Kapitel 20
IN DIESEM KAPITEL
Die Lösungsfokussierung im Classroom Management betont die Identifizierung und Stärkung positiver Verhaltensweisen, anstatt sich ausschließlich auf die Korrektur von Fehlverhalten zu konzentrieren. Durch lösungsfokussierte Methoden können Lehrkräfte ein unterstützendes Lernumfeld schaffen. Präventive Ansätze im Classroom Management zielen darauf ab, potenzielle Probleme im Voraus zu erkennen und zu verhindern. Diese Ansätze beinhalten die Implementierung klarer Konzepte, um die demokratische Mitwirkung von Schülern (Partizipation) zu ermöglichen.
Das Spektrum an Entscheidungen im Kontext von Classroom Management reicht von unterrichtsnahen (eher »handwerklichen«) Maßnahmen hin zu beziehungsrelevanten Vorgehensweisen im unmittelbaren Umgang mit den Schülern, Kollegen und Eltern. Als Lehrkraft treffen Sie Entscheidungen über Unterrichtsinhalte, Methoden, Aufgaben und Ziele, über Regeln und die jeweiligen Konsequenzen bei Nichteinhalten, über Aufmerksamkeit oder Ignorieren, über Ansprechen oder Schweigen und vieles mehr.
Untersuchungen zufolge treffen Lehrkräfte allein in einer Unterrichtsstunde rund 200 Entscheidungen (teilweise sogar mehr). Viele davon routiniert, andere spontan (auf alles können Sie beim besten Willen nicht vorbereitet sein), die einen überzeugt, die anderen mit einem inneren Fragezeichen. Und viele Entscheidungen bringen nur situative Lösungen, so zum Beispiel, wenn Sie im Unterricht eine Störung unterbinden, sich daran aber noch das persönliche Gespräch mit Schüler und bei Bedarf mit Eltern anschließt. Was sich im Laufe eines Unterrichtsvormittags abspielt, erfordert eine hohe Flexibilität bei gleichzeitiger Routine.
Damit Sie unter diesen Bedingungen gesund bleiben, ist ein positives Mindset genauso wichtig wie die Fähigkeit, die eigene Rolle im Kontext der vielen Aufgabenfelder regelmäßig zu reflektieren und sich immer wieder neu auf die unterschiedlichen Situationen auszurichten.
Systemische Impulse und Interventionen wollen helfen, festgefahrene Situationen als lösbar wahrzunehmen und neue Sichtweisen auf alte Probleme zu gewinnen.
Mit der »Klaro!«-Methode finden Sie im Gespräch in einen zielführenden Austausch mit dem Schüler. In fünf klaren und überschaubaren Schritten (siehe Abbildung 20.1) wird der Schüler befähigt, sein Problem zu überwinden und ein (gemeinsam) formuliertes Ziel zu erreichen. Der Blick ist auf Lösungen und Ressourcen konzentriert.
Abbildung 20.1: Die fünf Schritte der »Klaro!«-Methode
Am Anfang steht ein Problem. Wie kommen Sie vom Problem zu einer Lösung? Wie können Sie ein Kind oder einen Jugendlichen darin unterstützen, ein unerwünschtes (störendes) Verhalten in ein erwünschtes Verhalten zu verändern?
Unerwünschtes Verhalten muss nicht zwangsläufig von Ihnen als Lehrkraft deklariert werden. Unerwünscht oder störend kann auch bedeuten, dass der Schüler von sich aus etwas verändern möchte, weil er einen gewissen Leidensdruck durch ein Problem hat. Das kann die Aufregung vor Klassenarbeiten sein (wenn der Kopf einfach keinen Zugriff auf das Wissen ermöglicht) oder der Wunsch, sich besser zu organisieren. Je nach Altersstufe werden Sie hier anderen Problemen und Herausforderungen begegnen.
Ein wesentlicher Aspekt der Veränderungsarbeit beginnt mit der Ausrichtung auf die Lösung und das damit verbundene Ziel. Im Sinne des systemischen Denkens und Handelns ist die Arbeit mit dem Konzept Klaro! lösungsfokussiert und ressourcenorientiert.
Dieser Ansatz zur Veränderung stärkt das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeit. Durch den Fokus auf die Lösung werden beim Kind, beim Jugendlichen Potenziale dafür aktiviert. Bleibt man zu lange beim Problem (Was könnten Ursachen des Nägelkauens sein? Wie lange geht das schon?), kann das schwächen und problemverstärkend wirken. Wenn Sie vorwärtskommen wollen, ist der anhaltende Blick in den Rückspiegel nicht zielführend.
Die Veränderung (Lösung) wird durch eine stimmige Formulierung des Ziels angebahnt. Dabei ist es wichtig, das Ziel positiv zu formulieren. Positiv formulierte Ziele sind Annäherungsziele. Annäherungsziele aktivieren die Hirnregionen und Botenstoffe, die zur Lösungsfindung und für die Motivation hilfreich sind.
Steht das Ziel, kann der Veränderungsprozess in Richtung Lösung losgehen. Ihre Rolle bei der Zielformulierung ist wichtig, denn hier braucht der Schüler Unterstützung. Es gibt eine Reihe von Schlüsselwörtern, die die Kriterien für wohldefinierte Ziele erfüllen und Fähigkeiten sichtbar machen (Hegemann und Dissertori Psenner, 2020):
Welche Fähigkeiten braucht die Person, um dieses Ziel zu erreichen? Durch diese Ausrichtung beginnt die Suche nach Eigenschaften, die »verfähigt« werden. Damit ist gemeint, Eigenschaften zu finden, die als Ressourcen für die Lösung dienen und die Person zur Veränderung befähigen. Mit dem Blick auf verschiedene Möglichkeiten erkennt der Schüler, dass die Veränderung erreichbar wird. Wer Möglichkeiten hat, erlebt Zuversicht und kann mit dieser Kraft in Richtung konkrete Umsetzung gehen.
Wer immer dasselbe tut, wird auch immer dasselbe Ergebnis erhalten. Wer etwas anderes haben möchte, muss dafür etwas anders machen. Die Entscheidung für eine konkrete Veränderung braucht ein inneres Commitment (Verbindlichkeit). Nach dem Blick auf die Möglichkeiten und dem Wissen um hilfreiche Eigenschaften für das gesetzte Ziel wählt der Schüler in Schritt 3 aus, welche neue Eigenschaft und damit welche konkrete Veränderung er umsetzt. Hier wird auch ein verbindlicher Zeitrahmen festgelegt, wann der Auftrag an sich selbst in einem weiteren Gespräch überprüft wird.
Jetzt heißt es, ins Tun kommen. Die neue Eigenschaft, die Veränderung muss trainiert werden, damit sie zu einer erfolgreichen neuen Gewohnheit wird. Vielleicht ist es hilfreich, dass der Schüler (je nach Alter) sich Unterstützer sucht, die ihm beim Üben helfen. Das kann in Form von Ermutigung sein (Klaro, schaffst du das!) oder auch in Form von Erinnerung (Du wolltest doch ab jetzt ...).
Nachdem die neue zielführende Eigenschaft eine gewisse Weile trainiert wurde, wird der Schüler Erfahrungen sammeln, was sich dadurch verändert. In einem erneuten Gespräch mit Ihnen als Lehrkraft berichtet der Schüler über seinen Weg der Veränderungen. Hier erfolgt zuerst der Blick auf das Gelingen. Was genau hat bisher gut geklappt? Wie hat sich das ausgewirkt? Welche positive Ernte fährt der Schüler durch seine Veränderung ein? Auch Wahrnehmungen Ihrerseits finden hier ihren Platz. Der Abgleich von Selbst- und Fremdbild hilft und bestärkt. Gibt es noch Hürden oder Stolpersteine? Manchmal tauchen im Tun plötzlich neue Herausforderungen auf, die dann zu neuen (Zwischen-)Zielen führen.
Kommt Ihnen das bekannt vor?
So oder so ähnlich kann eine alltägliche Unterrichtsstunde aussehen. Neben dem eigentlichen Unterrichtsthema tragen die Schüler unterschiedliche Anliegen und Befindlichkeiten an Sie heran. Die gute Nachricht: Sie sind für die Anliegenklärung und die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht allein verantwortlich. Das bedeutet, es gibt hilfreiche Instanzen, die zum erweiterten Classroom Management zählen. Dazu gehören schulisch fest implementierte Konzepte und Programme, die die Schüler in ihrer Eigenverantwortung stärken und zu kooperativen Lösungen anregen.
Die Programme und Konzepte dienen dazu, Probleme aus dem Unterricht auszulagern, sodass der Unterricht im Fluss bleibt. Gleichzeitig werden die Probleme nicht ignoriert, denn sie finden an geeigneter Stelle angemessen Raum. Sind diese Strukturen etabliert, so erleichtern sie das Miteinander im Alltag und bieten verlässliche Unterstützungsangebote für die persönliche Entwicklung zu mündigen und konfliktfähigen Menschen.
Die erfolgreiche Teilhabe an der Gesellschaft setzt neben fachlichen Qualifikationen auch soziale und emotionale Kompetenzen voraus. Soziale und emotionale Kompetenz zeigt sich darin, wie eine Person mit sich selbst und mit anderen umgeht. Für den Abgleich eigener und fremder Bedürfnisse, Motive und Wünsche und für eine angemessene Reaktion auf die subjektiven Unterschiedlichkeiten braucht es soziale und emotionale Kompetenzen. Dazu gehören die Fähigkeit der Selbstreflexion, emotionale Selbststeuerung und Konfliktlösestrategien.
Inwieweit eine Person sozial und emotional kompetent ist, zeigt sich in der Art, wie sie mit sich und anderen interagiert:
Die Balance zwischen Anpassung und Durchsetzung ermöglicht soziale und emotionale Kompetenzen. Zu viel Anpassung kann zu Selbstverleugnung führen, zu viel Durchsetzung hingegen zur Legitimation von Gewalt.
Prävention ist eine gemeinsame Aufgabe von Schulleitung und Kollegium und gehört daher stimmig in ein schulisches Gesamtkonzept eingebunden (siehe Abbildung 20.2). Die Schulen können eigene Profile und Schwerpunkte entwickeln und gezielte (altersspezifische) Maßnahmen in den Jahrgangsstufen platzieren. Häufig lässt sich die Schulsozialarbeit integrieren. Auch werden außerschulische Experten zu bestimmten Themen hinzugezogen (Experten von der Polizei, aus der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, dem Gesundheitswesen, Suchtberatungsstellen, schulpsychologische Beratungsstellen etc.).
Alle Konzepte und Maßnahmen in diesem Verständnis machen Schule für Schüler (und auch für Lehrkräfte und Eltern) als Einheit erfahrbar. Das wirkt Anonymität entgegen.
Abbildung 20.2: Sozial-emotionales Lernen als gemeinsame Aufgabe
Die Kernaussage der Selbstbestimmungstheorie betont das natürliche Streben des Menschen nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit. Die Theorie betont, dass die Befriedigung dieser psychologischen Bedürfnisse entscheidend für das persönliche Wohlbefinden, die Motivation und das langfristige Engagement in Aktivitäten ist. (Die Selbstbestimmungstheorie nach Ryan und Deci beschreibe ich ausführlich in Kapitel 14 Vom Wert der Motivation.)
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche einzubinden und sie durch Partizipation und demokratische Prozesse in ihren persönlichen Entwicklungsprozessen zu unterstützen. In der Schule gibt es viele Möglichkeiten hierfür.
Sozial-emotionales Lernen kann nicht als Wissen gelehrt werden, es ist als Prozess der Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen und wird durch Erfahrungen geprägt und gefestigt. Diese Persönlichkeitsentwicklung benötigt Raum und Unterstützung und sie braucht positive Modelle.
Bestimmte Konflikte können sehr gut auf Schülerebene geklärt werden. In Schulen übernehmen Streitschlichter (auch Konfliktlotsen genannt) dafür die Rolle eines Mediators.
Eine erfolgreiche Implementierung des Konzepts durchläuft vorab die Instanzen der Gesamtlehrerkonferenz sowie der Schulkonferenz. Die Einbindung und Information der Eltern in die Zielsetzungen sind von großer Bedeutung, damit das Angebot auf fruchtbaren Boden fällt.
Die Ausbildung zum Streitschlichter kann von der Schule selbst initiiert werden. Ein Team von Lehrkräften (ein Team um die Verbindungslehrkraft) in Kooperation mit der Schulsozialarbeit durchlaufen selbst eine Ausbildung und sind anschließend in der Lage, die Ausbildung der Streitschlichter an der eigenen Schule anzubieten.
Um Streitschlichter zu werden, können sich Schüler einerseits bewerben und sie können andererseits von Lehrkräften vorgeschlagen werden. Die Befähigung, zwischen Streitparteien unparteiisch zu vermitteln, setzt eine qualifizierende Ausbildung voraus. Streitschlichter durchlaufen daher ein Training aus mehreren Modulen und werden auf ihre Aufgabe systematisch vorbereitet. Für die Qualifizierung können Sie beispielsweise mit einem Zeitraum von zehn Wochen rechnen bei jeweils zwei Schulstunden. Die Schüler erhalten dafür eine offizielle Bescheinigung und werden in ihr Amt ernannt. Das wird auch in der Schule kommuniziert. Das bedeutet, die Streitschlichter machen sich sichtbar. Sie stellen sich in den Klassen vor, es gibt eine Infotafel und es gibt einen Raum, in dem die Streitschlichtung ungestört stattfindet.
Das Training folgt einem klaren Leitfaden und umfasst Inhalte wie
Die notwendigen Streitschlichtungs-Kompetenzen werden kontinuierlich reflektiert und über Rollenspiele und Selbsterfahrung eingeübt und gefestigt.
Das Angebot ist stets freiwillig. Niemand kann gegen seinen Willen zur Streitschlichtung gezwungen werden. Meine Erfahrung ist, dass das Angebot von den Kindern und Jugendlichen dann gut angenommen wird, wenn den Schülern der Mehrwert transparent kommuniziert wird. Lehrkräfte unterstützen das Konzept nach außen hin, indem sie die Schüler ermutigen, die Streitschlichter in Anspruch zu nehmen. Das bedeutet, dass das Konzept in den Köpfen der Lehrkräfte als feste Instanz verankert sein muss.
Vorteile eines Streitschlichterkonzepts an der Schule:
Nicht alle Schüler können oder wollen Lösungsangebote von Peers annehmen. So gibt es auch Schüler, die bewusst auf die Kompetenz einer Autoritätsperson setzen und wenig Vertrauen in die Mediation durch ihre Mitschüler haben.
Soll ein Konflikt mithilfe der Streitschlichtung geklärt werden, melden die Streitparteien ihr Anliegen an und vereinbaren einen Termin mit den Streitschlichtern. Die Lehrkraft erhält Kenntnis und muss dem Termin zustimmen, wenn keine wichtigen Gründe dagegensprechen.
Die Streitschlichter treten zu zweit in Aktion. Dazu formieren sich aus den Reihen der Streitschlichter Jahrgangsteams. Damit wird den unterschiedlichen Altersgruppen Rechnung getragen, sodass beispielsweise Fünftklässler keinen Konflikt aus den höheren Klassen begleiten und klären müssen. Da würden sich vermutlich alle Parteien unwohl fühlen.
Die streitenden Parteien kommen freiwillig und stimmen den Gesprächsregeln und der Protokollierung zu. Alle kommen zu Wort, die Beteiligten sprechen in Ich-Botschaften; Beleidigungen und jegliches Verhalten, das die Klärung behindert, sind zu unterlassen und werden von den Streitschlichtern angemerkt und dementsprechend umgelenkt (siehe Tabelle 20.1).
1. Vorstellung |
Rolle der Schlichter transparent machen und beschreiben |
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2. Einleitung |
Schlichtungsziel Regeln der Kommunikation Alle Seiten kommen zu Wort Schlichter fassen zusammen Fragen klären Anfang auslosen |
3. Standpunkte |
Austausch der Standpunkte und Perspektiven Wiederholung der anderen Meinungen Bei Bedarf Einzelgespräch führen |
4. Lösungen |
Lösungen sammeln Lösungen abwägen und priorisieren Kompromiss formulieren Offene Fragen klären |
5. Abschluss |
Für Kooperation bedanken Protokoll abheften (offiziell ablegen, beispielsweise in einem separaten Fach im Sekretariat oder bei der Schulsozialarbeit), Notizen vernichten Bei Bedarf weiteren Termin vereinbaren, um Vereinbarungen zu überprüfen |
Tabelle 20.1: Der Ablauf einer Streitschlichtung
Ein weiterer Ansatz aus dem erweiterten Classroom Management ist das Trainingsraum-Programm oder auch Arizona-Modell genannt. Getragen von Schulleitung und dem gesamten Kollegium einer Schule dient das Programm allen – Schülern wie Lehrkräften.
Unterrichtsstörungen zeigen sich in vielerlei Gestalt. (Siehe dazu auch Kapitel 18 Das weite Feld der Unterrichtsstörungen.) Trotz Ermahnung der Lehrkraft kommt es vor, dass Schüler ihr vordergründig störendes Verhalten nicht angemessen regulieren können und damit den Verlauf des Unterrichts für sich selbst und die ganze Lerngruppe blockieren. Es gelingt also nicht jedem Schüler in gleichem Maße, das aktuelle Erleben situativ angemessen zu steuern. Das muss nicht immer mangelnde Selbstkontrolle oder böse Absicht sein. Es gibt auch emotionales Erleben, das Lernen unmöglich macht, wie zum Beispiel Angst, Trauer oder Schmerz.
Das Trainingsraum-Programm vereint im Wesentlichen zwei Ziele:
Für den Unterricht gelten folgende drei Regeln. Sie betonen dabei die Rechte der am Unterricht Beteiligten:
Diese drei Regeln umfassen viele Unterregeln und verallgemeinern auf das Wesentliche. Für jüngere Schüler müssen Sie die abstrakte Formulierung ungestört lernen und ungestört unterrichten selbstverständlich konkretisieren.
Das Programm stärkt die Eigenverantwortung, indem Schüler bei Störungen mit ihrem Verhalten wertfrei und respektvoll konfrontiert werden. Die erste Ermahnreaktion spiegelt dem Schüler das eigene Verhalten und gibt ihm so die Möglichkeit einer Verhaltenskorrektur. Die Schüler werden direkt angesprochen und darauf aufmerksam gemacht, dass sie mit ihrem Verhalten gegen die Regeln verstoßen. Jetzt entscheidet sich der Schüler entweder für den Verbleib in der Klasse und passt sein Verhalten entsprechend an. Wird ein Schüler im weiteren Verlauf ein zweites Mal ermahnt, schickt die Lehrkraft den Schüler in den Trainingsraum.
Entscheidet sich der Schüler bei der ersten Ermahnung der Lehrkraft für den Trainingsraum (weil er im Moment nicht einlenken kann oder will), verlässt er die Klasse.
Schüler, die den Trainingsraum aufsuchen (müssen), erhalten ein Protokoll, in dem zu lesen ist, was im Unterricht vorgefallen ist. Im Trainingsraum trifft der Schüler auf eine Aufsicht führende Lehrkraft, übergibt ihr das Protokoll und erhält dann einen Rückkehrplan ausgehändigt. In einer emotional neutralen Atmosphäre vermerkt der Schüler, wie er seine Rückkehr in den Unterricht und in die Klasse sichert. Er muss also darlegen, wie er es verhindert, erneut in so einer Situation zu landen, welche konkreten Maßnahmen er umsetzt, um sein Ziel zu erreichen, und in welcher Weise er künftig rücksichtsvoller handelt, um die Rechte anderer zu respektieren.
Der Rückkehrplan wird mit der betreuenden Lehrkraft besprochen und diese gibt grünes Licht für die Rückkehr. Mit dem bestätigten Rückkehrplan geht der Schüler zurück in den Unterricht, übergibt den Plan der Lehrkraft und nimmt wieder am Unterricht teil. Sein Rückkehrplan wird zu einem passenden Zeitpunkt mit ihm besprochen.
Schüler werden mit dem Trainingsraum-Programm darin unterstützt, verantwortlich zu handeln. Die Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen, sich den Regeln einer Gruppe unterzuordnen, wird gefördert. Der klare Ablauf entlastet die Lehrkraft im Unterricht unmittelbar, weil Endlosschleifen aus Ermahnung und Rechtfertigung der Boden entzogen wird.
Das Programm muss gegenüber den Eltern gut kommuniziert werden, sodass diese das Konzept und die Intention dahinter verstehen. Auch damit verbundene Verfahrensabläufe müssen transparent gemacht werden. Schüler, die wiederholt im Trainingsraum aufschlagen, erhalten eine Elternnotiz und bei Bedarf eine Einladung zum gemeinsamen Gespräch. So bleibt das Verhalten des Kindes nicht anonym, der Erziehungspartnerschaft Schule-Eltern wird Rechnung getragen.
Unterrichtsstörungen geben häufig Anlass für Vorwürfe und Enttäuschungen und damit lösen sie bei Schülern und Lehrkräften mitunter heftige Emotionen aus. Durch die Versachlichung der Störung und die Abgabe der Verantwortung an die Schüler erfahren Schüler und Lehrkräfte unmittelbar Entlastung im Unterricht. Das Programm wurde an unterschiedlichen Stellen untersucht. Deutlich wird in den Ergebnissen, dass die lernbereiten Schüler angaben, vom Trainingsraum zu profitieren. Auch störende Schüler meldeten zurück, dass sie die Auszeit als insgesamt positiv einschätzen.
Die Aufsicht im Trainingsraum muss vom Deputat her gestemmt oder am besten kostenneutral umgesetzt werden. Wer vom Programm überzeugt ist, wird sich leicht(er) für eine Stunde Mehrarbeit engagieren können. Wenn Sie sich als kleines Team zusammentun, können Sie sich gegenseitig Auszeit für Ihre Schüler ermöglichen. An meiner ersten Schule waren wir eine Handvoll Lehrkräfte, die gegenseitig die Schüler in Auszeit aufnahmen. Wir legten unsere Stundenpläne übereinander und deklarierten, wann wir wo zu finden waren und Schüler aufnehmen konnten. Die drei Regeln wurden thematisiert und das Konzept kommuniziert. Die Schüler erkannten schnell, dass es ihnen dienen würde, und wir hatten Entlastung im Unterricht.
Auf Klassenebene gibt es die Möglichkeit, mit dem Klassenrat die Beziehung innerhalb einer Klasse zu stärken und gleichzeitig ein Verständnis für demokratische Prozesse zu etablieren.
Im geschützten Rahmen der eigenen Klasse wird das eigenverantwortliche Handeln der Schüler unterstützt und aktiv eingefordert. Anliegen der Schüler, die sich im Laufe einer Schulwoche (oder auch zwei Schulwochen) anstauen, werden gezielt im Klassenrat eingebracht. Im Rahmen einer demokratisch angelegten Struktur entscheiden die Schüler, welche Anliegen in welcher Priorität Gehör finden und geregelt werden.
Im Klassenrat sind alle Beteiligten zunächst gleichrangig. Die Lehrkraft oder Klassenleitung reiht sich mit den Schülern ein und ist ebenbürtig stimmberechtigt. Die Leitung des Klassenrats wird an drei Schüler delegiert:
Es empfiehlt sich, die Aufgaben der drei Ämter zunächst transparent zu machen. Auch ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass jede dieser drei Personen gleichermaßen wichtig ist.
Sie können die Schüler Empfehlungen aussprechen lassen, wen sie in den einzelnen Ämtern sehen (wollen). Das können Sie anonym über Stimmzettel organisieren. Alternativ können Sie auch um eine Bewerbung für das jeweilige Amt bitten und die Schüler stellen ihr Interesse am Amt mit einer kleinen persönlichen Begründung und der persönlichen Eignung vor. Anschließend wählen die Schüler dann ihre Leitung. Natürlich können Sie als Lehrkraft auch selbst Vorschläge einbringen und Schüler gezielt ermuntern, sich zu beteiligen und zu engagieren.
Es kann hilfreich sein, eine Probezeit zu vereinbaren. Schüler, die ihrem Amt nicht gerecht werden, können Sie so leichter wieder aus ihrem Amt entbinden. Sollten sehr viele Schüler Interesse an den Aufgaben haben, können Sie die Ämter auch für jeweils ein Schulhalbjahr zuweisen.
Im Klassenrat findet ein breites Spektrum an Themen und Anliegen Raum. Schülerkonflikte oder Unzufriedenheiten mit organisatorischen Abläufen finden hier ebenso Gehör wie Verbesserungsideen für bestehende Strukturen. Themen, die einzelne oder einen Teil der Klassen betreffen, sowie Themen, die die Klasse als Ganzes betreffen.
Damit die Sitzungen so klar strukturiert ablaufen können, gibt es das Klassenratsbuch. Es liegt an einem für alle zugänglichen Ort in der Klasse aus. Die Schüler tragen ihr Anliegen mit Datum und Name ein, wenn sie dieses im Klassenrat thematisieren möchten. Wichtig ist: Anonyme Einträge werden nicht behandelt. So lernen die Schüler auch, zu ihren Anliegen zu stehen. Sie können die Schüler zunehmend dafür sensibilisieren, dass im Anliegen schon deutlich werden soll, was genau es zu klären gilt. Das erleichtert dem Moderator später die Arbeit und spart auch kostbare Zeit während der Sitzung.
Die Leitungspersonen nehmen ihre Plätze ein, die Lehrkraft reiht sich bewusst unter die Schüler. Ein akustisches Signal hat sich bewährt, um für Ruhe zu sorgen. Der Moderator übernimmt die Leitung und führt durch die einzelnen Phasen (siehe Tabelle 20.2).
Eröffnung und Positiv-Runde |
Was habe ich diese Woche Positives erlebt? |
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Offenes vom letzten Mal |
Wie wurden die Vereinbarungen vom letzten Mal umgesetzt? Was gilt es zu klären? |
Anliegen vorlesen |
Moderator liest alle Anliegen der Reihe nach vor. Anliegen vom letzten Mal? |
Abstimmung für die Anliegen |
Die Klasse stimmt ab, welche Anliegen in welcher Reihenfolge behandelt werden. |
Anliegenbearbeitung |
Die Anliegen werden thematisiert. Zeitwächter achtet auf die Einhaltung der Zeit. Schriftführer führt Protokoll. Beteiligte beziehungsweise Klasse entscheiden sich für eine Lösung. Schriftführer hält Vereinbarungen fest und lässt diese unterschreiben. |
Auflösung |
Moderator löst die Versammlung auf. Protokoll und Vereinbarungen werden abgeheftet und an Lehrkraft zur Ablage übergeben. |
Tabelle 20.2: Phasen im Klassenrat
Der schulische Alltag ist geprägt von vielseitigen Interaktionen zwischen Schülern untereinander und zwischen Schülern und Lehrkräften. Der soziale Umgang zeigt ein Spektrum von einvernehmlichem Miteinander bis verstricktem Gegeneinander. Oft finden an einem Schultag viele verschiedene Szenen innerhalb dieses Spektrums statt.
Neben unterschiedlichen Interessen, Erwartungen und Bedürfnissen zeigen sich auch unterschiedlich stark ausgeprägte soziale Verhaltensweisen und Strategien der Konfliktlösung. Schule hat zur Aufgabe, Kinder und Jugendliche im sozial-emotionalen Umgang zu stärken. Dies geschieht über positive Modelle, über spürbare Haltung einer jeden Lehrkraft und durch das gelebte Leitbild einer ganzen Schulgemeinschaft.
Situationen, die Konflikte auslösen, gibt es jeden Tag. Sie einschätzen zu können, die eigenen Emotionen und Bedürfnisse wahrzunehmen und zu kommunizieren, muss gelernt werden und stellt eine zentrale Entwicklungsaufgabe dar. Jedes Kind kommt mit einer Konfliktbiografie in die Schülerrolle. Das bedeutet, das Kind kennt Muster zur Konfliktbearbeitung aus dem häuslichen Umfeld, der Familie und besitzt bereits eine Vorstellung und eine Verinnerlichung von Kommunikation und Interaktion in Konflikten.
Soziale Kompetenztrainings sind erfahrungsbasiert angelegt. Auch erlebnispädagogische Ansätze stärken soziales Verhalten. In exemplarischen Situationen bietet sich Schülern ein Übungsfeld, das ihre Erfahrung einbindet und anschließend reflektiert.
Wer sich über Ansätze und Schwerpunkte solcher Trainings informieren möchte, findet beispielsweise über die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) Informationen und Impulse. Eine weitere Anlaufstelle ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Dort finden Sie Unterlagen und ganze themenspezifische Materialpakete für Schulen. Auch Organisationen unterschiedlicher Trägerschaften bieten passgenaue Formate für Schulklassen an und sind über die Schlagworte »Soziales Kompetenztraining Schule« im Netz gut aufzufinden.
Anti-Mobbing-Training ist eine spezifische Form des sozialen Kompetenztrainings. Da es sich bei Mobbing um ein Gruppenphänomen handelt, finden diese Trainings in einer geschlossenen Gruppe (Lerngruppe, Schulklasse) statt. Auch präventiv angelegte Trainings können bereits angelegte Mobbingstrukturen sichtbar machen. Außerschulische Experten unterstützen gezielte Erfahrungs- und Reflexionsprozesse.
Theaterpädagogik, Arbeitsgemeinschaften und Projekte wie etwa ein Zirkusprojekt sind präventiv wirksam und bieten den Schülern einen Erfahrungsraum, der frei von benoteter Leistung stattfindet und den Selbstwert stärkt.
Theaterpädagogische Ansätze bieten eine wunderbare Möglichkeit der Erprobung. Im Schutz von Rollen kann das eigene Denken, Fühlen und Handeln erweitert und reflektiert werden. Persönlichkeitsstärkende Wirkungen werden im Spiel nahbar gemacht. Handlungsspielräume erzeugt, ermöglicht und ergänzt.
Auch Zirkusprojekte bieten persönlichkeitsstärkende Erfahrungen für die Schüler. Dass jede und jeder Einzelne einen Platz in der Gemeinschaft hat, stärkt das Selbstvertrauen und den Selbstwert. Im Zirkus gibt es nur Gewinner, wer sich nicht artistisch beteiligt, wird Teil des Technikteams oder in anderer Art ein wichtiger Unterstützer des Ganzen.