Um es noch einmal zusammenzufassen: Der Superkapitalismus hat triumphiert, und die Macht hat sich hin zu Verbrauchern und Anlegern verschoben. Diese haben heute mehr Auswahl als je zuvor und können immer leichter zu besseren Anbietern wechseln. Der Wettbewerb unter den Unternehmen um diese Verbraucher und Anleger wird immer schärfer. Das bedeutet: bessere und günstigere Produkte und höhere Erträge. Doch mit dem Triumph des Superkapitalismus haben sich auch dessen negative soziale Auswirkungen verschärft. Dazu gehören eine zunehmende Ungleichverteilung durch die Konzentration der Einkommenszugewinne auf eine kleine Gruppe von Spitzenverdienern, größere Arbeitsplatzunsicherheit, Umweltzerstörung, Menschenrechtsverletzungen in Entwicklungsländern und eine Vielzahl von Produkten, die unsere niedersten Bedürfnisse ansprechen. Diese Auswirkungen sind in den USA besser zu erkennen als in anderen Volkswirtschaften, da die USA auf dem Weg zum Superkapitalismus am weitesten fortgeschritten sind. Doch andere Volkswirtschaften folgen auf dem Fuße und erleben derzeit ähnliche Veränderungen.
Die Demokratie ist das geeignete Instrument, um diesen gesellschaftlichen Auswirkungen zu begegnen. Hier sollten die Interessen der Bürger zum Ausdruck kommen und Entscheidungen darüber getroffen werden, was wir als Verbraucher und Anleger wollen, und wie wir unsere gemeinsamen Ziele erreichen wollen. Doch der Konkurrenzkampf, der den Superkapitalismus antreibt, hat auch auf den Prozess der demokratischen Willensbildung übergegriffen. |273|Konzerne heuern Armeen von Lobbyisten, Anwälten, Experten und PR-Spezialisten an und spenden immer größere Summen für politische Wahlkampagnen. Daher können sich die Bürger mit ihren Wünschen und Werten immer weniger Gehör verschaffen. Gleichzeitig sind die Institutionen, die im Beinahe Goldenen Zeitalter die Werte der Bürgergesellschaft vertreten haben – Gewerkschaften, regionale Verbände, Regulierungsbehörden und »staatsmännische Unternehmensführer« – weitgehend durch den Superkapitalismus hinweggefegt worden.
Statt die Demokratie gegen die erschreckenden Nebenwirkungen des Superkapitalismus zu schützen, haben es sich viele gesellschaftliche Bewegungen heute zum Ziel gesetzt, auf das Verhalten einzelner Unternehmen einzuwirken und diese entweder als gesellschaftlich verantwortlich zu loben oder als verantwortungslos an den Pranger zu stellen. Das Ergebnis waren geringfügige Verhaltensänderungen der betroffenen Unternehmen. Doch die weitaus wichtigere Folge war die, dass die Öffentlichkeit darüber vergessen hat, die Demokratie zu reformieren.
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An Ideen zum politischen Umgang mit den negativen gesellschaftlichen Auswirkungen des Superkapitalismus herrscht kein Mangel. Am Ende von Kapitel 3 habe ich einige meiner eigenen Vorschläge vorgestellt. Möglicherweise stimmen Sie nicht mit diesen Vorschlägen überein, doch wir erörtern sie nicht einmal ernsthaft, da die Gesellschaftspolitik heute eine immer geringere Rolle spielt. Vor jeder Präsidentschaftswahl werden in der Öffentlichkeit neue Ideen breitgetreten, doch das hat wenig Einfluss darauf, was nach dem Wahltag tatsächlich passiert. Das politische Geschehen in den Parlamenten, Ausschüssen, Ministerien und Behörden wird von Unternehmen bestimmt, die einen Konkurrenzvorteil suchen. Die meisten Gesetze und Verordnungen werden auf Betreiben von Unternehmen oder Wirtschaftssegmenten verabschiedet, und die meisten Konflikte |274|und Kompromisse entstehen zwischen konkurrierenden Unternehmen und Branchen. Sollte eine Maßnahme beschlossen werden, die mehreren Unternehmen oder Branchen Kosten zu verursachen droht, schließen sich diese zusammen, um sie zu verhindern.
Ohne eine Demokratie, die sie umsetzt, sind politische Vorschläge zur Veränderung dieser Situation nutzlos. Daher stellt sich die grundlegendere Frage, wie die Demokratie funktionstüchtiger gemacht werden kann.
Auch hier sind Ideen keine Mangelware. So wurde zum Beispiel gefordert, wichtige politische Wahlkämpfe mit Steuergeldern zu finanzieren. Fernsehanstalten sollten zur kostenlosen Ausstrahlung von Wahlwerbespots verpflichtet werden, Lobbyisten sollten keine großen Wahlkampfspenden mehr sammeln dürfen. Geschenke von Unternehmen und Managern an Politiker sollten ebenso verboten werden wie von Unternehmen finanzierte Urlaubsreisen für Abgeordnete und Regierungsbeamte und Dinnerpartys zum Sammeln von Wahlkampfspenden. Frühere Abgeordnete und Regierungsbeamte sollten erst nach einem fünfjährigen Moratorium in die Lobby wechseln dürfen. Lobbyisten sollten ihre Ausgaben genauso offenlegen wie Experten in Anhörungsverfahren ihre finanziellen Beziehung zu beteiligten Parteien. Jede dieser Reformen würde von einem unabhängigen Beobachter überwacht, der das Recht hat, Untersuchungen durchzuführen und bei Verstoß scharfe Sanktionen zu verhängen.1
Diese Maßnahmen sind samt und sonders sehr sinnvoll, doch sie sind kaum durch- und umsetzbar. Diese politischen Reformen lassen sich nicht durchführen, solange Minister und Abgeordnete von den Unternehmen abhängig sind, deren Einfluss sie beschneiden sollen. Das System kann sich nicht von innen heraus selbst reparieren. Gelegentlich, wenn ein Skandal um direkte Bestechung für einen öffentlichen Aufschrei sorgt, geloben Politiker feierlich, das System zu reformieren. Doch diese Versprechungen sind vergessen, sobald sich die öffentliche Empörung legt und der Skandal in Vergessenheit gerät.
|275|Aber das eigentliche Problem sind meist gar nicht die direkten Bestechungen. Das Problem ist das Vordringen des Superkapitalismus in jeden Aspekt der Demokratie: die Vorherrschaft der Lobbyisten, Unternehmensanwälte und PR-Profis im politischen Prozess und die Unternehmensgelder, die das System im Alltag durchdringen und es dem Bürger unmöglich machen, sich Gehör zu verschaffen. Nicht nur die Wahlkampfspenden müssen strikt begrenzt werden, sondern auch die Ausgaben für Lobby- und PR-Aktivitäten, mit denen Unternehmen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen.
Es besteht eine gewisse Hoffnung, dass die Demokratie vor dem Übergriff des Superkapitalismus geschützt werden kann. Viele Unternehmen würden es vorziehen, diese galoppierenden Kosten nicht weiter zu bezahlen, wenn sie sicher sein könnten, dass auch ihre Konkurrenten sie nicht zahlen. Unternehmen könnten einem Waffenstillstand in der politischen Rüstungsspirale positiv gegenüberstehen. Ehe der McCain-Feingold Act vor einigen Jahren eine vorläufige Begrenzung der Wahlkampfspenden erreichte, verlangten einige Hundert Vorstandsvorsitzende im unabhängigen Committee for Economic Development – darunter die Chefs von General Motors, Xerox, Merck und Sara Lee – eine umfassendere Reform der Wahlkampffinanzierung. Der Verbandsvorsitzende Charles Kolb fasste die Stimmung so zusammen: »Wir sind es leid, angepumpt zu werden. In der Politik sollte es um andere Dinge gehen als darum, Unternehmen anzupumpen.«2 Mit Unterstützung dieser gemeinsamen Initiative wurde schließlich der McCain-Feingold-Act verabschiedet.
Es ist gut denkbar, dass Unternehmen weitere Einigungen erzielen, um die Zahlungen an die Politik zu begrenzen. So könnten beispielsweise Sammelspenden von Lobbyisten und Geschenke von Unternehmen und Vorstandsvorsitzenden an Politiker untersagt werden. Im Jahr 2002 kündigte BP-Chef Lord Browne an, sein Unternehmen werde sämtliche Wahlkampfspenden in aller Welt einstellen: »Wir müssen sehr vorsichtig mit dem politischen Prozess |276|umgehen. Nicht weil er unwichtig wäre. Ganz im Gegenteil. Die Legitimität dieses Prozesses ist entscheidend für die Gesellschaft und für uns, die wir als Unternehmen in dieser Gesellschaft arbeiten.«3 Es wird jedoch weit schwerer sein, Konzerne dazu zu bringen, dass sie ihre Lobbyisten, Anwälte und PR-Profis aus Washington und anderen Hauptstädte der Welt abziehen. Interessanterweise kündigte auch BP seine Verträge mit diesen Unternehmen nicht.
Um tatsächlich Wirkung zu zeigen, müsste ein solcher Rüstungsstopp gesetzlich verankert werden. Nicht alle Konzerne würden sich eine freiwillige Selbstbeschränkung auferlegen wollen. Die Vorteile, die sich für ein Unternehmen ergeben, das sich die Freiheit politischer Deals bewahrt, wären zu verlockend. Allein deshalb wäre jede freiwillige Selbstbeschränkung von vorneherein zum Scheitern verurteilt: Wenn einige Unternehmen weiterhin Geld nach Washington und in andere Hauptstädte pumpen, wären die anderen gezwungen, es ihnen gleichzutun.
Das größte Reformhindernis ist jedoch, dass viele Politiker und Lobbyisten dem privaten Sektor auch weiterhin Geld abpressen wollen. Auf diese Weise bleiben Politiker an der Macht, und die Lobbyisten verdienen ihr Geld.
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Echte Reformen sind nur dann möglich, wenn eine Mehrzahl der Bürger dies verlangt. Damit das passieren kann, muss die Öffentlichkeit einige Tatsachen über das vorherrschende System verstehen, die heute im Dunkeln liegen. Auch die Medien müssen sie verstehen und bereit sein, sie zu verbreiten, wenn es so weit ist. Die Halbwahrheiten, Mythen und verzerrten Darstellungen, die heute die Grenze zwischen Wirtschaft und Politik verwischen, machen es der Öffentlichkeit unmöglich zu erkennen, dass Manager und Politiker unterschiedliche Aufgaben haben. Aufgrund dieser Unklarheit sind alle Versuche, den Superkapitalismus an einer Übernahme der Politik zu hindern, zum Scheitern verurteilt.
|277|Ein Wegweiser zum Superkapitalismus müsste die Öffentlichkeit zunächst vor jedem Politiker warnen, der Unternehmen und Manager für die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen des Superkapitalismus verantwortlich machen will – seien es nun sinkende Löhne, schlechtere Sozialleistungen, Arbeitsplatzunsicherheit, zunehmende Ungleichverteilung, Verlust der Gemeinschaft, Treibhauseffekt, oder andere häufig genannte Probleme. Manager müssen sich an Gesetze halten und sich für illegale Aktivitäten verantworten. Niemand kann von ihnen erwarten, dass sie mehr tun. Ihre Aufgabe besteht darin, Kundenwünsche zu befriedigen und so Anlegern höhere Erträge zu erwirtschaften. Bleiben sie hinter ihren Konkurrenten zurück, werden sie von Kunden und Anlegern bestraft, die ihr Geld anderswohin bringen.
Manager haben keine teuflische Verschwörung gegen die Öffentlichkeit angezettelt. Die negativen sozialen Auswirkungen sind die logische Folge des verschärften Wettbewerbs um Kunden und Anleger. Dieser Wettbewerb kann zur Folge haben, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, wo bestimmte Produkte günstiger hergestellt werden können, dass menschliche Arbeitskraft durch Computer und Software ersetzt wird, oder dass ein Unternehmen den Gewerkschaften den Kampf ansagt. Häufig geht der Wettbewerb auf Kosten der unabhängigen Einzelhändler in den Innenstädten, die ihre Produkte nicht zu vergleichbaren Preisen anbieten können, oder er betrifft die Städte, die einen wichtigen Arbeitgeber verlieren, weil dieser seine Produktion ins Ausland verlagert, um konkurrenzfähig zu bleiben. Der Wettbewerb kann verlangen, dass gefeierte Vorstandsvorsitzende so viel Geld verdienen wie Fußballstars. Er kann auf Kosten der Umwelt gehen und fordern, dass die Luft verschmutzt und unsere Mägen mit Dreck gefüllt werden. Oder er kann verlangen, dass im Ausland die Menschenrechte mit Füßen getreten und in den Fabriken Südostasiens Kinder beschäftigt werden. Solange die Wettbewerbsmethoden legal und Kunden und Anleger zufrieden sind, solange werden Unternehmen und Manager ihr Verhalten nicht ändern.
|278|Das heißt nicht, dass dies recht und billig ist. Aber Unrecht sind diese Auswirkungen erst, wenn wir sie gesetzlich verbieten. Es ist unlogisch, Unternehmen dafür zu kritisieren, dass sie sich an die Spielregeln halten. Wenn wir wollen, dass sie anders spielen, müssen wir die Regeln ändern.
Das heißt, dass die Öffentlichkeit sich auch vor Managern hüten muss, die behaupten, ihr Unternehmen handele im Sinne des Gemeinwohls oder nehme seine »gesellschaftliche Verantwortung« wahr. Unternehmen haben nicht das geringste Interesse am Gemeinwohl. Es ist nicht ihre Aufgabe, Gutes zu tun. Sie können Gutes tun, um ihr Markenimage aufzuwerten und auf diese Weise Verkäufe und Gewinne zu steigern. Sie ergreifen Maßnahmen, die ihrem Gewinn nutzen und die nebenbei zufällig auch noch positive Auswirkungen für die Gesellschaft haben. Doch sie tun nichts, nur weil es der Gesellschaft nutzt.
Glauben Sie auch Managern, Lobbyisten und Anwälten kein Wort, wenn sie oder ihre »Experten« behaupten, bei ihrem Kampf um ein bestimmtes politisches oder gerichtliches Ergebnis ginge es ihnen um das Wohl der Öffentlichkeit. Es kann durchaus sein, dass das Ergebnis zufällig auch im allgemeinen Interesse ist, doch verlassen Sie sich nicht darauf, denn diese Menschen handeln nicht aus Interesse am Wohl der Öffentlichkeit. Wenn sie ein bestimmtes politisches oder gerichtliches Ergebnis anstreben, dann nur, um ihre Wettbewerbsstellung zu schützen oder zu verbessern. Sie behaupten, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln, weil sie sich davon die Unterstützung der Öffentlichkeit und damit einen längeren politischen Hebel versprechen.
Ich hoffe, ich habe damit ausreichend klargemacht, warum Sie skeptisch sein sollten, wenn Politiker behaupten, die Öffentlichkeit könne sich auf die freiwillige Kooperation der Wirtschaft verlassen, um ein gesellschaftliches Ziel zu erreichen. Unternehmen und ihre Manager haben nicht die Möglichkeit, mit dem Geld ihrer Anleger gesellschaftliche Ziele zu finanzieren. Sie können sich bereit erklären, »freiwillig« Geld für einen guten Zweck zu spenden, |279|die Luft reinzuhalten oder in einer bestimmten Region mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Doch sie werden es nur dann tun, wenn es Profite bringt, wenn sie ihr Image aufpolieren und so die Bilanz verbessern, oder wenn sie auf diese Weise neue Gesetze und Vorschriften vermeiden können, die ihnen noch größere Belastungen aufbürden würden. Diese »freiwilligen« guten Taten sind jedoch begrenzt, zeitlich befristet und reichen nur so weit, wie sie dem Unternehmen nutzen. In Fällen wie diesen sollten Sie fragen, warum das öffentliche Interesse, wenn es denn so wertvoll ist, nicht in Form eines Gesetzes festgeschrieben wird, das die Wirtschaft zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet.
Seien Sie auch skeptisch, wenn Politiker ein Unternehmen anprangern, etwas getan zu haben, das in Wirklichkeit völlig legal ist, oder etwas unterlassen zu haben, das von keinem Gesetz verlangt wird. Finden Sie heraus, ob diese Politiker aktiv Gesetzesinitiativen vorantreiben, mit denen die Unternehmen ihre Praktiken in der geforderten Weise ändern müssten. Ist dies nicht der Fall, möchten die betreffenden Politikern vermutlich nur verbergen, dass sie in einer bestimmten Frage nichts unternehmen wollen.
Nehmen Sie sich auch vor PR-Kampagnen, Boykotten und Bürgerinitiativen in Acht, mit denen ein bestimmtes Unternehmen gezwungen werden soll, »sozial verträglicher« zu handeln. Finden Sie das genaue Ziel dieser Aktionen heraus. Wenn Sie ihm zustimmen, stellen Sie sich die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, mithilfe von Gesetzen oder Vorschriften sämtliche Unternehmen zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Wie wir gesehen haben, suchen sich Bürgerinitiativen oder Gewerkschaften gezielt besonders prominente Unternehmen aus, um die öffentliche Meinung zu mobilisieren oder beispielhafte Maßnahmen zu erreichen. Diese Strategien können durchaus sinnvoll sein. Doch Forderungen an spezifische Unternehmen, ihr Verhalten auf eine Weise zu ändern, die zu einer Erhöhung ihrer Preise und einer Verringerung ihrer Gewinne führen würden, sollten ihnen suspekt sein. Selbst wenn sie gesellschaftlich sinnvoll sein sollten, |280|ist das erwünschte Verhalten die Preiserhöhung und den Gewinnverlust möglicherweise nicht wert. Dazu kommt, dass Wettbewerber, die nicht zu einer Verhaltensänderung gezwungen wurden, mit ihren niedrigeren Preisen und höheren Gewinnen die entstandene Lücke füllen und damit den Zweck des gesamten Protests zunichte machen.
Im Allgemeinen sollte die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen im demokratischen Prozess beantwortet werden, und nicht in den Vorstandsetagen der Unternehmen. Reformer sollten sich auf die Gesetze und Vorschriften konzentrieren, die sie ändern wollen, und die Öffentlichkeit in diesem Sinne mobilisieren. Wenn es in der Anti-Wal-Mart-Kampagne beispielsweise darum geht, dass Wal-Mart Gewerkschaften zulässt, dann sollte das klargemacht werden. Wenn es jedoch darum geht, die Unterstützung der Öffentlichkeit für eine neue Arbeitsgesetzgebung zu suchen, die es Mitarbeitern in Niedriglohnbranchen erleichtert, sich gewerkschaftlich zu organisieren, dann sollte dieses Ziel ohne Umwege angegangen werden. Die resultierende Gesetzgebungsdebatte würde die Demokratie stärken, statt sie auf Abwege zu führen.
Das effektivste, was Reformer tun können, ist, den Einfluss der Unternehmensgelder auf die Politik zu verringern und die Position der Bürger zu stärken. Es gibt kein anderes Reformthema, das so wichtig wäre wie dies. Manager, die ehrlich etwas Gutes tun wollen, können keinen besseren Beitrag leisten, als ihr Unternehmen aus der Politik herauszuhalten. Wenn es so etwas wie Unternehmensverantwortung gibt, dann besteht sie darin, die Demokratie nicht zu korrumpieren.
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Eine letzte und grundlegende Tatsache muss noch einmal betont werden: Unternehmen sind keine Menschen. Es handelt sich um legale Konstrukte und Geflechte von Verträgen. Man bezeichnet |281|Unternehmen zwar auch als juristische Personen, doch diese sind von natürlichen Personen zu unterscheiden, und man spricht auch von Körperschaften, doch die Unternehmen selbst sind körperlos. Dies trifft vor allem auf das Zeitalter des Superkapitalismus zu, in dem sich Unternehmen rasch in weltumspannende Lieferketten verwandeln. Daher sollten Unternehmen nicht mehr Recht auf freie Meinungsäußerung, rechtmäßige Verfahren oder Teilhabe am politischen Prozess besitzen als jedes andere Stück Papier, auf dem Verträge festgehalten werden. Gesetzgeber oder Richter, die Unternehmen solche Rechte zugestehen, sind entweder unehrlich oder sie sind sich der Auswirkungen des Superkapitalismus nicht bewusst. Nur Menschen sollten diese Rechte besitzen.
Wenn Unternehmen mit menschenähnlichen Eigenschaften ausgestattet und von Medien oder Politikern als »ehrenhaft« oder »unehrenhaft«, als »Patrioten« oder als »Vaterlandsverräter«, als »gesetzestreu« oder »kriminell« beschrieben werden, dann wird in der Öffentlichkeit der falsche Eindruck erweckt, Unternehmen seien natürlichen Personen gleichzusetzen. Schon sprachliche Wendungen wie »Microsoft versucht …« oder »Wal-Mart will …« fördern auf subtile Art und Weise den Eindruck, es handele sich um Personen mit einem eigenen Willen.
Aufgrund dieser Verwechslung mit natürlichen Personen werden Unternehmen häufig Rechte und Pflichten zugeschrieben, wie sie nur Menschen besitzen können. Damit wird die Grenze zwischen Kapitalismus und Demokratie verwischt und es kommt zu einer Vielzahl schlechter Entscheidungen. Nehmen wir beispielsweise die Besteuerung von Unternehmenseinkünften. In der Öffentlichkeit entsteht der falsche Eindruck, dass Unternehmen diese Steuern bezahlen und daher das Recht haben, am politischen Prozess teilzuhaben. Doch nur Menschen bezahlen Steuern. In Wirklichkeit werden die Unternehmenssteuern indirekt von den Verbrauchern, Aktionären und Beschäftigten bezahlt. Wirtschaftswissenschaftler haben versucht herauszufinden, welche dieser drei Gruppen welchen Anteil an der Steuer trägt, doch die Verteilung |282|bleibt unklar. Klar ist jedoch, dass die Besteuerung von Unternehmenseinkünften ineffizient und ungleich ist.
Sie ist ineffizient, da Unternehmen ihre Schulden und Investitionen abschreiben können, ihre Dividendenzahlungen jedoch nicht. So entsteht ein Anreiz, Investitionen eher über Schulden zu finanzieren als über Kapitalaufstockungen, und Erträge nur in geringem Umfang in Form von Dividenden auszuschütten. Daher haben viele Unternehmen in den letzten Jahren riesige Summen angehäuft, die sie verwenden, um andere Unternehmen auf- oder eigene Aktien zurückzukaufen. Die Kapitalmärkte wären sehr viel effizienter, wenn diese Gewinne in Form von Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet würden. Die Entscheidungen von Millionen von Anlegern, wann und wo sie diese Gelder neu investieren wollen, sind vermutlich klüger als die Entscheidungen einer kleinen Anzahl von Managern. Die Abschaffung der Unternehmenssteuern würde daher die Kapitalmärkte effizienter machen.
Die Besteuerung von Unternehmenseinkünften ist ungerecht, denn auf diese Weise zahlen Anleger mit geringen Einkommen indirekt oft mehr Steuern als auf ihr Arbeitseinkommen, während Anleger mit hohen Einkommen weniger Steuern abführen als auf ihr übriges Einkommen. Im Zeitalter des Superkapitalismus haben Anleger heute weit mehr Macht als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Entscheidung, wo sie ihr Geld anlegen wollen, um ihre Gewinne zu maximieren, ähnelt jeder anderen Entscheidung, die sie zur Mehrung ihres Einkommens treffen. Es gibt keinen logischen Grund, warum ihre Unternehmenseinkünfte anders besteuert werden sollten als ihr übriges Einkommen. Diese Ungerechtigkeit würde beseitigt, wenn die Steuern auf Unternehmenseinkünfte abgeschafft und alle Unternehmenseinkünfte als Privateinkommen der Anleger behandelt würden.
Professor Lester Thurow vom MIT hat vorgeschlagen, die Besteuerung der Unternehmenseinkünfte gänzlich abzuschaffen und stattdessen das Einkommen der Aktionäre zu besteuern, unabhängig davon, ob das Unternehmen dieses Einkommen zurückbehält |283|oder in Form von Dividenden ausbezahlt. Auf diese Weise würde sichtbar, was das Unternehmen wirklich ist: eine Gesellschaft von Aktionären. Alle Unternehmenseinkünfte würden wie persönliche Einkünfte behandelt. Die Aktionäre würden die Änderung nicht zu spüren bekommen. Das Unternehmen würde die Steuern je nach Steuerklasse der Aktionäre abführen, so wie der Arbeitgeber es mit dem zu besteuernden Arbeitseinkommen auch macht. Am Jahresende erhält jeder Aktionär eine Art Einkommensteuerabrechnung, aus der hervorgeht, wie viel Einkommen er erzielt hat und wie viel Steuern bezahlt wurden. So würden Aktionäre automatisch die Steuern auf »ihre« Unternehmenseinkünfte bezahlen, und zwar gemäß ihrer jeweiligen Steuerklasse.4
Das würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Unternehmen hätten keinen Anreiz mehr, Gewinne zurückzuhalten, und die Aktionäre mit geringen Einkommen würden weniger Steuern bezahlen als Aktionäre mit großen Einkommen. Nebenbei würde die irrige Vorstellung zerstört, dass Unternehmen Steuern zahlen und deshalb am politischen Prozess teilnehmen sollten. Unternehmen sollten weder demokratische Rechte noch Pflichten haben. Nur Menschen haben Rechte und Pflichten.
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Eine ähnliche Verwirrung und Ungleichbehandlung entsteht, wenn Unternehmen für die Verfehlungen ihrer Manager und Mitarbeiter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Strafrechtsprozesse gegen Unternehmen verstärken nicht nur den Eindruck, Unternehmen seien natürlichen Personen gleichzusetzen, sondern sie schaden auch vielen unschuldigen Menschen.
Nehmen wir das Beispiel der früheren großen Prüfungsgesellschaft Arthur Andersen, die wegen Behinderung der Justiz verklagt wurde. Einige Partner hatten die Unterlagen ihrer Prüfung beim Energiekonzern Enron vernichtet, als sich dessen Zusammenbruch abzeichnete und kurz bevor die Börsenaufsicht mit ihrer Untersuchung begann. Als Arthur Andersen im Jahr 2002 verurteilt |284|wurde, wechselten die Kunden zu anderen Prüfungsfirmen. Andersen schrumpfte von 28 000 auf 200 Mitarbeiter, die mit der Abwicklung betraut waren. Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter von Andersen hatte nichts mit dem Enron-Skandal zu tun, trotzdem verlor sie ihren Arbeitsplatz. Einige der Partner wechselten zu anderen Prüfungsfirmen. Joseph Berardino, der Vorstandsvorsitzende von Andersen, erhielt einen lukrativen Job bei einer privaten Beteiligungsgesellschaft. Einige der verbleibenden Partner taten sich zusammen, um eine neue Prüfungsgesellschaft zu gründen. Doch die Arbeitnehmer, die nicht zur Führung gehörten, wurden schwerer getroffen. Drei Jahre nach dem Urteil war ein beachtlicher Teil noch immer arbeitslos. Die meisten verloren einen großen Teil ihrer Rente. Als der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Urteil gegen Arthur Andersen schließlich aufhob, war es längst zu spät, das Unternehmen war verschwunden.
Unternehmen können nicht in krimineller Absicht handeln, denn sie haben nicht die menschliche Fähigkeit, etwas mit irgendeiner Absicht zu tun. Der Oberste Gerichtshof widerrief die Entscheidung, da es der prozessführende Richter versäumt hatte, die Geschworenen anzuweisen, sie sollten nach Beweisen suchen, dass Andersen sein Fehlverhalten bewusst gewesen sei. Doch wie hätten die Geschworenen das herausfinden sollen? Ein Unternehmen kann nicht richtig von falsch unterscheiden, denn ein Unternehmen ist sich seiner Handlungen nicht bewusst. Ein Unternehmen handelt auch nicht. Nur Menschen können richtig von falsch unterscheiden, und nur Menschen handeln. Dies ist eine der Grundsätze der Demokratie.
Das Handelsrecht, das ein Unternehmen für die Vergehen einzelner Manager oder Mitarbeiter haftbar macht, wenn ihm dadurch ein Profit entstanden ist, steht dagegen nicht im Widerspruch zur Vorstellung der persönlichen Haftbarkeit. Es gibt keinen guten Grund, warum Aktionäre oder Mitarbeiter von illegalen Handlungen profitieren sollten, selbst wenn sie nicht um diese Aktivitäten |285|wussten. Doch die Bestrafung muss im Verhältnis zum illegalen Gewinn stehen. Geldbußen, die den Gewinn so weit übersteigen, dass sie das Fortbestehen des Unternehmens gefährden, sind eher Bestrafungen und sollten nicht zulässig sein.
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Es ist ähnlich sinnlos, ein Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Staaten zu kritisieren oder zu bestrafen, wenn es Arbeitsplätze ins Ausland verlagert oder Gewinne im Ausland anlegt. Genauso sinnlos ist es, wenn die Regierung Unternehmen mit Sitz in den USA gegenüber Unternehmen mit Sitz im Ausland bevorzugt, in der Annahme, dass die erstgenannten patriotischer seien. Unternehmen sind nicht patriotisch. Wer das glaubt, setzt Unternehmen mit Menschen gleich und verwechselt das Vertragsgeflecht, aus dem sich ein Unternehmen zusammensetzt, mit den Rechten und Pflichten von Bürgern, wie sie nur Menschen ausüben können. Im Zeitalter des Superkapitalismus ähneln sich Unternehmen immer mehr, egal wo sie ihren Sitz haben, denn alle stehen untereinander im Wettbewerb um die Gunst der Verbraucher und Anleger in aller Welt. Alle verwandeln sich in globale Lieferketten, die weltweit nach den besten Angeboten suchen.
Manager, die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, sind keine Verräter und vaterlandslosen Gesellen. Sie können gute Angebote für ihre Kunden und Anleger nicht einfach deswegen opfern, weil sie glauben, ihr Unternehmen habe die patriotische Pflicht, mehr US-Bürger einzustellen. Wenn sie das täten, würden Verbraucher und Anleger zu anderen Anbietern wechseln, die ihnen bessere Angebote machen können, weil sie ihre Produktion ins Ausland verlagern. Im Jahr 2006 entfiel beinahe die Hälfte der Importe in die USA auf Unternehmen, die ihren Sitz im Land selbst hatten. Der größte Importeur von Waschmaschinen war Whirlpool, das in Deutschland produzierte. Die US-Belegschaft von Whirlpool ist seit 1990 nicht gewachsen, während sich die Zahl der Mitarbeiter im Ausland verdreifacht hat. Trotzdem macht das Unternehmen |286|nach wie vor zwei Drittel seines Umsatzes in den USA.6 Selbst Wal-Mart verwandelt sich in einen Weltkonzern und wächst im Ausland schneller als in den USA.
Aus demselben Grund ist es wenig sinnvoll, bestimmte Militäraufträge nur an sogenannte amerikanische Unternehmen zu vergeben. Als Grund wird stets genannt, diese Unternehmen führten ihre Forschung, Entwicklung und Herstellung in den USA durch, und die nationale Sicherheit hänge davon ab, dass diese Aktivitäten im Land selbst blieben. Tatsache ist, dass sich die Rüstungsfirmen auf dieselben weltweiten Lieferketten verlassen wie alle übrigen Unternehmen. Ein großer Teil der Militärsoftware wird offshore entwickelt. Im Jahr 2006 wurden 90 Prozent aller Platinen im Ausland hergestellt. Wenn Rüstungsunternehmen alles in den USA produzieren würden, wären die Rüstungsausgaben noch astronomischer als sie es ohnehin schon sind.7
Die Logik, nur den in den USA ansässigen Unternehmen bestimmte gesellschaftliche Aufgaben zu übertragen, ist ähnlich zweifelhaft. Auf diese Weise entfällt die Unterscheidung, wer Eigentümer eines Unternehmens ist und wer für dieses Unternehmen arbeitet. Außerdem liegt dem die Annahme zugrunde, die Nationalität der Manager und Mitarbeiter eines Weltkonzerns habe Einfluss auf deren Leistung. Im Jahr 2006 erlag der Kongress dieser falschen Logik, als er das Unternehmen Dubai Ports World, das dem Emir von Dubai gehört, daran hinderte, sechs US-Häfen zu übernehmen, mit der Begründung, dies stelle ein nationales Sicherheitsrisiko dar. Seinerzeit wurden 80 Prozent aller US-Häfen von ausländischen Unternehmen geführt, darunter auch die sechs fraglichen. Die meisten dieser Unternehmen hatten US-Bürger angestellt, da diese über mehr Erfahrung verfügten. Der Betriebsvorstand von Dubai Ports World war Amerikaner, genauso wie sein früherer Vorstandsvorsitzender, und der Chef des britischen Unternehmens, das seine Verträge an Dubai Ports World abtreten wollte. Die Arbeit in den Häfen wird in jedem Fall nach wie vor von USamerikanischen Hafenarbeitern, Angestellten und Technikern durchgeführt|287|. Die Kontrolle der Hafensicherheit bleibt ebenfalls in der Hand der US-Behörden – der Küstenwache, dem Zoll, der Hafenpolizei und den Hafenbehörden –, welche die Vorschriften machen und deren Einhaltung überwachen.8
Die Subventionierung der Forschung von Unternehmen mit Sitz in den USA ist ebenso unlogisch. Dadurch werden die Vereinigten Staaten nicht wettbewerbsfähiger, denn die US-Unternehmen führen ihre Forschung und Entwicklung in allen Teilen der Welt durch. Solche Subventionen finanzieren lediglich die Forschung, die ohnehin im Land durchgeführt worden wäre, und setzten mehr Gelder für Forschung im Ausland frei. Microsoft kündigte unlängst an, das Unternehmen wolle 1,7 Milliarden US-Dollar in Indien investieren, die Hälfte davon in ein Forschungszentrum in Hyderabad im Süden des Landes. Anfang 2006 erklärte IBM, es habe ein Software-Labor in der indischen Stadt Bangalore eingerichtet. Dow Chemical errichtete ein Forschungszentrum in Shanghai, in dem seit 2007 rund 600 Ingenieure arbeiten, sowie eine große Forschungsanlage in Indien. In einer Befragung unter 200 Weltkonzernen aus den USA und Europa gaben 38 Prozent an, ihre Forschung und Entwicklung nach China und Indien verlagern und die Forschung und Entwicklung in den USA und Europa zurückfahren zu wollen.9
Das Ziel der Regierungspolitik sollte darin bestehen, die Bürger wettbewerbsfähiger zu machen, nicht die Unternehmen. Dies ist ein wichtiger Unterschied, den die meisten Manager gut verstehen. Konzerne sind weltumspannende Einheiten, Menschen nicht. »Ein Unternehmen hat viele Optionen«, erklärt William Banholzer, Technologievorstand von Dow Chemical. »Mir persönlich ist es jedoch wichtig, dass die innovative Wissenschaft und die Ingenieure ihre zentrale Bedeutung für die Wirtschaft des Landes behalten. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann wird das Land auf lange Sicht Schaden nehmen.«10 Daher sollte die Regierung Forschung und Entwicklung jedes Unternehmens fördern, egal wo es seinen Sitz hat, solange diese Entwicklung in den USA stattfindet |288|und das Wissen der einheimischen Ingenieure und Wissenschaftler zur Anwendung kommt.
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Es ist unlogisch, Unternehmen als »natürliche Personen« zu behandeln, die das Recht haben, vor Gericht rechtmäßig verabschiedete Gesetze und Vorschriften anzufechten. Dieses Recht sollte allein Staatsbürgern vorbehalten bleiben. Anleger, Verbraucher oder Mitarbeiter haben das Recht, allein oder in Sammelklagen gegen Gesetze und Vorschriften vor Gericht zu ziehen, die ihnen ihrer Ansicht nach wirtschaftlichen Schaden zufügen. Sie brauchen das Unternehmen nicht, um an ihrer Stelle zu klagen. Da die meisten Konzerne heute auf Kapital von Anlegern in aller Welt angewiesen sind, bedeutet die Übertragung von Rechten auf Unternehmen nämlich unterm Strich, dass ausländische Anleger versuchen können, gegen US-Gesetze und Vorschriften zu klagen. Nichtbürger sollten nicht über dieses Recht verfügen, es sei denn, ein Gesetz oder eine Vorschrift verstößt gegen internationales Recht. Sonst könnte es passieren, dass Gesetze, die in einem demokratischen Prozess entstanden sind, von Menschen gekippt werden, die nicht einmal Bürger des Landes sind.
Dies passiert jedoch andauernd, wenn Unternehmen das Recht haben, vor Gericht zu klagen. Im Januar 2005 verklagten neun internationale Automobilkonzerne den Bundesstaat Kalifornien, um neue Abgasvorschriften zu blockieren, die eine Reduzierung der Kohlendioxidemission um 30 Prozent bis zum Modelljahr 2016 vorsahen. Sie begründeten ihre Klage damit, das Gesetz verhindere den freien Wettbewerb innerhalb des Landes und verstoße damit gegen die Verfassung. Obwohl in mindestens sieben dieser Konzerne die Mehrheit der Aktionäre keine US-Bürger waren, ließ das Gericht die Klage zu. Dies ist unsinnig. Staatsbürgerschaft sollte ein Zulassungskriterium sein, und wenn nur Menschen, nicht aber Unternehmen diesen Status erhalten, dann ließe sich dies durchsetzen. Wenn ein Gruppe von US-Bürgern das Gefühl hat, die kalifornischen Gesetze schadeten ihnen, dann sollten sie |289|dagegen klagen können. Das trifft auf US-amerikanische Anleger von Toyota zu, nicht aber auf ausländische Anleger von General Motors.
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Da nur Menschen Staatsbürger sein können, sollten auch nur Menschen am Prozess der demokratischen Willensbildung teilnehmen können. Verbraucher, Anleger, Manager und Beschäftigte haben das Recht, ihre Interessen im Rahmen der Demokratie zu vertreten. Doch wie der Politikwissenschaftler Charles Lindblom schon vor Jahren erklärte, lässt es sich weder ethisch noch logisch rechtfertigen, warum Unternehmen am demokratischen Prozess beteiligt werden sollten.11
Seit Jahren fordern Gewerkschaftsgegner sogenannte Einkommensschutzgesetze. Diese sollen angeblich Gewerkschaftsmitglieder davor schützen, dass sie über ihre Beiträge politische Aktivitäten der Gewerkschaften mitfinanzieren, die sie persönlich ablehnen. Unter dieser Gesetzgebung, die bereits in einigen Bundesstaaten verabschiedet wurde, kann eine Gewerkschaft kein Geld für politische Zwecke, einschließlich Lobbyarbeit, ausgeben, wenn die Mitglieder nicht zustimmen. Es wäre nur logisch, wenn dasselbe Prinzip zur Anwendung käme, um Aktionäre davor zu schützen, dass ihr Geld für politische Zwecke verwendet wird, mit denen sie nicht überstimmen. Diese Form des Aktionärsschutzes12 würde bedeuten, dass Aktionäre jeder politischen Aktivität eines Unternehmens zustimmen müssten. Wenn ein Unternehmen beispielsweise in einem Jahr 100 000 Dollar für die Politik aufwenden möchte, sei es für Lobbyarbeit, Wahlkampfspenden oder Geschenke und Urlaubsreisen für Abgeordnete, dann sollten Aktionäre, die sich gegen diese Art der Verwendung aussprechen, eine besondere Dividende oder ein Aktienpaket erhalten, das ihrem Anteil an der Ausgabe entspricht. Fondsgesellschaften müssten ihre Anleger über entsprechende politische Aktivitäten in Kenntnis setzen und um deren Zustimmung bitten. Auf diese Weise würden nur diejenigen Anleger für die politische Betätigung eines Unternehmen bezahlen, |290|die tatsächlich einen Teil der Unternehmensgewinne dafür verwenden wollen.
Selbst wenn wir davon ausgehen, dass ein Unternehmen mit seiner politischen Betätigung unsere Interessen als Anleger und Verbraucher repräsentiert, haben wir als Bürger nicht im Entferntesten dieselbe Macht. Eine Möglichkeit, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen, könnte so aussehen: Jedem Bürger wird über die Einkommensteuererklärung eine Summe von beispielsweise 1 000 Dollar gewährt, um dieses Geld an Organisationen zu spenden, die für unsere Interessen als Bürger eintreten, zum Beispiel an Gewerkschaften, Umweltgruppen oder andere Bürgerrechtsgruppen. Diese Organisationen müssten gemeinnützig sein; von dieser Grundbedingung abgesehen würde es uns freistehen, für welche Gruppe wir diese Summe spenden wollen. Ziel wäre es, unseren Interessen als Bürger mehr Gehör zu verschaffen.13
Dies sind einige Möglichkeiten, die sicherstellen würden, dass nur Menschen staatsbürgerliche Rechte und Pflichten erhalten. In Kombination mit anderen Maßnahmen – etwa der Abschaffung der Besteuerung von Unternehmensgewinnen, der Einstellung der strafrechtlichen Verfolgung von Unternehmen, dem Abschied von der Vorstellung des patriotischen Unternehmens oder dem Ausschluss der Unternehmen von der Möglichkeit, bestehendes Recht vor Gericht anzufechten – sorgen sie dafür, dass Unternehmen als juristische Konstrukte behandelt werden, und Menschen als Bürger. Ich habe hier vor allem die USA als Beispiel herangezogen, doch dasselbe gilt für jede andere Demokratie.
Der Triumph des Superkapitalismus hat indirekt den Niedergang der Demokratie bewirkt. Doch dies ist keine notwendige Entwicklung. Eine lebendige Demokratie und ein lebendiger Kapitalismus können durchaus nebeneinander existieren. Um dies zu erreichen, müssen wir diese beiden Sphären jedoch streng auseinanderhalten. Der Zweck des Kapitalismus besteht darin, Anlegern und Verbrauchern gute Angebote zu machen. Der Zweck der Demokratie besteht darin, gemeinsam Ziele zu erreichen, die wir |291|als Einzelpersonen nicht erreichen. Die Unterscheidung zwischen beiden wird aufgehoben, wenn Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen scheinen, oder wenn sie die Politik missbrauchen, um ihre Wettbewerbsposition auszubauen.
Jeder von uns ist Verbraucher, und viele sind Anleger, und in diesen Rollen versuchen wir, die bestmöglichen Angebote wahrzunehmen. Auf diese Weise genießen wir die Vorteile des Superkapitalismus. Doch unser privater Vorteil geht oft mit gesellschaftlichen Nachteilen einher. Wir sind zugleich Bürger, die das Recht und die Pflicht haben, an einer Demokratie teilzunehmen. So haben wir es in der Hand, die Kosten für die Gesellschaft zu verringern und damit die wahren Kosten für unsere Güter und Dienstleistungen so weit wie möglich zu senken. Dies erreichen wir nur, wenn wir unsere Pflichten als Bürger ernst nehmen und unsere Demokratie schützen. Der erste und oft schwerste Schritt besteht darin, klar zu denken.