Freitag, der 26. März

Höhepunkte

1) Keine.

image Tiefpunkte

1) Morgen ist der BH-Kauf.

2) Hatte beim Aufwachen gehofft, ich hätte das gestrige Gespräch mit Ben nur geträumt, aber als ich mein nass geheultes Kissen gesehen hab, bin ich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeplumpst, der leider wie folgt aussieht: a) Ben will nicht mit mir nach Italien fahren und b) ich habe ihn angelogen und gesagt, dass wir auch nicht fahren, weil ich nicht so rüberkommen wollte wie eine doofe sitzen gelassene Tussi, wobei der Gipfel von dem Ganzen ist, dass …

3) … Mama und Papa noch gar nichts davon wissen. Schluck.

7.03 Uhr. Kurz vorm Frühstücken.

In fünf Minuten muss ich meinen Eltern eröffnen, dass wir über Ostern doch nicht nach Italien fahren. Etwas, das in Anbetracht der Tatsache, dass Mama sich gestern eine komplette neue Urlaubsgarderobe mitsamt drei Reiseführern über die Toskana gekauft hat, nicht gerade einfach werden dürfte. Wäre zurzeit gern jemand anderer, aber Mumi sagt immer: »Je eher da ran, desto schneller davon.« Also gehe ich jetzt in die Küche und klär das Ganze. Wünsch mir Glück!

7.28 Uhr.

Ha, wer sagt’s denn?! Das eben ist gar nicht so schlecht gelaufen! Zuerst wusste ich nicht so richtig, wie ich anfangen sollte, aber dann bin ich einfach mit der Tür ins Haus gefallen und habe erklärt, dass wir den Toskana-Urlaub leider absagen müssen. Papa hat seine Zeitung umgeblättert und dabei »Das ist schön, Julie …« gemurmelt (Hab ich schon erwähnt, dass er einem morgens nie zuhört?), aber Mama hat natürlich gleich geschaltet. Sie hat abrupt aufgehört, mit Otti »Hoppe, hoppe, Reiter« zu spielen, und mich stattdessen angesehen, als hätte ich ihr gerade eröffnet, dass ich mir ein Zungenpiercing stechen lassen will. Ich hab mich nicht getraut, ihren Blick zu erwidern, aber das musste ich auch gar nicht, denn Otti hat vor lauter Empörung über das abgebrochene Spiel ihre Breischale umgekippt und da war die Stimmung dann erst mal auf dem Höhepunkt. Mama hat genervt einen Lappen geholt, ich hab ihr geholfen, den Tisch sauber zu wischen, und sie hat seufzend den Kopf geschüttelt.

»Was erzählst du denn da, Julie? Das ist doch Blödsinn. Ich hab schon zugesagt und Bens Eltern rechnen fest damit, dass wir mitkommen.«

»Ich weiß. Tut mir leid, aber wir können trotzdem nicht fahren. Ich war gestern bei Ben und … Es geht einfach nicht!«

Otti hat noch immer gebrüllt und ich hab gespürt, dass mir gleich wieder die Tränen in die Augen schießen, aber ehe Mama noch nachfragen konnte, hat Papa mit einem »Könnte mir vielleicht mal jemand einen Kaffee geben?« hinter seiner Zeitung hochgeguckt und da hat Mama ihm den feuchten Wischlappen einfach auf den Teller gefeuert.

»Herrgott, Reiner, hast du überhaupt gehört, was deine Tochter gerade gesagt hat?«

»Was?«

Papa hat die brüllende Ottilie verwirrt gemustert, und während Mama stöhnend die Augen verdreht hat, hab ich noch mal wiederholt, dass wir nicht mehr nach Italien fahren können, so laut, dass es diesmal auch Papa verstanden hat. Für einen Moment waren alle still, selbst Otti, und diesmal war Papa echt gut. Vielleicht war das auch sein Dankeschön, dafür, dass ich Mama nichts von dem tätowierten Glatzkopf erzählt habe, auf jeden Fall hat er nicht mit der Wimper gezuckt, sondern mich nur prüfend gemustert.

»Okay. Und warum nicht? Gestern hast du dich doch noch total darauf gefreut. Ist es wegen Ben? Habt ihr euch gestritten?«

»Nein, nicht wirklich. Es ist nur … Ihr versteht das nicht …«

Während Mama und Papa mich besorgt angesehen haben, habe ich plötzlich gemerkt, dass mir eine Träne über die Wange gelaufen ist und dann noch eine, und als Nächstes konnte ich nichts mehr sehen, weil Mama mich schon zu sich herangezogen hat.

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»Ach, Mäuschen. Was ist denn bloß los? Mein kleines, armes Wurzelgemüse!« 14

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Ich hab mich in Mamas Arme gekuschelt, und als ich wieder hochgeguckt habe, hab ich gesehen, wie Mama Papa lautlos dasWort »Liebeskummer« zugeflüstert hat, und dann hat Papa sich geräuspert und vollmundig verkündet, dass das gar so keine schlechte Idee sei, die Toskana-Reise abzusagen, weil das Ganze eh recht teuer geworden wäre und er eigentlich ohnehin etwas anderes zu Ostern geplant hätte. Etwas Familieninternes, sozusagen eine Vater-Tochter-Intensivkur.

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»Du meinst so etwas, was man gegen Schuppen nimmt?«

Ich hab Papa unter Tränen angelächelt und er hat mit den Augen gezwinkert und dann gesagt, dass das eine Überraschung werden würde und ich mir über Italien keine Gedanken mehr machen solle, denn das würden sie mit Maike und Stefan, also Bens Eltern, schon geregelt kriegen.

»Oder was meinst du, Geli?«

Mama hat noch mal schwer geseufzt und ich hab gemerkt, dass sie gerade an ihren neuen Badeanzug gedacht hat, aber dann hat sie mich wieder an sich gedrückt. »Papa hat vollkommen recht. Mach dir deshalb keine Sorgen, in Ordnung?«

Ich hab den Kopf geschüttelt und Papa hat gesagt, jetzt müsste ich aber schnell meine Sachen packen, damit ich nicht noch zu spät zum Unterricht komme, und dann hat er mir noch einen Kuss auf die Stirn gedrückt. Und das war’s.

Puhhhhh! Das hätte auch richtig ins Auge gehen können!!!! Komisch nur, dass ich trotz aller Erleichterung gleichzeitig immer noch traurig bin. Wahrscheinlich weil es jetzt endgültig ist.

Sozusagen mit Brief und Siegel.

Wir fahren nicht mehr nach Italien.

Keine Spaghetti Carbonara!

Keine Sonne!

Kein Meer!

Keine Sternschnuppen!

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Keine Romeo-und-Julia-Szene mit Ben unter dem Balkon. Stattdessen eine wie auch immer geartete Schuppen-Kur mit Papa. Auch was Schönes. (Ha, ha, ha.)

14.56 Uhr. Nach der Schule.

Unglaublich, aber wahr. Es geht mir ein klitzekleines bisschen besser!

Eigentlich hatte ich heute überhaupt keine Lust, mit Ben nach der Schule nach Hause zu fahren, weil ich gedacht hab, dass mich das bestimmt nur wieder traurig macht, aber dann hat Ben gar nicht über die geplatzte Italienreise geredet, sondern mich stattdessen gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, als Sängerin bei Blacksheep (so heißt seine Band, die Schwarzen Schafe, nur auf Englisch) mitzumachen. Unfassbar, oder? Ich war total perplex, weil ich mit so was überhaupt nicht gerechnet habe, aber Ben hat bis über beide Ohren gegrinst und dann gemeint, na, da freue er sich doch, dass seine Überraschung geklappt hätte. (Keine Ahnung, was die Männer und Jungs in meiner Umgebung auf einmal mit ihren Überraschungen haben. Erst Papa und jetzt Ben. Na, egal …)

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Ich hab geantwortet, dass ich gar nicht gewusst hätte, dass die Schwarzen Schafe überhaupt eine Sängerin suchen, und Ben hat gemeint, dass ihm die Idee auch erst gestern Abend gekommen wäre. Das mit Italien hätte ihn so irre genervt, dass er die ganze Zeit überlegt hätte, wie er das wiedergutmachen könnte, und da ist ihm dann das mit der Sängerin eingefallen. »Wenn du bei uns in der Band wärst, könnten wir uns über Ostern wenigstens die ganze Zeit sehen. Auch wenn wir nicht nach Italien fahren, verstehst du? Voll der Hattrick!«

Ben hat mich verzückt angestrahlt und für einen Augenblick hat er mich mit seiner Begeisterung richtig angesteckt. Aber dann habe ich erst so richtig geschnallt, was er gerade gesagt hat, und da hat mein Magen prompt zu rumoren angefangen. Ich mein, nicht, dass ich nicht singen könnte oder so. In Musik hatte ich bisher immer eine Zwei und in der Fünften war ich auch mal ein Jahr im Chor, aber eine echte Rockband – das ist ja nun wirklich etwas anderes.

Ich hab Ben zögernd gesagt, dass ich gar nicht weiß, ob ich wirklich so gut singen kann, aber er hat nur gemeint, ich hätte bestimmt eine tolle Stimme.

Mhm.

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Erinnere mich dunkel, dass Papa meine Stimme mal mit der eines halskranken Esels verglichen hat. Und letztes Jahr hat er mir einen Euro angeboten, wenn ich aufhöre, unter der Dusche »Last Christmas, I gave you my heart« zu singen. Okay,Papa hat eine grundsätzliche Abneigung gegen Weihnachtslieder und die Dusche verzerrt das natürlich auch ziemlich doli, aber trotzdem …

Was die ganze Geschichte noch zusätzlich schwierig macht, ist, dass Bens bester Freund Fiete, der bekloppte Marc und Steffen, der neue Keyboarder, Bens Idee mit der Sängerin zwar gut finden, aber dass sie dafür gleich ein richtiges Casting veranstalten wollen. Der bekloppte Marc ist nämlich felsenfest davon überzeugt, dass sie bei dem großen Schülerband-Wettbewerb am Freitag nach Ostern bei uns an der Schule nur Chancen haben, wenn sie eine Top-Interpretin finden. Laut Ben haben Marc und er sich gestern Abend am Telefon deswegen sogar richtig gestritten. Weil Ben das mit dem Casting für völlig überflüssig hält. Aber Marc ist trotzdem hart geblieben und hat gesagt, entweder es findet nächsten Dienstag ein richtiges Vorsingen mit allem Drum und Dran statt oder Ben kann das mit der Sängerinnen-Idee vergessen.

Ben hat mich gefragt, ob ich ein Problem mit einem Casting hätte, und dabei hat er ganz besorgt ausgesehen, aber ich hab ziemlich lässig erwidert, dass das in meinen Augen nur fair wäre. Wenn ich wirklich als Leadsängerin in einer Band singen sollte, will ich das schließlich auch aus eigener Kraft geschafft haben und nicht mit Vitamin B.

Oh, Mann, wie das klingt! Leadsängerin!! Kann mir das noch überhaupt nicht vorstellen!!! Aber wer weiß. Madonna hat schließlich auch mit dreizehn angefangen. Und Rihanna glaub ich auch. Oder war das Katy Perry? Egal.

19.31 Uhr.

Bekomme gerade eine echte Krise! So ein Mist! Versuche verzweifelt, mich da nicht reinzusteigern, aber das klappt nicht! Heute Nachmittag beim Konfer15 habe ich Scharina, Franzi, Jette und Sophie von dem Sängerinnen-Casting erzählt. Na ja, und eben hat Sophie mich angerufen und mir berichtet, dass ich mich nicht aufregen soll, aber dass sich diese Linea wohl auch bei dem Casting bewerben wird. Und nicht nur das. Anscheinend ist sie auch noch eine Top-Favoritin, nicht nur weil sie E-Gitarre spielt, sondern vor allem weil sie – Zitat Fiete – »eine megageile Stimme« hätte. Normalerweise würde mich das nicht sonderlich stören, weil ich ja von Ben weiß, dass Sophies Bruder voll in Linea verknallt ist, und da findet man den anderen immer toll, aber Sophie meinte, Fiete hätte ihr eben ein Demotape von Linea vorgespielt und darauf würde sie klingen wie Shakira.

Mhm. Ehrlich gesagt, klingt meine Stimme nicht im Mindesten wie die von Shakira. Und auch nicht wie die von Rihanna oder Katy Perry. Sondern eher wie die von meiner Mutter. Zumindest wenn man Papa und dem Bofrost-Mann glauben kann, die unsere beiden Stimmen am Telefon ganz häufig miteinander verwechseln. Theoretisch ist das ja auch nicht schlimm, weil Mama eigentlich eine ganz nette Stimme hat, nur leider ist ihre Singstimme … na ja, gewöhnungsbedürftig wäre eine Untertreibung. Letztes Jahr im Weihnachtsgottesdienst hat ihr Sitznachbar vor lauter Schreck sein Gesangsbuch fallen lassen, als Mama »Stille Nacht« angestimmt hat. Wirklich wahr!

Was also, wenn meine Singstimme genauso klingt wie die von Mama? Man hört sich ja selber nie so, wie andere einen hören, und insofern wäre es durchaus möglich, dass ich denke, ich würde ganz normal singen, und dabei klinge ich in Wirklichkeit wie ein Hirsch in der Brunft. Oh, Shit!

Allmählich kommt mir diese ganze Sängerinnen-Idee immer bekloppter vor. Ich mein, mal ganz abgesehen von meiner Stimme. Allein schon die Vorstellung, dass ich auf irgendeiner Bühne stehen und singen soll, während mich tausend Leute anstarren!

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Ich muss vorhin ein totales Blackout gehabt haben, als ich Ben zugesagt habe. Schließlich mache ich bei der Theater-AG seit Jahren nur das Bühnenbild, weil ich in der Vierten bei »Hänsel und Gretel« vor lauter Lampenfieber mitten in die Requisite gekotzt habe. Dabei hatte ich da nur eine Rolle als vierte Tanne von rechts!!! Und jetzt soll ich die Leadsängerin sein! Oh, Gott, ich muss unter Drogen gestanden haben, als ich Ben gesagt habe, dass ich bei diesem bescheuerten Casting mitmache! Wie konnte ich nur???

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14 Wurzelgemüse nennt Mama mich immer, wenn sie gerade einen Liebesanfall hat. Habe schon x-mal versucht, es ihr abzugewöhnen, aber seit ich erfahren habe, dass Sophies Mutter Sophie manchmal »Hängebauchschweinchen« nennt, wenn sie alleine sind, finde ich »Wurzelgemüse« gar nicht mehr so schlimm.

15 Wobei mir gerade einfällt, müsste es nicht eigentlich Konfir heißen, wegen Konfirmandenunterricht? Egal.