Bei allen kleinen Heimtieren, die regelmäßig Patienten in der Tierarztpraxis sind, sind ein paar grundsätzliche Empfehlungen zu beachten, um Stress zu reduzieren und eine tierfreundliche Atmosphäre zu schaffen.
So ist es beispielsweise bei jeder Tierart wichtig, dass die Tiere vorab an den Transportkäfig sowie an ein Handling gewöhnt werden. Zudem sollte immer etwas benutzte Einstreu im Transportkäfig mitgegeben werden. Dies hilft zum einen dem Tier sich in der Transportbox wohler zu fühlen, da sie vertraut riecht. Zum anderen kann dann das Praxispersonal die Hände mit der verwendeten Einstreu einreiben, um angenehmer für den Patienten zu riechen. Bei allen kleinen Heimtieren müssen die Besitzer darauf hingewiesen werden, dass die Transportboxen immer erhöht abzustellen sind (z.B. auf dem Schoß oder auf einem Raumteiler/Regal).
Da auch kleine Heimtiere mit Leckereien für angstfreies Verhalten belohnt werden sollten, müssen die Besitzer gebeten werden, die jeweiligen Lieblingsleckerlis ihres zu behandelnden Tieres mitzubringen, sodass diese in der Praxis verfüttert werden können.
Zusammenzucken
Freezing (Erstarren): Tiere verharren bewegungslos.
Fliehen
Sich-Eingraben in die Streu
Kot- und Urinabsatz
Schwanzschlagen
gesenkte Kopfposition
Trommeln mit den Hinterbeinen
agonistische defensive Pose: aufrechtes Drohen mit zurückgelegten Ohren, evtl. mit gesträubtem Fell
Thigmotaxis: Mäuse halten sich aus Schutz vor Beutegreifern nicht gerne auf freien Flächen auf. Sie bevorzugen den Aufenthalt in direkter Nähe von Strukturen wie Häuschen oder Wänden, die Deckung bieten.
Putzverhalten kann eine Übersprungshandlung darstellen und in Konfliktsituationen gezeigt werden. Es wird auch häufig nach dem Ende einer stressigen Situation gezeigt und signalisiert den Übergang zu Normalverhalten.
Mäuse haben ein ausgezeichnetes Hörvermögen und können Laute in einem Frequenzbereich von 80 Hz bis zu über 100 kHz wahrnehmen ▶ [98]. Doch nur ein kleiner Teil der innerartlichen Kommunikation findet in einem für das menschliche Ohr hörbaren Frequenzbereich statt.
für den Menschen hörbare Schreie: z.B. bei Angst oder Schmerz und Aggression
Ultraschallschreie: u.a.
35-kHz-Ultraschallschrei: Isolationsrufe von Neugeborenen
Gesänge: Böckchen singen Melodien, um Weibchen anzulocken ▶ [93].
Praxistipp
Mitunter berichten Besitzer, dass ihre Mäuse eine Art „Schnattern“ oder „Meckern“ zeigen. Wenn diese Laute beinahe ununterbrochen ausgestoßen werden, sind sie fast immer durch eine Atemwegserkrankung bedingt, die umgehend untersucht und behandelt werden muss.
Um Schmerzen bei Versuchsmäusen erkennen und quantifizieren zu können, wurde der Mouse Grimace Scale (MGS) von Langford et al. ▶ [97] entwickelt. Bestimmte Gesichtsmerkmale, die bei einer Maus Anzeichen für Schmerzen sind, werden darin aufgeführt. Der Normalzustand wird dabei mit dem Score von 0 bewertet, leichte Veränderungen mit 1 und offensichtliche Veränderungen, die auf schwere Schmerzen hindeuten, mit 2. Folgende Elemente sind enthalten ( ▶ Abb. 8.1):
Augen: Je mehr die Lidspalte zusammengekniffen wird, umso stärker sind die Schmerzen. Als Faustregel gilt dabei, dass ein Auge, das mehr als zur Hälfte zusammengekniffen ist, als „2“ eingestuft werden soll. Es ist dabei wichtig, das Tier über einen gewissen Zeitraum hinweg zu beobachten, um kein Zusammenkneifen der Lidspalte aus Müdigkeit oder aufgrund von Lichteinfall fälschlicherweise als Schmerz einzuordnen.
Nasen- und Wangenbereich („Nose Bulge“ und „Cheek Bulge“): Mit zunehmender Schmerzhaftigkeit sind Ausbuchtungen an der Nase oder im Backenbereich zu erkennen, die durch Muskelanspannungen entstehen.
Ohrposition: Mit zunehmendem Schmerz werden die Ohren immer weiter zurückgezogen und an den Körper angelegt.
Position der Vibrissen: Von einer neutralen Ausgangsposition (Vibrissen gleichmäßig voneinander entfernt) werden sie mit zunehmendem Schmerz entweder weiter zurück Richtung Körper gezogen und regelrecht „angelegt“, oder sie werden nach vorne aufgestellt oder klumpen zusammen. Sinushaare sind in neutraler Position gleichmäßig voneinander entfernt.
Abb. 8.1 Beispiele für die Ausprägung „0“ und „2“ für die einzelnen Punkte der Mouse Grimace Scale nach Langford et al. ▶ [97]. Zusammenfassende Darstellung der vier Ausdrucksregionen (Augen, Nase/Wangen, Ohren, Vibrissen).
Abb. 8.1a Score = 0: Normalzustand.
(Zeichnung: Dr. Dorothea Döring. Quelle: Schneider B, Döring D. Verhaltensberatung bei kleinen Heimtieren: Haltung, Normalverhalten und Behandlung von Verhaltensproblemen. Stuttgart: Schattauer, 2017: 146.)
Abb. 8.1b Score = 2: offensichtliche Veränderungen mit zusammengekniffenen Augen, Ausbuchtungen im Nasen- und Backenbereich, zurückgelegten Ohren und angelegten Vibrissen.
(Zeichnung: Dr. Dorothea Döring. Quelle: Schneider B, Döring D. Verhaltensberatung bei kleinen Heimtieren: Haltung, Normalverhalten und Behandlung von Verhaltensproblemen. Stuttgart: Schattauer, 2017: 146.)
Praxistipp
Die Mouse Grimace Scale kann über die Homepage des National Center for the Replacement, Refinement&ReductioMouse Gn of Animals in Research (NC3Rs) unter folgendem Link heruntergeladen werden: https://www.nc3rs.org.uk/sites/default/files/documents/Guidelines/MGS%20Manual.pdf
Folgende Veränderungen am Tier können auf Schmerzen hindeuten ▶ [94]:
erhöhte Abwehrreaktionen
Beißen
vermehrtes Rückzugsverhalten, später Teilnahmslosigkeit
Isolierung von der Gruppe
gesträubtes Fell
gekrümmter Rücken
Bauch schlaff oder aufgezogen
Dehydratation
Gewichtsverlust
Lider weit offen, halb oder ganz geschlossen
Augen eingesunken
Tränenfluss
Atemfrequenz hoch
angestrengtes Atmen
Atemgeräusche
Nasenausfluss
Flanken eingezogen (=Darm leer)
Kotflecken, schmutziges Fell
kalte Körperoberfläche
Automutilation
Beißen in schmerzende Körperteile
Wälzen bei starken Bauchschmerzen
häufig von Lichtquellen abgewandte Haltung
Urin- und Kotabsatzfrequenz verringert oder erhöht
hochfrequente Quieklaute bei Ergreifen, Abnahme des Abwehrquiekens bei zunehmender Schwäche
Als kleine Beutetiere reagieren Mäuse besonders schreckhaft auf plötzliche Bewegungen von oben. Diese sind daher zu vermeiden.
Zum Hochheben sollten die Hände eine Höhle bilden. Ein Hochheben am Schwanz ist zu unterlassen (Verletzungsgefahr). Eine kurze Fixierung des Tieres an der Schwanzwurzel – bevor es mit der zweiten Hand hochgehoben wird –, ist aber akzeptabel.
Zum Einfangen lässt man Tiere, die sich nicht ohne Probleme greifen lassen, in ein dunkles, rundes Behältnis (z.B. Röhre oder Tasse) laufen. Die offene Seite wird für den Transport kurzfristig mit der Hand oder einem Deckel verschlossen.
Eine Fixierung im Nackengriff ist zu vermeiden, da sie von den Tieren als äußerst unangenehm empfunden wird.
Praxistipp
Handling in der Tierarztpraxis
Hände vorab mit (vom Patienten) benutzter Einstreu einreiben
ruhige Bewegungen; leise, sanfte Stimmlage verwenden
Mäuse niemals am Schwanz hochheben (schwere Schwanzverletzungen möglich!)
entkommene Tiere in kleine Gefäßen wie Dosen oder Tassen laufen lassen
Freezing (Erstarren): Tiere verharren bewegungslos auf einem Fleck.
Fliehen
Kot- und Urinabsatz
Präsentieren der Breitseite
gekrümmter Rücken
Schwanzschlagen: Zeichen von (negativer oder positiver) Erregung
Aufreiten: mögliche rangbezogene Geste (meist reitet ranghöheres Tier auf ein rangniedrigeres auf)
Degus können im Frequenzbereich von 100 Hz bis 35 kHz hören ▶ [102]. Viele hörbare Degulaute haben eine zusätzliche Ultraschallkomponente.
Zwitschern wird häufig bei einer physischen Trennung gezeigt, aber auch bei Begrüßungen und Spielverhalten. Auch bei kleineren Auseinandersetzungen zwischen Degus wird gezwitschert. Der Laut dient vermutlich dazu, weitere Aggressionen zu unterbinden ▶ [99].
Jungtiere verwenden lautes Pfeifen als Verlassenheitsrufe. Es veranlasst ein Brutpflegeverhalten bzw. Zurücktragen ins Nest bei erwachsenen Tieren.
Lautes Quietschen wird bei Schmerzen gezeigt.
Warnpfiff: sehr lauter, durchdringender Laut; wird bei Sichtung von (potenzieller) Gefahr ausgestoßen; Artgenossen reagieren darauf mit sofortiger Flucht in ein Versteck
Zähneknirschen/Zähneklappern: Anzeichen großer Anspannung/Angst; Warnung, wenn in antagonistischem Kontext gezeigt
Bellen: territorialer Warnlaut, wenn bei Auseinandersetzungen von Weibchen ausgestoßen; von Männchen vor allem in Zusammenhang mit Paarungsverhalten gezeigt
Besonders männliche Tiere zeigen ein lautes Grunzen bei Auseinandersetzungen. Der Kontrahent entfernt sich daraufhin meist vom Rufer.
Siehe ▶ [92]
Aufplustern und ungewöhnlich langes Verharren in einer Position
eingefallene Flanken durch starke Bauchmuskelanspannung (abdominaler Schmerz)
Unruhe
häufiges Ausstrecken des Körpers
staksiger Gang
Leerkauen (Zahnschmerzen)
schrilles Pfeifen
Isolation von der Gruppe
verringertes Interesse an Interaktionen mit bekannten Personen
Lethargie
Gewichtsverlust
Beim Handling ist darauf zu achten, dass auch ein Degu niemals am Schwanz hochgehoben werden darf. Die Haut reißt dort sehr leicht und Degus sind prinzipiell anfällig für Verletzungen am Schwanz.
Der Degu sollte mit zwei Händen, die eine Höhle bilden, umfasst bzw. hochgehoben werden.
Praxistipp
Handling in der Tierarztpraxis
Degus niemals am Schwanz anfassen (Schwanzhaut kann leicht abreißen!)
Degus immer mit zwei Händen höhlenartig umfassen
ruhige, sanfte Stimmlage verwenden
hektische Bewegungen von oben vermeiden
Transport über sehr kurze Strecken (z.B. innerhalb der Praxis) in kleinen Gefäßen möglich (Öffnung mit Hand oder Deckel schließen)
Einfangen entkommener Tiere, indem man sie in eine Röhre laufen lässt
Freezing (Erstarren): Tiere verharren bewegungslos auf einem Fleck.
Fliehen
Kot- und Urinabsatz
typische Drohhaltung: Stehen auf den Hinterbeinen mit nach vorne gebeugtem und langgestecktem Oberkörper, aber mit herabhängenden Vorderbeinen
büschelweiser Abwurf von Fell zur Abwehr von Feinden
Beißen
Spritzen von Urin (v.a. Weibchen)
Fellbeißen: mögliches Zeichen für Stress
Chinchillas können nur wenig in den Ultraschallbereich, nämlich bis zu einer Frequenz von 32 kHz, hören ▶ [95]. Sie nehmen Töne zwischen 125 Hz und 16 kHz am besten wahr, was in etwa dem Hörspektrum des Menschen entspricht. Alle bislang beschriebenen Chinchilla-Laute sind mit dem menschlichen Ohr wahrnehmbar.
Zähneklappern
Zischen
kurzes Quäken
„Husten“ bzw. Schnalzen: meist von Kopfschütteln begleitet; vor allem zu hören, wenn ein Chinchilla bei einer Tätigkeit gestört wird oder wenn es skeptisch gegenüber einer sich nähernden Person ist.
Merke
Bei vorberichtlichem Husten bei gleichzeitig unauffälligen Atemwegen kann in der Regel von einem Abwehrhusten ausgegangen werden.
Warnruf: setzt sich aus mehreren schrillen, lauten Einzellauten zusammen; wird abgegeben, wenn sich die Chinchillas erschrecken und/oder eine Bedrohung wahrnehmen; Artgenossen reagieren mit einer Flucht in Unterschlüpfe
Panikschrei: wird bei Stress und hochgradiger Angst ausgestoßen
Positionslaut: Folge von mehreren leisen, hellen Tönen; Stimmfühlung mit anderen Gruppenmitgliedern, wird besonders häufig während des Erkundungsverhaltens abgegeben
Lockruf: leises Gluckern; Chinchillas machen sich damit gegenseitig auf etwas Interessantes aufmerksam
Alopezie ▶ [91]
Zurückhaltung bei Interaktionen ▶ [101]
Zähneknirschen ▶ [96]
kauernde Sitzposition mit allen Beinen unter dem Körper ▶ [96]
langsames oder übertriebenes Kauen ▶ [96]
hängende Ohren (auch im hellwachen Zustand)
stumpfes Fell
Anorexie
Gewichtsverlust
Veränderungen im Gangbild
Salivation/Bepföteln des Maules (v.a. bei Zahnproblemen)
Aggression
Stressbedingt kann es zudem zu Haarverlusten ▶ [91] sowie zu einer erhöhten Anfälligkeit für Dermatomykosen kommen.
Chinchillas können zur Abwehr von Feinden büschelweise Fell abwerfen. Somit kann ein Chinchilla nicht sicher fixiert werden, wenn es nur am Fell gehalten wird.
Praxistipp
Handling in der Tierarztpraxis
Halten Sie Chinchillas nie nur am Fell.
Chinchillas niemals nur am Schwanzende festhalten (Haut kann abreißen)
Chinchillas niemals nur an den Beinen festhalten (Verletzungen bei heftigen Abwehrreaktionen möglich)
Handling: Chinchillas an der Schwanzwurzel fixieren, gleichzeitig den Brustkorb bzw. Körper mit der zweiten Hand stützen
Manchen Tieren hilft es, wenn sie ihren Kopf in der Armbeuge des Untersuchers verstecken können.
Achtung: Probebiss in hingestreckte Hand/Finger möglich (keine Aggression)
[91] Bartl J. Chinchillas – die Pferde der Kleintierpraxis. hundkatzepferd 2012; 5/12: 42–45
[92] Beisswenger A. Degus. München: Gräfe&Unzer Verlag, 2009
[93] Chabout J, Sarkar A, Dunson D et al. Male mice song syntax depends on social contexts and influences female preferences. Front Behav Neurosci 2015; 9: Artikel 76. doi: 10.3389/fnbeh.2015.00076
[94] Gärtner K, Militzer K. Zur Bewertung von Schmerzen, Leiden und Schäden bei Versuchstieren. Schriftenreihe Versuchstierkunde, Heft 14. Berlin, Hamburg: Verlag Paul Parey, 1993
[95] Heffner R, Heffner H. Behavioral hearing range of the chinchilla. Hear Res 1991; 52: 13–16
[96] Jonson D. Miscellaneous Small Mammal Behavior. In: Bays BT, Lightfoot T, Mayer J, eds. Exotic Pet Behavior – Birds, Reptiles, and Small Mammals. St. Louis: Elsevier, 2006
[97] Langford D, Bailey A, Chanda M et al. Coding of facial expressions of pain in the laboratory mouse. Nat Methods 2010; 7: 447–449
[98] Latham N. The Mouse. In: Tynes V, ed. Behavior of Exotic Pets. Chichester: Wiley-Blackwell, 2010: 91–103
[99] Long C. Vocalizations of the degu Octodon degus, a social caviomorph rodent. Bioacoustics 2007; 16: 223–244
[100] Schneider B, Döring D. Verhaltensberatung bei kleinen Heimtieren: Haltung, Normalverhalten und Behandlung von Verhaltensproblemen. Stuttgart: Schattauer, 2017: 146
[101] Sobie J. Chinchillas. In: Tynes V, ed. Behavior of Exotic Pets. Chichester: Wiley-Blackwell, 2010: 138–147
[102] Thomas H, Tillein J. Functional organization of the auditory cortex in a native Chillean rodent (Octodon degus). Biol Res 1997; 30: 137–148