GESUNDHEITSRISIKO ENTZÜNDUNG

Entzündungen sind in erster Linie eine wichtige und zentrale Reaktion des Immunsystems auf körperfremde Strukturen. Damit sind vor allem eindringende Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien gemeint. Entzündungsprozesse laufen auch dann an, wenn zum Beispiel bei Tumoren falsch programmierte Zellen beseitigt werden oder wenn Gewebe verletzt wurde. In diesen Fällen sind sie von essenzieller Bedeutung, denn sie leiten dringend benötigte Reparatur- und Heilungsvorgänge ein.

Systemische Entzündungen

Als systemisch werden Entzündungen bezeichnet, die den ganzen Körper erfassen und nicht auf einen Bereich beschränkt sind. Wie im Falle einer fiebrigen Infektion können sie eine heilende Aufgabe haben. Wird eine solche Immunreaktion systemisch, ist dies ein Zeichen dafür, dass die Infektion nicht unmittelbar an dem Ort beseitigt werden konnte, an dem der Krankheitserreger eingedrungen ist. Deshalb ist nun der ganze Körper gefordert, immunologisch zu reagieren.

Fieber ist ein Hinweis auf einen solchen systemischen Prozess. Unter Fieber versteht man eine Erhöhung der Körpertemperatur über die normalen täglichen Schwankungen hinaus. Der Hypothalamus stellt eine höhere Solltemperatur ein, damit das Immunsystem effektiver arbeiten kann.

Langfristige niedriggradige systemische Entzündungen entstehen in der Regel auch in Körpergeweben wie dem Fettgewebe (siehe >). Sie können sich zudem in der Lunge oder den Atemwegen von Rauchern entwickeln. Je nachdem, wie lange diese Prozesse anhalten und wie heftig sie ausfallen, werden sie irgendwann systemisch. In diesem Stadium haben sich die Entzündungssignale im ganzen Körper verteilt und werden im Blut nachweisbar. Gleichzeitig ist der Körper nicht in der Lage, die Entzündung einzudämmen oder zu beseitigen, solange die Entzündungsursachen weiterhin bestehen. Eine solche Entzündung ist sowohl chronisch als auch fortschreitend und hat viele gesundheitliche Risiken im Schlepptau.

Entzündungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Chronische Entzündungen können die Bildung von arteriellen Ablagerungen begünstigen und damit das Risiko erhöhen, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Der Krankheitsmechanismus

Einer der Mechanismen, die dieser Entwicklung zugrunde liegen, ist entzündungsbedingt: Die Entzündung schädigt die Funktion der Blutgefäße, besonders des Gefäßendothels. Das Endothel ist die dünne Schicht von Zellen, die das Innere der Blutgefäße auskleidet. Diese Schicht ist maßgeblich an der Regulierung des Blutflusses und der Verhinderung von Blutgerinnseln beteiligt. Wird das Endothel aufgrund einer chronischen systemischen Entzündung ständig mit entzündungsfördernden Immunsignalen bombardiert, funktioniert es langfristig nicht mehr so gut und kann sich dem Blutfluss nicht mehr optimal anpassen.

Die Folgen

Bluthochdruck und die Bildung von arteriosklerotischen Ablagerungen können die Folge sein. Dies kann die Gefahr einer Thrombose, eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls erhöhen. Die Entstehung von Arteriosklerose wird heute als entzündlicher Prozess eingestuft, da sich die Arterienwand entzündet und Immunzellen in die Gefäßwand einwandern. Oft setzen sie sich dort fest und tragen so dazu bei, dass sich die Plaques vergrößern. Plaques sind Ablagerungen, die aus Cholesterin, Fett und anderen Substanzen bestehen. Sie verengen langfristig die Arterien und erschweren den Blutfluss. Gelegentlich kann es auch vorkommen, dass Ablagerungen reißen und sich ein Blutgerinnsel bildet. Geschieht dies in den Arterien des Herzens oder den feinen Gefäßen des Gehirns, kommt es zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Entzündungen und Typ-2-Diabetes

Entzündungen können die Fähigkeit des Körpers beeinträchtigen, Insulin effektiv zu nutzen. Die Blutzuckerwerte steigen – und damit auch das Risiko für Typ-2-Diabetes.

Der Krankheitsmechanismus

Einer der wichtigsten Mechanismen bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes ist die Störung des Insulinsignals. Das Hormon Insulin wird von der Bauchspeicheldrüse produziert und hilft dabei, Glukose aus dem Blut in die Zellen zu transportieren, wo sie zur Energiegewinnung genutzt werden kann. Entzündungen können diesen Prozess stören, indem sie die Empfindlichkeit der Zellen auf Insulin herabsetzen. Dieser Zustand ist die bereits bekannte Insulinresistenz (siehe auch >). Wenn die Zellen schlechter auf das Hormon Insulin ansprechen, wird mehr davon benötigt, um die gleiche Menge Glukose in die Zellen zu schaffen.

Die Folgen

Mit der Zeit kann die Bauchspeicheldrüse nicht mehr ausreichend Insulin produzieren, um mit dem erhöhten Insulinbedarf Schritt zu halten. Die Insulinproduktion lässt nach, es bleibt mehr Glukose im Blut, als physiologisch vorgesehen, und der Blutzuckerspiegel ist chronisch erhöht. Darüber hinaus kann eine chronische Entzündung die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse schädigen, was die Entstehung und das Fortschreiten eines Typ-2-Diabetes weiter beschleunigt.

Entzündungen und Tumorerkrankungen

Wie man inzwischen weiß, gehen chronische Entzündungen mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Krebsarten wie Lungen-, Darm- und Brustkrebs einher.

Der Krankheitsmechanismus

Im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen besteht einer der wichtigsten Mechanismen darin, dass chronische Entzündungen Schäden an der Desoxyribonukleinsäure (DNS), also dem genetischen Material verursachen können, welches das Wachstum und die Teilung unserer Zellen steuert. Wird die DNS durch chronische Entzündungsprozesse geschädigt, können Mutationen – spontan auftretende, dauerhafte Veränderungen des Erbguts – entstehen.

Die Folgen

Diese Veränderungen stören die normale Regulierung des Zellwachstums, der Zellteilung sowie der zellulären Reparaturprozesse und können zur Entstehung von Tumoren führen. Chronische Entzündungen können auch das Überleben und die Vermehrung von Zellen fördern, die bereits durch Mutationen verändert wurden, was das Krebsrisiko weiter erhöht. Denn inflammatorische Prozesse erzeugen eine Umgebung, welche das Wachstum und die Ausbreitung von Krebszellen begünstigt.

Entzündungen, Depressionen und Neurodegeneration

Chronische Entzündungen können nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn und die Psyche in Mitleidenschaft ziehen: Sie werden mit einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer- und die Parkinsonkrankheit in Verbindung gebracht.

Der Krankheitsmechanismus

Lange Zeit galt das Gehirn als ein immunprivilegiertes Organ, da man dachte, dass die Immunzellen und entzündlichen Signale aus dem Blut die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können. Allerdings haben in den letzten Jahren viele Studien eine intensive Kommunikation zwischen Immunsystem und Gehirn belegt.

Diese Zusammenhänge kann jeder Mensch am eigenen Leib feststellen. Wenn wir eine Infektion haben und Fieber bekommen, verändern sich dadurch sehr schnell unsere Bedürfnisse, unsere Gefühle und unser Verhalten. Wir versuchen intuitiv, uns sozial zurückzuziehen, und haben ein erhöhtes Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf. Es wird angenommen, dass es sich hier um ursprüngliche Mechanismen handelt, die sowohl der Gesundheit der Erkrankten als auch der Gesundheit der Gruppe dienlich sind, in der sie leben. Der Körper der Erkrankten braucht die Ruhe, um sich zu regenerieren. Gleichzeitig verringert sich die Gefahr, andere Mitglieder der eigenen sozialen Gruppe anzustecken. In der Medizin wird ein derartiges Verhalten als sickness behaviour, »Krankheitsverhalten«, bezeichnet, und bei einer akuten Entzündung scheint es durchaus sinnvoll zu sein.

Die Folgen

Wenn wir diesen Mechanismus nun auf die chronische niedriggradige Entzündung übertragen, können wir zu dem Schluss gelangen, dass der gleiche Prozess hier in abgeschwächter Form abläuft, dafür aber von Dauer ist. Tatsächlich werden Entzündungen heute im Zusammenhang mit depressiven Erkrankungen diskutiert. Studien haben gezeigt, dass Entzündungsprozesse das Gleichgewicht der Neurotransmitter stören. Neurotransmitter sind chemische Stoffe, die an der Kommunikation zwischen Nervenzellen beteiligt sind, und es besteht ein Zusammenhang zwischen einem Ungleichgewicht dieser Stoffe einerseits und Depressionen andererseits. Chronische Entzündungen können im Besonderen den Spiegel der Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Noradrenalin verändern, was zur Entwicklung einer Depression beitragen kann.

Diese Zusammenhänge erklären auch, weshalb es die Entstehung von neurodegenerativen Krankheiten wie Demenzerkrankungen begünstigen kann, wenn man über längere Zeit mit chronischen Entzündungsprozessen lebt. Eine ihrer weiteren unschönen Folgen ist, dass sie die Neubildung von Nervenzellen verringern und zu einer schlechteren synaptischen Anbindung dieser Zellen führen können. Doch damit nicht genug: Entzündungsprozesse sind auch an der Bildung von Ablagerungen im Gehirn beteiligt.

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Entzündungen mit steter Zytokinausschüttung fördern Autoimmunerkrankungen.

Entzündungen und Autoimmunerkrankungen

Den Zusammenhang zwischen chronischen Entzündungen und Autoimmunerkrankungen zeigen zahlreiche Studien: Personen mit starkem Übergewicht und daraus resultierenden Entzündungen leiden häufiger an Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlichen Darmkrankheiten. Ist eine solche Erkrankung im normalgewichtigen Zustand vorhanden, verschlechtert sie sich meist bei Gewichtszunahme.

Der Krankheitsmechanismus

Um zu zeigen, auf welche Weise chronische Entzündungen Autoimmunerkrankungen begünstigen, müssen wir auf die entzündungsfördernden Signalstoffe zurückkommen. Einer der wichtigsten Mechanismen besteht darin, dass chronische Entzündungen mit einer dauerhaften Freisetzung von Zytokinen verbunden sind (siehe >). Dazu gehören Botenstoffe wie TNF-alpha und IL-6.

Wenn Entzündungsfaktoren wie TNF-alpha und IL-6 dauerhaft in erhöhter Konzentration im Körper zirkulieren, können sie eine entzündliche Aktivierung in anderen Organsystemen bewirken und damit auch Autoimmunerkrankungen begünstigen. Daher leiden Menschen, die aufgrund einer Stoffwechselstörung eine stille Entzündung haben, auch häufiger an Krankheiten wie rheumatoider Arthritis oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

Bezüglich der Autoimmunerkrankungen konnte zudem eine Verbindung zu einem erhöhten Leptinspiegel durch einen erhöhten Körperfettanteil gezeigt werden. Dauerhaft erhöhte Leptinwerte aktivieren das Immunsystem und sorgen dadurch ihrerseits für entzündliche Prozesse.

Ein Faktor ist auch die Störung des Mikrobioms im Darm, da die systemischen Entzündungen das Gleichgewicht aus eher entzündungsfördernden und eher antientzündlichen Bakterien im Darm empfindlich stören und gleichzeitig die Durchlässigkeit der Darmbarriere beeinträchtigen. Dies kann zum sogenannten leaky gut, also einer erhöhten Durchlässigkeit des Darms führen, bei der einzelne bakterielle Gifte die Darmbarriere überwinden können (siehe auch >). Die Kombination aus einem bakteriellen Ungleichgewicht (Dysbiose) im Darm und der Störung der Darmbarriere kann Autoimmunprozesse fördern.

Die Folgen

Sehen wir uns die Auswirkungen am Beispiel der rheumatoiden Arthritis an: Bei dieser Autoimmunerkrankung werden ständig Zytokine wie TNF-alpha und IL-6 im Überfluss produziert, was zu der chronischen Entzündung und den für diese Krankheit typischen Gelenkschäden beiträgt. Die Knorpel- und Knochenschäden in den Gelenken entstehen speziell dadurch, dass bestimmte Enzyme freigesetzt werden, die diese Knorpel- und Knochenstrukturen abbauen.