Mittwoch, der 7. April

image Höhepunkte

1) Habe eben, bevor ich meine Schulsachen gepackt habe, im Internet nach Wohnungen in der Nähe gesurft und dabei zwei ganz gute gefunden. (Nur für den Fall, dass Mama und Papa glauben, hier gäbe es nichts Passendes. Dann kann ich da gleich gegensteuern.) Die eine ist nur knapp fünf Minuten von hier entfernt und hat einen kleinen Garten und ein riesiges Zimmer nach hinten raus, in das ich vielleicht ein doppeltes Hochbett reinstellen könnte. Das wäre natürlich cool! Habe überlegt, den Makler der Holmer Wohnung heimlich anzurufen und ihm im Namen meiner Mutter abzusagen (dann wäre die Ähnlichkeit unserer Stimmen wenigstens mal zu was gut), bin mir aber noch nicht sicher, ob das Ganze nicht zu schnell auffliegt.

image Tiefpunkte

1) Übermorgen ist das Schulfest mit dem großen Bandwettbewerb bei uns in der Aula. Überlege zurzeit, ob ich hingehen soll oder nicht, und habe deswegen eine Pro-und-Kontra-Liste erstellt. Unter Pro steht, dass ich mir, wenn ich nicht hingehe, den Anblick von Linea und Ben auf der Bühne erspare. Unter Kontra steht, dass ich den Abend, wenn ich nicht hingehe, wahrscheinlich mit einer schreienden Schwester, einem frustrierten Vater und einer kostenaufstellungsfixierten Mutter zu Hause verbringen muss. Auch nicht gerade verlockend.

2) In Sachen »Wie halte ich Scharis Bruder von Herrn Kleinhardt fern?« ist mir noch nichts eingefallen. Schari will Jannick heute in der Schule davon überzeugen, dass er seinen Vater daran hindert, übermorgen aufs Schulfest zu gehen. Wenn’s klappt, hätten wir zumindest Zeit gewonnen.

3) Heute ist das Abendessen bei Mumi, bei dem uns der tolle Thorwald vorgestellt werden soll. Freue mich schon unbändig darauf Hahaha!

Gleich geht’s los zur Schule und erstaunlicherweise habe ich gar keine so schlechte Laune. Merkwürdig. Fühle mich sogar fast so etwas wie befreit. Als ob meine Ausbrüche bei Ben und meinen Eltern doch was Gutes gehabt hätten. Und vielleicht haben sie das ja auch. Immerhin hab ich die Sachen jetzt ein für alle Mal klargestellt und jeder weiß, woran er ist.

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1)Ich ziehe nicht nach Holm.

2) Ich hab alle Notlügen aufgeklärt und …

3) … ich bin vielleicht wieder solo und Papa ist erst mal eine Zeit arbeitslos und hat diesen blöden Prozess an der Hacke und das mit dem Laptop zum Geburtstag kann ich mir auch abschminken, aber ich habe die besten vier Freundinnen der Welt und kann später alles, was ich erlebe, in meinen feministischen Horrorromanen verarbeiten und damit wahnsinnig viel Geld verdienen! Ha!!

Es ist schon ein bisschen strange, aber irgendwie freue ich mich fast, Hubertus und Hanna wegen der Sache mit dem Busenfoto gleich in der Schule zur Rede zu stellen. Schließlich bin ich genau in der richtigen Stimmung, jemanden zu Hackfleisch zu verarbeiten, und da bieten sich die beiden ja geradezu an. Also auf ins Gefecht!

14.05 Uhr. Nach Schulschluss wieder zu Hause.

Bin noch immer absolut sprachlos! Da will ich mir in der großen Pause diesen Schleimer von Hubertus vorknöpfen und was passiert? Erst tut er wie Mr Supercool und will von nichts eine Ahnung haben und dann bricht er vor Jette, Franzi, Sophie, Schari und mir plötzlich in Tränen aus! Herrgott! Der Typ hatte solche Angst, das glaubt man nicht.

Dabei wirkt Sophie mit ihren Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und dem rosa Hello-Kitty-T-Shirt ungefähr so Furcht einflößend wie ein Teletubbie in 3-D, aber was soll’s. Anscheinend hat es gereicht. Nach einem Rede-oder-ich-kill-dich-Blick von Schari hat Hubsi ein lückenloses Geständnis abgelegt. Erst hat er erzählt, dass ihm die Sache mit dem Foto von mir und meinem Leberfleck furchtbar leidtun würde und dass er es nie behalten hätte, wenn er gewusst hätte, wie es entstanden ist (Ha, von wegen!), und dann hat er uns wimmernd angefleht, wir sollten ihn bloß nicht schlagen, weil fünf gegen einen unfair sei und er außerdem Kontaktlinsen tragen würde. Was sagt man dazu? Ohne Worte!!!!!!!!!!!!!!!!

Nachdem Hubertus die ganze Schuld auf Hanna geschoben hatte, wollte ich eigentlich gleich weiter in unsere Parallelklasse, um endgültig Tabula rasa zu machen, aber im selben Moment hat Sophie mich schon beiseitegezogen und mir berichtet, dass sie gegen Hanna etwas viel Besseres in der Hand hätte.

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Konnte mir zuerst nicht vorstellen, was das sein könnte, aber dann hat sie grinsend eine DVD hinter ihrem Rücken hervorgezogen und gemeint, die stamme aus der Überwachungskamera des Alsterhauses, und da war ich erst mal platt. Franzi, Schari und Jette ging’s genauso, das habe ich an ihren Blicken gemerkt. Sophie hat so selbstzufrieden gelächelt, als hätte sie gerade mit Robert Pattinson geknutscht, und dann hat sie uns erzählt, dass ihr Cousin im Alsterhaus in der Sicherheitsabteilung arbeiten würde und dass der bei ihr noch etwas guthätte, nachdem sie sich hatte breitschlagen lassen, auf dem siebzigsten Geburtstag ihrer gemeinsamen Oma das bekloppte Gedicht allein vorzutragen, das ihre beiden Mütter verfasst hatten.

»Na und da hat er mir diese Kopie besorgt, auf der Hanna voll in flagranti zu sehen ist. Das Ganze dauert zwar höchstens ein paar Sekunden, aber ich denke, es reicht, um ihr einen Heidenschreck einzujagen.«

»Wow!«

»Oh Mann, das ist echt der Hammer!«

Während die anderen die DVD so ehrfürchtig betrachtet haben, als handele es sich um den Heiligen Gral, habe ich Sophie zweifelnd gemustert.

»Also, ich will ja nicht rumunken, aber … Glaubst du echt, das funktioniert? Ich mein, die Polizei tut so was doch garantiert unter der Rubrik Schülerscherz ab und …«

»Wer spricht denn von Polizei?« Sophie hat gegrinst und plötzlich ist mir aufgefallen, dass die brave Sophie in letzter Zeit gar nicht mehr so brav wie früher ist.

»Wir können Hanna ja einfach androhen, die DVD morgen auf dem Schulfest zu zeigen. Damit alle sehen, was für eine intrigante Ziege sie ist. Wenn Hubertus danach ans Mikro geht und erzählt, was passiert ist, dann kriegt sie von unserem Direx garantiert tierischen Ärger. So wie der Mobbing hasst …«

Bei dem Wort »Ärger« haben Franzis Augen aufgeleuchtet, aber ich hab mir auf einmal vorgestellt, wie ich mich fühlen würde, wenn die ganze Schule von der Sache erfährt, und da hat sich die Flurdecke schlagartig ein Stück auf mich runterbewegt.

»Sorry, aber … Wenn ich daran denke, dass unsere gesamte Schule sieht, wie ich diese BHs …«

Allein schon bei dem Gedanken ist mir ganz elend geworden, aber Sophie hat mich gar nicht aussprechen lassen. »Von dir sieht man überhaupt nichts auf der DVD. Echt nicht! Nur Hanna, wie sie mit ihrem Handy in der Hand auf diesen Stuhl in ihrer Kabine steigt und das Foto macht. Das ist alles!«

»Bist du dir sicher?«

Habe Sophie unsicher angeguckt, und während sie genickt hat, hat Schari mir beruhigend den Arm um die Schulter gelegt.

»Außerdem brauchst du keine Angst zu haben. Hanna riskiert das mit der öffentlichen Vorführung sowieso nicht. Schließlich kann sie sich ja ausrechnen, was passiert, wenn der Direx davon Wind kriegt. Das gibt mindestens einen Verweis, wenn nicht gleich zwei. Einen hat sie seit dieser Wattgeschichte letztes Jahr eh schon, das heißt, zusammen wären es zwei oder drei, und mit dreien fliegt sie. Das weiß sie ganz genau. Also, ich denke, die DVD hier ist eine Super-Chance, die Sache ein für alle Mal zu klären, oder?«

Schari hat einen Blick in die Runde geworfen und alle haben genickt, nach kurzem Zögern sogar ich.

»Okay, und was verlangen wir? Dass sie Schari und mich endgültig in Ruhe lässt?«

Ich hab die anderen angeguckt und Franzi, Sophie und Jette haben einen nachdenklichen Blick gewechselt.

»Mindestens. Und dass sie Ben erzählt, dass sie hinter der ganzen Fotogeschichte steckt.«

»Genau!«

»Und ich bin dabei, wenn sie das tut. Damit wir auch wissen, dass sie ihr Versprechen hält. Einverstanden?«

Schari hat mich fragend angesehen, und während der Gong zum Stundenbeginn geläutet hat, habe ich seufzend genickt.

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»In Ordnung.«

Eine Sekunde später haben wir fünf uns abgeklatscht und dann habe ich mich noch mal zu Sophie umgedreht und sie umarmt.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so dankbar dafür sein würde, dass du beim Siebzigsten deiner Oma ein Gedicht vorgetragen hast.«

»Kein Problem.« Sophie hat mir zugezwinkert und anschließend sind wir zurück in die Klasse marschiert, allerdings nicht, ohne vorher noch einmal festgelegt zu haben, dass wir uns Hanna erst morgen vorknöpfen, weil ich heute nach der Schule noch auf Otti aufpassen muss, während Mama arbeitet.

»Oh, du Glückliche. Otti ist so süß!!«

Sophie hat schwärmerisch ins Weite geguckt und ich war kurz davor, ihr einen Vogel zu zeigen (ich mein, ein Trotzanfall von Otti und du kannst deine Körperteile einzeln aufsammeln), aber dann ist mir eingefallen, dass ich Schari ja noch gar nicht gefragt habe, wie weit sie in Sachen Jannick ist, und das habe ich dann schnell nachgeholt.

»Glaubst du, er schafft es, seinen Vater übermorgen vom Schulfest fernzuhalten?«

»Ich denk schon. Er hat’s mir zumindest versprochen.«

»Gut!«

Ich habe Schari die Tür zu unserem Klassenzimmer aufgehalten und wollte gerade auf meinen Platz schlüpfen, da hat mich ein spitzes »Ach, Julie, auch schon da?« von Frau Trempe zurückgehalten. Na, und anschließend musste ich dann »esse« in Gegenwart und Vergangenheit an der Tafel durchkonjugieren, wobei ich natürlich schmählich versagt habe,46 und das war’s dann für heute.

17.57 Uhr.

Habe bis eben auf Otti aufgepasst, was – seitdem sie krabbeln kann – der totale Stressjob ist, weil sie andauernd alle Bücher aus den Regalen reißt und man immer höllisch aufpassen muss, dass man auch ja das Treppengitter hinter sich zumacht. Aber inzwischen müsste Mama gleich aus der Buchhandlung zurück sein und dann machen wir uns mit Otti auf den Weg zu Mumi, um Morcheln zu essen (Würg!) und den vermeintlichen Heiratsschwindler Thorwald kennenzulernen. (Papas Ausrede war wie immer ein »enorm wichtiger« Termin. Denke, in Anbetracht seiner Arbeitslosigkeit müsste er sich langsam mal etwas Neues einfallen lassen …) Mann, hab ich vielleicht eine Lust! Wenn ich die Wahl hätte, Lateinvokabeln zu lernen oder gleich zu Mumi zu gehen, würde ich mich glatt für die Vokabeln entscheiden. Und das sagt in Anbetracht meiner letzten Vier minus in Latein doch wirklich alles.

PS: Wusstest du, dass die dritte Person Plural von »esse« »sunt« heißt und nicht »essent«? Warum??? Verstehe diese Sprache, wer will, aber sie ist im Gegensatz zu dem, was alle Erwachsenen sagen, einfach unlogisch!

46 Habe ich schon mal geschrieben, dass ich Latein hasse??