Das Glaubensbekenntnis der Katharer von Lombers (1165)*

Im Jahr 11651 fand in dem im Dreieck zwischen Toulouse, Albi und Carcassonne gelegenen Flecken Lombers ein kontroverses Religionsgespräch zwischen katholischen Bischöfen und „guten Menschen“ statt. Laut überlieferter Akten war das Rededuell von zahlreichen und illustren Zuhörern besucht.2 Bei diesem Gespräch von Lombers kommt es zur Formulierung eines Glaubensbekenntnisses durch die Katharer,3 das von großem Interesse ist, weil es als das früheste erhaltene Selbstzeugnis4 jener „Gegenkirche“5 des 12. Jahrhunderts anzusprechen ist.

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Der Ablauf des Religionsgesprächs gestaltet sich so, dass zunächst die Katholiken Fragen an die Katharer stellen und diese die Fragen beantworten sollen, danach umgekehrt. Die Fragen der Katholiken richten sich gezielt auf einige konkrete Punkte: Zuerst darauf, ob ihre Gegner das Alte Testament und die doctores des Neuen Testaments anerkennten. Die Katharer antworten, dass sie das Gesetz des Mose, die Propheten, Psalmen, das Alte Testament (insgesamt), nicht anerkennen, sondern allein die Evangelien, die Paulusbriefe, die sieben kanonischen Briefe, die Apostelgeschichte und die Apokalypse.6 Zweitens fragen die Katholiken nach dem Glauben der Katharer, uti eam apponerent, diese antworten, dass sie ihn nicht mitteilen würden. Drittens erkundigen sich die Katholiken nach der Einstellung zur Kindertaufe, ob die Kinder durch die Taufe gerettet würden. Die Antwort lautet, dass sie (hierzu) nichts sagen würden; sie wollen über das Evangelium und die Briefe sprechen. Die vierte Frage richtet sich auf Leib und Blut des Herrn: Wo diese konsekriert würden, von wem, und ob die Konsekration durch einen würdigen Mann wirksamer sei als die durch einen unwürdigen. Die Katharer antworten, dass, wer das Mahl würdig esse, gerettet, und wer es unwürdig esse, verdammt werde.7 Die Konsekration erfolge (bei ihnen) durch jeden guten Menschen, sei er Kleriker oder Laie. Fünftens: Ob nach Auffassung der Katharer Mann und Frau, die sich in der Ehe fleischlich vereinigen, gerettet werden können? Antwort: Man könne hierzu nichts sagen, laut dem Apostel sollten Mann und Frau sich (nur) verbinden, um Unzucht zu vermeiden.8 Die sechste Frage betrifft die Buße (poenitentia), ob sie im Moment des Todes Rettung ermögliche; ob z. B. tödlich verwundete Soldaten gerettet würden, wenn sie im letzten Moment bereuten. Die Katharer antworten, für Kranke reiche es, Sünden zu bekennen,9 die Frage nach den Soldaten könne man nicht beantworten, Jakobus rede nur von Kranken. Schließlich, ob nach Auffassung der Katharer Reue des Herzens (cordis contritio) und Bekenntnis mit dem Munde (oris confessio) ausreichten, oder ob eine satisfactio durch Fasten, Pilgern, milde Gaben nötig sei. Die Antwort lautet: Jakobus sage nicht mehr, als dass man die Sünden bekennen solle und ←136 | 137→so gerettet werde, und sie selber wollten sich nicht für klüger halten als der Apostel.

Die Runde mit Anfragen der Katholiken an die „guten Menschen“ ist beendet, und nun sind die Katharer an der Reihe. Sie sagen zunächst, dass man nicht schwören dürfe und verweisen auf den Herrn selbst und auf Jakobus.10 Dann erklären sie, dass, falls geweihte Geistliche nicht so seien, wie Paulus es gefordert habe,11 diese keine Bischöfe und Priester seien, sondern Raubwölfe, Heuchler, Verführer, die nach Verehrung auf dem Marktplatz schielten, nach den höchsten Sitzen und nach den besseren Plätzen am Tische strebten, begehrten, Rabbi und Lehrer genannt zu werden entgegen dem Gebot Christi. Sie trügen weiße glänzende Kleider und hätten Edelsteinringe an den Fingern: „Das hat Jesus nicht befohlen“. Sie schließen mit dem Satz, dass sie den Katholiken keinen Gehorsam schuldeten: Diese hätten Jesus verraten. Die Katholiken erwidern, es gehe hier nicht um Leben, sondern um Lehre. Die „guten Menschen“ werden öffentlich zu Häretikern erklärt. Da wenden sich die Katharer der Menge zu und verkünden ein eigenes Bekenntnis, das folgenden Wortlaut hat:

Wir glauben an einen lebendigen und wahren Gott, drei und eins, den Vater, Sohn und Heiligen Geist: Und dass der Sohn Gottes Fleisch angenommen hat, im Jordan getauft worden ist, in der Wüste gefastet hat, unser Heil gepredigt hat, gelitten hat, gestorben ist und begraben wurde, in die Unterwelt hinabgestiegen ist, auferstanden ist am dritten Tage, in den Himmel aufgestiegen ist, den Tröster Geist den Jüngern am Pfingsttag geschickt hat, dass er kommen wird am Tag des Gerichts zu richten die Lebenden und die Toten und alle, die auferstehen werden. Wir erkennen auch, dass wir mit dem Munde bekennen müssen, was wir mit dem Herzen glauben. Wir glauben, dass nicht gerettet wird, wer nicht den Leib Christi isst, und dieser Leib Christi nur in der Kirche konsekriert wird und auch von niemand anderem als einem Priester, sei dieser gut oder böse, und dass der Leib Christi nicht besser wird durch den guten als durch den schlechten Priester. Wir glauben auch, dass man nur durch die Taufe gerettet wird, und dass die Kinder durch die Taufe gerettet werden. Wir glauben auch, dass Mann und Frau gerettet werden, auch wenn sie sich fleischlich verbinden, und dass ein jeder die Buße mit Mund und Herz auf sich nehmen muss und von einem Priester und in der Kirche getauft werden muss. Und wenn freilich in der Kirche etwas darüber hinaus bewiesen werden könnte durch Evangelien oder Briefe, so wollen sie das glauben und bekennen.12

Dieses Bekenntnis ist das früheste erhaltene Selbstzeugnis der Katharer des Languedoc. Die katholische Seite beurteilt es als erstaunlich orthodox, sie verlangt, die Katharer sollten auf dieses Bekenntnis nun auch schwören. Das ←137 | 138→aber verweigern diese; Schwören sei gegen Evangelium und Briefe. Die Spaltung bleibt bestehen.

Bekenntnisse wie das in Lombers hatten den Charakter des Einmaligen, sie wurden ad hoc zusammengestellt im Blick auf die strittigen Fragen, wenn auch vermutlich dabei auf Formulare zurückgreifend.13 Der Text enthält ein Bekenntnis zum dreieinigen Gott,14 wobei auffällt, dass das Bekenntnis zum Schöpfer im ersten Artikel fehlt. Der zweite Artikel weist keinerlei doketische Züge auf, wie man an der Wendung carnem suscepisse sehen kann; die Taufe Jesu im Jordan und das Fasten in der Wüste werden eigens betont, ansonsten ist der Passus an das Apostolikum angelehnt. Die Sendung des Geistes zu Pfingsten wird im zweiten Artikel eigens betont, ein dritter Artikel ist nicht ausgeführt. Zentralen Stellenwert hat der Satz über die notwendige Übereinstimmung von Herzensglaube und mündlichem Bekenntnis (quod corde credimus, ore debemus confiteri), angelehnt an Röm 10,10.

Das Bekenntnis schließt mit einer Reihe von apologetisch akzentuierten Aussagen, die gegnerische Behauptungen als falsch erweisen wollen, und die in ihrer Reihenfolge der vorangegangenen Befragung durch die Katholiken entsprechen. Mit den Antworten aus der Befragung stimmt das Bekenntnis teils überein, z. T. ist aber auch eine gewisse Spannung zu diagnostizieren: Die Berufung nur auf das Neue Testament aus der Befragung wird im Bekenntnis bestätigt, die Heilswirksamkeit der Kindertaufe wird im Bekenntnis (über die Befragung hinaus) zugestanden, im Passus über die Eucharistie wird die Gültigkeit des Sakraments unabhängig von der moralischen Qualität des Spenders (über die Befragung hinaus) zugestanden, in der Frage über die Möglichkeit der Errettung Verheirateter stimmen Befragung und Bekenntnis überein; auch darin, dass die Buße mit Herz und Mund anerkannt wird, ohne dabei das Problem der satisfactio zu klären.

Die Umrisse, die 1165 in Lombers von den Katharern erkennbar werden, zeigen eine Gruppe, die durch folgende Merkmale geprägt ist:

1) Eine grundsätzliche Ablehnung der katholischen Kirche, vor allem unter Hinweis auf deren Reichtum und Prunk, wobei aus der Ablehnung der katholischen Kirche nicht die Ungültigkeit der dort gespendeten Sakramente folgt.

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2) Eine relativ traditionelle Theologie, die in ihrer bekenntnismäßigen Konzentration grob am Apostolikum orientiert ist, dort freilich einige signifikante Veränderungen vornimmt, die wiederum kaum eindeutig heterodox einzustufen sind; einzige Ausnahme ist die häretische Ablehnung (so bei der Befragung) bzw. Nichtberücksichtigung (so im Bekenntnis) des Alten Testaments.

3) Einen ausgeprägten Biblizismus: Was nicht direkt im Neuen Testament steht, ist auch nicht Gegenstand der Lehre. Hiermit verbindet sich eine deutliche Reserve gegen theologische Reflexion: Die „guten Menschen“ beschäftigen sich mit dem Leben mehr als mit der Lehre, wollen über das wörtlich in der Bibel Geschriebene hinaus nichts sagen.

4) Einen asketischen Zug, den ich aus dem Umstand herleite, dass das Fasten Jesu in der Wüste im zweiten Artikel eigens betont wird und dass die Errettung Verheirateter nur zugestanden wird, so dass eine Minderbewertung des Ehestandes hier durchscheint.

Es fällt auf, dass einige Aspekte, die für das herkömmliche, an der frühen antikatharischen Polemik orientierte Bild entscheidend sind, in Lombers gar keine Rolle spielen. Dies betrifft den Dualismus und die Ablehnung der Sakramente der catholica. Zwar haben wir für den späten südfranzösischen Katharismus in der Tat sowohl dualistische Auffassungen als auch die radikale Ablehnung der katholischen Sakramente klar belegt15 – aber hier, beim frühen okzitanischen Katharismus, spielt beides (noch) keine erkennbare Rolle. Den Dualismus und das Problem der Schöpfung der (negativ bewerteten) Welt durch ein gegenläufiges Prinzip haben ja nicht einmal die katholischen Befrager in Lombers angesprochen. Dass das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer im ersten Artikel fehlt, mag ein Indiz e silentio für eine mögliche Negativbewertung der Schöpfung durch die „guten Menschen“ sein, jedoch ist dies in Lombers gar nicht Gegenstand der Diskussion. Die Frage des Dualismus steht nicht auf der Tagesordnung. Die von Unwürdigen gespendeten Sakramente und mithin auch die katholische Taufe werden ganz ausdrücklich und antidonatistisch von den Katharern von Lombers akzeptiert. Damit scheiden die beiden bis heute wirkmächtigsten Katharerinterpretationen, die manichäisierende und die donatistisierende, für die frühen Katharer von Lombers faktisch aus.

Mit diesem Befund hängt es zusammen, dass das Bekenntnis von Lombers in der Literatur immer wieder als Täuschungsversuch eingestuft worden ist. Für Arno Borst verleugnen die Katharer hier (noch) ihre eigentlich bogomilisch-manichäische Lehre.16 Auch für Daniela Müller gibt das Bekenntnis ←139 | 140→nicht die eigentliche katharische Auffassung von der Ungültigkeit der von katholischen Priestern gespendeten Sakramente wieder, es wird jedenfalls nicht zur Rekonstruktion der katharischen Lehre herangezogen.17 Eine Variante der Einschätzung, dass wir es hier nicht mit einem echten Katharerbekenntnis zu tun haben, ist der Versuch, die Gruppe aus Lombers gar nicht als Katharer anzusehen. So lautet die Lösung Jean Duvernoys, der in dem Text und auf dem Konzil gar keine Katharer, sondern Waldenser (bzw. Protowaldenser) sprechen hören will.18 Ähnlich urteilt Gerhard Rottenwöhrer, der in den Heterodoxen von Lombers eine eigenständige, jedenfalls nicht den Katharern zuzuordnende Gruppe sieht.19 Demgegenüber hat Martin Ohst in seiner Göttinger Habilitationsschrift m. W. erstmals gesagt, dass weite Teile des Bekenntnisses durchaus als mit katharischer Lehre in Einklang stehend angesehen werden müssten, abgesehen vom Problem der Anerkennung katholischer Sakramente. Ohst nennt deshalb den Text von Lombers ein „mittels Mentalreservation in orthodoxe Formeln gehüllte[s]; Katharerbekenntnis“.20

Alle drei Lösungen überzeugen jedoch nicht ganz: Gegen die erste These spricht, dass die Katharer von Lombers die heterodoxe Ablehnung des Alten Testaments offen zugeben. Weshalb hätten sie dann andere ihrer von der catholica abweichenden Lehrsätze verleugnen sollen? Zudem: Sie treten während der gesamten Auseinandersetzung höchst selbstbewusst auf. Ihre Polemik gegen die Katholiken ist äußerst scharf. Wieso hätten sie in dieser Situation ein Bekenntnis vorlegen sollen, das nicht ihren Auffassungen entsprach? Die taktische Ausgangslage des Rededuells scheint paritätisch gewesen zu sein, wenn man an die Bestellung von Schiedsrichtern durch beide Seiten denkt. Es fehlt jedes Motiv für ein Verleugnen von Überzeugungen. Auch muss man sehen, dass die Katharerkirche in ihrer Geschichte durchgängig als eine höchst kompromisslose Kirche auftritt, zu der ein Verheimlichen eigener Lehre aus taktischen Gründen überhaupt nicht passen würde. Die Verweigerung des Eides am Schluss muss kein Zurückscheuen vor Unwahrhaftigkeit indizieren: Man kann sie gut mit Berufung auf Mt 5,34–37 und Jak 5,12 erklären.

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Auch die zweite genannte These, es handele sich im Lombers gar nicht um Katharer, führt in Aporien. Duvernoys „Protowaldenser“ sind sonst nirgends belegt. Man muss zudem darauf hinweisen, dass im Text durchgängig von „guten Menschen“ oder „guten Christen“ die Rede ist;21 es liegt also die typische katharische Selbstbezeichnung vor. Man kann ferner darauf verweisen, dass es 1178 zu einem unzweifelhaft katharisch-katholischen Rededuell in Toulouse kommt: Und hier legen die „guten Menschen“ ein Bekenntnis ab, das dem von Lombers z. T. bis in die Formulierungen hinein entspricht.22

Die Interpretation von Ohst weist m. E. in die richtige Richtung. Allerdings ist auch Ohst letztlich noch der Täuschungshypothese verpflichtet, wenn er von „Mentalreservation“ und „Verhüllung“ spricht. In der Polemik der „guten Menschen“ gegen die Katholiken ist von Mentalreservation jedenfalls nichts zu spüren (Raubwölfe, Heuchler, Verführer), und so bietet es sich auch nicht an, diese nun bei dem Bekenntnistext am Werk zu sehen.

Dann aber bleibt nur noch die eine Lösung, das Bekenntnis von Lombers als authentisch einzustufen: Die „guten Menschen“, die eine Gegenkirche gegen die catholica etabliert haben, sind geprägt durch Protest gegen deren Feudalismus, durch einen ausgeprägten Biblizismus bei ausschließlicher Berufung auf das Neue Testament, und durch einen asketischen Zug. Der Dualismus der späten Katharer Südfrankreichs, die Ungültigerklärung der Sakramente der catholica, dazu auch Reinkarnationsvorstellungen, gnostisierende Mythologien, wie wir sie beim späteren Katharismus kennen, all dies ist in den Anfängen nicht nachweisbar und auch nicht rückprojizierend zu unterstellen. Diese Interpretation wird beim Blick auf weitere Selbstzeugnisse der frühen Katharer des Languedoc im Wesentlichen bestätigt.

Vermutlich ins Jahr 1174 gehören die Akten des Katharerkonzils von St. Felix-de-Caraman.23 Dieses wird in der Regel als der radikaldualistische Entscheidungsmoment des Katharismus angesehen.24 Die Überraschung bei der Lektüre des Textes ist: Für die Frage nach der Theologie der Katharer tragen diese Akten praktisch nichts aus. Es geht beim Konzil um kirchenorganisatorische Themen: Die Grenzen zwischen den Bistümern Toulouse und Carcassonne werden neu abgesteckt. Es bestätigt sich damit zunächst die katharische Tendenz, eine vollständige Gegenkirche neben der catholica zu etablieren. Ein Prediger mit Namen Niquintas ermahnt die Bistümer auf dem Konzil zur Eintracht.

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Danach sprach Papst Niquintas: „Ihr habt mir gesagt, dass ich euch sagen soll, ob das Verhältnis der ersten Kirchen lose oder fest sei, und ich sage euch, dass die sieben Kirchen Asiens (Apk 1,11) aufgeteilt waren und abgegrenzt gegeneinander, und keine von ihnen tat der anderen irgendetwas, was dieser widersprach. Und die Gemeinden Romaniens und Dragontiens und Melengias und Bulgariens und Dalmatiens waren aufgeteilt und abgegrenzt gegeneinander, und keine tat der anderen etwas, was dieser widersprach. Und so haben sie Frieden untereinander. So tut auch ihr.“

Es ist schwierig, in dieser Aufforderung zum Frieden unter den katharischen Bistümern irgendeine dogmatische Option auszumachen. Ob hier überhaupt der Versuch zu sehen ist, die Gemeinden des Westens und Ostens dogmatisch auf dieselbe (radikaldualistische?) Linie zu bringen, ist nicht nachweisbar. Man kann ja die Aufforderung des Niquintas auch so interpretieren, dass (analog zur vermeintlichen Situation der „Urkirche“ nach Apk 1,11) theologische Differenzen unter Katharern keine kirchentrennende Wirkung haben dürfen.25 Sicher ist in St. Felix nur: Es spricht hier ein Gastprediger, der gute Kenntnisse von Vorgängen unter Bogomilen im Osten hat, vielleicht gar von dort kommt, der als „Papa“ bezeichnet wird und der den uns sonst nicht bekannten Namen Niquintas trägt. Dass es sich hierbei um den zeitgleich in der Lombardei tätigen bogomilischen Bischof von Konstantinopel, Niketas, handelt,26 wie in der Literatur immer wieder zu lesen ist,27 ist durchaus möglich, aber immerhin müsste man dann im Text an vier Stellen konjizieren, und gerade bei einem Namen wie Niketas fällt es schwer, das im Text stehende Niquintas für eine missglückte Latinisierung zu halten. Jedenfalls ist es nicht unproblematisch, aus diesen Akten Schlüsse für die Theologie der frühen Katharer des Languedoc zu ziehen.28

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Die Akten von Toulouse 1178,29 auf die ich oben schon angespielt hatte, tragen für die Frage nach den Überzeugungen der frühen Katharer des Languedoc mehr aus. Abermals handelt es sich um ein Rededuell: Katharische Bischöfe legen vor dem päpstlichen Legaten ein Bekenntnis ab, das den Katholiken merkwürdig orthodox erscheint – die Katharer erklären, dass sie keinesfalls an zwei Gottheiten glaubten, wie böswillige Gegner ihnen unterstellten. Hier liegt ein neuer Aspekt gegenüber Lombers vor: Die Frage des Dualismus kommt hier erstmals, offensichtlich von Seiten der Gegner, ins Spiel; die Katharer leugnen, zwei Prinzipien zu lehren. Die Erklärung kommt ansonsten in Inhalt und Diktion dem Bekenntnis von Lombers nahe. Die Katharer glauben an einen Gott, der alle sichtbaren und unsichtbaren Dinge geschaffen habe (letzteres war in Lombers so nicht gesagt, das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer fehlte dort im 1. Artikel), sie erkennen Evangelien und apostolische Schriften an (wie in Lombers ist vom Alten Testament nicht die Rede); der katholische Priester, er sei gut oder schlecht, könne Leib und Blut Christi gültig darreichen (dies entspricht dem Bekenntnis von Lombers).30 Sie erkennen die Kindertaufe und ihre Heilsbedeutung an (wie in Lombers). Sie bekennen, dass Mann und Frau, die sich fleischlich verbinden, aber keine andere Sünde begehen, gerettet werden können (dies entspricht wiederum Lombers, es bestätigt sich auch die dort durchscheinende asketische Tendenz).

Die Katholiken fordern, darauf einen Eid abzulegen, was die Katharer verweigern (wie in Lombers). Zeugen werden beigebracht, die sagen, sie hätten die Katharer zuvor anders predigen hören. Die Katharer erwidern, dies seien bestellte Falschzeugen, ihr Glaube sei stets derselbe. Auch hier sollte man, ehe man sich der zeitgenössischen katholischen Bewertung allzu schnell anschließt, bedenken, dass im Jahre 1178 für eine solche Täuschung keinerlei Motiv ersichtlich ist. Nur ein Jahr zuvor hat der Graf von Toulouse festgestellt, dass die „Reinen“ in der Gegend von Albi, Carcassonne und Toulouse in der Mehrheit seien.31 Spätestens seit den 80er Jahren wissen wir ←143 | 144→von massiver Unterstützung der Katharer durch den okzitanischen Adel.32 Die Situation, die sich in Lombers bereits abzeichnete, hat sich in den folgenden Jahren eher gefestigt: Die katharische Kirche wird zu der Kirche Okzitaniens. In dieser Lage bestand für die Katharer kein äußerer Druck, der ein Täuschungsmanöver auch nur nahe gelegt hätte. Man wird, wie schon in Lombers, nicht umhin können, die Aussagen, die in Toulouse von katharischer Seite überliefert sind, für bare Münze zu nehmen. Die Auseinandersetzung von Toulouse bestätigt mithin den Befund aus Lombers, allerdings mit dem wichtigen Detail, dass nun, 1178, das Problem des Dualismus stärker im Blick ist und dass die Katharer entsprechenden Vorwürfen mit der ausdrücklichen Leugnung zweier Prinzipien und dem Bekenntnis zu dem einen Gott als dem Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Dinge begegnen.

Was kann man auf der Basis des Bekenntnisses von Lombers 1165 und auf der Grundlage der angeführten Vergleichstexte über die frühen Katharer des Languedoc sagen?

Wir haben in den frühen Katharern des Languedoc eine dezidierte Gegenkirche vor uns, die weniger durch Widerspruch gegen die Dogmatik der catholica als vielmehr durch radikale Kritik an deren Feudalismus geprägt ist. Sie haben ein christliches Selbstverständnis, das sich primär darin äußert, dass sie gute Menschen sein wollen. Dieser Impetus verbindet sich mit asketischen Tendenzen. Wir haben einen ausgeprägten Biblizismus zu diagnostizieren, wobei das Alte Testament abgelehnt oder jedenfalls zumindest nicht benutzt wird; dieser Biblizismus verbindet sich mit Reserven gegen dogmatische Reflexion. Das quod corde credimus aus dem Bekenntnis von Lombers zeigt den hohen Stellenwert individueller und gemeinschaftlicher Frömmigkeit für die Katharerkirche der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Eine erkennbar dualistische Gottesauffassung ist genau so wenig nachweisbar wie eine nachhaltig aus der Tradition der augustinischen Ekklesiologie ausbrechende, „neo-donatistische“ Auffassung von der Gültigkeit der Sakramente.33

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Erst seit Anfang des 13. Jahrhunderts beobachten wir eine eher zaghafte Hinwendung zur Formulierung theologischer Konsequenzen aus der ursprünglich moralisierend-asketischen Haltung der Katharer. In den hierfür einschlägigen überlieferten dogmatischen Versuchen34 spielen dann das Problem des Dualismus und die Ekklesiologie die dominierende Rolle. In der Ekklesiologie dominiert der Gedanke der sichtbaren Heiligkeit der eigenen Kirche, der natürlich im Selbstverständnis der Katharer von Lombers und in ihrer Selbstbezeichnung als „gute Menschen“ angelegt ist. Der Dualismus in der Gottesauffassung ist schillernd. Man kann fragen, ob das Hervortreten des Dualismus mit bogomilischen Einflüssen zu tun haben kann, wobei diese dann aber keinesfalls als monokausales Erklärungsmuster herangezogen werden sollten. Denn man muss auch damit rechnen, dass das In-den-Vordergrund-Treten des Dualismus mit dem aus katholischen Unterstellungen resultierenden Zwang zur Formulierung eigener Theologie zusammenhängt, die den frühen Katharern nicht ursprünglich eigentümlich war. Und man muss darüber hinaus auch fragen, ob die zeitgleich zunehmende Bedrohung und Gefährdung Okzitaniens und „seiner“ Kirche bei den Katharern zu einer (noch) negativ(er)en Sicht der Welt mit entsprechenden Konsequenzen für die Schöpfungs- und Gotteslehre geführt haben könnte.

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* Zuerst erschienen in: Gudrun Litz u. a. (eds.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie. FS Berndt Hamm, Leiden 2005, 17–29.

1 Zur Datierung siehe C. de Vic / J. Vaissète, Histoire générale de Languedoc VII, Toulouse 1879, Nachdruck Osnabrück 1973, 1–5; A. Borst, Die Katharer, mit einem Nachwort von Alexander Patschovsky, Freiburg 1991, 78f., Anm. 23; M. Ohst, Pflichtbeichte. Untersuchungen zum Bußwesen im hohen und späten Mittelalter, BHTh 89, Tübingen 1995, 153.

2 Vgl. J.D. Mansi (ed.), Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio XXII, Paris 1903, Nachdruck Graz 1961, 158–168; RHGF 14, 431–438; eine fast vollständige Übersetzung findet sich bei W.L. Wakefield / A.P. Evans, Heresies of die High Middle Ages, New York 1969, Nachdruck New York 1991, 189–194; 703f. – Die boni homines, so sagen die Akten selbst, haben die Unterstützung der Notablen von Lombers. Anwesend sind Anhänger beider Seiten. Beiderseits anerkannte Schiedsrichter leiten die Befragung.

3 Dass es sich bei den „guten Menschen” von Lombers um Katharer handelt, kann nicht zweifelhaft sein. Siehe hierzu unten S. 141.

4 Dass ich die katharischen Aussagen in den Akten als Selbstzeugnisse ansehe, obwohl die Sammlung durch niemand anders als durch die katholische Gegnerschaft erfolgte, begründe ich damit, dass die in diesen Akten protokollierten Sätze selbst von den Katholiken als erstaunlich rechtgläubig beurteilt werden. Dies spricht für die Authentizität der katharischen Aussagen: Wenn jemand in einer polemisch geprägten Situation aus dem, was er von seinem Gegner referiert, kein Kapital zu schlagen vermag, gibt es dafür nur einen Grund, nämlich den, dass es authentisch ist.

5 Der Begriff „Gegenkirche“ scheint mir die strukturelle und inhaltliche Besonderheit des frühen Katharismus am besten zu erfassen: Die Katharer haben, wie schon 1144 ein Schreiben des Propstes Everwin von Steinfeld an Bernhard von Clairvaux zeigt (vgl. PL 182, 676–680), Parallelstrukturen ausgebildet, verstehen sich exklusiv als reine Kirche Christi und ihre Mitglieder als Nachfolger der Apostel und Märtyrer und Exponenten der einzig wahren Kirche. Ohst, 1995, 151, hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Katharer gerade nicht einfach als „Vertreter einer punktuell aus akuten Missständen heraus sich legitimierenden Bewegung” ansehen.

6 Unterstellt man, dass sie den Hebräerbrief zu den Paulusbriefen rechnen, wäre das das „gesamte” Neue Testament.

7 Anspielung auf 1Kor 11,27–29.

8 Anspielung auf 1Kor 7,9.

9 Bezug: Jak 5,14–16.

10 Vgl. Mt 5,34–37; Jak 5,12.

11 Bezug: 1Tim 3,2–7; Tit 1,7–9.

12 Mansi (ed.), 1961, 165f.

13 Ähnlich verhält es sich bei den Waldensern; zum Bekenntnis Waldes’ vgl. K.-V. Selge, Die ersten Waldenser. Bd. 1: Untersuchung und Darstellung, AKG 37,1, Berlin 1967, 19–35.

14 Auch sonst gibt es trinitarische Formeln bei Katharern: Liber de duobus principiis: cum verissimis argumentis proposui declarare, patris et filii et spiritus sancti auxilio invocato; SC 198, 160 Thouzellier. – Vgl. auch: Rituel Cathare. lat. 14: Dominus deus verus tribuat vobis gratiam recipiendi hoc donum ad honorem illius et ad bonum vestrum; SC 236, 254 Thouzellier.

15 G. Rottenwöhrer, Der Katharismus. Bd. 2/2: Der Kult, die religiöse Praxis, die Kritik an Kult und Sakramenten der katholischen Kirche, Bad Honnef 1982, 705–851.

16 Vgl. Borst, 1991, 79.

17 D. Müller, Albigenser, die wahre Kirche? Eine Untersuchung zum Kirchenverständnis der „ecclesia Dei”, Gerbrunn 1986, 5. 87–89. 196f.

18 Vgl. J. Duvernoy, Le catharisme. Bd. 1: La religion des Cathares, Toulouse 1979, 16; ebd., Bd. 2: L’histoire des Cathares, Toulouse 1979, Nachdruck Toulouse 1989, 209–213.

19 Vgl. G. Rottenwöhrer, Der Katharismus. Bd. 3: Die Herkunft der Katharer nach Theologie und Geschichte, Bad Honnef 1990, 398; ders., Der Katharismus. Bd. 1/1: Quellen zum Katharismus, Bad Honnef 1982, 10.

20 Ohst, 1995, 153, Anm. 52.

21 Vielleicht im Anschluss an Jak 2,7? – In den Konzilsakten finden sich noch die Bezeichnungen secta Oliverii und secta haereticorum de Lumbers; vgl. Mansi (ed.), 1961, 160.

22 Siehe hierzu unten S. 143f.

23 Am einfachsten greifbar in: AFP 48 (1978), 51–53.

24 So D. Müller, Katharer, in: TRE 28 (1989), 23; Borst, 1991, 79f.

25 Eine solche Auffassung ist jedenfalls von den italienischen Katharern berichtet. Möglicherweise spielt die Übereinstimmung im Lehrbestand für sie gar keine entscheidende Rolle. Dies scheint jedenfalls schon Rainer Sacchoni anzudeuten: Neben einem gemeinsamen Lehrbestand gelte für die Katharer v. a.: […] omnes ecclesiae Catharorum se recipiunt ad invicem, licet habeant diversas et contrarias opiniones […]; E. Matène / U. Durand (eds.), Thesaurus Novus Anecdotorum. Bd. 5, Paris 1717, Nachdruck Farnborough 1969, 187.

26 Vgl. den anonymen Traktat: A. Dondaine (ed.), De heresi Catharorum in Lombardia, in: AFP 19 (1949), 306–312.

27 So Müller, 1989, 23; ead., 1986, 5; A. Dondaine, Les actes du concile albigeois de St. Félix-de-Camaran, in: Studi e Testi 125 (1946), 324–355.

28 Die interessante Frage, ob die in weiten Teilen radikaldualistische Interpretation des Konzils von St. Félix-de-Camaran einschließlich der Identifikation jenes Niquintas mit Niketas forschungsgeschichtlich letztlich nichts anderes ist als die Präsentation eines „missing link“ im Sinne einer einmal vorausgesetzten Manichäer-Bogomilen-Theorie, kann ich hier leider nicht weiter verfolgen.

29 Vgl. Gesta regis Henrici secundi Benedicti Abbatis, Bd. l, London 1867 (= RBMAS 49/1), 201–207. – Vgl. R. de Hovedene, Chronica. Bd. 2, RBMAS 51/2, London 1869, 151–158.

30 Auch das Consolamentum ist keine Ungültigkeitserklärung für die katholische Wassertaufe und keine „Wiedertaufe”. Es ist heilsnotwendige Ergänzung der gültigen katholischen Taufe. Vgl. für die norditalienischen Katharer das lateinische Rituale; SC 236, 252–254 Thouzellier; Müller, 1986, 96. Die Behauptung, die Katharer hätten die katholische Taufe für ungültig erklärt, ist Erfindung der Polemik; vgl. z. B. G.E. Sollbach (ed.), Pierre des Vaux-de-Cernay. Historia Albigensis, Darmstadt 1996, 17.

31 Vgl. den einschlägigen Brief in: RHGF 13, 140.

32 Raymond VI. von Toulouse (1194–1222), Raimund Roger von Foix (1188–1223). Die Katharerkirche etabliert sich im Lauf der Zeit und unter dem äußeren Einfluss der zunehmenden Bedrohung der okzitanischen Fürstentümer durch (nord)französische Eroberungsbestrebungen als die Mehrheitskirche Okzitaniens und wird zunehmend durch den okzitanischen Adel massiv unterstützt. Vgl. hierzu Selge, 1967, 266.

33 Im Zusammenhang dieses materiellen Befundes ist methodisch auf Folgendes aufmerksam zu machen:

a) Dogmen- oder theologiegeschichtlich orientierte Herleitungsversuche des Phänomens Katharismus stehen in der Gefahr, das Selbstverständnis der Katharer nicht hinreichend zu erfassen und einen „Theoriezwang” auszuüben, der in der Gefahr steht, manches zu verzerren;

b) Dogmengeschichtliche Herleitungsversuche führen jedenfalls dann in Aporien, wenn die postulierten Analogien zur historischen Genealogie ausgebaut werden: Die Katharer Okzitaniens sind z. B. eindeutig älter als alle möglichen dualistisch-bogomilischen Einflüsse auf sie;

c) Alle Versuche, die schlecht belegte Theologie der frühen Katharer Okzitaniens vom relativ gut belegten späten Katharismus her zu rekonstruieren, sind Rückprojektionen, die den frühen Katharern Okzitaniens nicht gerecht werden: Die Katharerkirche wird im Laufe ihrer Existenz (schillernd) dualistisch, sie nimmt mit der Zeit „donatistische” Ablehnungen des doppelten Kirchenbegriffes vor, aber sie weist diese theologischen Merkmale nicht von Anfang an auf.

34 Es handelt sich um kurze Traktate, die mit großer Wahrscheinlichkeit in die ersten Jahrzehnte des 13. Jhs. zu datieren und als einzige Selbstzeugnisse katharischer Lehrbildung vor 1208 erhalten sind, der erste lateinisch in einem Exzerpt im Liber contra Manichaeos des Durandus von Huesca, die anderen provencalisch in einer einzigen Handschrift, die heute im Trinity-College in Dublin zu finden ist (ms 269). Vgl. zu dieser Handschrift aus dem 14. Jh. M. Esposito, in: RHE 46 (1951), 131–141; A. Brenon, in: Heresis 7 (1986), 7–23. Zu den Texten vgl. Rottenwöhrer, Katharismus. Bd. 1,1, 1982, 32–36; ebd., Bd. 1,2, 19–36.

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