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2 Pflege in der Chirurgie

Doris Meyer, Lars Gröne

2.1 Entwicklung des Berufsbilds Pflege in der Chirurgie

Das Berufsbild der Gesundheits- und Krankenpflege umfasst die eigenständige Pflege, Beobachtung, Betreuung und Beratung von Patienten und Pflegebedürftigen sowie die Dokumentation und Evaluation der pflegerischen Maßnahmen. Des Weiteren gehören die Durchführung ärztlicher Anordnungen und die Assistenz bei ärztlichen Maßnahmen zu ihren Aufgaben. Einen Schwerpunkt in der Chirurgie nehmen besonders Wundbeurteilung und Wundversorgung und deren fach- und sachgerechte Dokumentation ein.

Die Mitarbeiter einer chirurgischen Station müssen gesondert geschult und über die neuesten Entwicklungen in der Wundversorgung informiert werden, damit eine professionelle Versorgung gewährleistet werden kann. So hat es sich bspw. bewährt, wie im Expertenstandard Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden gefordert, einen Wundexperten aus der Pflege auszubilden.

Merke

Die Aufgabe des Wundexperten ist es, die Kollegen entsprechend anzuleiten und zu unterstützen.

Beratung Die patientenorientierte Beratung und Anleitung nehmen einen immer größer werdenden Raum im Arbeitsalltag der Chirurgie ein ( ▶ Abb. 2.1). Fundierte fachliche Kompetenzen seitens der Mitarbeiter sind notwendig, um professionell beraten zu können, bspw. beim Verlust einer Extremität, der Anlage eines Enterostomas oder der Unterstützung bei der weiteren Versorgung einer chronischen Wunde. Dabei ist auch ein großes Maß an Empathiefähigkeit und Kommunikationsbereitschaft erforderlich. Darüber hinaus sollten Pflegekräfte in der Lage sein, Netzwerke für den Patienten herzustellen, die es ihm ermöglichen, seinen weiteren Lebensalltag gut zu gestalten.

Abb. 2.1 Beratung. Die Patientenberatung nimmt einen wichtigen Stellenwert im Arbeitsalltag von Pflegenden ein.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Beratung. Die Patientenberatung nimmt einen wichtigen Stellenwert im Arbeitsalltag von Pflegenden ein.

Organisationsfähigkeit Durch die zunehmende Verkürzung des Patientenaufenthalts in den Kliniken sind die Anforderungen an die Organisationsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter gestiegen. Sie müssen Prioritäten setzen können und sicher in den geplanten standardisierten Abläufen sein. Da sie die Durchführungsverantwortung für die ihnen übertragenen Handlungsschritte tragen, müssen sie bei der Delegation von Aufgaben den Qualifikationsgrad der Kollegen berücksichtigen, um Schaden vom Patienten fernzuhalten. In Zeiten der Arbeitsverdichtung ist ein hohes Maß an Teamfähigkeit erforderlich, damit das angestrebte Behandlungsziel erreicht werden kann.

Teamfähigkeit Bausteine dieser Teamfähigkeit sind:

Zum Erreichen des Behandlungsziels sind Absprachen mit den an der Therapie beteiligten Berufsgruppen unabdingbar. Dazu gehört kooperatives Zusammenarbeiten ( ▶ Abb. 2.2).

Abb. 2.2 Teamarbeit. Kommunikation und Kooperation sind wichtige Grundlagen für ein gut funktionierendes Team.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Teamarbeit. Kommunikation und Kooperation sind wichtige Grundlagen für ein gut funktionierendes Team.

2.2 Anforderungen in der chirurgischen Pflege heute

2.2.1 Tagesablauf in der Chirurgie

Die Übersicht bietet einen Einblick in die anfallenden Tätigkeiten, die von einer Pflegekraft auf einer chirurgischen Station organisiert werden müssen.

2.2.1.1 Allgemeine Aufgaben

2.2.1.2 Tagesablauf auf einer chirurgischen Station

Diese Übersicht beschreibt beispielhaft den Tagesablauf auf einer chirurgischen Station:

Frühdienst

06:00–06:15 Uhr

Übergabe vom Nachtdienst an den Frühdienst

Ab 06:15 Uhr

Ab 06:30 Uhr

Versorgung der Patienten mit folgenden Tätigkeiten:

Abb. 2.3 Zusammenarbeit. Letztlich profitiert der Patient von einer guten Zusammenarbeit zwischen Pflegenden und Ärzten.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Zusammenarbeit. Letztlich profitiert der Patient von einer guten Zusammenarbeit zwischen Pflegenden und Ärzten.

Ab 07:00 Uhr

Ab 07:30 bis 08:00 Uhr

Ab 08:00 Uhr

Ab 09:00 Uhr

Ab 10:00 Uhr

Ab 11:30 Uhr

Ab 13:15 Uhr

Spätdienst

Ab 13:30 Uhr

Abb. 2.4 Schmerzscore. Wichtig ist die regelmäßige Erfassung von Schmerzen bei Patienten.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Schmerzscore. Wichtig ist die regelmäßige Erfassung von Schmerzen bei Patienten.

Ab 15:00 Uhr

Ab 17:00 Uhr

Ab 18:30 Uhr

Ab 20:15 Uhr

Aufgaben des Nachtdiensts

20:15–06:15 Uhr

2.2.2 Ganzheitliche Pflege in der Chirurgie

Durch den vermehrten Einsatz von neuer Medizintechnik und die damit verbundenen schonenderen Operationseingriffe (z. B. minimalinvasive Chirurgie) konnte in den letzten Jahren die Aufenthaltsdauer vieler Patienten deutlich verkürzt werden. Daraus resultiert für die Pflegekräfte der Chirurgie, dass sie in immer kürzerer Zeit mehr Patienten versorgen müssen. Das führt dazu, dass heute die Informationen über den Patienten auf die wichtigsten Eckdaten, die zur Behandlung notwendig sind, beschränkt werden. Eine Herausforderung der veränderten demografischen Entwicklung ist die vermehrte Versorgung von multimorbiden Patienten im chirurgischen Bereich, in dem eine Operation bei Menschen im 9. Lebensjahrzehnt keine Ausnahme mehr ist.

2.2.2.1 Spezialisierung

In der Pflege hat diese Entwicklung dazu geführt, dass in den komplexen Aufgabenbereichen fachspezifische Experten für die Chirurgie ausgebildet werden. Unter anderem zählen dazu:

Diese Experten dienen als Ansprechpartner und Berater im pflegerischen Alltag. Das interdisziplinäre Zusammenspiel sichert die Versorgung der Patienten über den Krankenhausaufenthalt hinaus.

2.2.2.2 Dokumentation

Die Pflegedokumentation ist für die Abrechnung ein wichtiges Instrument. Dabei muss erkennbar sein, dass die Pflegehandlungen geplant, durchgeführt und evaluiert worden sind ( ▶ Abb. 2.5). Zu diesem Zweck sind in den letzten Jahren in vielen Bereichen Standards nach wissenschaftlichen Erkenntnissen erarbeitet worden. Die Expertenstandards sind als allgemeine Richtlinie anerkannt und ermöglichen so ein einheitliches Arbeiten auf den Stationen, aber auch in anderen Arbeitsbereichen. Diese Standards können als Grundlage für rechtliche Auseinandersetzungen dienen.

Abb. 2.5 Dokumentation. Die Pflegedokumentation zeigt, dass geplant, durchgeführt und evaluiert wurde.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Dokumentation. Die Pflegedokumentation zeigt, dass geplant, durchgeführt und evaluiert wurde.

Zu beobachten ist, dass in den letzten Jahren Hierarchiestrukturen zwischen dem pflegerischen und dem ärztlichen Bereich abflachen. Dies zeigt sich z. B. bei den täglichen Visiten, in denen heute vermehrt ein intensiver fachlicher Austausch aller beteiligten Personen stattfindet.

2.2.3 Demografischer Wandel

Der Entwicklungstrend in der Krankenpflege zeigt, dass die Alterung der Belegschaft stetig zunimmt. Das bedeutet, dass immer mehr ältere Mitarbeiter immer ältere Patienten betreuen. Parallel dazu gibt es einen Rückgang an jüngeren Bewerbern. Es kommt zu einer Steigerung der physischen und psychischen Belastungen für die Mitarbeiter. Dies bedeutet für die pflegerische Leitung, dass sie folgende Aspekte für die Einsatzplanung berücksichtigen muss:

Durch die immer älter werdenden Patienten haben sich die Anforderungen an organisatorische Aufgaben um den Krankenhausaufenthalt herum deutlich erhöht. Hinzu kommt, dass der Anspruch an die Lebensqualität älterer Menschen gestiegen ist. Die Pflege reagiert darauf mit Maßnahmen, wie Frühmobilisation und einer Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Eine steigende Zahl von Menschen mit einer Demenzerkrankung stellt erhöhte Ansprüche zeitlich wie auch körperlich an deren Versorgung. Einzelne Mitarbeiter der Chirurgie nehmen daher an Fortbildungen zu diesem Thema teil, damit sie adäquat auf diese veränderten Situationen auf den Stationen reagieren können.

Zusatzinfo

Konkurrenz. Zunehmend informieren sich auch ältere Menschen über verschiedene Medien über die Versorgungsangebote der Kliniken und deren Qualität. Das erhöht den Konkurrenzdruck der Kliniken untereinander.

2.2.4 Individuelle Pflege und Abrechnungspauschalen

Damit ein Raum für individuelle Pflegebehandlungen generiert werden konnte, wurde es für die Pflegekräfte immer wichtiger, die regelhaften Pflegehandlungen zu standardisieren, da die Krankenhausabrechnungen in Deutschland auf eine Abrechnung nach Pauschalen (DRG) umgestellt wurden. Um diesen individuellen Pflegebedarf zu erkennen, ist eine hohe persönliche Kompetenz erforderlich. Sie ermöglicht in Zeiten verkürzter Krankenhausaufenthalte, bedarfsgerecht auf den Einzelnen eingehen zu können. Da dies nicht immer realisierbar ist, benötigen Pflegepersonen eine entsprechende mentale Stabilität, um diese Situation aushalten zu können. Diese immer wiederkehrende Situation darf für sie kein Scheitern in ihrem pflegerischen Tun bedeuten, sondern sie müssen erkennen können, dass die Fallpauschale diesen Rahmen vorgegeben hat.

2.2.5 Leitbild eines Krankenhauses

Merke

Leitbilder spiegeln die Philosophie einer Klinik wider.

Bei der Erstellung eines Leitbilds ist zu bedenken, dass es in der Praxis gelebt werden kann und für jeden Mitarbeiter verständlich ist. Es bietet dem Einzelnen die Möglichkeit, sich damit zu identifizieren, und ist für seine Tätigkeit im Krankenhaus zielführend.

In den Eingangssätzen eines Leitbilds sollte auf den gesellschaftlichen Wandel eingegangen werden. Die Klinik will auch in der Zukunft leistungsfähig bleiben und ihre Attraktivität und Wirtschaftlichkeit steigern. Die Sicherung der Arbeitsplätze hat dabei großen Stellenwert. Es geht hervor, dass die einzelnen Berufsgruppen integrativ zusammenarbeiten, um auch in Zukunft zu bestehen.

Das Leitbild gliedert sich in Kernsätze. Patienten stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Ihre Zufriedenheit ist die Zukunft der Klinik. Weiter versteht sich die Klinik als Partner des Patienten, der mit ihm bewusst zusammenarbeitet. Auch werden die Angehörigen miteingebunden. Die Dienstleistungen sollen auf zeitgemäßem Niveau erfolgen. Sie entsprechen den Qualitätsstandards, sind wirtschaftlich und in den Kosten durchschaubar. Durch die Flexibilität ist das Haus veränderungsbereit.

Die Atmosphäre zeichnet sich durch Freundlichkeit aus. Der Führungsstil soll Zusammenarbeit, Offenheit und Transparenz fördern. Die Förderung der Mitarbeiter wird als Entwicklung von Zukunft verstanden. Kommunikation und Vernetzung mit Ärzten und Sozialeinrichtungen der Patienten sind gegeben. Die Verwirklichung ethischer Grundsätze stellt das menschliche Handeln in den Mittelpunkt des täglichen Miteinanders. Die Autonomie, die Fürsorge, das Schadensverbot und die Gerechtigkeit gegenüber dem Patienten runden das Leitbild ab.

2.2.6 Qualitätsmanagement und chirurgische Pflege

Das Qualitätsmanagement ist ein essenzieller Bestandteil im Krankenhaus. Die Beurteilung einer Qualität erfolgt überwiegend durch den Patienten. Der Patient allein entscheidet über die Erfüllung seiner Wünsche und Erwartungen, inwieweit eine Übereinstimmung von Ist und Soll der erbrachten Leistung besteht. Damit die Qualität für den Patienten transparent gemacht wird, bestehen unterschiedliche Qualitätsmanagementsysteme für Krankenhäuser. Das Qualitätsmanagement beschreibt, dass bestimmte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich einer Qualität aufeinander abgestimmt werden. De facto stehen die Prozesse in diesem Sinne in Wechselwirkung zueinander.

Es werden 3 Dimensionen in der Qualität unterschieden.

Strukturqualität Diese beschreibt die Rahmenbedingungen und die Aufbauorganisation, wie z.B. die Verfügbarkeit medizinischer Geräte. Weiterhin bildet die Strukturqualität das Zusammenwirken von Quantität und Qualität der verfügbaren Mitarbeiter. Das bedeutet, dass eine funktionierende Aufbau- und Ablauforganisation für jedes Krankenhaus eine Voraussetzung dafür ist, dass eine hohe Qualität der Arbeit, eine Zufriedenheit von Patienten und Mitarbeitern und ein wirtschaftlicher Erfolg erreicht werden können. Die Verantwortlichkeit für diese Qualitätsdimension liegt bei der obersten Leitung.

Prozessqualität Die Prozessqualität umfasst alle Maßnahmen und Aktivitäten, die im Laufe des Behandlungsprozesses ergriffen oder nicht ergriffen werden ( ▶ Abb. 2.6). Die Art und Weise der Durchführung der pflegerischen Maßnahmen ist hier ein essenzieller Bestandteil. Die Prozessqualität ist eng verbunden mit dem individuell definierten Pflege- und Behandlungsziel des jeweiligen Patienten sowie der Qualitätsphilosophie der Klinik.

Abb. 2.6 Prozessqualität. Die Prozessqualität entwickelt sich auch durch den Austausch mit den Kollegen.

(Foto: A. Fischer, Thieme)

Prozessqualität. Die Prozessqualität entwickelt sich auch durch den Austausch mit den Kollegen.

Ergebnisqualität Die Ergebnisqualität misst die Wirksamkeit und das Ergebnis des geplanten Erfolgs oder des Misserfolgs. Sie gilt als primärer Beurteilungsmaßstab der erbrachten Versorgungsleistung.

Merke

Team. Das Ziel des Qualitätsmanagements ist eine kundenorientierte Organisationsstruktur, die vor allem in kleinen, überschaubaren, ineinander vernetzten, bereichsübergreifenden Teamstrukturen zu sehen ist.

2.2.7 Evidenzbasierte Pflege

Im übertragenen Sinne bedeutet evidenzbasierte Pflege auf wissenschaftliche Erkenntnisse begründete Pflege. Sie basiert also auf dem, was bewiesen ist. Orientieren sich Pflegekräfte im Pflegeprozess an dieser Methode, so kommen sie der Aufforderung nach, professionell zu pflegen. Um diesen Weg weiter auszubauen, ist es erforderlich, praxisorientierte Pflegeforschung zu betreiben und die Erkenntnisse daraus umzusetzen.

Zusatzinfo

Pflegeforschung. Ein bekanntes Beispiel ist das Eisen und Föhnen zur Dekubitusprophylaxe. Pflegende gingen lange Zeit davon aus, dass diese Maßnahme zu einer dauerhaften Durchblutungsförderung der Haut führen würde und somit ein Dekubitus verhindert werden könnte. Untersuchungen zum Eisen und Föhnen zeigten schließlich, dass die Keimzahl im behandelten Gebiet stieg und sich die Durchblutungssituation sogar verschlechterte. Dieses Beispiel macht klar, welche Effekte durch pflegerisches Handeln hervorgerufen werden können, und unterstreicht damit die Wichtigkeit der evidenzbasierten Pflege.

2.2.8 Ethik in der chirurgischen Pflege

Das klinische Ethikkomitee ist ein integraler Bestandteil des Therapiekonzepts und der Mitarbeiterorientierung des Krankenhauses. Die Richtlinien, die beim täglichen Tun berücksichtigt werden, sind die 4 Prinzipien der Medizinethik:

Wenn diese Prinzipien jedem Mitarbeiter in der Chirurgie bewusst sind, ist ethisches Handeln selbstverständlich.

Die Intention ist es, die Auseinandersetzung mit den ethischen Fragen des klinischen Alltags zu fördern. Bei ethisch schwierigen Fragestellungen sollen Orientierungshilfen angeboten werden. Mittels ethischer Fallbesprechungen sollen diese Orientierungshilfen beratend dem Patienten, den Angehörigen, Pflegenden oder ärztlichen Mitarbeitern zur Seite stehen.

2.2.9 Ausblick für die chirurgische Pflege

Für die Zukunft wird sich die Pflege weiterhin immer wieder den veränderten Bedingungen im Gesundheitssystem anpassen müssen. Folgende Faktoren werden auch weiterhin die Entwicklung im Pflegealltag beeinflussen: