DER BRAUSEFLUG: DAS VERNACHLÄSSIGTE ELEMENT IN DER KOMMUNIKATION DER HONIGBIENEN

Erweiterte Blickrichtungen machen neue Erkenntnisse möglich, oder rufen, wie nachfolgend geschildert, längst vergessene Ansätze wieder auf den Plan.

Sammelbienen-Neulinge finden die Ziele, die von erfahrenen Bienen beflogen werden, noch in mehreren Kilometern Entfernung von ihrem Nest. Sie finden sie selbst dann, wenn diese Ziele durch den Menschen unter einer Bedeckung verborgen werden und nur durch schwierige Zugänge erreichbar sind. Schon Aristoteles hatte gruppenweises Landen von Sammelbienen an Blüten beobachtet und vermutete (fälschlicherweise) ein Hinterherfliegen der Neulinge bereits vom Bienennest an. Recht nahe kam einem Weg der Verständigung zwischen den Bienen Spitzner, der um 1810 herum auffällige Flugmuster beschrieb, in deren Folge sich Neulinge an den Blüten einstellten.

Karl von Frisch, der große Altmeister der Bienenforschung, machte die gleiche Beobachtung zu dem, was wir als Brauseflüge bezeichnen. Er schrieb 1923: „Die Sammlerinnen, die vom Stock her zum vollen Schälchen geflogen kamen, schwärmen oft auffallend lange über dem Futterplatz in unregelmäßigen Touren herum.“ Von Frisch erforschte daraufhin ihr Auftreten und ihre Wirkung auf andere Bienen. Dabei entdeckte er u. a., dass brausefliegende Bienen mit einer sichtbar geöffneten Duftdrüse an ihrem Hinterleib (Nasanov-Drüse) die Blüten umschwirren. Die Bienen entlassen dabei Geraniol (siehe S. 33), den Duftstoff, den sie auch einsetzen, um den Eingang zum Bienenstock zu markieren, dann allerdings nicht im Flug, sondern vor dem Eingang sitzend. Von Frisch konnte zeigen, dass ein Verschließen dieser Drüse einen rapiden Rückgang ankommender Neulinge zur Folge hatte. Ihm fiel weiterhin auf, dass im Bienenstock ein weiteres Verhalten der Bienen (das vor ihm bereits Unhoch im Jahre 1823 wie folgt beschrieben hatte: „…, dass sie sogar auch nach ihrer Art zuweilen einen gewissen Tanz anstellen …“), mit den Brauseflügen am Zielort zusammenhängt: Bienen, die im Stock die auffallenden Tänze aufführen, zeigen fast immer Brauseflüge auf. Ohne Tänze beobachtet er keine Brauseflüge.

EIN AUFSCHLUSSREICHES EXPERIMENT

Gemeinsam mit meinem Kollegen Prof. Songkun Su und Prof. Shaowu Zhang haben wir diese Beobachtung an Apis mellifera und auch an der Asiatischen Honigbiene Apis cerana wie folgt bestätigt gefunden: In einer experimentellen Serie wurden zehn Sammelbienen zu einer Futterstelle in 300 Metern Entfernung vom Stock dressiert. Für jede der zehn Bienen wurden je 20 Sammelflüge beobachtet. Registriert wurde im Stock für jede individuell beobachtete Biene „Tanz“ oder „Nicht-Tanz“ und für den darauf folgenden Sammelflug am Futterplatz „Brauseflug“ oder „Nicht-Brauseflug“. Das Ergebnis: in 81 % der 200 Einzelbeobachtungen zeigte die gleiche Biene Tanz und Brauseflug, in 8 % der Fälle Tanz und keinen Brauseflug, in 6 % der Fälle keinen Tanz und Brauseflug und in 5 % der Fälle keinen Tanz und keinen Brauseflug. Ein Beobachter am Futterplatz konnte einem zweiten Beobachter, der die Tänze im Bienen-Beobachtungsstock betrachtete, demnach mit 80 % Sicherheit per Funk übermitteln, ob die Biene, die eben am Futter eingetroffen war, vor ihrem Flug zum Futter getanzt hatte oder nicht.

DIE IDEE EINER „BIENEN-SPRACHE“ WIRD GEBOREN

Um 1940 herum machte Herr von Frisch eine seiner aufregendsten Entdeckungen: Details in den Bewegungen der im Stock tanzenden Bienen verändern sich mit der Position der Futterstelle in der Landschaft. Das war die Geburtsstunde der Idee einer „Sprache“ zwischen den Bienen, über die anscheinend sehr genau die Lage des Zieles kommuniziert werden konnte (man konnte ja sehen, dass die Neulinge an dem Punkt eintrafen, den auch die Tänzerin besuchte). In diesem Modell kamen die Brauseflüge nun nicht mehr vor – leider. Wären sie eingebaut worden, hätten sich höchstwahrscheinlich zwei unterschiedliche Positionen (1. der Tanz vermittelt Richtung und Entfernung zum Ziel und er allein bringt die Bienen dorthin und 2. auf der anderen Seite das Modell, dass der Tanz keinerlei von den Bienen genutzte Rauminformation enthält, sondern dass es ausschließlich Düfte sind, die die Bienen zum Ziel bringen) rasch angenähert. Zwischen 1923 und heute beachten und erwähnen gerade einmal, soweit mir bekannt ist, zwei Arbeiten die Brauseflüge, was erstaunlich ist, angesichts der Zuverlässigkeit ihres Auftretens.

Ist die Nasanov-Drüse geöffnet, verteilt das Brausen der Flügel das aus ihr austretende lockende Pheromon.

ALLE BAUSTEINE FÜHREN GEMEINSAM ZUM ZIEL

Die Brauseflüge sind geeignet, eine der Fragen, die Karl von Frisch beschäftigte (wie können durch hoch variable Tänze Neulinge exakt zu einem Ziel gebracht werden?), zu beantworten: Das Ziel wird durch die Flugfiguren und den Duft aus den Drüsen der Sammelbienen markiert. Die Existenz der Brauseflüge entspannt den Konflikt zwischen anscheinend unversöhnlichen Positionen der Bienen-Wissenschaft und weist den Weg zu einem dritten Modell, in dem wichtige Elemente beider Modelle ihren Platz finden: Die Schwänzeltänze geben ein grob umrissenes Gebiet an und sichern so, dass die Neulinge, die diese Vorinformation nutzen, nicht beliebig ausgerichtet und zeitaufwendig nach den Anschlusssignalen im Feld suchen müssen, in denen dann auch der Duft eine essenzielle Rolle spielt. Alle Bausteine im Rekrutierungsverhalten gehören zusammen. Es würde sich sehr lohnen, die Brauseflüge in ihren Details mit der gleichen Gründlichkeit zu erforschen, wie jedes Detail des Tanzverhaltens untersucht worden ist.

Das Kapitel „Bienentanz“ ist keineswegs geschlossen, wenn man ernst nimmt, was Karl von Frisch vor der Idee einer „Sprache“ zwischen den Bienen gesehen und als erster gründlich untersucht und beschrieben hat.