Donnerstag, der 22. April

image Höhepunkte

1) Mama hat ihre Diät abgebrochen! Heute Morgen hat sie drei Croissants mit Butter und Marmelade gegessen und dabei lauthals verkündet, dass der Mensch manchmal Nervennahrung bräuchte, vor allem, wenn er so viel Aufregung verkraften müsse wie sie in den letzten Wochen. Gott sei Dank! Nie wieder Knäckebrot mit Tomatenmark!

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2) Der Ausflug mit Ben an die Elbe vorletztes Wochenende war superschön und überhaupt ist alles im Moment einfach nur toll, na ja, vielleicht mit Ausnahme davon, dass Papa inzwischen seine Kündigung erhalten hat und der Tatsache, dass ausgerechnet …

image Tiefpunkte

1) … Jesper-Edward, der schöne Däne, den ich nie in meinem Leben wiedersehen wollte, gestern plötzlich vor unserer Tür stand. Ahhhhh!!!!!!

2) Als hätte das Wiedersehen mit Jesper nicht schon gereicht, um mein Peinlichkeitskonto vollzumachen, habe ich letzte Woche in Bio auch noch den absoluten Vogel abgeschossen. Herr Clausen hat erzählt, dass er uns zum Einstieg in unser neues Thema nächste Woche einen Film mitbringt und dass er sich freuen würde, wenn einer von uns seinen Eindruck von dem Film in eigenen Worten wiedergibt. Weil ich in einem Anfall von Streberwahn gedacht habe, nach der letzten Eins in Bio setze ich gleich noch eins drauf, habe ich mich freiwillig gemeldet und Herr Clausen hat gesagt, das fände er ausgesprochen lobenswert. Anschließend hat er erzählt, welches Thema wir als Nächstes behandeln. Es ist Sexualkunde und der Film ist ein Aufklärungsfilm über Tom, der Probleme mit seinen Hoden hat. Wenn ich mich das nächste Mal für irgendetwas freiwillig melden will, kette mich bitte vorher an das nächste Stuhlbein an!

14.53 Uhr.

Tut mir leid, dass die Schrift hier so gequetscht ist, aber ich habe nur noch drei Seiten, dann bist du voll, und ich bin noch nicht dazu gekommen, mir ein neues Tagebuch zu kaufen oder zu wünschen. Insofern muss das jetzt einfach so gehen.

Bis auf die Ankunft des unseligen Dänen ist in den letzten Tagen auch nicht sonderlich viel passiert, also fasse ich mich kurz. Schari war vorgestern bei Jannicks Vater zum Essen eingeladen und meinte, sein Steckrüben-Wirsing-Auflauf hätte ganz toll geschmeckt. Finde, das sagt schon alles. Wenn man Steckrüben-Wirsing-Auflauf lecker findet, dann muss der Koch schon SEHR nett gewesen sein.

Während bei Schari also alles bestens läuft, hat Kevin in der Tat Hausverbot bei uns an der Schule bekommen, aber dafür hat Mumi ihn letzte Woche gefragt, ob er nicht an ihrer Stelle den Selbstverteidigungskurs für Seniorinnen an der Volkshochschule leiten will, damit sie ein bisschen mehr Zeit für sich und Thorwald hat. (Dazu fällt einem nichts mehr ein, oder??) Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hat Kevin Mumis Angebot angenommen (vermute, dass er aus seinem Türsteherjob rausgeflogen ist) und jetzt ist Scharis Bruder neuerdings der Schwarm aller Blankeneserinnen über siebzig. Ohne, absolut ohne Worte!

Was die Soko Leberfleck anbelangt, herrscht an der Liebesfront immer noch Chaos. Nicht nur, dass Sophie, dieselbe Sophie, die noch immer Hello-Kitty-T-Shirts trägt und normalerweise nur für Pferde schwärmt,51 sich tatsächlich in Brusthaar-Cem verknallt hat (echt haarig, wenn du mich fragst), inzwischen ist Jettes Liebesbrief an ihren Skilehrer Sepp auch noch mit dem Vermerk »Unbekannt verzogen« zurückgekommen und Franzi geht neuerdings mit zwei Jungs gleichzeitig – keine Ahnung, wie sie das hinbekommen hat.

Papas Jobsituation ist noch immer desolat 52, aber in den nächsten Monaten bleiben wir erst mal noch hier wohnen, weil der Makler, dem Mama und Papa unser Haus gezeigt hat, meinte, im Moment sei der Markt für Reihenhäuser leider übersättigt und sie sollten mit dem Verkauf unbedingt noch warten. Bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freuen soll oder nicht, weil Mama und Papa die Nachricht ziemlich geschockt zu haben scheint, aber irgendwie sehe ich die Zukunft im Moment nicht mehr ganz so schwarz wie vorher, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich mich so tierisch darüber freue, dass Ben und ich wieder zusammen sind, Yippieyeah.

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Das Einzige, was mich zurzeit noch nervt, ist das plötzliche Auftauchen von Jesper-Edward, und dafür gebe ich Papa mit seinem blöden Helfer-Syndrom die Schuld. Ich weiß ja, dass er immer glaubt, allen und jedem unter die Arme greifen zu müssen, aber das hier ist wirklich die Spitze! Da mache ich gestern in einem total dreckigen Top und einer am Po völlig ausgebeulten Uralt-Jeans von Mama die Tür auf (Papa hatte mich nämlich zum Tapezieren des Gästeklos abkommandiert) und wer steht direkt vor mir?

Jesper-Edward, der überirdisch aussehende Däne, und strahlt mich an, als sei heute der schönste Tag meines Lebens.

AHHHHHHHHH!!!!

Hätte die Tür vor lauter Schreck beinahe wieder zugeschlagen, aber dann hat mich ein letzter Rest Zurechnungsfähigkeit innehalten lassen und ich habe mit hochroter Miene so etwas wie »Was machst du denn hier?« herausgepresst. Nicht gerade eine freundliche Begrüßung, ich geb’s zu, aber Dänen gehören schließlich nach Dänemark und sechzehnjährige vor Sex-Appeal nur so strotzende Vampir-Klone, die einen an die peinlichste Viertelstunde seines Lebens erinnern, erst recht!!!!

»Dein Vater hat mir eure Adresse gegeben, weil ich hier in Hamburg ein Praktikum mache, und da wollte ich nur mal vorbeischauen. Oder störe ich gerade?«

Jesper hat mich mit seinen ewig langen dunklen Wimpern besorgt angeguckt, und während ich eine Art Lille-Okseo-Déjàvu hatte (was bedeutet, dass ich wieder mal kein Mal kein Wort herausgebracht habe), hat Papa seinen Kopf aus der Tür vom Gästeklo gesteckt und Jesper freudestrahlend begrüßt.

»Komm rein, Jesper. Na, das ist doch mal eine Überraschung! Willst du was trinken?«

»Danke. Gern …«

»Julie, holst du mal drei Gläser aus der Küche?«

Papa hat den erleichtert lächelnden Jesper ins Wohnzimmer geschoben und ich bin mit ungläubigem Blick draußen stehen geblieben und hab gedacht, das fass ich jetzt nicht.

Eine Minute später habe ich Papa und Jesper mit einem knappen Nicken zwei Gläser hingestellt und bin anschließend in Richtung Badezimmer geflüchtet, aber als ich frisch geduscht wieder herausgekommen bin, war Jesper schon weg und Papa meinte, er hätte ihm angeboten, nächsten Monat für ein paar Tage hier zu wohnen, weil das Zimmer, das er in Eimsbüttel gemietet hätte, wirklich unannehmbar teuer sei!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Habe Papa fassungslos mitgeteilt, dass ich, wenn Jesper hier einzieht, definitiv ausziehen werde, woraufhin er meinte, dass ich schon genau wie Mama sei mit ihrem »Wenn ein Tier ins Haus kommt, ziehe ich aus!«, und da bin ich fast geplatzt. Als ob man das vergleichen könnte! Weil Papa einmal gemachte Zusagen so gut wie nie zurücknimmt, vermute ich, dass ich mir in Sachen »Wie vergraule ich Jesper-Edward?« selber etwas einfallen lassen muss, aber das kriege ich schon hin. Wie wäre es zum Beispiel mit einer hochansteckenden Scharlach-Infektion? Oder Läusen. Die kommen fast noch besser. Okay, das müsste ich natürlich mit meinem Nicht-mehr-lügen-Vorsatz vereinbaren können, aber … Oh, Shit, merke gerade, langsam wird der Platz echt knapp.

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Also muss ich wohl wirklich zum Ende kommen, jetzt sei erst mal gedrückt und bis ganz bald, Deine

51 Okay, und zugegeben ganz früher mal für den bekloppten Mark aus Bens Band.

52 Habe ich schon mal gesagt, WIE cool ich das Wort finde?