Feuer als Erfahrung der Epiphanie

Wenn der Künstler voller Stolz und Hochmut annimmt, dass er gottähnlich ist, und das Kunstwerk als Substitut der göttlichen Schöpfung betrachtet, dann kann es in der dekadenten Empfindsamkeit des Fin de siècle zur Gleichsetzung von ästhetischer Erfahrung mit Feuer und Feuer mit Epiphanie kommen.

Der Begriff (wenn nicht der Ausdruck) Epiphanie geht auf Walter Pater zurück, auf die berühmte Conclusion seiner Studien über die Renaissance (1873). Nicht umsonst beginnt diese Conclusion mit einem Heraklit-Zitat. Die Wirklichkeit ist eine Summe von Kräften und Elementen, die entstehen und vergehen und die uns nur die oberflächliche Erfahrung als körperlich und in einer aufdringlichen Gegenwart fixiert erscheinen lässt: »Aber sobald wir anfangen, über diese Eindrücke nachzudenken, zerfließen sie und verlieren ihre Kohäsionskraft wie mit einem Zauberschlag.« Wir befinden uns dann in einer Welt instabiler, flackernder, nicht zusammenhängender Eindrücke: Die Gewohnheit ist zerbrochen, das vertraute Leben entleert sich, und von ihm, über es hinaus, bleiben nur einzelne Augenblicke, die nur blitzartig greifbar sind und sofort wieder verschwinden.

Fortwährend findet irgendeine Form ihren vollkommenen Ausdruck in Gesicht oder Hand; eine Färbung auf den Hügeln oder dem Meer ist erlesener als die übrigen; eine Stimmung der Leidenschaft oder Einsicht oder intellektuellen Erregung wird unwiderstehlich real und anziehend für uns – für einen Augenblick nur.

Wenn man sich diese Ekstase zu bewahren vermag, wird das »der Erfolg im Leben« sein:

Während alles unter unseren Füßen zerfließt, können wir wohl versuchen, irgendeine erlesene Leidenschaft zu erhaschen, einen Beitrag zur Erkenntnis, der durch Aufhellung eines Horizontes den Geist für einen Moment freizusetzen scheint, oder eine Erregung der Sinne, seltsame Farben und Töne, einen feinen neuen Duft, ein Werk von Künstlerhand oder einen Zug im Gesicht eines Freundes.9

Die ästhetische und sinnliche Ekstase wird von allen Autoren der Dekadenzliteratur als Blitzen und Leuchten empfunden. Aber mit der Idee des Feuers hat sie vielleicht als Erster D’Annunzio verbunden, den wir nicht bloß mit dem ziemlich abgedroschenen Klischee von der »schönen Flamme« verknüpfen sollten.*8 Die Vorstellung der ästhetischen Ekstase als Erfahrung des Feuers erscheint in seinem Roman Il fuoco, der das Feuer bereits im Titel trägt. Angesichts der Schönheit Venedigs fühlt sich der Dichter Stelio Effrena, als brenne er im Feuer:

Jeder Augenblick vibrierte da in den Dingen wie ein unerträgliches Blitzen. Von den Kreuzen oben auf den vom Beten geschwellten Kuppeln bis hin zu den feinen salzhaltigen Kristallen, die unter den Brückenbögen schwebten, erglänzte alles in jauchzendem Lichte. Und wie aus seinem Auslug der Matrose der unter ihm mit Ungeduld verharrenden und wie ein Sturmwind bewegten Mannschaft den schrillen Schrei aus voller Lunge zuruft, so gab der goldene Engel an der Spitze des höchsten Turmes endlich das flammende Verkündungszeichen. – Und er erschien auf einer Wolke sitzend, wie auf einem Feuerwagen, den Saum seines Purpurmantels hinter sich schleifend.10

045_IV_TG06698D.tif

William Turner
Venice at Sunrise from the Hotel Europa, with the Campanile of San Marco, um 1840 London, Tate Gallery

Inspiriert von D’Annunzios Roman, den er gelesen und geliebt hat, schreibt später James Joyce, der Cheftheoretiker der Epiphanie: »Unter Epiphanie verstand [Stephen] eine jähe geistige Manifestation, entweder in der Vulgarität von Rede oder Geste, oder in einer denkwürdigen Phase des Geistes selber« (Stephen Hero).11 Diese Erfahrung wird bei Joyce stets als flammende Erfahrung beschrieben. Das Wort »Feuer« kehrt im Porträt 59 Mal wieder, die Worte »Flamme« und »flammend« 35 Mal, um nicht von artverwandten Ausdrücken wie »Strahlung« und »Glanz« zu reden. In D’Annunzios Fuoco hört die Schauspielerin Foscarina die schwärmerischen Worte des Dichters Stelio und fühlt sich »hineingezogen in diese Atmosphäre, die die Glut einer Schmiede ausströmte«. Für Joyce’ Stephen Dedalus manifestiert sich die ästhetische Ekstase stets als Aufschein von Glanz und drückt sich durch Metaphern der Sonne aus, und dasselbe geschieht bei D’Annunzios Stelio Effrena. Vergleichen wir nur zwei Passagen. D’Annunzio:

Das Fahrzeug drehte mit großer Gewalt. Ein Wunder vollzog sich. Die ersten Strahlen der Sonne glitten über das schlagende Segel, vergoldeten die Kreuze hoch oben auf den Glockentürmen von San Marco und von San Giorgio Maggiore, entzündeten die Kugel der Fortuna und krönten die fünf Bischofsmützen der Basilika mit leuchtenden Blitzen. […]

– Heil dem Wunder! – Ein Gefühl übermenschlicher Kraft und Freiheit schwellte das Herz des jungen Mannes, wie der Wind das für ihn wunderbar verklärte Segel schwellte. Er stand in der purpurnen Pracht des Segels wie in der Pracht seines eigenen Blutes.12

Und im Porträt:

Sein Denken war ein Dämmer aus Zweifel und Mißtrauen gegen sich selbst, momentweise aufgehellt von den Blitzen der Intuition, aber Blitzen von einem so klaren Glanz, daß in diesen Momenten die Welt zu seinen Füßen unterging, als hätte Feuer sie verzehrt; und hiernach wurde seine Zunge schwer, und er begegnete den Augen anderer mit Augen ohne Antwort, denn er spürte, daß der Geist der Schönheit ihn wie ein Mantel umhüllt hielt.13