Stonehenge und Caesar
Die ältesten Spuren menschlichen Lebens lassen sich auf den Britischen Inseln rund 250.000 Jahre zurückverfolgen. Es waren zumeist Jäger und Sammler, die während der Eiszeit über eine Landbrücke vom europäischen Kontinent nach Nordwesten vorstießen. In den Kents Cavern bei Torquay wurde ein 30.000 Jahre alter Kieferknochen eines Menschen gefunden. Aus klimatischen Gründen fand eine systematische Besiedlung Englands erst nach Ende der letzten Eiszeit vor knapp 10.000 Jahren statt. Noch einmal 5000 Jahre mussten vergehen, bevor die Jäger und Sammler sesshaft wurden und sich auf die Viehwirtschaft und den Ackerbau konzentrierten. An diesem Wandel maßgeblich beteiligt waren Einwanderer aus Frankreich und der Iberischen Halbinsel; Letztere brachten die Technik der Bronzeherstellung mit und werden in der wissenschaftlichen Literatur als „Glockenbecherleute“ bezeichnet, da man bei ihren Toten häufig Grabbeigaben in Form eines glockenförmigen Bechers fand.
Selbst auf den heutigen Grabsteinen werden die keltischen Ahnen zitiert
Südengland ist reich an mythischen und prähistorischen Hinterlassenschaften. Das sicherlich herausragendste Monument ist das auf den Salisbury Plains gelegene Stonehenge, das wahrscheinlich als Sonnenheiligtum errichtet wurde. Dieses am besten erhaltene vorgeschichtliche Steindenkmal Europas entstand in zwei Bauphasen, wobei die tonnenschweren Steine aus Wales herbeigeschafft wurden - eine unglaubliche technische Leistung! In der Grafschaft Wiltshire steht bei Avebury noch ein weiterer, allerdings weniger beeindruckender Steinkreis. Rätselhaft ist auch die Entstehung des nahen Silbury Hill, ein künstlich aufgeschütteter Hügel von beeindruckenden Ausmaßen, dessen Sinn bis heute ungeklärt ist.
Vor rund 2500 Jahren erfolgte die Einwanderung keltischer Stämme in mehreren Wellen. Auf einer höheren kulturellen Stufe stehend, gelang es den Kelten die Urbevölkerung entweder zu unterwerfen oder nach Wales zurückzudrängen. Die Kelten konnten Eisen herstellen, führten neue Getreidesorten wie Hafer ein und steigerten den Ertrag durch bessere Pflugtechniken. Von den Kelten zeugen nicht nur materielle Hinterlassenschaften; Teile der Bevölkerung von Wales, Westschottland und Irland sprechen noch heute keltisch. Und auch in Südengland sind viele Grafschafts- und Flurnamen - beispielsweise Kent und Devon - keltischen Ursprungs. Wirtschaftlich bedeutend war vor allem die Zinnproduktion in Cornwall; der Export der wertvollen Barren erfolgte bis nach Gallien.
Ein Brite ist blau und hat einen Schnurrbart
„Das Innere Britanniens wird von Ureinwohnern bewohnt, die Küste aber von denen, die in kriegerischer Absicht der Beute wegen gelandet und nach der Eroberung dort blieben und Ackerbau betrieben. Die Bevölkerungsdichte ist sehr groß. Die sehr zahlreichen Häuser stimmen fast völlig mit den gallischen überein. Der Viehbestand ist bedeutend. Als Geld benutzen sie Kupfer- oder Goldmünzen oder Eisenbarren von bestimmtem Gewicht. Im Binnenland wird Zinn gewonnen, im Küstengebiet Eisen; aber seine Ausbeute ist gering. ... Die meisten Binnenlandbewohner bauen kein Getreide an, sondern leben von Milch und Fleisch und sind mit Fellen bekleidet. Alle Britannier bemalen sich mit Waid, der eine blaue Farbe erzeugt und ihren Anblick im Kampf umso schrecklicher macht. Sie tragen langes Haupthaar, sind sonst rasiert, außer eben am Kopf und an der Oberlippe.“
Julius Caesar, Der Gallische Krieg
Ins Licht der europäischen Geschichtsschreibung trat England erst relativ spät. Noch gegen Ende des fünften Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung gestand Herodot: „Ich weiß auch von den Zinn-Inseln nichts ...“ Griechische Seefahrer aus Marseille hatten zwar schon hundert Jahre zuvor die Insel der Albionen „entdeckt“ und von den dortigen Zinnvorkommen berichtet, doch erst mit Caesar fand die Splendid Isolation ein Ende. Als Caesar Gallien eroberte, gerieten auch die Kelten jenseits des Kanals in seinen Aktionsradius. Zweimal, in den Jahren 55 und 54 vor unserer Zeitrechnung, landete der geniale Feldherr mit seinen Truppen auf der englischen Insel; in gewohnter Weise kam, sah und siegte er, brach aber dann die Invasion ab, da sein Hauptaugenmerk der politischen Entwicklung in Rom galt. Die Insel erhielt den Namen Britannia, nach dem belgischen Stamm der Britanni, der sich im Südosten des Landes niedergelassen hatte.
Vom römischen Britannia zum angel-sächsischen Königreich
Die römische Invasion Britanniens erfolgte im Jahre 43 unserer Zeitrechnung mit drei Legionen vom Rhein und einer von der Donau, die unter dem Kommando des Aulus Plautius standen; nur unterbrochen vom blutigen Aufstand der Boudicca wurde innerhalb weniger Jahre ganz Süd- und Mittelengland unterworfen. Der militärische Höhepunkt war die Einnahme von Camulodunum (Colchester), der Hauptstadt des mächtigsten Stammes, der Trinovantes. Der Sieger konnte sich der Gunst des herbeigeeilten Kaisers Claudius erfreuen, zu dessen Begleittross sogar Elefanten gehörten. Benachbarte Stämme, die die Herrschaft der Trinovantes nicht geschätzt hatten, nämlich die Iceni (im heutigen Norfolk) und die Leute im heutigen Sussex, ergaben sich den Römern, ihre Häuptlinge wurden zu römischen Klienten. Der Senat ehrte Claudius mit einem Triumphbogen, „da er der Erste war, der barbarische Stämme jenseits des Ozeans der Herrschaft des römischen Volkes unterworfen hat“. Claudius erhielt außerdem den Beinamen Britannicus, den er selbst aber nicht annahm, sondern seinem Sohn übertrug.
Nach bewährtem Muster schufen die Römer in kürzester Zeit eine neue Provinz, die den Namen Britannia erhielt. In dem bei Chichester an der Südküste gelegenen Örtchen Fishbourne konnten bei Ausgrabungen nicht nur eine palastartige Villa mit eindrucksvollen Bodenmosaiken freigelegt, sondern auch militärische Vorratshäuser und eine kleine Hafensiedlung nachgewiesen werden; eine weitere römische Siedlung (Glevum) ging dem heutigen Gloucester voraus. Und an jener Stelle, wo sich das Tal der Themse verengte und zwei kleine Hügel den Sumpf des Nordufers überragten, gründeten die Römer Londinium. Der Platz war gut gewählt, denn hier gab es nicht nur in ausreichendem Maße trockenes Land für eine Stadt, die technisch versierten Eroberer verstanden es auch, eine Brücke über die Themse zu führen. Der Grundstein für Londons Aufstieg zu Britanniens großem Verkehrs- und Handelsknotenpunkt war gelegt. Zwar begehrten die Kelten 17 Jahre später noch einmal gegen die römische Fremdherrschaft auf und zerstörten Londinium, doch wurde die Stadt umgehend wiederaufgebaut und durch Mauern und ein mächtiges Kastell, das in der Nähe des heutigen Barbican Centre stand, abgesichert. Mit einer Ausdehnung von rund 140 Hektar war London um ein vielfaches größer als die Römerstädte Mailand, Turin und Verona, und der römische Historiker Cassiodorus stellte lobend fest: „Londinium war für seinen Handel berühmt und wimmelte nur so von Händlern.“ Zu den eindrucksvollsten römischen Hinterlassenschaften zählt neben den Ruinen des Londoner Mithrastempels und den Thermen von Bath vor allem die Villa von Lullingstone in der Grafschaft Kent. Mit ihren eindrucksvollen Mosaiken und Warmluftanlagen zeugt die Villa vom luxuriösen Standard der römischen Kultur. Eine weitere bleibende Hinterlassenschaft war die Einfuhr einer langwolligen Schafrasse, die aus Kleinasien stammte und die englische Landschaft bis auf den heutigen Tag prägt.
Trajan-Statue beim Londoner Tower
Als im Zeitalter der Völkerwanderung die römische Vorherrschaft über Europa zu bröckeln begann, zogen sich auch die römischen Truppen aus Britannien zurück; die zivilisatorischen Errungenschaften verkümmerten, das städtische und kulturelle Leben erlahmte, einzig London behielt noch eine gewisse Zeit seine führende Stellung. Doch das Machtvakuum auf der Insel lockte potenzielle Eroberer an; die aus der Nordseeregion zwischen Weser und Niederelbe stammenden Sachsen, Angeln und Jüten brandschatzten England mehrfach, bis sie sich schließlich auf der Insel ansiedelten. Rasch dehnten sie ihren Machtbereich aus, die keltischen Briten wurden unterworfen oder nach Cornwall, Wales oder Schottland zurückgedrängt. Die Einwanderer teilten England untereinander auf, wobei die Grenzen anfangs noch fließend waren. Neben vielen kleinen Fürstentümern entstanden zu Beginn des 6. Jahrhunderts die drei großen Königreiche Wessex, Mercia und Northumbria. Gebietsbezeichnungen wie Sussex (Südsachsen), Wessex (Westsachsen) und Essex (Ostsachsen) erinnern noch heute an diese Einwanderungswelle. Im Gegensatz zu den Römern lebten die Angelsachsen bevorzugt in dörflichen Gemeinschaften, das römische Städtewesen verfiel weitgehend. Viele Orte, deren Namen auf -ham oder -ing enden, wie beispielsweise Chilham, Worthing oder Hastings, dürften in jener Epoche entstanden sein.
Als die Angelsachsen um das Jahr 600 geschlossen zum katholischen Glauben übertraten, beschleunigte sich die Christianisierung der Britischen Inseln. Richtungsweisend waren die Hochzeit von König Ethelbert von Kent, der im Jahre 597 die katholische Prinzessin Berta aus dem fränkischen Königshaus ehelichte, sowie die Konversion der Könige von Essex, Northumbria und East Anglia: England wuchs dauerhaft mit dem abendländisch-christlichen Kulturkreis zusammen. Der Klerus etablierte sich als neue geistige Führungsschicht und förderte mit seiner hierarchischen Ausrichtung den Aufbau eines prosperierenden Städtewesens. Zudem stärkte das Christentum die Stellung des Königs, dessen Amt durch die kirchliche Weihe und Salbung einen sakralen Charakter erhielt. Die Könige, so wurde verkündet, regierten von Gottes Gnaden. Eine der frühesten nachgewiesenen Sakralbauten ist die aus dem 7. Jahrhundert stammende Klosterkirche Saint Mary in Reculver in der Grafschaft Kent. Von den anderen frühmittelalterlichen Kirchen sind oft nur wenige Überreste erhalten, da sie der nordischen Tradition folgend in Holz errichtet wurden.
Gegen Ende des 8. Jahrhunderts wurde Südengland dann wiederholt von den Wikingern heimgesucht, die mit ihren wendigen Schiffen überraschend an der Küste auftauchten oder die Themse hinauffuhren. Als wohlhabende Handelsstadt war vor allem London ein begehrtes Ziel. Ähnlich wie in der Normandie beschränkten sich die Wikinger seit der Mitte des 9. Jahrhunderts nicht mehr auf schnelle Beutezüge, vielmehr versuchten sie, die Angelsachsen zu unterwerfen und sich dauerhaft in England anzusiedeln. Die Königreiche Northumbrien und Mercia waren bereits im Besitz der dänischen Wikinger, als der König von Wessex, Alfred der Große, die nordischen Eroberer 878 bei Chippenham besiegte. Nachdem Alfred acht Jahre später schließlich London zurückerobern konnte, gelang es ihm, die angelsächsische Herrschaft zu konsolidieren. Stolz ließ Alfred, der bis 899 regierte, Münzen mit seinem Konterfei und dem Titel Rex Anglorum prägen. Das Haus Wessex wurde zum englischen Königshaus und das in der heutigen Grafschaft Hampshire gelegene Winchester zur Hauptstadt des Landes. Historiker erklären die mächtige Zentralgewalt des frühen englischen Königtums mit den geographischen Gegebenheiten; die - mit Frankreich oder Deutschland verglichen - geringe territoriale Ausdehnung ermöglichte dem König, seine Anweisung in jedem Landesteil durchzusetzen. Um Angriffe von außen besser abwehren zu können, ließ Alfred mehr als dreißig befestigte Plätze errichten. Rechts- und verwaltungstechnisch wurde England in 37 Shires aufgegliedert; diese Shires wurden später Counties genannt und entsprechen den deutschen Grafschaften. Das Londoner Zollverzeichnis, das unter König Aethelred erstellt wurde, zeigt anschaulich, dass bereits im Jahre 1000 deutsche, französische und flandrische Kaufleute Wolle, Öle und Fette ankauften, während die Angelsachsen braunes und graues Tuch, Gewürze, Wein und Fisch importierten. Wenig später konnte der Däne Knut der Große die angelsächsische Vormachtstellung durchbrechen und von 1018 bis 1035 die Insel als englischer König regieren. Die dänische Episode währte aber nicht lange: Unter Eduard dem Bekenner kehrten zwar die Angelsachsen auf den Thron zurück, allerdings brachte Eduard, der lange Zeit in der normannischen Heimat seiner Mutter als Flüchtling gelebt hatte, die dortigen Sitten und Bräuche mit auf die Insel. Der Bau der von ihm betriebenen Westminster Abbey zeigte deutlich den Einfluss der normannischen Sakralarchitektur.
1066 und die Folgen
Die normannische Eroberung Englands im Jahre 1066 war nicht etwa ein willkürlicher Angriff, wie beispielsweise die geplanten Invasionen von Napoleon. Vielmehr begab sich Wilhelm der Eroberer, so jedenfalls sahen es auch viele seiner Zeitgenossen, als legitimer Erbe des englischen Throns nach England, da ihn König Eduard der Bekenner schon zu Lebzeiten zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Als der Erbfall im Januar 1066 eintrat und sich Harold Godwinson, ein entfernter Verwandter von Eduard, der Wilhelm den Vasalleneid geleistet hatte, bereits einen Tag später selbst zum König krönte, „musste“ Wilhelm handeln, wenn er seinen Machtanspruch aufrechterhalten wollte. Der berühmte Bildteppich von Bayeux schildert anschaulich die nun folgende Eroberung Englands: Wilhelm ließ eine ganze Schiffsflotte bauen und setzte mit 30 0 Schiffen sowie rund 7000 Mann über den Ärmelkanal. Am 28. September erreichten die hochbordigen normannischen Drachenschiffe bei Pevensey englischen Boden und stellten sich den aus Norden herbeieilenden Truppen Harolds zum Kampf. Trotz der taktisch besseren Stellung erlitten die Angelsachsen am 14. Oktober in der als Battle of Hastings berühmt gewordenen Schlacht eine vernichtende Niederlage. Der entscheidende Vorteil der Normannen lag in der besseren Ausrüstung: Die Reiterei konnte aus dem Sattel kämpfen, da die Normannen bereits über Steigbügel verfügten; zudem trugen die normannischen Ritter Kettenhemden, während sich das englische Heer zu einem Großteil aus schlecht bewaffneten Landarbeitern rekrutierte. Am Weihnachtstag des Jahres 1066 wurde Wilhelm in Westminster vom Erzbischof von York zum englischen König gekrönt, doch dauerte es noch weitere fünf Jahre, bis er de facto über ganz England herrschte.
Die Normannen waren der einheimischen Bevölkerung zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Um seinen Machtanspruch militärisch abzusichern, ließ Wilhelm zahlreiche Burgen als Herrschaftsmittelpunkte errichten. Mit verhältnismäßig geringem Aufwand konnten so große Territorien militärisch kontrolliert werden. Der Tower von London, der in dieser Zeit entstand, diente somit weniger der Verteidigung Londons, sondern vielmehr der Kontrolle der wankelmütigen Londoner Bevölkerung. Ein unumstrittenes Ergebnis der normannischen Eroberung war außerdem die fast vollständige Vernichtung der altenglischen Aristokratie durch Tod, Exil oder soziale Unterdrückung. An ihre Stelle traten die treuen Gefolgsleute Wilhelms und das aus Frankreich mitgebrachte System des Feudalismus. Unter den normannischen Landesherren gab es keine freien Bauern mehr, da alles Land in Lehensland verwandelt worden war. Oberster Lehensherr und zugleich alleiniger Inhaber des gesamten englischen Bodens war der König. Wilhelm ließ als eine seiner ersten Amtshandlungen das Domesday Book anlegen, eine Art genauen Besitzkatalogs, der die Grundlage für das neue Besteuerungsverfahren werden sollte. Am Hof sprach man fortan Französisch; das Angelsächsische wurde zur Volkssprache degradiert. Spuren davon finden sich noch im heutigen Englisch: Während die Tiere auf der Weide angelsächsische Namen (cow) tragen, wird ihr Fleisch auf der Tafel noch immer in der gallischen Form (beef) bezeichnet. Auch die Rechtsprechung, die Mode, das Heer und der Klerus wurden normannisiert. Ebenso bedeutend war aber sicherlich, dass England durch die Vermittlung der normannischen Prälaten kulturell und intellektuell vom breiten Strom der neuen, von Nordfrankreich ausgehenden Gelehrsamkeit erfasst wurde. Auch in architektonischer Hinsicht erlebte England durch die normannische Eroberung eine Revolution. Die Normannen führten nicht nur den Burgenbau - das Hauptmerkmal einer feudalen Gesellschaft - ein, sie bauten in den Jahrzehnten nach Hastings fast jede größere Kirche aus, wodurch die Reform der englischen Kirche auch optisch zum Ausdruck kam.
London selbst spielte in der normannischen Epoche noch nicht die führende Rolle im Königreich. Der Grundriss der Stadt war von den schachbrettartig verlaufenden Römerstraßen geprägt und noch nicht über die antiken Grenzen hinausgewachsen. Die Vorstadtsiedlungen Bishopsgate und Southwark lagen an der wichtigen, von Süden nach Norden verlaufenden Verbindungsstraße, die die Themse auf der bislang einzigen vorhandenen Brücke überquerte. Nach Osten schloss sich das Areal des königlichen Towers an, im Westen in einiger Entfernung das Kloster Westminster mit der Krönungskirche. Dazwischen entfaltete sich die kleinteilige mittelalterliche Stadt in der bis heute gültigen Unterteilung in boroughs. Erst im Jahre 1176 wurde die alte London Bridge durch eine steinerne Variante ersetzt. In London muss bereits damals ein raues Klima geherrscht haben, so zeichnete Richard von Devizes, ein Zeitgenosse von Richard Löwenherz, ein spottreiches Bild der Themsestadt: „Wenn du in England bist und kommst nach London, ziehe schnell weiter. Diese Stadt missfällt mir sehr. Es gibt dort alle Arten von Menschen, aus allen Völkern unter dem Himmel, und alle haben ihre Laster mitgebracht: Niemand dort ist unschuldig, in jedem Viertel gibt es bedauerliche Unsitten. Der größte Gauner gilt als der beste Mensch. ... Ich habe keine Angst um dich, aber da sind lasterhafte Menschen, und die Berührung mit ihnen verdirbt die Sitten. Nun gut, geh nach London, wenn du willst, aber ich sage dir, alles Böse, alle Laster, die es in der Welt gib, findest du in dieser Stadt vereint.“ Devizes zählt genussvoll auf, welche Schrecken einen jungen Mann in London erwarten: „Komödianten, Schürzenjäger, Eunuchen, Zauberer, Verführer, Pädophile, Homosexuelle, Sodomiten, Herumtreiber, Drogenhändler, Parasiten, Wahrsagerinnen, Giftmischer, nächtliche Herumtreiber, Magier, Schauspieler, Bettelvolk, Possenreißer, kurz das ganze Pack, das dort die Häuser füllt.“ Vor Devizes strengen Augen hatte aber kaum eine Stadt in Südengland Bestand: „Rochester und Chichester sind kleine Dörfer, und man fragt sich, warum sie als Städte bezeichnet werden. Oxford hat Mühe, seine Menschen am Leben zu erhalten, vom Ernähren spreche ich erst gar nicht. In Exeter setzt man Menschen und Tieren dieselben Getreideabfälle vor. Bath liegt in einem Tal, die Luft ist so sehr von Schwefeldämpfen verpestet, dass man sich vor den Toren der Hölle wähnt.“
Kathedralen - Ausdruck des
normannischen Herrschaftsanspruchs
Eindrucksvolle Beispiele für die normannische Sakralarchitektur sind die Kathedralen von Winchester und Durham. Die normannischen Kirchen sind ein Ausdruck der Macht, Herrschaftsarchitektur mit entsprechend imposanten Ausmaßen. Bedingt durch den zahlreichen Kathedralklerus aus Ordensleuten entstanden eigene, geräumige Mönchschöre hinter dem Altar; Lettner und Schranken verwiesen die Laien in einen vorbestimmten Teil der Kirche. In den englischen Kathedralen herrscht ein Miteinander von Bauelementen, Seitenschiffe und Querhäuser werden nicht harmonisch einbezogen. Durchgehende Linien dominieren, die klare Struktur lässt wenig Platz für die private Andacht, konzipierten die Baumeister ihre Kathedralen doch als überdachten, öffentlichen Raum. Zumeist stehen die Kathedralen wie in Winchester und Salisbury isoliert auf dem Rasen; sie lassen sich umwandern, ohne dass der Wunsch entsteht, Details näher in Augenschein nehmen zu wollen. Wer dennoch genauer hinsieht, wird feststellen, dass im Gegensatz zu den Kathedralen von Amiens oder Regensburg die Fassade kaum filigrane Einzelheiten aufweist, alles ist der großen Form, dem absoluten Anspruch auf Gehorsam und Pflichterfüllung untergeordnet.
Nichtsdestotrotz erlebte England - und somit auch London - gegen Ende des 11. Jahrhunderts eine außerordentliche Blütezeit. Der in finanziellen Dingen recht geschickte Richard Löwenherz erkannte die Vorteile einer florierenden Wirtschaft, richtete neue Märkte ein und verzichtete auf die Steuereinnahmen der deutschen Kaufleute in ihrer Londoner Niederlassung. England stellte für Richard Löwenherz in erster Linie eine Einnahmequelle dar, die sein Vater, Heinrich II., mit Gewalt und neuen Steuern der Krone erschlossen hatte. Richards Bruder und Nachfolger Johann Ohneland, ein rachsüchtiger und unfähiger Herrscher, musste im Jahre 1215 die 61 Artikel der Magna Carta Libertatum anerkennen, die die königliche Autorität zugunsten von Freiheiten und Privilegien für die Kirche, den Adel sowie das Bürgertum beschnitt und allen späteren konstitutionellen und demokratischen Entwicklungen Tür und Tor öffnete. Auch wirtschaftlich profitierte England von der neuen politischen Situation. Händler und Gilden erhielten Privilegien und Monopole, fremde Kaufleute ließen sich nieder. So richtete die Hanse, deren Kaufleuten zahlreiche Vorrechte eingeräumt wurden, gegen Ende des 13. Jahrhunderts ein Kontor in der Themsestadt ein.
When Adam delved and Eve span -
Who was then a gentleman?
Die englische Gesellschaft war - sieht man einmal vom Klerus und von der Stadtbevölkerung ab - im Mittelalter in zwei Stände gegliedert: in Edelmänner und leibeigene Bauern. Durch den pestbedingten Rückgang der Bevölkerung verknappte sich die menschliche Arbeitskraft, sodass es zahlreichen Leibeigenen gelang, sich durch Freikauf und Landerwerb zu emanzipieren. Innerhalb kürzester Zeit bildeten sich zwei neue Stände: der freie Bauer mit eigenem Landbesitz und der einfache Landarbeiter, der sich als Knecht verdingte. Die verschiedenen gesellschaftlichen Rechte, die sich von dem Grundbesitz ableiteten, führten im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts wiederholt zu örtlichen Unruhen. Zu den entschiedenen Gegnern des Feudalsystems gehörte der durch die Grafschaft Kent ziehende Wanderprediger John Ball, der offen für die gesellschaftliche Gleichheit und persönliche Freiheit eines Christen eintrat. Berühmt geworden ist er durch die provokante Frage: „When Adam delved and Eve span - Who was then a gentleman?“ Als Ball wegen seiner aufrührerischen Predigten 1381 in Maidstone in Ketten lag, wurde er von ein paar Aufständischen unter Führung des Gerbers Wat Tyler aus dem Kerker geholt. Die Nachricht von Balls Befreiung verbreitete sich in Windeseile, aus den unzufriedenen Landarbeitern formierte Tyler ein Heer, mit dem er erst den Palast des Erzbischofs von Canterbury stürmte und dann nach London zog. Die Tore der Themsestadt öffneten sich ohne Widerstand, König Richard II. verhandelte mit Tyler und befahl die Aufhebung der Leibeigenschaft. Tyler war am Ziel, doch stieg ihm sein Erfolg zu Kopf: Mit ein paar Getreuen drang er in den Tower ein, um den verhassten Erzbischof von Canterbury hinrichten zu lassen. Die Stimmung schlug um, als die Aufständischen die Stadt plünderten. Der Londoner Lord Mayor erschlug Wat Tyler eigenhändig, woraufhin seine verwirrten Anhänger in kürzester Zeit aufgerieben wurden. Trotz des unrühmlichen Endes gebührt Tyler das Verdienst, den Niedergang des Feudalismus eingeleitet zu haben.
Schwarzer Tod und Rosenkriege
Das 14. und das 15. Jahrhundert waren von Kriegen und schweren Katastrophen gekennzeichnet. Im August 1348 erreichte die Pest England; fast jeder dritte Einwohner Londons starb in den darauf folgenden Monaten am „Schwarzen Tod“. Eine zweite Pestepidemie breitete sich im Winter 1361 aus und forderte erneut Tausende von Opfern. Doch der Schrecken hatte noch kein Ende: 1369 und 1375 flackerte die Pest abermals auf. Modernen Schätzungen zufolge hat sich die englische Bevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte halbiert.
Zur gleichen Zeit bekriegten sich England und Frankreich auf dem Kontinent. Nach anfänglichen Erfolgen der Engländer trugen aber letztlich die Franzosen den Sieg im sogenannten Hundertjährigen Krieg (1337-1453) davon. Da sich das Kriegsgeschehen ausschließlich auf dem Kontinent abspielte, bekam die Bevölkerung Südenglands den Krieg nur durch höhere Steuerlasten zu spüren. Kaum herrschte Frieden, entbrannte zwischen den Häusern York und Lancaster ein gnadenloser Kampf um die Krone. Da beide mit den Plantagenets verwandten Adelsgeschlechter eine Rose im Wappen führten, gingen die von 1455 bis 1485 währenden Konflikte als Rosenkriege in die Geschichte ein. In einer Hinsicht waren die Rosenkriege paradox: Sie markierten das Scheitern einer traditionellen Form des Widerstands der Barone und brachten gleichzeitig immer noch die Forderung der Feudalaristokratie nach größerem Einfluss auf die Politik des Königs zum Ausdruck. Im Laufe dieses langen und erbitterten Konflikts wurde die Hocharistokratie durch Attentate und Kriegshandlungen dezimiert, während der niedere Adel und die freien Bürger um die volle Anerkennung der mittelalterlichen Rechte des Parlaments kämpften. Den unrühmlichen Höhepunkt der Rosenkriege bildete der von Richard III. in Auftrag gegebene Mord an den unmündigen Söhnen seines 1483 verstorbenen Bruders Eduard IV.; Heinrich Tudor, der Earl of Richmond, stellte sich daraufhin am 22. August 1485 mit Unterstützung des französischen Königs den Truppen Richards III. auf dem Schlachtfeld entgegen. Obwohl die Armee Richards zahlenmäßig überlegen war, trug Heinrich in Bosworth den Sieg davon. Dass Richard bei einer persönlichen Attacke auf seinen Herausforderer ums Leben kam, wurde von den Zeitgenossen als eine Art Gottesurteil interpretiert.
Die Häuser Tudor und Stuart
Mit Heinrich VII. saß erstmals ein Tudor auf dem Thron. Durch seine Heirat mit Elizabeth von York führte der geschickte Diplomat die verfeindeten Häuser York und Lancaster zusammen. Sein bleibendes Verdienst war es, die Stellung der Monarchie gefestigt zu haben. Diese Politik, die von seinen Nachfolgern bis hin zu Elizabeth I. fortgesetzt wurde, bildete die Grundlage für die weltweite Expansion Englands, die mit einem steten Zuwachs der Londoner Bevölkerung einherging. Als Heinrich VIII. 1509 den englischen Thron bestieg, konnte er auf eine gut gefüllte Staatskasse zurückgreifen. Obwohl höfische Manieren, körperliche Fähigkeiten und Bildung des 18-Jährigen von den Zeitgenossen hoch gerühmt wurden, sollte er als Despot in die Geschichte eingehen. Seine Geltungssucht, verbunden mit einem überzogenen Imponiergehabe, steigerte sich ins Unerträgliche. Architektonische Glanzpunkte seines Repräsentationsstrebens waren der St James’s Palace und Hampton Court - beides eindrucksvolle Beispiele für die Tudor-Gotik. Letztlich waren es aber die Ehe- bzw. Nachfolgerprobleme Heinrichs VIII., die zu einer entscheidenden Wendung im Geschick des Landes führten: Da der Papst ihm die Scheidung von Katharina von Aragón verweigert hatte, sagte sich Heinrich VIII. 1534 von Rom los und machte die englische Kirche zu einer Nationalkirche, der sogenannten anglikanischen Staatskirche mit dem König selbst als Supreme Head. Trotz offener Proteste ging die Monarchie gestärkt aus diesem Konflikt hervor; es gelang ihr sogar, sich die Heiligkeit der Kirche für eigene Zwecke zu Nutze zu machen.
Sechs Frauen und ein Mann
Mit seinen Frauen hatte Heinrich VIII. - oder besser: sie mit ihm - nur wenig Glück. Britische Schüler lernen einen Reim, um sich das Schicksal der Frauen Heinrichs VIII. leichter einzuprägen: „Divorced, beheaded, died / divorced, beheaded, survived“. Geschieden wurde der englische König von Katharina von Aragón, Anne Boleyn verlor ihren Kopf, Jane Seymour starb, Anna von Kleve wurde ebenfalls geschieden, Katherine Howard starb wiederum durch den Henker und nur Katherine Parr überlebte ihren Gatten.
Besonders bedeutend war Heinrichs Entscheidung, die Klöster aufzulösen und deren Güter an treue Gefolgsleute zu verteilen. Auf diese Weise schaffte er einen neuen, patriotischen Adel, der entschieden für den Protestantismus eintrat, um die Klostergüter nicht wieder herausgeben zu müssen. Teilweise wurden Ländereien zu Spottpreisen an vermögende Kaufleute veräußert, da Heinrich dringend Geld benötigte, um den Krieg gegen Frankreich zu finanzieren. Gleichzeitig mangelte es nun aber im ganzen Land an einer wirksamen Armenfürsorge; an die Stelle der Klöster und religiösen Stiftungen traten Armengesetze sowie eine Zwangsabgabe zur Unterstützung der Notleidenden. Typisch für die Architektur dieser Zeit sind die Landsitze im Tudor-Stil - beispielsweise das Montacute House in Somerset -, die bewusst auf jegliche Befestigung verzichteten und von parkähnlichen Gärten umgeben waren.
Die von Heinrich VIII. eingeleitete Entwicklung setzte sich auch unter Elizabeth I., Heinrichs zweitältester Tochter, durch; sie vollendete während ihrer langen Regierungszeit (1558-1603) die religiöse Politik ihres Vaters. War bei ihrem Regierungsantritt - bedingt durch die Rekatholisierungsmaßnahmen ihrer Halbschwester Maria - die überwiegende Mehrzahl der Engländer wieder in den Schoß der alten Kirche zurückgekehrt, so dürfte die Zahl der Katholiken gegen Ende ihrer Herrschaft unter zwei Prozent gelegen haben. Angetrieben von dem puritanischen Geist prosperierte die Wirtschaft: An der 1571 eröffneten Londoner Börse konnte erstmals ein ständiger Handel stattfinden. Nachdem Elizabeth 1587 die katholische Königin von Schottland, Maria Stuart, hatte köpfen lassen, weil sie Maria verdächtigte, einen Mordanschlag auf sie veranlasst zu haben, schickte Philipp II. seine Armada, um England wieder für den rechten Glauben zu gewinnen. Doch trotz der vermeintlichen militärischen Überlegenheit der spanischen Flotte glückte den von Sir Francis Drake angeführten Engländern ein historischer Sieg, der eine jahrhundertelange Vormachtstellung Englands auf allen Weltmeeren zur Folge hatte.
Auch in kultureller Hinsicht sollte das Elisabethanische Zeitalter als Golden Age in die Geschichte eingehen. Christopher Marlowe und vor allem William Shakespeare prägten die Epoche mit ihren Tragödien; am Südufer der Themse entstanden erstmals eigene Theatergebäude, die bis zu 3000 Zuschauer fassen konnten, darunter das unlängst wieder rekonstruierte Globe. In der Architektur prägte Inigo Jones (1573-1652) einen klassizistischen Stil, der von dem Italiener Andrea Palladio beeinflusst war. Auf dem Land entstanden mehrere klassizistische Herrensitze, darunter auch das Wilton House in Wiltshire.
Erst auf dem Sterbebett liegend, bestimmte Elizabeth I. den Sohn von Maria Stuart als Jakob I. zu ihrem Nachfolger. Der für seine liberale Einstellung bekannte Jakob war zu diesem Zeitpunkt bereits König von Schottland und sollte bis zu seinem Tod (1625) in Personalunion als König von Schottland und England herrschen. Beinahe wäre Jakob I. einem Anschlag zum Opfer gefallen. Der Katholik Guy Fawkes plante 1605 zusammen mit zwei Jesuiten, den König samt Parlament in die Luft zu sprengen. Der sogenannte Gunpowder Plot war die Antwort auf einen königlichen Erlass, mit dem die Jesuiten ins Exil gezwungen werden sollten. Die „Schießpulver-Verschwörung“ flog jedoch auf, weil einer der Anführer einem Freund die Warnung zukommen ließ, dem Parlament am Tag des Anschlags fernzubleiben. Der Brief gelangte in die Hände königstreuer Beamter, woraufhin unter dem Parlamentsgebäude 36 Pulverfässer entdeckt wurden. Fawkes und seine Mitverschwörer wurden gefangen genommen, gefoltert und hingerichtet.
Longleat: Stattliches Herrenhaus und Safaripark
Die Erinnerung an das Haus Stuart, das bis 1714 über England herrschen sollte, bleibt von zwei dramatischen Ereignissen überschattet: Dem Bürgerkrieg, der 1649 in der Exekution Karls I. und der Abschaffung der Monarchie gipfelte - Oliver Cromwell stand als Lordprotektor an der Spitze des Staates -, sowie dem Großen Brand von 1666, dem große Teile Londons zum Opfer fielen. Bereits unter Jakob I. war es mehrfach zu Konflikten zwischen dem König und dem Parlament gekommen, die 1621 in der erzwungenen Entlassung des Lordkanzlers endeten. Als das Parlament Karl I. 1628 in der Petitions of Rights zu Zugeständnissen zwang, löste dieser wenige Monate später das Parlament kurzerhand auf und versuchte elf Jahre lang allein zu regieren. Die Auseinandersetzung mündete in zwei Bürgerkriege, der König wurde schließlich gefangen genommen und am 30. Januar 1649 hingerichtet, weil er gegen sein eigenes Volk Krieg geführt und den Tod von Menschen verschuldet hatte. Cromwell, der erfolgreiche Anführer der parlamentarischen Armee, wollte zwar ein demokratisch legitimiertes Regime etablieren, stand aber de facto an der Spitze einer Militärdiktatur. Nach Cromwells Tod (1658) versuchte sich zwar sein Sohn Richard als Nachfolger, doch wandte sich die Armee bald von ihm ab und holte den Sohn des geköpften Königs als Karl II. auf den Thron zurück. Dessen katholischer Bruder und Nachfolger Jakob II. geriet erneut mit dem Parlament in Streit und wurde in einer unblutigen - und daher „glorreichen“ - Revolution ins Exil getrieben und durch Wilhelm von Oranien, seinen protestantischen Neffen und Schwiegersohn, „ersetzt“. Wilhelm, der bis dahin als Statthalter und Generalkapitän fungiert hatte, erkannte die Declaration of Rights an, und England mutierte zur konstitutionellen Monarchie. Nach der „Glorreichen Revolution“ von 1689 stieg England innerhalb kürzester Zeit zur stärksten Wirtschaftsmacht Europas auf. London löste Amsterdam als weltweit bedeutendstes Handels- und Finanzzentrum ab und dehnte sich ständig weiter aus. 1694 wurde die Bank of England gegründet. Einen wichtigen Anteil am Aufschwung hatten die Hugenotten; Ende des 17. Jahrhunderts siedelten sich mehr als 50.000 aus Frankreich vertriebene Glaubensflüchtlinge in Südengland an. Die Ursache für die Flucht der Hugenotten war das Edikt von Fontainebleau vom 18. Oktober 1685, mit dem der französische König Ludwig XIV. das Toleranzedikt von Nantes (1598) widerrief. Der englische König Jakob II. hatte nicht nur den Flüchtlingen die Möglichkeit geben wollen, ihren Glauben auszuüben, sondern sich auch wirtschaftliche Vorteile sowie die Erschließung neuer Gewerbezweige erhofft.
Da weder Wilhelm III. noch Königin Anna ihre Linie durch einen Thronfolger weiterführen konnten, fiel gemäß der Erbfolge die englische Krone an das Haus Hannover. Mit Georg I. bestieg 1714 erstmals ein deutscher Fürst den englischen Thron. Das gesamte 18. Jahrhundert war eine Epoche, die sich vor allem im Londoner West End und in Marylebone durch eine rege Bautätigkeit auszeichnete. London wuchs weit über seine Stadtgrenzen hinaus. Daniel Defoe bezeichnete das aufstrebende London 1726 als „eine monströse Stadt“ und stellte die Frage: „Wo kann hier eine Grenzlinie gezogen oder ein Umgrenzungswall angelegt werden?“ Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten fehlte in London ein umfassender Bebauungsplan. Weder die Regierung noch eine kleine herrschende Schicht gaben Richtlinien vor, vielmehr war die Stadtentwicklung das Ergebnis einer Vielzahl begrenzter privater Initiativen. Da zwischen 1714 und 1830 alle englischen Könige den Namen Georg trugen, werden die damals entstandenen Bauten unter dem Namen Georgianischer Stil subsumiert. Hierzu zählen die zahlreichen Backstein-Reihenhäuser, die weiträumigen, rechteckigen Squares und die abgerundeten Crescents. Bath, das zweifellos das schönste georgianische Stadtbild Englands besitzt, war in städtebaulicher Hinsicht wegweisend. Die von Vater und Sohn Wood zwischen 1727 und 1767 realisierten Straßenzüge wurden mustergültig für die englische Städtebaukunst des 18. Jahrhunderts. In London und anderen Städten wurde das lockere Zusammenspiel von Crescent, Square, Circus und Terrace kopiert. In der Themsemetropole ragt unter den damals errichteten Stadtpalästen vor allem das Somerset House am Strand heraus. Eine Sonderform ist der Regency-Stil von John Nash (1752-1835). Nash entwarf im Auftrag des Prinzregenten unter anderem den Regent’s Park sowie zahlreiche Stadtvillen, zudem führte er um 1780 die weißen Stuckfassaden und Säulenarkaden ein, die noch heute viele Londoner Straßenzüge kennzeichnen. Ebenfalls im 18. Jahrhundert führte Lancelot „Capability“ Brown (1716-1783) die englische Gartenbaukunst zu einem ungeahnten Höhepunkt. Die mehr als hundert von Brown geschaffenen Parkanlagen fügten sich harmonisch in die geographischen Gegebenheiten ein und riefen die Illusion hervor, sich in einer naturbelassenen Landschaft zu befinden.
1588 - die gescheiterte Invasion
Nicht nur die Hinrichtung von Maria Stuart, auch die steten Angriffe der englischen Freibeuter vom Schlage eines Hawkins und eines Drake waren dem spanischen König Philipp II. ein Dorn im Auge. Indem die englischen Freibeuter die spanischen Galeonen kaperten, die mit Silber und Gold beladen aus der Karibik kamen, fügten sie den Spaniern einen beträchtlichen materiellen Schaden zu und forderten den mächtigsten König des 16. Jahrhunderts damit heraus. Philipp II. reagierte: Er wollte England erobern und das verhasste protestantische Königreich ein für alle Mal vernichten. Für dieses Unterfangen stellte er eine gigantische Armada zusammen; die spanische Flotte bestand aus 130 Schiffen, bestückt mit 2000 Kanonen und 20.000 Soldaten. An Bord befanden sich Nahrungsmittel und Munition, die ausreichend waren, um ohne Nachschub sechs Monate auf der Insel ausharren zu können. Die gewaltige Flotte unter dem Kommando von Admiral Sidonia galt als unbesiegbar. Francis Drake erkannte jedoch, dass die Armada aufgrund ihrer Größe schwerfällig und daher verwundbar war. Nachdem sich die beiden Flotten mehrere Tage lang ohne nennenswerte Erfolge bekämpft hatten, fiel die Entscheidung in der Nacht des 28. Juni 1588. Die Engländer verfügten über die beweglicheren Schiffe, die erfahreneren Besatzungen und die bessere Artillerie. Entscheidend wirkte sich der strategische Nachteil für die Spanier aus, sich fern der Heimat in keinen gesicherten Hafen zurückziehen zu können. So sahen sie sich gezwungen, vor Calais im offenen Gewässer zu ankern und boten damit den Brandschiffen der Engländer ein lohnendes Ziel. Als diese deren sechs in den spanischen Flottenverband hineinmanövrierten, kappten die Spanier überstürzt die Ankertaue; die zerstreuten Schiffe waren dem englischen Angriff fast schutzlos ausgeliefert. Vier Schiffe sanken, tausende von Soldaten und Matrosen fanden den Tod. Den Rest besorgten die Stürme, denen die Armada bei ihrer Flucht um die Britischen Inseln an der Westküste ausgesetzt war: Die hochbordigen Galeonen zerschellten an den Felsküsten Schottlands, Irlands und Cornwalls. Nur die Hälfte der Schiffe kehrte Ende September wieder in einen spanischen Hafen zurück. Die Invasion war kläglich gescheitert.
Sieht man einmal von den Städten ab, so stellen vor allem die Landsitze des Adels und nicht etwa die königlichen Schlösser die architektonischen Hinterlassenschaften aus der Epoche zwischen Glorreicher und Industrieller Revolution dar. Petworth House und Hatchlands legen ein eindrucksvolles Zeugnis für die wirtschaftliche Macht, das gesellschaftliche Ansehen und den politischen Einfluss ihrer Besitzer ab. Doch nicht nur der Adel, sondern auch der große Teil der Bevölkerung partizipierte am Vorabend des industriellen Zeitalters am allgemeinen Wohlstand. Wer auf dem Land keine Zukunftschancen sah, suchte sein Glück in London, das in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmestellung einnahm. Um 1750 lebte jeder zehnte Engländer in der Themsemetropole, die im Gegensatz zu den ländlichen Regionen ein deutliches Missverhältnis von Todes- und Geburtenrate aufzuweisen hatte. London wirkte nicht nur als demographisches Korrektiv, sondern bewirkte mit seiner wachsenden Nahrungsnachfrage das Entstehen eines nationalen Marktes, der eine Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion nach sich zog. Der wachsame Chronist Daniel Defoe registrierte 1724 auf seiner Tour through the whole Island of Great Britain, dass alle Teile des Königreichs dazu beitrügen, die Versorgung der Hauptstadt zu gewährleisten.
Im 19. Jahrhundert, als Dampfschiffe eine zügigere Überquerung des Ärmelkanals ermöglichten, wurde England zunehmend als Reiseziel entdeckt. In erster Linie wollten die Reisenden die ungeheuren sozialen und politischen Dimensionen der „Weltstadt“ London kennenlernen. Als Heinrich Heine 1828 in London eintraf, bot sich ihm folgendes Bild: „Ich habe das Merkwürdigste gesehen, was die Welt dem staunenden Geiste zeigen kann, ich habe es gesehen und staune noch immer - noch immer starrt in meinem Gedächtnisse dieser steinerne Wald von Häusern und dazwischen der drängende Strom lebendiger Menschengesichter mit all ihren bunten Leidenschaften, mit all ihrer grauenhaften Hast der Liebe, des Hungers und des Hasses ... Dieser bare Ernst aller Dinge, diese kolossale Einförmigkeit, diese maschinenhafte Bewegung, diese Verdrießlichkeit der Freude selbst, dieses übertriebene London erdrückt die Phantasie und zerreißt das Herz ... Ich erwartete große Paläste und sah nichts als lauter kleine Häuser. Aber eben die Gleichförmigkeit derselben und ihre unabsehbare Menge imponirt so gewaltig.“
Round Reading Room im British Museum in London
Heines Enttäuschung war bedingt durch die Auswirkungen der Industriellen Revolution, die England und vor allem London damals voll erfasst hatte. Aus allen Teilen des Königreichs strömten die Menschen nach London, um in den dortigen Fabriken Arbeit zu finden. Die Einwohnerzahl begann in bis dato unbekanntem Ausmaß zuzunehmen; Ende des 18. Jahrhunderts überschritt London als erste europäische Stadt die Millionengrenze. Heine erlebte London als eine Stadt des Liberalismus, die infolge der Befreiungskriege von einer fortschreitenden wirtschaftlichen Depression geprägt war. Große Teile der Bevölkerung, vor allem die irische Minderheit, lebten unterhalb der Armutsgrenze. Dies führte zu sozialen Missständen, die Charles Dickens in seinen Werken so eindrucksvoll geschildert hat.
Auch die Schriften von Marx und Engels sind ohne die englische Erfahrung der beiden Begründer der Kommunistischen Partei nicht denkbar. Friedrich Engels charakterisierte 1845 die Lage der arbeitenden Klasse in England wie folgt: „Die brutale Gleichgültigkeit, die gefühllose Isolierung jedes einzelnen auf seine Privatinteressen tritt umso widerwärtiger und verletzender hervor, je mehr diese einzelnen auf den kleinen Raum zusammengedrängt sind; und wenn wir auch wissen, dass diese Isolierung des einzelnen, diese bornierte Selbstsucht überall das Grundprinzip unserer heutigen Gesellschaft ist, so tritt sie doch nirgends so schamlos unverhüllt, so selbstbewusst auf als gerade hier in dem Gewühl der großen Stadt.“
Verfassungsgeschichtlich betrachtet war England seit dem späten 17. Jahrhundert eine parlamentarische Monarchie; allerdings krankte das Parlament daran, dass es sich fast ausschließlich aus Adeligen zusammensetzte. Selbst im Unterhaus wurde ein großer Teil der Sitze über Generationen hin vererbt. Viele Wahlen verliefen wie ein Ritual, bei dem sich die Gentry ihren gesellschaftlichen Vorrang und ihr Ansehen bestätigen ließ. Ausgedehnte Landsitze mit riesigen Gärten dokumentierten diese Vorrangstellung im öffentlichen Raum. Die gesellschaftlichen Umwälzungen der Französischen Revolution erschütterten die Macht des englischen Adels nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Durch die Ereignisse in Frankreich waren jegliche Reformgedanken diskreditiert. Erst im Zuge der Industrialisierung kam es 1832 zu Veränderungen des Wahlrechts, die den Anteil der Wahlberechtigten auf 18,4 Prozent der männlichen Bevölkerung erhöhte. Stimmberechtigt waren nun auch diejenigen Mitglieder des Bürgertums, die ein Haus besaßen oder gemietet hatten, das steuerlich mit zehn Pfund im Jahr veranschlagt war. Dennoch blieb die politische Dominanz der Grundbesitzer ungebrochen. Erst durch den Franchise Act von 1884 erhielten auch die Landarbeiter das Wahlrecht, der Anteil der Stimmberechtigten erhöhte sich auf sechzig Prozent. Durch den Ersten Weltkrieg geriet das beschränkte Wahlrecht endgültig unter Druck: 1918 durften alle erwachsenen Männer und alle Frauen, die älter als 30 Jahre waren, wählen; nochmals zehn Jahre später erhielten auch die Frauen unter 30 Jahren das aktive Wahlrecht. England war damit politisch im 20. Jahrhundert angekommen. Der große Nutznießer des allgemeinen Wahlrechts war die Labour Party, die seit 1918 zu den wichtigsten politischen Gruppierungen gehört.
Die Entdeckung der Küste
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde die Küste zu einem Ort, an dem man zwischen Körper und Meer eine neue ungeahnte Harmonie entdeckte, die in wohldosierter Form verabreicht, einen heilsamen Effekt gegen Melancholie und andere Krankheiten versprach. Medizinische Diskurse erörterten die heilsame Wirkung des kalten Meerwassers, des Wellenbades und des Strandspaziergangs. Die „Meeresheilkunde“ wurde begründet und ein ganzes System von Anwendungspraktiken entwickelt, die der Gesundheit dienlich sein sollten. Von einem Badewärter überwacht, folgten die Kurgäste den ärztlichen Anordnungen bis ins kleinste Detail. Dies führte zu recht seltsam anmutenden Anwendungen, so wenn der Kurgast mitten im Winter frühmorgens um sechs Uhr eine Viertelstunde im kalten Wasser saß und dabei den Kopf, einer exakt ausgearbeiteten Vorschrift zufolge, zehnmal eintauchen musste.
Historischer Badewagen in Weymouth
Eine effiziente touristische Infrastruktur entwickelte sich in den englischen Seebädern in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In zunehmendem Maße stellte sich die einheimische Bevölkerung als Badewärter, Fischhändler oder Zimmervermieter auf die Bedürfnisse der Kurgäste ein. Am Strand von Scarborough tauchten 1735 die ersten Badewagen auf. Kurz darauf setzte sich ein Modell durch, das der Quäker Benjamin Beale am Strand von Margate entworfen hat. Je nach Ausführung waren die Badewagen mehr oder weniger komfortabel ausgestattet. Alle verfügten über eine Sitzbank, die häufig mit Samt bezogen war. Im Inneren lagen mehrere Handtücher und trockene Badekleidung, gelegentlich auch ein Mantel oder ein Umhang zum Aufwärmen bereit. Der Wagen wurde bis zu einer Tiefe von etwa zwanzig Zentimetern ins Wasser geschoben, sodass der Kurgast über eine Leiter bequem das Meer erreichen konnte. Die bathing machines waren vollständig verhängt, um die Intimität der badenden Frauen zu bewahren, denn der beliebteste Zeitvertreib der männlichen Badegäste war es, das Treiben am Strand mit dem Fernrohr zu verfolgen. Ein Badewärter aus Brighton beklagte 1796, dass die Frauen unentwegt von indiskreten Blicken verfolgt würden, „nicht nur, wenn sie aufgelöst aus dem Meer kommen, sondern auch, wenn sie wie lauter in Flanell gekleidete Najaden an den Ufern mit den Beinen strampeln, sich ungeniert im Sand wälzen oder durch Schlamm waten“.
Viktorianisches Zeitalter
Während der langen Herrschaft von Queen Victoria (1837-1901), die als Mutter der Nation und Mutter von neun Kindern einem ganzen Zeitalter den Namen gab, nahm die englische Bevölkerung deutlich zu. Jeder fünfte Engländer wohnte in London. Die Stadt umfasste beinahe das ganze, 30.000 Hektar große Gebiet der 1888 geschaffenen, gleichnamigen Grafschaft. In Europa gab es keinen vergleichbaren städtischen Ballungsraum.
Die Weltausstellung von 1851
Fast alle Anwesenden waren zu Tränen gerührt, als am 1. Mai 1851 Hunderte von Chorsängern das „Halleluja“ aus Händels „Messias“ anstimmten, nachdem Königin Victoria in Anwesenheit des Erzbischofs von Canterbury die „Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations“ im Londoner Kristallpalast feierlich eröffnet hatte. Dabei war der Anlass der Feierlichkeiten eigentlich ganz profaner Natur: Fast 14.000 Aussteller aus der ganzen Welt waren zusammengekommen, um ihre Produkte und technischen Errungenschaften auf der 1. Weltausstellung zu präsentieren. Die Vorreiterrolle spielte zweifellos Großbritannien, das sich als Vorbild für andere Nationen verstand. Konzipiert wurde die Ausstellung von Prinz Albert, dem eine Symbiose von Wissenschaft, Industrie und Kunst vorschwebte. Das Leitmotiv der Ausstellung war allerdings nicht der Fortschritt, sondern der „Frieden“ zwischen den Völkern, weswegen der gläserne Kristallpalast auch als „Friedenstempel“ bezeichnet wurde. Thomas Carlyle rümpfte allerdings die Nase angesichts dieses „Tempels zur Anbetung des Kommerzes“. Auch in sozialintegrativer Hinsicht war die Wirkung der Ausstellung begrenzt: In erster Linie feierte sich die bürgerliche Industriegesellschaft; für die Arbeiterschaft war noch kein gleichrangiger Platz vorgesehen.
Erster und Zweiter Weltkrieg
Den Ersten Weltkrieg überstand England fast ohne Schäden, sieht man einmal von den Bomben ab, die von deutschen Zeppelinen über der City of London abgeworfen wurden. Die Anziehungskraft des Londoner Ballungsraums blieb ungebrochen, die Bevölkerung wuchs auf über neun Millionen Einwohner an. Gleichzeitig waren die Jahre zwischen den Kriegen vor allem die Zeit der Massenarbeitslosigkeit. Bereits 1921 betrug die Arbeitslosenquote 16,6 Prozent; sie ging dann leicht zurück, um 1931 und 1932 auf 21,1 beziehungsweise 21,9 Prozent hochzuschnellen. Die Hauptursache für die katastrophale wirtschaftliche Lage war die Schwäche der Exportindustrie und der Niedergang der britischen Werften. Doch im Gegensatz zu Deutschland oder Amerika ist das Fehlen politischer Unruhen bemerkenswert. Weder der Radikalismus des amerikanischen New Deal noch der Faschismus und Antisemitismus, die in Italien und Deutschland die Politik bestimmten, konnten in Großbritannien Fuß fassen. Zwischen 1919 und 1939 ging in England bei politischen und wirtschaftlichen Konflikten kein einziges Menschenleben verloren. Die von Sir Oswald Mosley angeführte British Union of Fascists blieb trotz Anfangserfolgen glücklicherweise eine Randgruppierung. In städtebaulicher Hinsicht war der Entschluss von 1938 bedeutsam, das Auswuchern der Stadtrandgebiete zu unterbinden und rund um London einen Grüngürtel freier Landschaft, den green belt, zu ziehen. Selbst mitten in den Wirren des Krieges beschäftigte sich die Regierung mit der Siedlungsproblematik und leitete die Umsiedlung der Bewohner des green belt in neu zu schaffende Ortschaften ein.
Weitgehend vergessen ist heute auch, dass England in den Dreißigerjahren ein bedeutender Zufluchtsort für aus dem nationalsozialistischen Deutschland vertriebene Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller war. Vor allem der Londoner Stadtteil Hampstead entwickelte sich zum Zentrum der deutschsprachigen Emigranten, zu denen so bedeutende Persönlichkeiten wie Elias Canetti, Erich Fried, Hermann Broch, Norbert Elias, Peter Weiss, Sebastian Haffner, Alfred Kerr, Hilde Spiel, Sigmund Freud, Fritz Kortner und Peter Zadek gehörten. Rund 50.000 Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei wurden 1939 in London gezählt, viele blieben auch nach Kriegsende in ihrer Exilstadt wohnen.
The Blitz und Baedeker Raids
Die Kriegserfahrungen spielen bis heute im Nationalbewusstsein der Engländer eine wichtige, häufig verklärte Rolle, wie man im Londoner Britain at War Museum anschaulich verfolgen kann. Besonders in Erinnerung geblieben ist „The Blitz“: Vom 7. September 1940 bis zum 10. Mai 1941 flog die deutsche Luftwaffe 58 nächtliche Angriffe auf die englische Hauptstadt. Besonders verheerend wirkte sich der letzte Angriff vom 10. Mai aus, an dem 550 Flugzeuge beteiligt waren. Insgesamt kamen zwischen 20.000 und 30.000 Menschen ums Leben, mehr als 250.000 Häuser wurden zerstört. Die einfachste und sicherste Möglichkeit, sich vor den Bombenangriffen zu schützen, war, die Nacht in der Underground-Bahn zu verbringen. Neben London mussten auch Bath, Canterbury und Dover schwere Schäden hinnehmen, weshalb die Angriffe auch als „Baedeker Raids“ bezeichnet wurden. Die Intention der Nazis war deutlich: Sie planten die bekanntesten historischen Sehenswürdigkeiten Englands zu zerstören und orientierten sich dabei offensichtlich an der alphabetischen Ordnung des Baedeker Reiseführers.
Zwischen Kriegsende und Millennium
Trotz seines internationalen Erfolgs durch den siegreichen Abschluss des Zweiten Weltkrieges musste Winston Churchill im Juli 1945 eine herbe Niederlage einstecken: Unter der Führung von Clement Attlee kam erstmals eine Labourregierung an die Macht, die eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hatte. Neben der Verstaatlichung von Eisenbahnen, Fluggesellschaften und dem Bergbau wurde ein umfassendes Sozialprogramm verabschiedet, dessen wichtigste Pfeiler die Armenfürsorge und die Gesundheitspolitik waren. In den Fünfzigerjahren ließen sich zahlreiche Immigranten aus Indien und der Karibik in England nieder. London erhielt dadurch zwar seinen bis heute so faszinierenden multikulturellen Touch, doch gleichzeitig wuchs die Ablehnung der weißen Bevölkerung gegenüber der farbigen Minderheit. Die Konflikte entluden sich im Sommer 1958, als die ersten Rassenunruhen in London ausbrachen, geschürt von einem Steine werfenden Mob, der durch die Straßen von Notting Hill zog.
Die Royals und kein Ende?
Zu bestimmten Anlässen fährt die Queen mit der Kutsche durch London
Mit der 1981 geschlossenen Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana stand das britische Königshaus noch einmal voll im Glorienschein, danach folgte eine Hiobsbotschaft auf die andere. Geradezu symbolisch gingen Teile der königlichen Schlösser Hampton Court und Windsor in Flammen auf. Königin Elizabeth II. bezeichnete das Jahr 1992 als annus horribilis für die Royal Family. In der Öffentlichkeit wurde lebhaft über Sinn und Zweck der Monarchie diskutiert, vor allem nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana, als man den Windsors ihre Unfähigkeit zu trauern vorhielt.
Die Sechziger- und Siebzigerjahre waren in sozialgeschichtlicher Hinsicht vor allem durch ökonomische Probleme und Arbeitslosigkeit geprägt. Der Londoner Hafen steuerte unaufhaltsam seinem Niedergang entgegen, ein Dock nach dem anderen wurde geschlossen. Ein wirtschaftlicher Aufwärtstrend machte sich erst zu Beginn der Ära Thatcher (1979-1990) bemerkbar. Mit Unnachgiebigkeit regierte die „Iron Lady“, hob die viktorianischen Werte auf den Schild und betrieb mit Eifer den staatlichen Rückzug aus Wirtschaft und Gesellschaft. Das Symbol für den wirtschaftlichen Erfolg jener Jahre sollte die umstrittene Umgestaltung der Docklands in ein modernes Büroviertel werden. In der Erinnerung vieler Engländer sind von der Ära Thatcher vor allem die politischen Unruhen und die soziale Kälte jener Jahre haften geblieben. John Major konnte den Abwärtstrend der Konservativen noch einmal kurz aufhalten, doch am 1. Mai 1997 triumphierte New Labour mit ihrem Premier Tony Blair, der angetreten war, um „Cool Britannia“ betont jugendlich in das dritte Jahrtausend zu führen. Bei den Wahlen vom Mai 2005 wurde Tony Blair als Premierminister für weitere vier Jahre im Amt bestätigt. Blairs Amtszeit ist die längste aller regierenden Premierminister der Labour-Partei. Im Herbst 2006 kündigte Blair seinen Rücktritt an. Nach einem kurzen, aber erfolglosen Zwischenspiel seines langjährigen politischen Weggefährten Gordon Brown hat seit Mai 2010 der Konservative David Cameron das Amt des Regierungschefs inne.
Die englischen Herrscher auf einen Blick
Angelsächsische Könige
Edwin 955-959
Edgar 959-975
Eduard der Märtyrer 975-978
Sven Gabelbart 1013-1014
Knut der Große 1016-1035
Edmund Ironside
(mit Knut) 1016
Harold I. 1035-1040
Hardknut 1040-1042
Eduard der Bekenner 1042-1066
Harold II. 1066
Normannische Könige
Wilhelm I. der Eroberer 1066-1087
Wilhelm II. Rufus 1087-1100
Heinrich I. 1100-1135
Stephan I. 1135-1154
Haus Plantagenet
Heinrich II. 1154-1189
Richard I. Löwenherz 1189-1199
Johann I. Ohneland 1199-1216
Heinrich III. 1216-1272
Eduard I. 1272-1307
Eduard II. 1307-1327
Eduard III. 1327-1377
Richard II. 1377-1399
Haus Lancaster
Heinrich IV. 1399-1413
Heinrich V. 1413-1422
Heinrich VI. 1422-1461
Haus York
Eduard IV. 1461-1483
Eduard V. 1483
Richard III. 1483-1485
Haus Tudor
Heinrich VII. 1485-1509
Heinrich VIII. 1509-1547
Eduard VI. 1547-1553
Maria I. 1553-1558
Elisabeth I. 1558-1603
Haus Stuart
Jakob I. 1603-1625
Karl I. 1625-1649
Commonwealth/Protektorat
Oliver Cromwell
(Lordprotektor) 1653-1658
Richard Cromwell
(Lordprotektor) 1658-1659
Haus Stuart
Karl II. 1660-1685
Jakob II. 1685-1688
Maria II. u. Wilhelm III. 1688-1702
Anna 1702-1714
Haus Hannover
Georg I. 1714-1727
Georg II. 1727-1760
Georg III. 1760-1820
Georg IV. 1820-1830
Wilhelm IV. 1830-1837
Viktoria 1837-1901
Haus Sachsen-Coburg
Eduard VII. 1901-1910
Haus Windsor
Georg V. 1910-1936
Eduard VIII. 1936
Georg VI. 1936-1952
Elisabeth II. seit 1952