Mittwoch, der 31. März

image Höhepunkte

1) Gibt’s nicht.

Tiefpunkte

1) Meine Existenz.

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Bin eben aufgewacht und wusste im ersten Moment nicht, warum ich an einem stinknormalen Schultag um 8.54 Uhr noch immer in meinem Bett liege, aber dann fiel mir alles wieder ein. Ben und ich sind nicht mehr zusammen. Denke, sterben wäre eine gute Alternative!

10.42 Uhr.

Habe eben erfolglos versucht, einen Zwieback zu essen. Null Chance. Obwohl ich nach der ganzen Spuckerei gestern eigentlich Hunger haben müsste, konnte ihn einfach nicht runterbringen. Immer, wenn ich an Ben denke (und ich denke im Moment andauernd an ihn), dreht sich mein Magen einmal um sich selbst, und das war’s dann zum Thema Essensaufnahme. Kaum zu glauben, aber vor ein paar Wochen hab ich mir sogar mal gewünscht, Liebeskummer zu bekommen, weil Jette meinte, das sei besser als jede Diät. (Das war auch der Grund, warum sie in den letzten Winterferien vier Kilo abgenommen hat – sie hat sich nämlich in Sepp, ihren 23-jährigen (!!!) Skilehrer verknallt! Wenigstens etwas, zu dem Skilehrer gut sind …) Ach, verdammt, jetzt werde ich auch noch fies. Dabei habe ich eigentlich nichts gegen Skilehrer.23 Wahrscheinlich hab ich’s einfach nicht besser verdient! Oh Mann!

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Das Haus ist total still. Mama ist mit Otti bei Mumi, weil sie mit ihr über irgendetwas Wichtiges reden will. Dachte erst, es sei Mumis geheimnisvolles Date, aber das ist es wohl doch nicht, sonst hätte Mama wohl kaum den Immobilienteil vom Abendblatt mit eingesteckt. Ob Mumi umziehen will? Keine Ahnung. Mir auch egal.

Alle anderen sind in der Schule und ich starre seit zwei Stunden wie ein waidwundes Reh durchs Fenster auf Bens Vorgarten (er ist auch in der Schule, zumindest ist sein Fahrrad weg) und fühle mich dabei wie ein gehirnamputierter Zombie. Habe eben auf dem Weg ins Bad in den Spiegel geguckt und festgestellt, dass ich auch so aussehe. Bin anscheinend über Nacht mutiert: von einer gut durchbluteten Dreizehnjährigen mit blauen Augen und Nofretete-Nase zu einem bleichen Mitglied der Addams-Family mit eingefallenen Wangen und Augenringen, so groß wie Lkw-Räder.

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Kann noch immer nicht glauben, dass ich Ben nie wieder umarmen oder durchs Haar wuscheln darf. Habe neulich in einer von Mamas Zeitschriften gelesen, dass es gut ist, wenn man sich bei Liebeskummer wütend fühlt, weil man dann bereits auf dem Weg der Besserung ist. Fühle mich leider NULL wütend. Nur abgrundtief elend. So ähnlich muss es einem nach einem Boxkampf gehen, den man haushoch verloren hat. Man kommt sich vor wie ein wabbeliges Häufchen Mensch, das niemand mehr haben will.

Das einzig Positive ist, dass ich Ben in der Pause nicht sehen muss, weil ich heute nicht in der Schule bin. (Und wenn ich Glück habe, kann ich morgen auch noch zu Hause bleiben, was genau genommen heißt, dass ich jetzt schon Osterferien habe.) Na ja, und vielleicht noch, dass Mama gestern Abend nicht weiter nachgehakt hat, als ich ihr gesagt habe, dass sie mit Ben nicht mehr reden muss, weil ich das schon erledigt hätte. Habe erst befürchtet, sie sieht mir an, was passiert ist, und will dann alles haarklein wissen, aber sie hat nur kurz genickt und an ihrem erleichterten Blick habe ich gemerkt, dass sie ihr Angebot, mit Ben zu reden, längst wieder vergessen hatte. Tja, so viel zum Thema: Meine Tochter ist mir wichtig.

Okay, um sie zu verteidigen, muss man vielleicht erwähnen, dass Papa ihr vor ein paar Tagen irgendetwas Blödes erzählt haben muss, seitdem wirkt sie nämlich ziemlich geistesabwesend und ist ganz schön gereizt, aber trotzdem. Selbst wenn Papa mal wieder irgendeinen Unsinn angestellt hat, vergisst man deswegen die einzige Bitte seiner kranken Tochter? Eigentlich nicht.

11.53 Uhr.

Es ist noch immer alles still.

12.46 Uhr.

Wollte eben den Fernseher anstellen, aber Mama hat die Fernbedienung mitgenommen. Kann man sich so was vorstellen? Dieses merkwürdige Erziehungsseminar, an dem sie im letzten Monat teilgenommen hat, ist echt das Letzte. Erst die Sache mit dem Strafgeld für Schimpfwörter und jetzt das. Dabei bin ich 13! Ich habe ein Recht auf Fernsehen! Selbst als Hartz-IV-Empfänger dürfen sie einem nicht den Fernseher wegnehmen! Hab ich gestern geschrieben, dass ich meine Mutter mag? War wohl auch eine Halluzination! Warum darf sie mich immer noch behandeln, als ob ich ein Baby wäre? Ich hasse das!!! Ist schließlich meine eigene Entscheidung, ob ich beim Vormittagsprogramm von Sat1 verblöde oder nicht.

13.03 Uhr.

Hätte nie gedacht, dass ein Haus so still sein kann. War kurzzeitig versucht, Bens Blacksheep-CD anzuhören, habe es dann aber unter Aufbringung sämtlicher Selbsterhaltungskräfte gelassen.

13.27 Uhr.

Habe eben das Radio angestellt. Auf Radio Hamburg lief »Sinfonie«. Bei der Textzeile »Wir stehen hier im Regen, haben uns nichts mehr zu geben und es ist besser, wenn du gehst …« habe ich das Radio wieder ausgeschaltet.

13.52 Uhr.

Habe es eben noch mal mit dem Radio probiert. Diesmal sang Juli: »Ja, ich weiß, es war ’ne geile Zeit, es tut mir leid, es ist vorbei! Es ist vorbei!« Beim zweiten »vorbei« habe ich den Stecker gezogen. Nehme an, der Radiosender hat irgendeinen Deal mit der Bestatter-Innung abgeschlossen, um die Selbstmordrate bei Liebeskummer hochzutreiben. Wahrscheinlich kriegen sie Prozente auf die Särge.

14.37 Uhr.

Mama war da und hat gefragt, ob ich etwas essen will. Ich habe ihr geantwortet, dass ich nichts außer der Fernbedienung und einer Tüte Chips brauche, woraufhin sie meinte, wie schön, dann sei ich ja gesund und könne morgen wieder in die Schule gehen. Habe ich schon geschrieben, dass ich sie manchmal hasse??!

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17.05 Uhr.

Hoffentlich ist dieser Kack-Tag bald um!

23 Okay, sie sagen Fleischpflanzerl zu Frikadellen und haben Namen, die sich auf »Depp« reimen, aber das war’s auch schon …