigen Geschäftstätigkeiten zuständig war, und seinem anderen Stellvertreter, Wladimir Jakowlew, dem die Verantwortung für Wirtschaftsfragen in der Stadt zukam.

Sobtschak und seine Stellvertreter verlegten den Sitz des Bürgermeisteramts vom Marienpalast, wo der demokratisch dominierte Stadtrat ansässig war, in die verschachtelten Gänge des Smolny-Instituts, von wo aus die Kommunistische Partei seit Lenins Machteroberung die Geschicke der Stadt geführt hatte. Was sie erbten, war eine Katastrophe. Die Kassen der Stadt waren leer. Es gab kein Geld, um Importe zu bezahlen, und die Ladenregale leerten sich schnell. Die einheimische Lebensmittelproduktion war in einem desolaten Zustand. An den Straßenrändern verrottete Getreide, das die ineffizienten Kolchosen dort liegen ließen, und eine Reihe von Missernten verschlimmerte die Situation noch. Die Stadt erlebte nicht nur eine Nahrungsmittelkrise, sondern auch eine gewaltige Zunahme an Kriminalität. In den Wirren rund um den Zusammenbruch der Sowjetunion schienen alle Machtzentren zu kollabieren. Sofort war das organisierte Verbrechen zur Stelle, um das Vakuum zu füllen; es erpresste Schutzgelder von den örtlichen Betrieben und übernahm den Handel.

Hinter den imposanten Säulen und der leicht ramponierten Fassade des Smolny-Instituts saß Sobtschak in seinem Büro und schien unfähig, die sich zuspitzende Situation in den Griff zu bekommen. Er war ein talentierter und überzeugender Redner, der sehr stolz auf sein Erscheinungsbild war, aber seine Beziehung zu dem, was von den Strafverfolgungsbehörden der Stadt übrig war, galt als angespannt. »Sobtschak war ein Idiot«, sagte ein ehemaliges hochrangiges KGB-Mitglied, das in Sankt Petersburg eine Zeit lang mit Putin zusammenarbeitete. »Er wollte immer die elegantesten Anzüge tragen und konnte stundenlange Reden halten. Er liebte die Attribute der Macht, und seiner Frau schwebte das Leben einer Aristokratin vor. Sobtschak fuhr gern in Limousinen durchs Land, aber irgendjemand musste die Arbeit erledigen. Wer sollte die Scheiße von den Straßen räumen und sich um die Verbrecher kümmern?«

In den Strafverfolgungsbehörden nahm niemand Sobtschaks Anrufe entgegen. »Der ehemalige Chef des Petersburger KGB weigerte sich, auch nur im gleichen Raum zu sein«, meinte das einstige KGB-Mitglied. »Statt zu versuchen, [Sobtschak] Sicherheitskonzepte darzulegen, hätte man auch versuchen können, ihm Atomphysik zu erklären. Aber mit Putin konnte man diese Dinge besprechen. Ihm konnte man sagen: ›Wolodja, hier haben wir es mit dieser Situation zu tun und dort mit jener.‹ Und wenn er bei der Polizei anrufen musste, um etwas zu klären, legte niemand einfach auf.«

Sobtschak brauchte Putin also, denn der hatte sich seine Kontakte in die Spitze des örtlichen KGB bewahrt: Wiktor Tscherkessow, sein ehemaliger Mentor in der gefürchteten fünften Hauptverwaltung des Leningrader KGB, die sich dem Kampf gegen Dissidenten verschrieben hatte, war nun Leiter des Petersburger FSB, wie die Nachfolgebehörde des KGB hieß. Putin wurde zum Ansprechpartner in Sachen Strafverfolgung. Er »war jemand, der jemanden anrief und sagte: ›Wir müssen etwas tun, sonst wird das hier zum Albtraum‹«, sagte das ehemalige KGB-Mitglied. »Er war in der Lage, sich mit einem General zu unterhalten, der früher bei den Spezialkräften war und der ihm jetzt sagen konnte, wie er mit einer Situation umzugehen hatte, und ihm vielleicht sogar Unterstützung anbot. Das waren Leute mit Verbindungen. Das System war zusammengebrochen, aber ein Teil von ihm blieb erhalten.« 3

Was aus dem Chaos und dem Kollaps – und Sobtschaks Unfähigkeit – hervorging, war ein Bündnis zwischen Putin, seinen KGB-Freunden und der organisierten Kriminalität, das danach strebte, weite Teile der Petersburger Wirtschaft auf den eigenen Profit auszurichten. Statt eine Ordnung zu erschaffen, die der Stadtbevölkerung zugutekam, setzten die Verbündeten nur solche Regeln durch, die vor allem ihnen selbst nützten. Für sie bot der Zusammenbruch der Sowjetunion in erster Linie eine Chance, sich zu bereichern, und – insbesondere für Putin und seine KGB-Verbündeten – die Gelegenheit, schwarze Kassen zu schaffen, die ihre Verbindungen und Positionen über Jahre hinweg sichern sollten. Diese Kassen hatten ihren Ursprung in den Tauschgeschäften der KGB-geführten »befreundeten Firmen«. Später wurden sie auf den Hafen und das Ölterminal selbst ausgedehnt. Immer mit dabei war die Tambow-Gruppe, ein Teil der Petersburger Mafia. Das Geschäftsmodell bestand laut einem ehemaligen örtlichen FSB-Mitarbeiter aus »Mord und Plünderung«: »Die Waffen der Tambow-Mafia trieften von Blut.« 4

*

Das Jahr 1991 neigte sich dem Ende zu, als Marina Salje zum ersten Mal bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Der Stadtrat hatte die hitzige Politikerin, die einst mit Sobtschak um die Führung der Demokraten in Sankt Petersburg konkurriert hatte, damit beauftragt, einen Ausweg aus der Nahrungsmittelkrise zu finden. Salje, eine furchtlose Geologin Mitte fünfzig mit seidigem, langsam ergrauendem Haar und tiefen Schatten unter den entschlossen dreinblickenden Augen, ließ niemals locker. In jenem Herbst hatte sie durchgesetzt, dass die Stadt Bezugsscheine einführte. Das war das erste Mal seit den furchtbaren Hungertagen der Leningrader Blockade, dass die Nahrungsmittel rationiert werden mussten. 5 Jetzt wollte sich Salje für einen Tauschhandel einsetzen, der es der Stadt ermöglichte, Rohstoffe gegen Lebensmittelimporte auszuführen. Das schien der einzige Weg zu sein, um eine Hungersnot zu verhindern.

Auf föderaler Ebene war bereits ein solches System eingeführt worden, um der Krise, die das ganze Land bedrohte, entgegenzuwirken. Die Moskauer Regierung hatte begonnen Lizenzen zu verteilen, die zur Ausfuhr bestimmter Mengen an Rohstoffen wie Erdölerzeugnissen, Metall und Holz aus staatlichen Betrieben berechtigten, wenn im Gegenzug Lebensmittel importiert wurden. Doch als Salje Druck auf den Bürgermeister ausüben wollte, damit er Exportlizenzen für Sankt Petersburg beantragte, vernahm sie das Gerücht, dass diese bereits Putins Komitee für Außenbeziehungen zugestanden worden seien. »Was für Lizenzen? Wo sind die Lizenzen? Offiziell wusste niemand etwas darüber«, erzählte sie später in einem Interview. 6 Als sie versuchte, dem Bürgermeisterbüro weitere Informationen zu entlocken, blieben ihre Nachfragen unbeantwortet. Die Planungen, fand sie heraus, liefen bereits seit mindestens Anfang Dezember, und niemand war darüber informiert worden. 7 Das größte Problem war, dass die erwarteten Lebensmittellieferungen nirgends aufzufinden waren. Zum Jahreswechsel reichten die Vorräte der Stadt gerade noch für einen Monat. 8

Salje leitete eine offizielle Untersuchung ein und verlangte Informationen über die Handelsverträge. 9 Als Putin sich den Forderungen schließlich fügte und vor dem Stadtrat aussagte, mit fahlem Blick und trotziger Miene, brachte er nur zwei Seiten an Unterlagen mit und erklärte den Abgeordneten, der Rest fiele unter das Geschäftsgeheimnis. 10 Seine Aussage unterschied sich stark von dem Inhalt der Dokumente, die Salje später vom Staatlichen Zollausschuss und anderen Beamten erhielt, als sie ihre Untersuchungen intensivierte. 11

Als Salje alle Puzzlestücke zusammengesetzt hatte, wurde deutlich, dass Putins Komitee Exportlizenzen im Wert von mehr als 95 Millionen Dollar an ein obskures Netzwerk von Tarnfirmen vergeben hatte und buchstäblich keine der als Gegenleistung erwarteten Lebensmittel eingetroffen waren. 12 Der Staat hatte weitere Exportkontingente in Höhe von 900 Millionen Dollar freigegeben, unter anderem für Aluminium im Wert von 717 Millionen Dollar. 13 Ob Putin diese Kontingente an andere Firmen vergeben hatte, die daraufhin ebenfalls mit den Erträgen von der Bildfläche verschwanden, war unmöglich festzustellen, da Salje keinen Zugang zu weiteren Dokumenten erhielt. Aber sie ging davon aus, dass es so war. 14

Während Salje und ihre Leute sich durch die Papiere arbeiteten, schien der Skandal immer weitere Kreise zu ziehen. Einige Zollbeamte und Vertreter des Petersburger Auslandshandelsministeriums hatten sich schriftlich bei Putin darüber beschwert, dass er die Exportlizenzen entgegen den geltenden Gesetzen bezüglich solcher Tauschgeschäfte vergeben habe. 15 Ein Fachgutachten, das von Saljes Kommission in Auftrag gegeben wurde, warnte, dass die involvierten Firmen so undurchdringlich seien, dass sie sich über Nacht mit den Gewinnen aus dem Staub machen könnten. 16 Die meisten von ihnen sollten unvorstellbare Beteiligungen für ihre Dienste erhalten: 25 bis 50 Prozent des Vertragswerts statt der üblichen drei bis vier Prozent. 17 Eine Handvoll Verträge schien den beteiligten Unternehmen zu gestatten, Rohstoffe weit unter dem Marktpreis zu erwerben. Eine von Putin ausgestellte Lizenz gewährte einer nur zwei Monate zuvor gegründeten Firma, 13 997 Kilogramm Seltene-Erden-Metalle für ein Zweitausendstel des Weltmarktpreises einzukaufen, was ihr gewaltige Gewinne einbrächte, wenn sie diese dann auf den Märkten der Welt anbot. 18

Das System, das Salje aufgedeckt hatte, war fast identisch mit den Praktiken der KGB-Gemeinschaftsunternehmen in der Endphase der Sowjetunion, die damals dazu geführt hatten, dass eine Flut von Rohstoffen aus den staatlichen Betrieben zu den niedrigen sowjetischen Preisen aus dem Land geschwemmt worden waren, während die Profite aus den Verkäufen zu den deutlich höheren Weltmarktpreisen auf ausländischen Konten hängenblieben. In jenen Tagen benötigte jede Firma, die Rohstoffe exportieren wollte, eine Sonderlizenz des Außenhandelsministeriums, das hauptsächlich mit KGB-Getreuen besetzt war. Als die russische Regierung eine Reihe von Tauschprogrammen aufsetzte, um die drohende humanitäre Krise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion abzuwenden, liefen die Geschäfte ganz ähnlich ab. Aber Putin verfügte über die Genehmigung, im Rahmen des sogenannten Öl-gegen-Lebensmittel-Programms seine eigenen Kontingente, Lizenzen und Verträge zu vergeben, was ihm ersparte, für jede einzelne Aktion die Einwilligung des Ministeriums einzuholen. 19 Dieses Recht hatten ihm Gaidar und der Außenhandelsminister Pjotr Awen persönlich eingeräumt – der brillentragende Wirtschaftswissenschaftler, der Anfang der Achtzigerjahre mit Gaidar zusammen Reformen erarbeitet hatte und keinerlei Kritik an Putin übte, als dessen Öl-gegen-Lebensmittel-Geschäfte genauer unter die Lupe genommen wurden.

Einer der Verträge, die Putin bewilligte, ging an ein sowjetisch-finnisches Gemeinschaftsunternehmen namens Sfinks, das Ende Dezember 1991 die Lizenz erhielt, im Austausch gegen 200 000 Tonnen Viehfutter Diesel, Zement und Dünger zu exportieren. 20 Eine sowjetisch-deutsche Kooperation namens Tamigo erhielt eine Lizenz für den Tausch von 500 Tonnen Kupfer gegen Zucker und Speiseöl. 21 Einer der Geschäftsführer von Dschikop, der Firma, die Seltene-Erden-Metalle für ein Zweitausendstel des Marktpreises erstehen durfte, 22 war der Bruder eines Studienfreunds von Putin, der dessen Begeisterung für Kampfsport teilte. 23 Ein weiterer Profiteur eines Dieselkontingents war ein Unternehmen mit dem Namen Interkommerts, geleitet von Gennadi Miroschnik, einem verurteilten Kriminellen, der daran beteiligt gewesen war, 20 Millionen Deutsche Mark aus Mitteln abzuzwacken, die für die Verlegung sowjetischer Truppen aus Ostdeutschland vorgesehen waren. 24 Später erzählte Putins Frau Ljudmila einer Freundin, dass es eine Verbindung gebe zwischen Interkommerts und einigen Ostdeutschen, die ihr Mann in Dresden kennengelernt habe. 25

Die Tauschgeschäfte »gingen an seine Freunde«, sagte Alexander Beljajew, der damalige Vorsitzende des Petersburger Stadtrats, der die Salje-Kommission leitete. 26 »Sie mussten an Leute vergeben werden, denen Putin vertraute. Es gab damals keine offiziellen Ausschreibungen, daher war klar, dass seine Bekannten den Zuschlag bekommen würden, Leute, die er unter Kontrolle hatte. Beim Verkauf von Erdölerzeugnissen ging es dabei vor allem um Kirischi. Sie waren quasi Monopolisten – ich meine Timtschenko, Katkow, Malow.« 27

Die Männer, denen Putin offensichtlich die Lizenzen zuschusterte, schienen viel mehr zu sein als nur Mitglieder eines Netzwerks aus Freunden. Einer von ihnen, Gennadi Timtschenko, war ein agiler Mann mit einem gewinnenden Lächeln, der fließend Deutsch und Englisch sprach und auch ein paar Brocken Französisch beherrschte. Er und seine Partner, Andrej Katkow und Jewgeni Malow, hatten das Ölhandelsunternehmen Kirischineftechimexport gegründet, als Gorbatschow 1987 die ersten Lockerungen erließ und siebzig Betrieben, darunter auch der Kirischi-Ölraffinerie in der Nähe von Leningrad, das Recht zugestand, ihre Produkte außerhalb des sowjetischen Monopols zu vertreiben. 28 Katkow und Malow hatten auf ihren bisherigen Stellen im sowjetischen Außenhandelsministerium nichts anderes getan, als Unterlagen für Exportgeschäfte zu stempeln und abzuheften, und griffen sofort zu, als sich ihnen die Chance bot, selbst ins Geschäft einzusteigen.

Doch bei Timtschenko schien die Sache anders gelagert. In seiner offiziellen Biografie steht, er sei als leitender Ingenieur im Ministerium tätig gewesen. Drei Menschen zufolge, die es wissen müssten, war sein Weg allerdings ganz anders verlaufen. Timtschenko hatte mit Putin zusammen Deutsch am Rotbanner-Institut des KGB studiert, bevor Putin nach Dresden und Timtschenko nach Wien und Zürich entsandt worden war, 29 wo er, wie zwei ehemalige hochrangige Mitglieder des russischen Auslandsgeheimdienstes bezeugten, als Undercoveragent in sowjetischen Handelsorganisationen eingesetzt wurde. 30 Es sei möglich, meinte ein drittes ehemaliges Mitglied im Gespräch mit der russischen Zeitung Wedomosti, dass Timtschenko dort für die Konten verantwortlich gewesen sei, über die der KGB das Netzwerk der Illegalen finanzierte. 31 »Nicht auszuschließen, dass Timtschenko Putin damals schon kannte«, meinte einer der ehemaligen Agenten schelmisch zu mir. 32 Timtschenko hat jede Verbindung zum KGB wiederholt als unwahr abgetan. Ein hochrangiger russischer Bankier mit Beziehungen zu den Sicherheitsbehörden deutete aber ebenfalls an, dass es schon zu Putins Dresdner Zeiten einen Kontakt zwischen den beiden gegeben haben könnte. 33

Obwohl Timtschenko auch lange leugnete, dass sein Unternehmen Kirischineftechimexport je in das skandalträchtigen Öl-gegen-Lebensmittel-Programm verwickelt war, und später hinzufügte, dass alle Aktivitäten des Unternehmens »transparent und legitim« gewesen seien, erzählten mir einer von Timtschenkos früheren Teilhabern und zwei weitere Geschäftspartner, dass die Firma doch daran beteiligt gewesen sei. Sie beharrten allerdings darauf, dass sämtliche Nahrungsmittel, die sie hatten importieren sollen, nach Sankt Petersburg geliefert worden seien. 34 Doch insgesamt endete das Programm in einem Desaster: Nur ein winziger Bruchteil der vereinbarten Importe kam jemals an. Stattdessen, vermutete Salje, wurden durch die Geschäfte KGB-Netzwerke finanziert. Sie erzählte einem Freund, dass sie das Gefühl habe, ihre Untersuchung hätte nur »die Spitze eines Eisbergs« freigelegt. 35 Darunter, so glaubte sie, befände sich eine gewaltige Struktur, die in den schwarzen Auslandskassen des KGB fußte, in den Netzwerken, die das Programm erhalten sollte.

Wie sich herausstellt, hatte Salje wahrscheinlich recht.

*

»Salje hatte keinen blassen Schimmer! So ist es tatsächlich gelaufen. Aber das waren völlig normale Handelsaktivitäten. Wie soll man das einer Frau in den Wechseljahren erklären?« 36 Diese Worte fielen im Mai 2013, mehr als zwanzig Jahre nach dem Öl-gegen-Lebensmittel-Programm, im Gespräch mit Felipe Turover, einem ehemaligen hochrangigen Auslandsgeheimdienstler des KGB, der zum ersten Mal erzählte, wie er Putin damals geholfen hatte, das Programm umzusetzen.

Wir saßen auf der Sonnenterrasse eines Cafés in Boadillo del Monte, einem verschlafenen Marktstädtchen in den Bergen bei Madrid. Laut Turover hatte das Programm, das Anfang der Neunzigerjahre offiziell als Maßnahme präsentiert wurde, um dringend benötigte Nahrungsmittel ins Land zu holen, einem ganz anderen Zweck gedient. In Wahrheit sei es nie beabsichtigt gewesen, dass die Lebensmittel tatsächlich eintrafen. Es habe deutlich wichtigere Probleme gegeben, um die man sich kümmern musste: »Dieser ganze Schwachsinn rund um den Bericht von Marina Salje. Das ging völlig an der Realität vorbei. Damals stand alles vor dem Kollaps. Es gab keinerlei Mittel vom Staat, und Moskau hat nur gesoffen und geklaut. Wir mussten etwas tun, damit nicht alles zusammenbrach. Es war wie auf einem Schiff ohne Kapitän, und wenn man versucht am Steuerrad zu drehen, bricht es ab. So sah es aus. Hätten wir nichts unternommen, wäre Sankt Petersburg in Scheiße ertrunken.«

Turover, der mit seiner Figur auch Bodybuilder sein könnte, den Kopf glattrasiert trug und die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verbarg, verfügte über ein dämonisches Lachen und einen reichhaltigen Vorrat an Geschichten aus der Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Er entstammte der Elite des sowjetischen Auslandsgeheimdienstes. Sein Vater war Sprachlehrer am Rotbanner-Institut des KGB gewesen und hatte Leonid Breschnew als Übersetzer gedient; zu seinen Freunden zählte Giulio Andreotti, der langjährige italienische Ministerpräsident. Zu Sowjetzeiten hatte Turover eng mit Wladimir Osinzew zusammengearbeitet, dem legendären komitetschik, der die »Parteitechnologie«-Kommission innerhalb der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees geleitet hatte. Diese Kommission hatte Geheimoperationen in Ländern durchgeführt, in denen die Kommunistische Partei verboten war, und dort »Illegale« eingeschleust. Im Chaos nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte Turover den Auftrag erhalten, Mittel und Wege zu finden, wie man den »befreundeten Firmen«, die im Zentrum der klandestinen Finanzierungsprogramme des KGB und der Einflusskampagnen der Partei im Ausland standen, das ihnen geschuldete Geld zurückzahlen konnte – viele von ihnen belieferten die Sowjetunion auch mit wichtigen Gütern, vor allem für die Energieinfrastruktur, und das zu sehr hohen Preisen.

Das Problem war, dass Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingewilligt hatte, alle Auslandsschulden der ehemaligen Sowjetrepubliken zu übernehmen, solange es dafür auch deren Besitztümer im Ausland erhielt, und dann umgehend den Staatsbankrott erklärt hatte. Daraufhin war ein internationales Moratorium für sämtliche Auslandsschulden Russlands erlassen worden. Turover, der diese Anordnung umgehen musste, um die »befreundeten Firmen« zu bezahlen, ohne dass es jemand bemerkte, behauptete, dass die Tauschgeschäfte in Wahrheit diesem Zweck gedient hätten. Irgendwann fand er einen Zahlungsweg über eine kleine Schweizer Bank in Lugano, wie Unterlagen belegen. »Wir konnten nicht einfach sagen, dass wir manche Leute bezahlten, Philip Morris aber nicht«, sagte er. »Das war keine Kleinigkeit. Manche Gelder mussten umgehend fließen. Hätten wir die Bauteile für die Atomkraftwerke nicht bezahlt, hätte es eine Katastrophe gegeben. Als das Land aufhörte zu existieren, waren alle Lieferungen eingestellt worden.«

Er sei nach Sankt Petersburg geschickt worden, sagte Turover, um Putin bei der Einführung eines eigenen Programms zu helfen, über das sich die Schulden bei einigen »befreundeten Firmen« bezahlen ließen. Eine davon sei ein italienisches Unternehmen namens Casa Grande del Favore gewesen, seiner Aussage zufolge eine von nur einer Handvoll Firmen, die in der Lage waren, die heiklen Reparaturarbeiten am Abwassersystem durchzuführen, das sich kreuz und quer durch die unzähligen Petersburger Kanäle zog: »Wir mussten bezahlen, denn wenn die Arbeiten nicht durchgeführt worden wären, wäre Sankt Petersburg bald schon bis zu den Spitzen der Kuppeln in Scheiße versunken.« Er habe Putin geraten, das Öl-gegen-Lebensmittel-Programm ins Leben zu rufen, sagte Turover, weil »wir ein Instrument brauchten, über das wir schnell Zahlungen durchführen konnten.« 37

Turover gab also im Grunde zu, dass das Programm von Anfang an nicht dazu gedacht war, Lebensmittel zu importieren, sondern der Stadt als eine Art schwarze Kasse für harte Devisen diente. Doch ohne jede Kontrollinstanz war es unmöglich zu beurteilen, ob überhaupt ein Teil des Geldes dazu verwendet wurde, ausstehende Summen bei befreundeten Firmen zu begleichen, oder ob es doch an die weiterhin bestehenden KGB-Netzwerke im Ausland floss. Turover beharrte darauf, man habe damals keine andere Chance gehabt, weil die für den Außenhandel zuständige Staatsbank, Wneschekonombank (VEB), mehr oder weniger kollabiert war. Am 1. Januar 1992, als die russische Regierung die Zahlungsunfähigkeit erklärte, waren alle Konten eingefroren worden. »Es war unumgänglich«, meinte Turover. »Anders hätten die Ausgaben der Stadt nicht beglichen werden können.« 38 Alle Hartwährungsreserven, die sich offiziell der Stadt zuordnen ließen, wären direkt eingefroren worden, gemeinsam mit allen anderen Konten, die im Rahmen der sowjetischen Staatsinsolvenz beschlagnahmt wurden: »Hätten sie das Geld auf den Konten der Stadt gelagert, hätten sie es auch gleich bei der VEB lassen können. Aber wer sein Geld irgendwo auf einem ausländischen Konto liegen hatte, in Liechtenstein, konnte sofort zahlen.« 39

Der gleichen Argumentation bediente sich Ende der Neunzigerjahre dann auch die russische Zentralbank, als sie einen Skandal wegerklären wollte. Damals kam nämlich heraus, dass sie Dutzende Milliarden harte Devisen aus den Reserven des Landes über eine kleine Offshore-Firma namens Fimaco beiseitegeschafft hatte, die im November 1990 gegründet worden war, kurz nach Iwaschkos Anordnung, eine »unsichtbare Parteiwirtschaft« aufzubauen. Die geheimen Überweisungen über Fimaco, behauptete der Chef der russischen Zentralbank später, seien notwendig gewesen, damit die Mittel nach dem Staatsbankrott der Sowjetunion nicht gepfändet wurden und man die Auslandsschulden des internationalen Bankennetzwerks der Sowjetunion begleichen konnte. 40

Doch die Transaktionen unterstanden keiner Aufsicht, und viele argwöhnten, dass mit dem Geld keine Schulden beglichen, sondern KGB-Netzwerke im Ausland finanziert wurden. In vielerlei Hinsicht waren das Fimaco-Geschäft der Zentralbank und Putins Öl-gegen-Lebensmittel-Programm aus dem gleichen Holz geschnitzt. Beide Unternehmungen brachten schwarze Kassen für den russischen Staat hervor und liefen so intransparent ab, dass sie genauso gut als private Schmiergeldfonds für die Mächtigen des Landes gedient haben könnten. Turover beharrte darauf, dass Putin sich nie an den Kassen bedient habe, die er durch sein Programm erschaffen hatte. »Aber natürlich hat er Geld ausgegeben. Selbstverständlich hat er einen Teil des Geldes ausgegeben und es irgendwie verwaltet, denn er musste ja reisen, Hotelzimmer bezahlen und wahrscheinlich auch etwas essen.« 41

Im Grunde war auf diese Weise das entstanden, was unter russischen Kriminellen als obschak bezeichnet wird – eine gemeinsame Kasse einer Verbrecherbande. Auch dabei überließ man einem streng kontrollierten Netz von engen Verbündeten große Mengen Geld, wobei die Grenze zwischen dem, was für strategische Operationen eingesetzt wurde, und privaten Ausgaben praktischerweise stets verschwamm. Dieses Modell entwickelte sich nun zur Blaupause für die Kleptokratie des Putin-Regimes und später auch deren Einflussoperationen – und fußte auf den geheimen Netzwerken und Zahlungssystemen des KGB.

Was Salje angeht, so konnte sie im politischen System keinen Fuß mehr fassen. Sobtschak blockierte jede weitere Untersuchung des Öl-gegen-Lebensmittel-Programms seines jungen Protegés. Mitte der Neunzigerjahre zog sie nach Moskau, wo ihre Stimme im politischen Getöse der Hauptstadt unterging. Doch am Abend von Putins Wahl zum Präsidenten tauchte sie wieder auf und veröffentlichte unter dem Titel »W. Putin – Präsident einer korrupten Oligarchie!« den ersten, ausführlichen Investigativartikel über diese Geschäfte. Obwohl ihre Erkenntnisse unter Liberalen für eine Menge Aufruhr sorgten, hielt sich das Interesse landesweit in Grenzen. Schon bald nach der Wahl zog sie sich weit aufs Land zurück, an die Grenze zu Finnland, wo sie viele Kilometer und eine schlaglochübersäte Straße vom nächsten Dorf trennten. Nur eine Handvoll Journalisten nahmen es auf sich, sie dort für ein Interview zu besuchen. Aber Putins Programm – und die Ermittlungen dagegen – blieben ihr Steckenpferd, bis zum Tag ihres Todes wenige Wochen nach dem Beginn von Putins dritter Amtszeit 2012. Salje wusste, dass in diesen Geschäften das wahre Gesicht seiner Regierungsweise zum Vorschein gekommen war. 42

U-BOOT-MATROSE, SOLDAT, HÄNDLER, SPION

Die KGB-Männer, die gemeinsam mit Putin über Sankt Petersburg herrschten, waren deutlich profitorientierter als ihre Vorgängergeneration. Obwohl man den Zusammenbruch des Sowjetreiches bedauerte, hatten die jüngeren Vertreter in der mittleren Stufe der Sicherheitsbehörden, unter ihnen Putin, schon bald die Lehren des Kapitalismus für sich entdeckt und die Dogmen der Kommunistischen Partei über Bord geworfen. In den Augen dieser neuen Generation war es der Kommunismus gewesen, der für das Scheitern der Sowjetunion verantwortlich war; er hatte sie in Afghanistan im Stich gelassen und sie in der DDR ihrem Schicksal ausgeliefert. »Sie fühlten sich vom Kommunismus betrogen«, sagte Andrej Illarionow, Putins ehemaliger Wirtschaftsberater. 43 Diese Leute waren das Produkt der Anstrengungen, die der KGB in den letzten Jahren der sowjetischen Herrschaft unternommen hatte, um Netzwerke ausländischer Firmen zu erschaffen. Die Geheimniskrämerei rund um diese Aktivitäten bedeutete, dass die Methoden der KGB-Männer in den Achtzigerjahren von Beginn an Geldwäschegeschäften glichen.

Sobald das Öl-gegen-Lebensmittel-Programm abgeschlossen war, nahmen sich Putins Verbündete den Hafen vor, der ursprünglich zusammen mit dem Ölterminal und einer Flotte von Schiffen einem gigantischen Staatsbetrieb gehört hatte, der Petersburger Ostsee-Schifffahrtsgesellschaft (BMP). Die KGBler aus Sankt Petersburg hatten die BMP schon lange als strategisches Gut ins Auge gefasst, und die Geschichte, wie Putins Leute die Gesellschaft übernahmen, ist untrennbar mit der aufkeimenden Allianz zwischen Putins Rathaus und dem berüchtigtsten Verbrecherclan der Stadt verbunden, der Tambow-Mafia. Zu Sowjetzeiten war der KGB oft an Bord der BMP-Schiffe dabei gewesen, um die Kapitäne beim Handel zu unterstützen. 44 Die Agenten kannten sich also mit den Handelsrouten, der Fracht und der Schmuggelware aus und wussten, wie viel Geld sich damit machen ließ. Zu Hochzeiten hatten regelmäßig Hunderte Schiffe mit Ölerzeugnissen, Metall und Getreide an Bord in Leningrad abgelegt, während andere, die aus weit entfernten Teilen der Welt wie etwa Südamerika kamen, mit Obst, Zucker und Schmugglergut beladen hier eintrafen – Letzteres war unerlässlich für die Geheimoperationen und die Finanzbestände. In jenen Tagen stellte die BMP den wichtigsten strategischen Cashflow der Stadt dar. Noch 1991, im Jahr des Zusammenbruchs der Sowjetunion, betrug der Nettogewinn des Unternehmens Hunderte Millionen Dollar. 45 Es verfügte nicht nur über fast zweihundert Passagier- und Frachtschiffe, sondern kontrollierte auch den gesamten Leningrader Hafen samt dem Ölterminal sowie die benachbarten Häfen in Vyborg und Kaliningrad. Die BMP war der Schlüssel zu den Reichtümern der Stadt.

Der Chef der Ostsee-Schifffahrtsgesellschaft zu Zeiten von Jelzins Wirtschaftsrevolution, Wiktor Chartschenko, war ein überzeugter Liberaler, der im Rahmen von Gorbatschows Perestroika-Reformen die Genehmigung erhalten hatte, das Unternehmen zu seinem eigenen Reich auszubauen. Chartschenko, ein Schrank von Mann mit kantigem Kinn, hatte sich mit der Zeit eine große Unabhängigkeit erarbeitet. Er, der seine Kindheit im Waisenhaus verbracht hatte, zählte zwischenzeitlich zu den angesehensten Geschäftsleuten der Stadt. 1990 pachtete er die BMP vom Staat, der allerdings 50 Prozent der Gewinne einbehielt, um sie direkt wieder zu investieren. 46 Das Verhältnis zwischen Chartschenko und Jelzin wurde immer enger, und als das kommunistische Regime nach dem gescheiterten Augustputsch zusammenbrach, entließ Chartschenko kurzerhand alle KGB-Mitglieder aus seiner Flotte. 47

Chartschenko bastelte an seiner eigenen Machtbasis, und das zu einer Zeit, in der der Petersburger KGB unbedingt die Kontrolle über die Geldflüsse behalten wollte. Im Chaos rund um das Ende der Sowjetunion – und mit der Mafia im Nacken, die ebenfalls scharf auf einen Teil des Hafens und des Ölterminals war – dauerte es über ein Jahr, bis die Ex-Agenten endlich Rache üben konnten.

Zu Beginn gingen sie leise vor. Als Wiktor Chartschenko im Februar 1993 eines späten Abends nach einem Treffen mit Jelzin in Moskau auf dem Weg nach Hause war, stoppte die Polizei den »Roten Pfeil«, den Zug, in dem er saß, kurz vor Sankt Petersburg. Chartschenko wurde herausgezerrt, beschuldigt, 37 000 Dollar der Ostsee-Schifffahrtsgesellschaft veruntreut zu haben, und verhaftet. 48

Vier Monate später kam er gegen Kaution frei, verlor aber seinen Posten an der Spitze der BMP. Die Petersburger KGB-Leute setzten ihren eigenen Vorstand ein, zerschlugen die Flotte und verteilten die einzelnen Schiffe auf unzählige Offshore-Firmen. Im Verlauf der Aktion wurde einer der Direktoren des Unternehmens erschossen. 49 »Es war eine richtige Plünderung«, sagte einer von Chartschenkos Geschäftspartnern. »Sie haben die Schiffe quasi verschenkt. Alles verschwand einfach. Sie brachten jedes bisschen außer Landes.« 50

Chartschenkos ehemalige Kollegen trauen sich bis heute nicht, sich zu den damaligen Geschehnissen oder zur Frage, wer dahintersteckte, zu äußern. Aber die Spuren führten eindeutig zum örtlichen KGB. »Schließlich mussten sie ihre Schuhe putzen und essen«, sagte einer. »Ob sie jemand sah, war ihnen völlig egal. Sie schnappten sich die BMP einfach und nahmen sie aus.« 51

Dieser Raubzug war ein Vorgeschmack auf das, was später kommen sollte. Die KGBler hatten so viel Macht über die Strafverfolgungsbehörden von Sankt Petersburg, dass sie die wichtigste Handelsverbindung der Stadt einfach übernehmen konnten. Chartschenko hatte seinen Posten im entscheidenden Moment verloren. Parallel dazu wurden der Hafen und das Ölterminal von der Flotte abgespalten und von Putins Stadtregierung privatisiert. »Sie rissen der Schifffahrtsgesellschaft die Hafenwände aus«, meinte einer von Chartschenkos ehemaligen Partnern. 52

U-BOOT-MATROSE

Als die Stadt sich anschickte, ihre Anteile am Hafen zu verkaufen, stand Ilja Traber, ein mutmaßliches Mitglied der Petersburger Mafia, den die spanische Staatsanwaltschaft später mit dem Tambow-Clan in Verbindung brachte, schon bereit. 53 Sobald der Ausverkauf begann, kauften seine Männer den Hafenarbeitern die Coupons ab, mit denen sie Anteile erstehen konnten. Dabei ging es ziemlich brutal zu. »Bei der Privatisierung des Hafens gab es massive Gesetzesverstöße. Aber sie wurden alle vertuscht«, berichtete ein ehemaliger Geschäftspartner von Traber. 54 Traber schien von Anfang an Verbündete auf der anderen Seite zu haben. Auf dem Papier behielt der Staat 49 Prozent der Anteile am Hafen: 20 Prozent über die Liegenschaftsverwaltung und 29 Prozent über die Stadt Sankt Petersburg. Doch irgendwie gab ein Mitarbeiter der städtischen Behörde durch eine »irrtümliche« Unterschrift das Stimmrecht auf, das mit den 29 Prozent einherging, sodass Traber und seine Leute freie Hand hatten. 55

»Diese raubüberfallartige Übernahme muss mit dem Bürgermeisterbüro abgestimmt gewesen sein«, sagte ein ehemaliges Petersburger FSB-Mitglied. 56 Nach einer Reihe gewalttätiger Auseinandersetzungen sicherte sich Traber, der sich zum klassischen Mittelsmann zwischen dem Petersburger KGB und der Tambow-Mafia entwickelt hatte, schließlich auch die Kontrolle über das Ölterminal. 57 Der Ex-Offizier der sowjetischen Atom-U-Bootflotte, ein gedrungener Mann mit einem fleischigen Hals und eng stehenden Augen, war Anfang der Achtzigerjahre in die Stadt gekommen und damals in einer Bar im Stadtzentrum gestrandet, dem Schiguli, 58 einem bevorzugten Treffpunkt der Leningrader Straßendiebe und der neuen Schwarzmarkthändler. Traber machte sich dort hinter der Theke und in der Buchhaltung nützlich und handelte im schummrigen Licht erst mit harten Devisen und später irgendwann mit dem reichhaltigen Bestand an Antiquitäten aus der Zarenzeit, den die Stadt bereithielt. Es dauerte nicht lange, bis er diesen Markt beherrschte, was ihm den Spitznamen »Antikwar« einbrachte. Gegen Ende der Achtziger verlagerte er seine Geschäfte vom Schwarzmarkt in den offiziellen Sektor und eröffnete das edelste Antiquitätengeschäft am Newski-Prospekt. Dort kam er mit dem neu gewählten Bürgermeister Anatoli Sobtschak und dessen Frau Ljudmila Narussowa in Kontakt, die Stammkunden von ihm wurden. Die tiefe Freundschaft zwischen den dreien hielt weit über Sobtschaks Zeit im Amt hinaus an. 59

Traber hatte immer eng mit dem Petersburger KGB zusammengearbeitet, da er beim Antiquitätenschmuggel auf dessen Unterstützung angewiesen war. »Es war klar, dass er gute Beziehungen zu den Strafverfolgungsbehörden der Stadt hatte«, meinte ein ehemaliger hochrangiger Beamter aus dem Stadtparlament. 60 Außerdem habe er »Geschäfte mit der Tambow-Mafia« gemacht, erklärte ein einstiges FSB-Mitglied, das in Sankt Petersburg in der Abteilung für Schmuggel tätig gewesen war. 61

SOLDAT

Zu der Zeit stieg die Tambow-Mafia zum mächtigsten Clan der Stadt auf. Ihr Anführer, Wladimir Kumarin, hatte 1991 nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einer rivalisierenden Bande einige Zeit im Gefängnis gesessen. Als er wieder freikam, übernahmen er und seine Leute mit Unterstützung von Putin, Traber und dessen Männern die Kontrolle über den gesamten Öl- und Energiesektor der Stadt. Die Gangrivalitäten waren damit aber nicht vorbei: 1994 verlor Kumarin einen Arm bei einem Bombenanschlag. Doch damals war er schon dabei, die Petersburger Ölgesellschaft PTK aufzubauen, die beim Vertrieb inländischer Ölerzeugnisse die Monopolstellung in der Stadt erlangen sollte. Ilja Traber übernahm währenddessen im Auftrag der Tambow-Mafia die Kontrolle über den Hafen und das Ölterminal. 62 (Die spanische Staatsanwaltschaft ging später davon aus, dass Traber neben Kumarin Miteigentümer von PTK war. 63 ) Kumarins Macht war irgendwann so groß, dass er als »Nachtregent« von Sankt Petersburg bezeichnet wurde. Im Grunde repräsentierte er die dunkle Seite der Stadtverwaltung.

Putin schien bei diesen Vorgängen eine zentrale Rolle zu spielen, er war der Ansprechpartner, wenn es um logistische Hilfestellung aus dem Rathaus ging. Zusammen mit seinem treuen Stellvertreter Igor Setschin, der im Vorzimmer zu Putins Büro hinter einem Pult aufragte und jeden, der eintreten wollte, eindringlich musterte, war es Putin, der die Lizenzen ausstellte, die Traber die Kontrolle über den Hafen und das Ölterminal ermöglichten. Er war es, der Kumarins PTK einen Exklusivvertrag über die Treibstoffversorgung der städtischen Krankenwagen, Busse, Taxen und Polizeiwagen verschaffte. 64

Das erste Anzeichen für eine Zusammenarbeit mit der Tambow-Mafia tauchte im Sommer 1992 auf, als Putins Komitee für Außenbeziehungen ein russisch-deutsches Gemeinschaftsunternehmen registrierte, die Sankt Petersburg Immobilien Aktiengesellschaft (SPAG), die ins Immobiliengeschäft der Stadt einsteigen wollte. Dieser SPAG warf die deutsche Staatsanwaltschaft später vor, sie diene der Tambow-Mafia und kolumbianischen Kartellen als Instrument zur Geldwäsche. 65 Während seiner Amtszeit als stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg saß Putin im Beirat von SPAG. Laut dem Kreml handelte es sich dabei nur um eine der vielen Positionen, die er als stellvertretender Bürgermeister »ehrenhalber« bekleidet habe. Einer der Mitgründer von SPAG erklärte jedoch, dass er sich fünf- oder sechsmal mit Putin getroffen habe, um die Geschäfte in Sankt Petersburg zu besprechen.

HÄNDLER

Auch Gennadi Timtschenko, der mutmaßliche ehemalige KGB-Agent, den Putin vermutlich schon seit ihren gemeinsamen Ausbildungstagen am Rotbanner-Institut des Geheimdienstes kannte, hatte immer schon den Zugriff auf das Ölterminal angestrebt. Er brüstete sich gern mit seinen Überzeugungskünsten und erklärte seinen Erfolg in späteren Interviews oft augenzwinkernd mit seiner Fähigkeit, jedem alles verkaufen zu können. 66 Timtschenko war schon als Kind Teil der sowjetischen Elite gewesen. Sein Vater war ein ranghoher Militär, und Gennadi verbrachte in seiner Kindheit einige Jahre in der DDR. Seine Deutschkenntnisse halfen ihm später dabei, im Außenhandel unterzukommen, und führten ihn seinen ehemaligen Geschäftspartnern zufolge auch zum KGB, für den er angeblich als verdeckter Handelsvertreter in Wien und in der Schweiz aktiv war. Über diese Verbindungen knüpfte er Kontakt zu einem ehemaligen hochrangigen KGB-Mitglied, Andrej Pannikow, einem untersetzten Mann mit breitem Grinsen und tellergroßen Händen. Pannikow hatte sich in seinem Studium am Sowjetischen Handelsinstitut mit Offshore-Geschäften beschäftigt und dann mit Einwilligung von Leonid Schebarschin, dem Chef der KGB-Auslandsabteilung, das erste Gemeinschaftsunternehmen gegründet, das die Lizenz erhielt, abseits des sowjetischen Monopols Ölerzeugnisse zu exportieren. 67 Timtschenko ging mit seiner Ölhandelsgesellschaft Kirischineftechimexport eine Partnerschaft mit Pannikows Urals Trading ein und leitete ab 1990 eine Zeit lang die Geschäfte von Urals in Finnland. Laut einem Bericht des französischen Nachrichtendienstes war das Unternehmen ursprünglich in den Achtzigerjahren vom KGB gegründet worden, als Teil eines Netzes von Firmen, die für die Kommunistische Partei Vermögen beiseiteschafften 68  – ein Vorwurf, den Timtschenko zurückwies.

Trotz all ihrer Verbindungen bemühten sich Timtschenko und Pannikow mindestens zwei Jahre lang vergeblich, Zugang zum Petersburger Ölterminal zu erhalten. 69 Doch das Terminal war nicht nur Teil von Chartschenkos Reich, sondern entwickelte sich, als die Macht der Sowjetunion zerbröselte, zu einem blutigen Schlachtfeld der rivalisierenden Verbrecherclans der Stadt. Die Ölhandelsgesellschaft, deren Mitgründer Timtschenko war, hatte als Vertriebsstelle der nahegelegenen Kirischi-Raffinerie, die zum Ölunternehmen Surgutneftegas gehörte, freien Zugang zu Lieferungen. Aber ohne Zugang zum Ölterminal war sie gezwungen, das Öl über die Schiene zu Häfen in den Nachbarländern Estland oder Finnland zu transportieren und von dort zu exportieren, was deutlich teurer war. 70

Irgendwann war die Notwendigkeit, Exporte über das Terminal in Sankt Petersburg abwickeln zu können, so dringend, dass Timtschenko Putin um Hilfe bat. Im Januar 1992 meldete Timtschenko zusammen mit Pannikows Urals Trading ein Gemeinschaftsunternehmen mit Putins Komitee für Außenbeziehungen an, unter der Bezeichnung »Golden Gates«. 71 Ziel war es, das von den rivalisierenden Gangs belagerte und von Chartschenko kontrollierte Terminal zu umgehen und sich Gelder aus dem Westen zu beschaffen, um damit ein neues, moderneres Terminal zu bauen. 72

Das war das erste Mal, dass Putin und Timtschenko ihre Verbindung öffentlich zeigten. Fast ein Jahr lang führte Putin mit der französischen Bank BNP Paribas Verhandlungen über einen möglichen Kredit für das neue Ölterminal, abgesichert durch Exporte über Urals Trading. 73 Doch die Gespräche scheiterten, als einer der Hauptakteure, ein ehemaliger KGB-Agent namens Michail Gandorin, der in Paris tätig war, kurz vor der Bewilligung verstarb. 74 »Es schien, als sei ihm etwas verabreicht worden«, meinte ein ehemaliger Geschäftspartner Timtschenkos, der ebenfalls in die Verhandlungen involviert war. »Er rief mich zwei Tage vor seinem Tod an und konnte nicht mehr sprechen.« 75 In jenem Sommer erhielt ein weiteres Mitglied der Golden-Gates-Gruppe, Sergej Schutow, Drohungen, er solle sich von dem Projekt fernhalten.

Das Projekt stand schwer unter Beschuss, da sich die Petersburger Mafia, darunter der Tambow-Clan, untereinander bekämpfte, um sich die Erträge aus dem bestehenden Terminal zu sichern. Irgendwann war der Druck so hoch, dass Putin seine beiden kleinen Töchter aus Sicherheitsgründen nach Deutschland brachte, wie zwei hochrangige Bankiers aus dem Westen berichteten. 76 Es gibt keine Hinweise darauf, dass Timtschenko etwas mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um Trabers Übernahme des Hafens und des Ölterminals zu tun hatte. Doch irgendwann eröffnete sich ihm die Chance, das Exportmonopol im bestehenden Terminal zu erlangen, statt ein neues zu bauen. 77

Ein ehemaliger Geschäftspartner von Traber, ein weiterer von Timtschenko und eine Person mit Verbindungen zum KGB behaupteten, dass Timtschenko dieses Monopol nur durch irgendeine Art von Vereinbarung mit Traber erlangt haben könne. »Traber hatte immer schon gute Beziehungen zu Timtschenko«, berichtete einer von Trabers ehemaligen Geschäftspartnern. »Das Exportmonopol, das man Timtschenko zugestand, war nur durch eine solche Verbindung denkbar.« 78 »Wenn du Öl verschiffen willst und der Hafen ist voller Verbrecher, musst du dich auf sie einlassen«, meinte ein ehemaliges hochrangiges KGB-Mitglied, das in den Neunzigerjahren mit Putin zusammenarbeitete. »Ohne ihre Einwilligung ging gar nichts.« 79

Timtschenkos Anwälte behaupteten, die Beziehung sei immer »geschäftlicher, distanzierter« Natur gewesen und alle Andeutungen, dass Timtschenko in Sankt Petersburg in das organisierte Verbrechen, Korruption oder andere illegale oder unmoralische Aktivitäten verwickelt gewesen sei, egal ob »über Herrn Traber oder sonst wie«, seien falsch und Verleumdung. 2011 erklärte ein Repräsentant Timtschenkos der russischen Zeitung Nowaja Gaseta, dass Dmitri Skigin, der neben Traber Miteigentümer des Hafens und des Ölterminals war, durchaus ein Bekannter von Timtschenko sei; die beiden Männer hätten aber keinerlei Geschäfte zusammen gemacht. 80

Zur selben Zeit ließ sich Timtschenko seine Handelsvorhaben von einem Netzwerk ausländischer Banken mit Verbindungen zum KGB finanzieren. Eine von ihnen war die Dresdner Bank, deren Ableger in Sankt Petersburg von einem ehemaligen Stasi-Kollegen Putins geleitet wurde, Matthias Warnig. Warnig war in Dresden mit Putin zusammen Teil einer KGB-Zelle gewesen. 81 Dann war da Andrej Akimow, der mit Jewgeni Primakow am Institut für Weltwirtschaft tätig gewesen war, bevor er zum jüngsten Chef der sowjetischen Auslandsbank in Wien aufstieg, wo er im Jahr vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein eigenes Gemeinschaftsunternehmen gründete, IMAG, das Timtschenko mit Geld versorgte. 82

Putin unterstützte Timtschenko die ganze Zeit über in verschiedener Weise, er stellte die Lizenzen aus, die ihm ermöglichten, Ölspeicherkapazitäten in Trabers Hafen zu nutzen, und vermittelte Lieferverträge zwischen Timtschenkos Kirischineftechimexport und Kumarins PTK. 83 Kumarin erhielt in der Zwischenzeit einen Sitz im Vorstand der Bezugsquelle beider Firmen, der Kirischi-Ölraffinerie. 84

»Es war alles sehr gut organisiert«, sagte Maxim Freidson, Miteigentümer einer weiteren Petersburger Ölhandelsgesellschaft. »Putin und seine Leute sorgten für Unterstützung aus dem Rathaus. Aufgrund seiner KGB-Vergangenheit konnte er auch bei der logistischen Organisation helfen. Es war ein einziges großes Team.« 85

Das Bündnis, das damals geschlossen wurde, griff die KGB-Traditionen von vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf und führte sie einem noch gewinnträchtigeren Zweck zu. »Soweit ich mich erinnere, gab es die Symbiose zwischen den Kriminellen und dem KGB immer schon«, sagte Freidson. »Der KGB hatte bereits auf dem Devisenmarkt und bei Prostitutionsringen mit der Mafia zusammengearbeitet. Die Agenten waren Informationsquellen. Es war eine naheliegende Konstellation: Keiner von beiden kannte moralische Grenzen. Für den KGB waren die Kriminellen quasi Fußsoldaten. Sie gingen die Risiken ein.« 86

Putins Interesse am Petersburger Hafen und am Ölterminal wirkte häufig ausgeprägter, als man es von einem Beamten, der sich für die städtischen Interessen einsetzte, erwartet hätte. Sein Bündnis mit Ilja Traber und dessen Männern beunruhigte sogar Geschäftsleute, die nur vorübergehend in der Stadt waren. Als ein solcher Geschäftsmann zu Besuch kam, weil er bei der Finanzierung des Hafens helfen sollte, wurde er direkt am Flughafen Pulkowo abgeholt und, begleitet von Polizisten und Trabers Wachleuten, in einem gepanzerten Wagen zu dessen Unterschlupf gefahren. Als sie an dem massiv geschützten Gebäude in einer Nebenstraße angekommen waren, führte man ihn an bewaffneten Wachen und knurrenden Schäferhunden vorbei. Er musste mehrere Räume voller Ikonen durchqueren, bevor er in einem innenliegenden Zimmer auf den wartenden Traber traf, der in Jogginghose und Hausschlappen gekleidet war und ein großes goldenes Kreuz um den Hals trug – die Uniform der Petersburger Mafia. Der Geschäftsmann machte sich keine Illusionen, wen er da traf. »Es war wie im Film«, sagte er. »Mein Herz setzte kurz aus, als ich ihn sah.« 87

Damit hatte er nicht gerechnet, als er eine offizielle Einladung aus dem Rathaus erhalten hatte, sich an der Finanzierung des Hafens zu beteiligen. Aber nach einem angespannten Gespräch mit Traber gab dieser seinen Segen. Den nächsten Tag durfte der Geschäftsmann in einer angenehmeren Umgebung verbringen: in der Kanzlei eines Geschäftspartners von Traber, Boris Scharikow, an einem der schönsten Kanäle im Stadtzentrum Sankt Petersburgs. Ebenfalls anwesend waren ein ehemaliges KGB-Mitglied, das mittlerweile auch mit Traber zusammenarbeitete, Putin und der Verantwortliche für die städtischen Liegenschaften, Michail Manewitsch, sowie ein redegewandter Mittdreißiger namens Dmitri Skigin, der, wie der Geschäftsmann erfahren sollte, gemeinsam mit Traber Eigentümer des Hafens war. Skigin war das öffentlichkeitstaugliche Gesicht des Hafens, ein sanftmütiger Nerd, der die Sprache der internationalen Finanzwirtschaft beherrschte, ein disziplinierter Geschäftsmann, der Englisch und Französisch sprach und in seiner Freizeit kletterte. Sein Vater Eduard war laut dem französischen Nachrichtendienst ein enger Vertrauter Putins. 88 Doch zwei ehemalige Geschäftspartner Skigins behaupten, dass Skigin auch als Vertreter eines anderen Petersburger Mafiabosses dabei gewesen sei, des streitlustigen ehemaligen Boxers Sergej Wassiljew, mit dem Traber in Bezug auf den Hafen und später auch auf das Ölterminal einen brüchigen Frieden geschlossen hatte. 89

Das Bündnis zwischen der Petersburger Stadtverwaltung und der Tambow-Mafia hatte enorme Auswirkungen auf die Infrastruktur der Stadt. Mithilfe von Putins Leuten im Rathaus habe sich der Hafen zu einem Drehkreuz für den Schmuggel kolumbianischer Drogen nach Westeuropa entwickelt, sagte der ehemalige hochrangige KGB-Offizier Juri Schwez später vor einem Londoner Gericht aus. Einer von Putins engsten Verbündeten in den Petersburger Sicherheitsbehörden, Wiktor Iwanow, sei dem Tambow-Clan dabei behilflich gewesen, die Kontrolle über den Hafen zu erlangen, während Putin für den Schutz aus dem Rathaus gesorgt habe. 90 (Iwanow wies den Vorwurf entschieden zurück, aber weitere Hinweise untermauerten, dass der Petersburger Hafen ein wichtiger Drogenumschlagplatz war. 91 )

Die Kontrolle über den Hafen war so wichtig geworden, dass Michail Manewitsch, der Leiter der Petersburger Liegenschaftsverwaltung, 1997 beim Versuch, das im Rahmen der Privatisierung verloren gegangene Stimmrecht zurückzuerlangen, das eigentlich mit dem städtischen 29-Prozent-Anteil einherging, auf dem Weg zur Arbeit von einem Scharfschützen erschossen wurde. 92

»Manewitsch drängte darauf, dass alles zurück an den Staat gehen solle«, meinte ein ehemaliger Geschäftspartner Trabers. »Sein Druckmittel war, dass er die Lizenzverlängerung für die Langzeitmiete des Hafens einschließlich des Ölterminals verweigern konnte. Und dafür zahlte er mit seinem Leben.« 93 Wjatscheslaw Schewtschenko, ein ehemaliges Mitglied des Petersburger Stadtparlaments und ein Vertrauter Manewitschs, sagte im Rahmen der polizeilichen Mordermittlungen aus, dass Manewitsch sich in den letzten Tagen seines Lebens große Sorgen um die Situation im Hafen gemacht habe: »Ich bin auf seine Bitte hin zweimal zum Hafen gefahren und habe mit dem obersten Verantwortlichen dort gesprochen. Mein Vorschlag lautete, die englische Versicherungsgesellschaft Lloyds eine Analyse der finanziellen Situation des Hafens durchführen zu lassen. Eine Woche später tauchten zwei von Trabers Schlägern bei mir auf und erklärten mir, dass man mir den Kopf mit der Axt abschlagen würde, wenn ich mich noch einmal im Hafen blicken ließe.« 94

Traber verweigerte jede Aussage für dieses Buch, alle Vorwürfe seien »Fantasiegespinste und Verleumdung«. 95 Nur drei Monate nach dem Mord an Manewitsch boten die Anteilseigner am Hafen einem neuen Unternehmen von Traber, OBIP, als dessen Eigentümerin eine Liechtensteiner Stiftung namens Nasdor Incorporated angegeben war, einen Langzeitvertrag für den Hafen an. 96 Der Einzige, der es später wagte, sich offen über die Plünderung der Ostsee-Schifffahrtsgesellschaft zu äußern, war der damalige Bürgermeister der Stadt, Anatoli Sobtschak. Er verfasste, lange, nachdem er aus dem Amt geschieden war, einen Zeitungsartikel, in dem er zum ersten und einzigen Mal offen Kritik an den Aktivitäten des Petersburger KGB nach dem Ende der Sowjetunion übte. »Die Staatsanwaltschaft, der FSB und die Polizisten, die an diesen Taten beteiligt waren, sollten wegen Machtmissbrauchs und der enormen Verluste, die sie diesem Land beschert haben, vor Gericht gestellt werden«, schrieb er. 97 Vier Monate später war er tot. »Ich befürchte, das war es, was Sobtschak das Leben gekostet hat«, meinte einer der Geschäftspartner von Chartschenko. 98

In den Augen von Putins KGB-Verbündeten waren die Allianzen, die sie damals schmiedeten, der einzige Weg, inmitten des Chaos nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine gewisse Kontrolle zurückzuerlangen. Die Mafia lieferte die Fußsoldaten, die sie brauchten, um die Menge auf den Straßen in Schach zu halten – und auch die in den Gefängnissen, meinte einer von Putins damaligen Geschäftspartnern. Das war eine typische KGB-Praxis, ein Überbleibsel aus der sowjetischen Vergangenheit, als unter anderem Putin »Illegale« über die DDR koordiniert hatte. »Sie lenkten Menschen. So tickten sie«, sagte ein ehemaliges KGB-Mitglied. »Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine Horde Alphamännchen beruhigen. Wenn Sie sie nicht niederschießen können, ist das harte Arbeit.« 99 Doch die Begründung, die Vorgänge seien nötig gewesen, um für Ordnung zu sorgen, war nichts anderes als eine Rechtfertigung des Griffs nach der Macht. Auch das Öl-gegen-Lebensmittel-Programm war angeblich entstanden, um die Stadt zu retten – egal ob es nun darum ging, Nahrungsmittel zu importieren oder Schulden zu begleichen. Im Endeffekt hatte es jedoch nur ein Geflecht aus schwarzen Kassen geschaffen, um die Macht und die Netzwerke des KGB zu sichern.

In der Gemengelage dieser Beziehungen führte eine weitere Spur zu einer Einrichtung, die im Zuge der »unsichtbaren Wirtschaft« entstanden war, die die Kommunistische Partei in den letzten Tagen ihrer Herrschaft gefordert hatte. Die Bank Rossija war eine kleine Petersburger Bank, die bei einigen der Öl-gegen-Lebensmittel-Geschäfte eine Schlüsselrolle eingenommen hatte. Wie so viele der Institutionen und Firmen, die die Partei kurz vor dem Untergang gegründet hatte, ging auch die Bank Rossija stillschweigend in die Hände von KGB-Vertretern über, als der Augustputsch 1991 scheiterte und die Kommunistische Partei der Sowjetunion verboten wurde. Zu den neuen Anteilseignern gehörten ein hochrangiges KGB-Mitglied und zwei mit dem KGB verbandelte Physiker, deren Spezialgebiet die Seltenen Erden waren – ein Rohstoff, der so rar und strategisch wichtig war, dass der Handel mit ihm KGB-Mitgliedern vorbehalten war.

SPION

Als der hochrangige KGB-Agent Wladimir Jakunin, der in verdeckter Mission bei den Vereinten Nationen in New York tätig gewesen war, im Februar 1991, ein Jahr nach Putin, nach Leningrad zurückkehrte, war er schockiert, welche Lebensumstände ihn hier erwarteten. Er hatte seine bequeme Wohnung in New York gegen den Schmutz eines Arbeiterviertels in Leningrad eingetauscht, wo nur wenige Straßenlaternen funktionierten und seine Frau tränenüberströmt vom Einkaufen nach Hause kam, weil in den Regalen ausschließlich eingelegte Gurken standen. »Das Land, das mich ins Ausland entsendet hatte, in dem ich aufgewachsen war und in dem meine Kinder zur Welt kamen, hatte im Grunde zu existieren aufgehört«, sagte er. »Und das galt auch für die Werte – die sozialen und moralischen Werte –, die die Grundlage jeder Gesellschaft bilden. Das ganze Land war in einer Art Finsternis versunken.«

Es kam ihm vor, als sei alles, woran er einst geglaubt hatte, zusammengebrochen: »Wir waren mit einer tiefempfundenen Loyalität der Partei und dem Volk gegenüber aufgewachsen. Wir glaubten wirklich daran, etwas Sinnvolles für unser Land und die Menschen zu tun.« Doch wie so viele Agenten des Auslandsgeheimdienstes war ihm schon seit Langem bewusst gewesen, dass die Parteiführung versagte: »Es war niemand da, der wusste, wie mit den zunehmenden Problemen umzugehen war. (…) Die Lücke, die zwischen der Realität und dem ideologischen Dogma klaffte, erzeugte ein tiefsitzendes Misstrauen den Mächtigen gegenüber.« 100

Obwohl der Verlust des Sowjetreiches und die Niederlage im jahrzehntelangen Kalten Krieg Männern wie Jakunin schwer zu schaffen machten, zählte er zu denen, die den Kapitalismus mit offenen Armen begrüßten. Und obwohl er davon sprach, die alte Gewissheit, die Moral und die Werte zu vermissen, die für ihn die Grundlage des Kommunismus gebildet hatten, hielt ihn das nicht davon ab, noch vor dem letztendlichen Zusammenbruch der Sowjetunion ins Geschäft einzusteigen und gewaltige Summen Geld einzustreichen, sowohl für sich selbst als auch – und das war noch wichtiger – für die Netzwerke des KGB.

In den ersten vier Jahren nach dem Ende der Sowjetunion war Jakunin offiziell weiterhin Mitglied der Sicherheitsbehörden. Obwohl er für sich reklamierte, keine entsprechenden Befehle erhalten zu haben, räumte er ein, dass der Zweck der Geschäftstätigkeiten, die er gemeinsam mit seinen Partnern durchführte, zum Teil darin bestanden habe, so viel zu bewahren, wie sie konnten: »Wir mussten uns neu ausrichten. Wir brauchten Unternehmen, die Geld einbrachten. (…) Wir alle waren Teil dieses Prozesses. Die traditionellen Kommunikations- und Kooperationsstrukturen blieben bestehen.«

Jakunin schloss sich mit einigen Mitarbeitern des renommierten Joffe-Instituts zusammen, einem Petersburger Forschungsinstitut für Physik, wo er selbst vor seiner Entsendung nach New York als Koordinator der internationalen Beziehungen tätig gewesen war. Unter diesen Mitarbeitern war der damals neununddreißig Jahre alte Juri Kowaltschuk, der zu den führenden Physikern seiner Zeit zählte. Kowaltschuk hatte eine hohe Stirn und den Blick eines Habichts, und er arbeitete eng mit Andrej Fursenko zusammen – am Joffe-Institut waren beide für die Erforschung der hochempfindlichen Halbleitertechnologien zuständig, die in Laser- und Satellitensystemen zum Einsatz kamen. Das Interesse des KGB an diesem Forschungsbereich war enorm gewesen, und so hatte er alle möglichen Methoden angewandt, um Embargos zu umgehen und Technologien aus dem Westen zu stehlen (über Jakunin heißt es, er sei in New York ebenfalls hinter solchen Technologien her gewesen). Ihr Fachwissen brachte Jakunin, Kowaltschuk und Fursenko ein lukratives Geschäft ein: Sie sollten eine Lieferung Seltener Erden verkaufen, darunter rare und strategisch bedeutsame Isotope, die nicht nur in der Halbleitertechnologie, sondern auch in der Raumfahrt und beim Militär Verwendung fanden. 101 Diesen Auftrag hatte ihnen laut Jakunin ein hochrangiger KGB-General verschafft. Als sie ihn erfüllt hatten, strich Temp, eines der Gemeinschaftsunternehmen, das sie gegründet hatten, Gewinne in Höhe von 24 Millionen Rubel ein. 102 Das war damals eine gewaltige Summe, und sie ermöglichte ihnen, die Bank Rossija zu übernehmen.

Die drei Männer hatten in den letzten Monaten vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als der KGB die Vorbereitungen für den Übergang zur Marktwirtschaft intensivierte, eine ganze Reihe solcher Gemeinschaftsunternehmen ins Leben gerufen und schon damals eng mit der Bank Rossija zusammengearbeitet. Nach dem gescheiterten Augustputsch, sagte Jakunin, hätten sie kurz befürchtet, ihre Unternehmen aufgeben zu müssen, als die Konten bei der Bank gesperrt wurden, genauso wie der übrige Besitz der Kommunistischen Partei. Aber ihre Verbindungen und die Gewinne aus dem Verkauf der Seltenen-Erden-Metalle hatten sie gerettet. Die Führungsriege der lokalen Kommunistischen Partei und des KGB gaben ihnen grünes Licht, die Bank Rossija zu übernehmen und sie wieder zum Leben zu erwecken. »Wir waren Menschen, die innerhalb der Parteistrukturen in Leningrad durchaus bekannt waren«, meinte Jakunin. »Wir hatten Kontakte, und die Leute vertrauten uns. Die Genehmigung, die Mehrheit an der Bank Rossija zu erstehen, erhielten wir, eben weil diese Leute uns vertrauten und uns respektierten.« 103

Die Bank Rossija verfügte von Anfang an über strategische Verbindungen zu Putins Komitee für Außenbeziehungen. Die Büroräume der Bank befanden sich im Smolny-Institut, wo nun auch der Bürgermeister der Stadt saß, und sie spielte eine Schlüsselrolle bei der Einrichtung des obschak, der Gemeinschaftskasse für Putins Leute. Die mit dem KGB verbandelten Geschäftsleute der Stadt, darunter Jakunin, Kowaltschuk und Fursenko, befolgten fast schon ehrfürchtig alle Vorgaben, die der KGB in den Niedergangsjahren des kommunistischen Regimes festgelegt hatte, wie der Handel durch Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischen Firmen abzulaufen hatte. Jede dieser Firmen musste von Putins Komitee abgenickt werden, und die meisten von ihnen wurden angewiesen, Konten bei der Bank Rossija zu eröffnen. In einem Fall flossen Millionen Dollar aus dem Haushalt der Stadt über Konten bei der Bank in ein Geflecht von Unternehmen, das mit Putins Männern in Verbindung gebracht wurde. Das Geld lief über einen Fonds, der als »Zwanzigster Trust« bekannt war. Zwischenzeitlich hatte kurz die Gefahr bestanden, dass Putin deswegen in eine Strafsache verwickelt werden könnte. Wie so viele der von seinen Männern erschaffenen schwarzen Kassen wurden mit dem Geld auch hier strategische Notwendigkeiten wie Wahlkampagnen, aber auch private Anschaffungen für städtische Beamte, etwa Luxusimmobilien in Finnland und Spanien, finanziert. 104

Als Putin und seine KGB-Verbündeten die Herrschaft über die Wirtschaft der Stadt als gesichert betrachteten, kamen auch bei ihnen bürgerliche Träume auf. Bei einer konkreten Überweisung sei es darum gegangen, Putin und dem Chef des Zwanzigsten Trusts den Aufenthalt in einem Fünfsternehotel in Finnland zu bezahlen, wo sie sich mit einem Architekten der Petersburger Stadtverwaltung getroffen und wahrscheinlich ihre Pläne für eine Reihe von Datschen erörtert hätten, erklärte ein ranghoher Polizeibeamter, der in dem Fall ermittelte. 105 »Alle Sowjetbürger träumen von einer Datscha«, meinte ein damaliger Geschäftspartner von Putin. 106 »Es hieß immer, dass es nicht nur wichtig sei, ein gutes Stück Land zu haben, sondern dass man auch die richtigen Nachbarn braucht.«

Das Grundstück, das Putin auswählte, um dort in Ruhe und Frieden die Wochenenden zu verbringen, lag ein Stück abseits einer Fernstraße, die sich von Sankt Petersburg Richtung Norden wand, zwischen den Wäldern und Seen von Karelien hindurch. In der Nähe der finnischen Grenze führte eine unbeschilderte Straße zu einer behaglichen Holzhäuseransammlung am Ufer des Komsomolskoje-Sees, der für seine hervorragenden Angelbedingungen bekannt war. Vor Putins Eintreffen war die Straße kaum mehr als ein Waldweg gewesen. Doch kurz nach der Ankunft der neuen Bewohner wurde sie asphaltiert und mit Beleuchtung versehen.

Die Dorfbewohner, die seit vielen Generationen friedlich auf dem begehrten Streifen Land am Seeufer gelebt hatten, sahen jetzt zu, wie neue, leistungsstärkere Stromleitungen verlegt wurden, von denen aber keine zu ihren Häusern führte. Stattdessen wurden sie einer nach dem anderen aufgefordert wegzuziehen und erhielten dafür entweder Geld oder fertige Neubauten weiter im Inland. Die mächtigen neuen Nachbarn setzten ausladende Holzhütten im finnischen Stil auf die großzügig bemessenen Grundstücke. Sie gründeten eine Gruppe, die später als die Osero-Datschengemeinschaft bekannt wurde, und beanspruchten das gesamte Ufer, von dem ihre früheren Nachbarn nun durch einen hohen neuen Zaun getrennt waren, für sich. Wenn die Neuankömmlinge Feste feierten, konnten die alten Bewohner die Feierlichkeiten und Feuerwerke nur von Weitem verfolgen. Sie wussten, dass Protest sinnlos war. »Meine Mutter hat mir eine einfache Wahrheit beigebracht: Kämpf nicht gegen die Starken, und verklage nicht die Reichen«, sagte einer von ihnen. 107 Die einzige frühere Bewohnerin, die versuchte, sich aufzulehnen, verlor ihren Prozess in allen Instanzen.

Die Männer, die mit Putin an den Komsomolskoje-See zogen, waren die Crème de la Crème seiner KGB-Bekannten. Die meisten von ihnen waren Anteilseigner der Bank Rossija, wie Jakunin, Fursenko und Kowaltschuk, und alle hatten Putin schon vor seiner Zeit in Sankt Petersburg kennengelernt. »Das waren Leute, die Putin schon früher nahestanden«, meinte ein ehemaliger Geschäftspartner Putins. 108 »Sie waren nicht aufgrund ihrer Arbeit oder ihrer Kenntnisse dort, sondern einfach nur, weil sie alte Freunde waren.«

Das war ein Prinzip, das später auf das ganze Land ausgedehnt wurde. Nach Putins Aufstieg zum Präsidenten übernahmen er und seine Verbündeten aus der Osero-Datschengemeinschaft Stück für Stück die strategisch wichtigen Wirtschaftssektoren und schufen ein eng verflochtenes Netz loyaler Kameraden – sozusagen Treuhänder –, die sich die größten Goldgruben des Landes sicherten und alle anderen ausschlossen. Die Bank Rossija sollte das Herz des Finanzimperiums hinter dieser Gruppe bilden, dessen Tentakel ganz Russland durchdrangen und auch weit bis in den Westen hinein reichten.

Diejenigen, die mit Putin im Petersburger Hafen und beim Ölterminal zusammengearbeitet hatten, begleiteten ihn auch, als er an die Macht kam. Das galt vor allem für Timtschenko, der zwei ehemaligen Geschäftspartnern zufolge zunächst als inoffizieller Schattenberater für Putin tätig war und dann zum größten Ölhändler des Landes aufstieg. Die Männer, die unter Trabers Aufsicht den Hafen kontrollierten, erhielten die ersten Führungspositionen beim staatlichen Gasgiganten Gazprom, als Putin anfing, die strategisch wichtigsten Wirtschaftsgüter des Landes zu übernehmen. Als er sich dann daran machte, westlich orientierten Oligarchen wie Michail Chodorkowski aus der Ölindustrie zu verdrängen, zählten Timtschenko und Akimow zu denjenigen, die am meisten davon profitierten.

Doch damals in den Neunzigerjahren, als sie gerade ihre ersten Schritte taten, war es schwer vorstellbar, dass ihr Weg jemals so weit nach oben führen würde. Die Mitglieder der Osero-Datschengemeinschaft blieben unter sich; sie wechselten kaum ein Wort mit den ehemaligen Nachbarn, die sie vom Seeufer vertrieben hatten. Nach Putins Umzug nach Moskau wurden die Wochenendbesuche dann aber immer seltener. Die neu gebauten Häuser standen plötzlich leer, wie Geister am Rand des Sees. »Es wurde ihnen zu klein hier. In Moskau hatten sie ganz andere Möglichkeiten«, sagte einer der Nachbarn. 109

*

Als Putin im Sommer 1996 plötzlich eine wichtige Position im Kreml in Moskau übernahm, erklärte einer der ranghohen KGB-Generäle, der seine berufliche Entwicklung in Sankt Petersburg die ganze Zeit über verfolgt hatte, seine Zufriedenheit mit seinem Schützling. »Er hat hier bei null angefangen«, meinte dieser General, Gennadi Belik, später zu einem Journalisten. »Natürlich hat er Fehler gemacht. Für ihn war das alles völlig neu. (…) Keine Fehler macht nur, wer nichts tut. Aber gegen Ende seiner Tätigkeit in Sankt Petersburg hatte Wladimir Wladimirowitsch enorm viel gelernt.« 110

Belik war ein Veteran des Auslandsgeheimdienstes und hatte in Sankt Petersburg ein Netz von Firmen beaufsichtigt, die mit Seltene-Erden-Metallen handelten. Er war eine Art Mentor für Putin gewesen, als der für die Wirtschaft der Stadt zuständig war, wenngleich Putin laut einem engen Verbündeten auch mit dem ehemaligen KGB-Chef Wladimir Krjutschkow in Kontakt geblieben war. 111 Doch obwohl Putins Leute einen Großteil der lokalen Wirtschaft kontrollierten, waren die Summen, die sie in Sankt Petersburg handhabten, im Vergleich zu jenen, mit denen die jungen, westlich orientierten Tycoons wie Chodorkowski in Moskau zu tun hatten, eher gering. Sankt Petersburg war weit weg, als die neuen Oligarchen der Jelzin-Ära das Industrievermögen des Landes unter sich aufteilten.

Viele der Petersburger KGB-Mitglieder hielten die Geschehnisse in Moskau für den Untergang des russischen Staates. Wladimir Jakunin beispielsweise war der Ansicht, dass eine verschworene Truppe aus korrupten Parteibonzen und Männern wie Chodorkowski, die er als »Kriminelle« bezeichnete, das Land in ihre Gewalt brachte. 112 Jelzin betrachteten diese KGB-Leute als einen betrunkenen Clown, einen mittelrangigen Funktionär der Kommunistischen Partei, der nach der Pfeife des Westens tanzte und die strategisch wichtigen Güter nun für einen Apfel und ein Ei an eine korrupte Bande habgieriger Geschäftsleute verscherbelte. »Menschen hatten ihr Leben gelassen. Sie hatten ihrem Land aufrichtig gedient und sich in Gefahr gebracht. Aber alles, was sie dafür bekamen, war ein ausgestreckter Mittelfinger von einem besoffenen Bastard, der darüber hinaus auch noch kaum fähiger war als jeder Dorfvorsitzende der Kommunistischen Partei«, urteilte ein ehemaliges KGB-Mitglied, das in Sankt Petersburg mit Putin zusammenarbeitete. 113

Obwohl es damals sehr unwahrscheinlich schien, war Putins Umzug nach Moskau der erste Schritt in Richtung eines Wandels. Seine Beförderung ereignete sich zu einer Zeit, in der er aller Logik nach eigentlich aus dem Spiel hätte sein müssen. Im Sommer 1996 hatte Anatoli Sobtschak gerade die Wiederwahl zum Bürgermeister von Sankt Petersburg verloren. Dafür war zum Teil auch Putin, sein Wahlkampfmanager, verantwortlich. Sobtschak unterlag um Haaresbreite – ihn trennten 1,2 Prozent vom Sieg. Das entsprach, wie seine Witwe Ljudmila Narussowa später sagte, den Bewohnern eines großen Wohnblocks. Es gab Gerüchte, dass Sobtschaks Niederlage von Jelzin organisiert worden sei, weil er sich seiner entledigen wollte, da der extravagante und charismatische Sobtschak eine Bedrohung für Jelzin im Kampf um seine eigene Wiederwahl zum Präsidenten wenige Monate später dargestellt hätte. Narussowa war davon überzeugt: »Er war zu unabhängig geworden. Jelzin betrachtete ihn als Rivalen und erteilte deshalb den Befehl, die Wahlen zu manipulieren.« 114 Sobtschak hatte sich schon vor Beginn des Wahlkampfs gegen Bestechungsvorwürfe wehren müssen. Viele glaubten, dass es sich dabei um eine Schmutzkampagne der alten Sicherheitskräfte rund um Jelzin handelte. 115

Die Vorwürfe hatten mit Sicherheit einen Einfluss auf den Ausgang der Wahl, und Putin trat nach der Niederlage sofort von seinem Amt in der Stadtverwaltung zurück. Die Spindoktoren des Kreml betonen in der offiziellen Erzählung über Putins Leben stets, wie sehr dieser Schritt seine Loyalität Sobtschak gegenüber beweise und dass er aufgrund seiner Prinzipien riskiert habe, arbeitslos zu sein. Aber in Wahrheit dauerte es nicht einmal einen Monat, bis Putin nach Moskau berufen wurde, ursprünglich, um dort den renommierten Posten des stellvertretenden Leiters der Präsidialverwaltung zu übernehmen. Das hatte er unter anderem Alexej Bolschakow zu verdanken, einem Urgestein aus dem Leningrader Verteidigungssektor, der höchstwahrscheinlich auch beim KGB aktiv war und jetzt irgendwie erreicht hatte, dass Jelzin ihn zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt hatte.

Obwohl Putins Ernennung unerwarteterweise von Anatoli Tschubais blockiert wurde, dem westlich orientierten Privatisierungszar, den Jelzin zum neuen Chef der Präsidialverwaltung gemacht hatte, ließ man ihn nicht fallen. Stattdessen trug man ihm die Leitung der berühmten Auslandsliegenschaftsverwaltung des Kreml an, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Kontrolle über den überaus umfangreichen Besitzstand des Reiches im Ausland zukam. Dazu zählten die herrschaftlichen Handelsvertretungen und Botschaften sowie eine Vielzahl an Militärbasen und anderer militärischer Einrichtungen, geheim oder nicht, und obwohl nicht wenige dieser Besitztümer bereits einfach aus den Büchern verschwunden waren, stellte das, war noch da war, weiterhin ein strategisches Herzstück des imperialen Reichtums dar. Für Putin war die Beförderung daher durchaus prestigeträchtig.

Es war der Auftakt zu einem schwindelerregenden Aufstieg. Nur sieben Monate nach seinem Umzug nach Moskau wurde Putin erneut befördert. Zuerst ernannte man ihn zum Leiter des Hauptkontrollamts, einem zentralen Machtzentrum des Kreml, wo er sicherzustellen hatte, dass die Anordnungen des Präsidenten auch in den schwer zu bändigenden Regionen des Landes umgesetzt wurden. »Sie haben Putin nicht einfach von der Straße eingestellt«, sagte ein enger Verbündeter. »Er war in Moskau als Berater Sobtschaks bekannt, als einflussreicher Mann in Sankt Petersburg. (…) Ich glaube, der Wechsel war geplant.« 116 Ein Jahr später stieg Putin dann zum ersten Stellvertreter des Leiters der Präsidialverwaltung auf und war als solcher für die Regionen zuständig – es war die drittmächtigste Position im Kreml hinter dem Präsidenten. Nach nur drei Monaten auf diesem Posten wurde er zum Chef der KGB-Nachfolgeorganisation FSB berufen. Zu der Zeit war Putin nur Oberstleutnant, und der FSB war noch nie von jemandem geleitet worden, der kein General war. Die FSB-Generäle seien entsetzt gewesen, heißt es, aber Putins Verbündete bestanden darauf, dass sein Status als erster Stellvertreter in der Präsidialverwaltung ihm einen Rang verlieh, der dem eines Generals gleichzusetzen sei – eben nur auf ziviler Ebene, sagten sie. 117

Jelzins Schwiegersohn Walentin Jumaschew, ein gutmütiger ehemaliger Journalist, der mittlerweile zum Leiter von Jelzins Präsidialverwaltung aufgestiegen war, beharrte darauf, dass Putins wundersamer Aufstieg auf seine herausragenden Fähigkeiten zurückzuführen war. »Er war einer meiner stärksten Stellvertreter«, erzählte er mir. »Seine Arbeit war immer brillant. Er formulierte seine Ansichten präzise. Er analysierte Situationen präzise. Ich war immer froh, einen solchen Stellvertreter zu haben.« 118 Doch andere, die Putin in Sankt Petersburg gekannt hatten, empfanden dessen Karrieresprung als eher surreal. Einige seiner ehemaligen Geschäftspartner überlegten, ob dahinter die KGB-Generäle stecken könnten, die Putin von Anfang an gefördert hatten. »Man könnte schon überlegen, ob seine Aufgabe zunächst lautete, die demokratische Gemeinschaft durch die Arbeit für Sobtschak zu infiltrieren«, meinte einer. Hatte Putin dazu beigetragen, dass Sobtschak die Wahl verlor, nachdem er für überflüssig befunden wurde? »Es ist absolut denkbar, dass Putin auf Weisung des Kreml handelte und nach Erfüllung seiner Mission dorthin versetzt und mit wichtigen Ämtern betraut wurde«, sagte der ehemalige Geschäftspartner. »Wenn man das Ganze als Spezialauftrag betrachtet, um Sobtschak als Rivalen aus dem Weg zu räumen, ergibt alles einen Sinn.« 119 Andere hingegen argumentierten, dass Sobtschak in Sankt Petersburg ohnehin zunehmend umstritten gewesen sei, vor allem wegen seiner Arroganz, die ihm viele übelnahmen. Es hatte nicht viel gebraucht, um seine Bemühungen um eine Wiederwahl vor die Wand zu fahren.

Wie auch immer er dorthin gekommen war, sobald Putin die Stelle als FSB-Chef angetreten hatte, fing er an, die Makel aus seiner Petersburger Vergangenheit auszumerzen. Einer seiner größten Feinde aus jener Zeit war Juri Schutow, ein ehemaliger Stellvertreter Sobtschaks, der mit Putin aneinandergeraten war und kompromittierendes Material über ihn gesammelt hatte – zu den Öl-gegen-Lebensmittel-Geschäften, der Privatisierung des städtischen Eigentums und Putins Verbindungen zur Tambow-Mafia. Kurz nach Putins Ernennung wurde Schutow mit vorgehaltener Waffe verhaftet. Er galt schon seit Langem als überaus umstritten, und es gab viele Gerüchte über seine Beziehungen zur Petersburger Unterwelt. Aber als Putin die Leitung des FSB übernahm, wurde aus den Mutmaßungen eine Anklage. Schutow wurde vorgeworfen, vier Morde und zwei Mordversuche in Auftrag gegeben zu haben. Obwohl ihn ein Amtsgericht kurzzeitig freisprach, weil es der Ansicht war, dass es keine Grundlage für ein Strafverfahren gebe, wurde Schutow direkt im Anschluss wieder verhaftet und in Russlands härteste Strafkolonie geschickt, die tief in Sibirien lag, in Perm, und unter dem Namen Belij Lebed, »Weißer Schwan«, bekannt war. Von dort kehrte er nie wieder zurück. Das Material, das er über Putins Verbindungen zur Tambow-Mafia gesammelt hatte, sei einfach verschwunden, sagte Andrej Kortschagin, ein ehemaliger Mitarbeiter der Stadt, der Schutow gut gekannt hatte: »Er war Russlands erster und einziger echter politischer Gefangener.« 120

Ein noch verstörenderes Omen folgte nur vier Monate nach Putins Ernennung zum FSB-Chef. Galina Starowoitowa, die stämmige, tweedtragende Menschenrechtsaktivistin mit dem seidigen braunen Haar, bei der Putin sich nach seiner Rückkehr aus Dresden in Leningrad nach einem Job erkundigt hatte, wurde eines späten Novemberabends 1998 im Treppenhaus ihres Mietshauses erschossen. Sie war mittlerweile die führende Demokratin in Sankt Petersburg und die lauteste Stimme gegen die Korruption. Nach ihrem Tod verfiel die Stadt in tiefe Trauer, und das ganze Land stand unter Schock. Viele Beobachter zogen eine Verbindung zwischen dem Mord und den Spannungen, die rund um die im folgenden Monat anstehende Wahl des Lokalparlaments entstanden waren. Aber einer von Starowoitowas ehemaligen Mitarbeitern, Ruslan Linkow, der zum Zeitpunkt der Schüsse bei ihr gewesen, aber irgendwie mit dem Leben davongekommen war, glaubte, dass sie wegen ihrer Korruptionsermittlungen ermordet worden sei. 121 Eine ihrer besten Freundinnen, Waleria Nowodworskaja, ebenfalls eine führende Demokratin, war überzeugt, dass die Petersburger Sicherheitsbehörden Starowoitowas Tod angeordnet hatten: »Es war völlig klar, dass sie dahintersteckten. Sie führten den Killern die Hand.« 122

Ein ehemaliger Geschäftspartner von Ilja Traber sagte, die größte Bedrohung für Starowoitowa dürfte von den silowiki ausgegangen sein, die den Hafen, die Schiffsflotte und das Ölterminal kontrollierten: »Sie hatte ein Dossier über die Leute angelegt, die das Ölgeschäft in Sankt Petersburg in der Hand hatten. Davon hat Traber mir erzählt. Er fragte: ›Warum zum Teufel befasst sie sich jetzt mit dem Ölgeschäft?‹ Deshalb musste sie sterben.« 123 Später erzählte mir ein ehemaliger FSB-Agent, der in dem Fall ermittelt hatte, dass er tatsächlich von einer Tat der Tambow-Mafia ausging: »Wir erkannten, dass wir in dem Fall niemals weiterkommen würden.« 124

Die Ereignisse, die Putins Aufstieg begleiteten, waren unheilvoll. Aber das Land raste auf eine neue Finanzkrise zu, und so gingen die Warnsignale offenbar unter. Jelzins Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends, und wenn man der Aussage von mindestens einer Person Glauben schenkt, bereiteten die alten KGB-Generäle ihre Rückkehr vor. Eines Abends kurz nach dem Finanzcrash im August 1998, der die russische Wirtschaft in die Knie zwang, traf sich eine kleine Gruppe von KGB-Agenten mit einem Amerikaner zu einem privaten Abendessen in Moskau. Unter ihnen waren der ehemalige KGB-Chef Wladimir Krjutschkow, Robert Eringer, der einst als Sicherheitsberater in Monaco, aber auch kurz als Informant für das FBI tätig gewesen war, und Igor Prelin, ein Mitarbeiter Krjutschkows und einstiger Dozent Putins am Rotbanner-Institut des Geheimdienstes. Laut Eringer erklärte Prelin den restlichen Anwesenden, dass der KGB schon bald an die Macht zurückkehren würde: »Er sagte: ›Wir kennen da jemanden. Ihr habt noch nie von ihm gehört. Wir verraten euch nicht, um wen es geht, aber er ist einer von uns, und wenn er Präsident wird, sind wir wieder im Spiel.‹« 125