Echte und vermeintliche Risiken
Kein Finanzprodukt ist vollkommen. Das gilt selbstverständlich auch für ETF. Nicht alle Kritikpunkte sind jedoch berechtigt. Sie sollten sie trotzdem kennen.
Neues und Unbekanntes
gerät oft schnell in die Kritik. Als in den USA die ersten Eisenbahntrassen gebaut wurden, argumentierten die Pessimisten, dass die Passagiere sich bei den hohen Geschwindigkeiten auflösen könnten. Auch ETF werden seit ihrem Bestehen ständig kritisiert. Und je populärer ein Produkt wird, desto lauter wird meistens auch die Kritik. Auslöser der Kritik ist aber weniger die Konstruktion der ETF, sondern die Tatsache, dass sie langfristig bessere Erträge liefern als die hoch bezahlten Manager von aktiven Fonds und Vermögensverwaltungen. Kein Wunder, dass von deren Seite einige der Vorwürfe kommen. Die Eisenbahn ist eben auch effizienter und schneller als die Pferdekutsche. Viele Marktteilnehmer – auch die meisten Bankberater – haben kein Interesse daran, dass Sie ETF kaufen. Der Grund: Sie verdienen daran bei Weitem nicht so viel wie an anderen Produkten.
Aber selbst so erfolgreiche Anlageprodukte wie ETF sind nicht ohne Fehl und Tadel. In der Tat gibt es einige Risiken, über die Sie Bescheid wissen sollten. Allerdings sind nicht alle Risiken, die Kritiker den Indexinvestments in die Schuhe schieben, tatsächlich
vorhanden – und manches Risiko wird stark aufgebauscht. Aber um welche Punkte handelt es sich dabei im Einzelnen?
Wenn es um die Risiken und Grenzen von Indexfonds geht, verweisen die Kritiker besonders häufig auf Warnungen, die nach der Finanzkrise zeitweise in den Schlagzeilen waren. Mit dem IWF (Internationaler Währungsfonds), der BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) und dem Finanzstabilitätsrat der G-20-Staaten haben gewichtige internationale Institutionen 2011 gemeinsam vor der komplexen Struktur und der mangelhaften Transparenz synthetisch nachgebildeter ETF (siehe dazu „Kritik an der Konstruktion“ unten) gewarnt. Sie wurden von den drei Organisationen sogar als potenzielle Gefahr für die Stabilität des globalen Finanzsystems bezeichnet.
Diese Kritik ist jedoch nicht unbeachtet geblieben. Sie hat schnell Wirkung gezeigt, sowohl bei den Finanzaufsehern als auch bei den Emittenten von Indexfonds. In den Jahren nach 2011 hat sich viel getan: Die staatlichen Regulierungsbehörden haben weltweit strengere Vorschriften erlassen, und die ETF-Anbieter haben freiwillig ihre Sicherungsvorkehrungen erheblich verstärkt. Die damals beanstandeten Probleme gelten deshalb schon seit einigen Jahren als größtenteils beseitigt.
Kritik an der Konstruktion von ETF
Um einen Index abbilden zu können, müssen die ETF-Anbieter entweder Aktien kaufen oder Alternativen suchen.
Ein gewisses Risiko
besteht bei synthetisch konstruierten Indexfonds, die nicht die tatsächlich im Index enthaltenen Wertpapiere erwerben, sondern die Entwicklung des Index über eine Swap-Konstruktion (Tauschgeschäft) künstlich nachbilden, noch immer. (Mehr zu Swaps, siehe „Die Konstruktionsmethode kennen“,
S. 109
). Denn mit dem Partner des Swap-Geschäfts, meistens einer Bank, wird ein zusätzliches Finanzinstitut in den Prozess der Nachbildung von Indizes eingebunden. Wenn dieser Swap-Partner zahlungsunfähig wird, kann ein Teil des ETF-Vermögens verloren gehen. Das gilt dann, wenn die Wertpapiere, die der ETF-Anbieter in seinem
Ersatz-Aktienkorb (auch Trägerportfolio genannt) hält, schlechter laufen als der Index und die Differenz durch den Swap nicht mehr ausgeglichen werden kann. Das Risiko ist allerdings durch regulatorische Vorschriften auf 10 Prozent des ETF-Vermögens begrenzt worden, denn der Wert sämtlicher Index-Swaps darf diese Grenze nicht überschreiten. In der Praxis reduzieren die ETF-Anbieter das Risiko zusätzlich, indem sie üblicherweise von ihren Swap-Partnern Sicherheiten verlangen.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber hohe Anforderungen an die Trägerportfolios der ETF-Anbieter stellt. Als Sondervermögen weisen sie den gleichen hohen Sicherheitsstandard auf wie physisch replizierende ETF. Sie müssen breit gestreut und liquide sein. Anleger können den Inhalt dieser Ersatz-Aktienkörbe bei den Anbietern in der Regel im Internet einsehen. Das Risiko eines Verlustes ist deshalb auch bei synthetisch nachgebildeten ETF selbst dann relativ gering, wenn der Swap-Partner zahlungsunfähig werden sollte.
Aber nicht nur bei synthetisch, sondern auch bei physisch nachbildenden ETF kann es Risiken geben. Ein Teil der Anbieter verleiht nämlich die Aktien aus dem Sondervermögen des Fonds zeitweise und streicht dafür Erträge ein. Damit senken die ETF-Häuser die Kosten, die Einnahmen kommen zu einem Teil den Kunden zugute.
Wozu aber verleihen die Anbieter überhaupt Wertpapiere aus dem ETF-Portfolio? Hedgefonds und andere spekulative Anleger nutzen die ausgeliehenen Aktien für Leerverkäufe. Bei diesem Geschäft verkaufen sie die geliehenen Aktien an der Börse und spekulieren darauf, dass der Kurs fällt. Dann können sie bei niedrigeren Notierungen die Aktien zurückkaufen. Die Differenz ist ihr Gewinn. Nach Ablauf der Wertpapierleihe müssen sie die Aktien wieder an den ETF zurückgeben, egal ob sie Gewinn oder Verlust gemacht haben.
Auch aktiv gemanagte Fonds verleihen Aktien
Das Risiko besteht nun darin, dass der Entleiher der Wertpapiere insolvent wird und die Wertpapiere nicht an den Indexfonds zurückübertragen kann. Um dieses Risiko ganz auszuschalten oder möglichst gering zu halten, verlangen ETF-Anbieter von der Gegenpartei üblicherweise umfangreiche Sicherheiten, meistens in Form von Staatsanleihen.
Da Wertpapierleihen aber nicht nur bei Indexfonds praktiziert werden, sondern auch bei aktiv gemanagten Aktienfonds gang und gäbe sind, ist das damit verbundene theoretische Risiko keineswegs eine Besonderheit von ETF.
Weltweit gibt es einen immer stärker werdenden Trend zu physisch replizierenden ETF. Fondsgesellschaften, die anfänglich bevorzugt auf Swap-basierte ETF gesetzt hatten wie die Deutsche Bank mit ihren Xtrackers, haben vor einigen Jahren umgesteuert
und einen erheblichen Teil in physisch nachbildende ETF umgewandelt. Das geschah vor allem, weil viele Anleger synthetischen ETF noch immer misstrauen und deshalb zunehmend physisch nachbildende bevorzugen. Nach Ansicht von Finanztest spielt es unter Risikogesichtspunkten allerdings kaum eine Rolle, welche der Nachbildungsmethoden für einen ETF verwendet wird.
Angst vor dem Herdenverhalten
Der Markt wächst rasant. Daher diskutieren Wissenschaftler wie Börsianer, was passieren würde, wenn alle Investoren nur noch die Indizes kaufen.
Weitere Kritikpunkte,
die gegen ETF laut werden, zielen in ganz andere Richtungen. So warnen Kritiker davor, dass ETF einen Aktiencrash massiv verstärken könnten – oder anders gesagt, sie könnten einem Zug im Rückwärtsgang zusätzlichen Schub verleihen. Warum? Weil es so einfach sei, ETF jederzeit während des Börsenhandels zu verkaufen, könnten sie womöglich das Herdenverhalten der Anleger verstärken, weil diese sich leicht und schnell von ihnen trennen könnten. Das beschleunige einen bestehenden Abwärtstrend zusätzlich. Denn die ETF-Anbieter müssten in diesem Fall die in den verkauften Indexfonds-Anteilen enthaltenen Aktien auf den Markt werfen, und zwar sofort und egal zu welchem Preis.
Manche Experten nehmen an, dass ETF einen Kursabschwung eher dämpfen könnten.
Der Internationale Währungsfonds sieht jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass ETF sich hier von aktiven Fonds unterscheiden. Auch sie können relativ schnell verkauft werden. Manche Experten nehmen sogar an, dass ETF einen Kursabschwung eher dämpfen könnten, weil Aktien nur genau im Umfang der Rückgabe von ETF-Anteilen durch Anleger verkauft werden müssten. Bei aktiv gemanagten Fonds könnten zusätzlich noch Fondsmanager den Aktienanteil im Fonds durch Umschichtungen in Anleihen
und Cash verringern und mit diesen zusätzlichen Verkäufen weiteren Druck auf die Aktienkurse erzeugen. Bei ETF können also nur die Anleger in Panik geraten, bei aktiven Fonds die Anleger und die Fondsmanager – sozusagen ein doppeltes Risiko. Abgesehen davon ist die Marktmacht der ETF keineswegs so groß, wie es Kritiker behaupten. Trotz des immensen Wachstumstempos verwalten sie weltweit bislang nur einen kleinen Teil der Vermögen.
Risiken im Börsenhandel vermeiden
Ein anderer Vorwurf lautet, ETF könnten in Börsenturbulenzen stärker an Wert verlieren als der zugrunde liegende Index. Anlass für diese Befürchtungen war ein Kurssturz an der US-Börse am 24. August 2015, als dies bei rund 300 ETF kurzfristig tatsächlich der Fall war – zum Teil deutlich (siehe „Hätten Sie‘s gewusst“ rechts). Die Börse reagierte an diesem „schwarzen Montag“ mit vorübergehenden Handelsstopps für viele Aktien und ETF. Die Deutsche Bundesbank hat verschiedene dieser – in der Regel auf wenige Minuten – beschränkten Crashs analysiert: Solche Handelsstopps sind für sie ein probates Mittel, um die Märkte in Stressphasen stabilisieren zu können. Anleger, die langfristig investieren und in Börsenturbulenzen ruhig Blut bewahren, bleiben von derartigen kurzfristigen Risiken ohnehin verschont.
Eng mit dieser nicht immer exakt gleichzeitigen Nachbildung des Index durch einen ETF hängt das Problem zusammen, dass die Rendite eines ETF von der des Index üblicherweise leicht abweicht. Das kann verschiedene Gründe haben, die wichtigsten sind die Gebühren und Steuern. Beim Dax beispielsweise wird die Dividende im Zeitpunkt der Ausschüttung sofort in voller Höhe als wieder angelegt betrachtet, während der ETF nur den Teil der Ausschüttung reinvestieren kann, der um Steuern verringert ist. Auch die Anlage von Geldern, die neu in einen ETF fließen, kann zu leichten Abweichungen des ETF-Werts vom Index führen, falls nicht alle Aktien der Indexmitglieder exakt gleichzeitig gekauft werden. All dies kann dazu beitragen, dass der Kurs eines ETF untertägig während des Börsenhandels von seinem indikativen Nettoinventarwert (iNAV) abweicht, der jederzeit den fairen Wert eines ETF ausdrückt, also alle Vermögenswerte (Wertpapiere, Cash) pro ETF-Anteil. Beim Kauf oder Verkauf sollten Sie deshalb im Internet den ETF-Kurs mit dem laufend von den Börsen veröffentlichten iNAV vergleichen und immer ein Limit setzen (siehe „ETF richtig kaufen“,
S. 113
).
HÄTTEN SIE’S
GEWUSST?
Der
24. August 2015
ging als einer der größten Blitz-Crashs in die Geschichte ein.
Nach Kursrückschlägen in China wurden die Anleger in den USA nervös und verkauften in großem Stil Aktien und Indexprodukte.
Die Kurse sackten innerhalb weniger Minuten drastisch ab und erholten sich im Anschluss schnell wieder. Einige ETF-Kurse fielen bis zu
30 Prozent
unter ihren Nettoinventarwert (NAV). Am Ende des Tages sah es fast so aus, als sei nichts geschehen.
Zwar war dergleichen in Europa nicht zu beobachten, doch eine Garantie auf Schutz vor heftigen Turbulenzen gibt es nicht. Am besten warten Sie in solchen Fällen ab, bis sich die Lage beruhigt. Geben Sie Verkaufsorders generell nur limitiert, mit Preisvorgabe, auf.
Wenn alle Anleger nur noch Indexfonds kaufen …
Seit ETF weltweit ihren Siegeszug angetreten haben und ihnen die Anlegergelder nur so zufließen, wird eine Frage immer häufiger kontrovers diskutiert: Was passiert eigentlich, wenn alle Anleger nur noch Indexfonds kaufen und aktiv gemanagte Fonds und Depots aus einzelnen Aktien keine Rolle mehr spielen? Dann käme es „zu Chaos und Katastrophe“, wie selbst John C. Bogle, der Indexfonds populär gemacht hat, in einem Vortrag eingeräumt hat. Warum? Weil es dann keine Differenzierung bei den einzelnen Aktien gäbe. Gute Aktien würden genauso stark steigen und fallen wie schlechte, weil ETF nun einmal die Indizes am Stück kaufen und verkaufen. Die darin enthaltenen Aktien würden im Gleichschritt steigen und fallen.
Es wird wohl immer Marktteilnehmer geben, die es sich zutrauen, den Index zu schlagen.
Dass dies bisher nicht so ist, sondern die Kursentwicklung höchst unterschiedlich verläuft, hängt damit zusammen, dass es genügend Anleger gibt, die Aktien nach ihren wirtschaftlichen Kennzahlen, Bewertungen und Aussichten auswählen. Analysten, Marktstrategen und Börsenexperten wären brotlos, wenn alle Anleger nur noch den Index kaufen würden. Ohne verschiedene Meinungen, ohne Kapitalmarkt- und Unternehmens-Research würden die Börsen ihre Funktionsfähigkeit einbüßen.
Wie groß aber ist dieses Risiko? Vermutlich nicht sehr. Denn es wird wohl immer Marktteilnehmer geben, die es sich zutrauen, den Index zu schlagen. Eine ganze Industrie lebt davon, von den Investmentbanken über die Vermögensverwalter, Aktienfonds, Börsenhändler und, nicht zu vergessen, die Hedgefonds und Private Equity Fonds. Auch Unternehmen, die kleinere Firmen übernehmen wollen, kaufen selektiv. Und nicht zuletzt sind die Zeitdimensionen der verschiedenen Anlegergruppen höchst unterschiedlich – vom Hochfrequenzhandel, bei dem es um Bruchteile von Sekunden geht, bis zu Pensionsfonds oder Privatanlegern, die sehr langfristig für die Altersvorsorge sparen. Das bürgt für differenzierte Strategien und damit für differenzierte Aktien-Auswahlmechanismen.
Der ETF-Anteil ist gering
Trotz ihres Booms ist der Anteil der in ETF angelegten Gelder in Publikumsfonds in Deutschland noch gering.
Ein weiterer Grund, warum aktive Aktienanleger nie ganz aussterben werden, liegt darin, dass es wieder reizvoll wird, selbst die besten Aktien auszuwählen, wenn die Bewertungen völlig aus dem Ruder laufen. Wenn es nur noch ETF und andere passive Instrumente gäbe, wären nach einiger Zeit gute Unternehmen spottbillig, weil der Kursverlauf ihrer Aktien die weitaus bessere Geschäftsentwicklung gegenüber dem Rest der Index-Mitglieder nicht mehr widerspiegelt – und dann lohnt es sich wieder, zu analysieren und die guten von den schlechten Aktien zu trennen.
Ben Johnson von der US-Analysefirma Morningstar glaubt deshalb auch nicht, dass die Märkte ins Chaos stürzen werden, denn „es reicht ja, wenn es einige wenige sehr aktive Manager gibt, zum Beispiel Hedgefonds, die den Markt am Laufen halten“. Bogle ist ähnlicher Ansicht und meint, dass es erst kritisch wird, wenn der Anteil der Indexfonds an allen Kapitalanlagen 90 Prozent überschreitet.
Davon sind wir aber noch weit entfernt, auch wenn ETF kontinuierlich an Bedeutung gewinnen. Im Sommer 2019 verwalteten amerikanische Fonds, die sich auf einen US-Aktienindex beziehen, erstmals mehr Geld als von Profis gemanagte Fonds auf US-Aktienbarometer. Bei den deutschen Privatanlegern ist der Anteil der ETF deutlich niedriger: Nach den Zahlen des Fondsverbands BVI machten ETF Ende 2019 mit gut 150 Milliarden Euro erst 13,6 Prozent des Vermögens aller Publikumsfonds aus.
Lassen Sie sich nicht verunsichern
Privatanleger sollten sich von dieser Diskussion nicht verunsichern lassen, sondern ihre Anlageentscheidungen einzig und allein danach treffen, welche Produkte für ihre persönlichen Ziele besonders geeignet sind. Und da sollte Ihre Wahl angesichts der niedrigen Kosten, der langfristig besseren Wertentwicklung, die passive Fonds im Durchschnitt erzielen, der einfachen Handhabung und der hohen Transparenz immer öfter auf ETF fallen.
Sind ETF oder aktiv gemanagte Fonds riskanter?
Wie wir gesehen haben, hat das Risiko nichts mit der Fondsart zu tun, sondern vielmehr mit der Anlagekategorie oder dem Markt. Investiert ein ETF oder ein Fonds in Anleihen, ist dies in der Regel weniger spekulativ als ein Investment in Aktien. Denn Aktienindizes schwanken stärker als Rentenindizes. Ebenso macht es einen Unterschied, ob ein Fonds oder ETF weltweit investiert und die Risiken breit streut oder ob er nur lokal in einer Region aktiv ist. ETF und aktiv gemanagte Fonds sind also vom Risiko her vergleichbar, vorausgesetzt, sie sind im selben Anlagesegment unterwegs.
ETF sind die Lieblinge der Profis
Profis lieben ETF. Warum warnen Kritiker aber vor allem vor den Gefahren für Privatanleger? Zunächst muss man klarstellen: Privatanleger gehen mit einem Aktien-ETF das gleiche Risiko ein wie ein professioneller Investor. Dieser hat zum Teil sogar zu noch spekulativeren Papieren Zugang als ein Privatanleger. Daher ist es nicht so ganz nachvollziehbar, warum sich die Kritik vornehmlich an die Privatanleger richtet.
Vielleicht ist es die enorme Beliebtheitssteigerung, die Unsicherheit hervorruft. Die Kunden bekannter deutscher Banken und Onlinebroker wie Commerzbank, Comdirect, Consorsbank (inklusive DAB), DKB, ebase, Finvesto, Flatex, ING und Onvista Bank hatten Anfang 2020 in ihren Depots ETF im Wert von mehr als 30 Milliarden Euro liegen. Die Statistiken von
extra-funds.de
belegen, dass sich der Markt innerhalb von zwei Jahren etwa verdoppelt hat.
Viele, die vor ETF warnen, tun das also in eigenem Interesse, weil sie am Verkauf von aktiv gemanagten Fonds mehr verdienen. Ein weiterer Grund, warum Privatanleger das Ziel der Warnungen sind, könnte sein, dass sie empfänglicher für die teils sachlich unrichtigen Darstellungen sind. Profis lassen sich davon nicht beeindrucken.
Warum stehen Market Maker in Verruf?
Market Maker sollen für faire Preise sorgen. Dennoch werden sie von den Kritikern als die „bad guys“ am ETF-Markt abgestempelt. Doch die Kritik hat häufig wenig mit ihrer Aufgabe als Market Maker von ETF zu tun, sondern bezieht sich auf ihre sonstigen Geschäfte. Dafür ein kurzer Blick hinter die Kulissen: Aufgabe eines Market Makers ist es, dafür zu sorgen, dass der Kurs des ETF an der Börse nicht stark vom iNAV – das ist der
Wert des Fondsportfolios pro Anteil (siehe
S. 115
) – abweicht.
Vor den Wegelagerern schützt ein enges Limit beim Kauf oder Verkauf von ETF-Anteilen.
Wenn viele Anleger einen ETF kaufen wollen, erschaffen die Market Maker neue ETF-Anteile, indem sie dem ETF-Anbieter im Gegenzug die Aktien des Index liefern. Wenn viele Anleger verkaufen wollen, läuft es umgekehrt. Der Kauf und Verkauf von Aktien zu diesem Zweck ist also ein ganz normales Geschäft. In der Praxis passiert das in Sekundenbruchteilen, die Handelsvolumina sind immens, weshalb die Market Maker große Akteure an der Börse sind. Damit stehen sie schnell unter Generalverdacht.
Natürlich machen sie ihre Geschäfte nicht aus Altruismus, sondern weil sie daran Geld verdienen wollen. Dank Hochleistungsrechnern und schnellen Datenleitungen fahren sie mit dem Handel von Wertpapieren auch satte Gewinne ein. Doch die kommen aus der Masse der Aufträge, die sie aus den unterschiedlichsten Gründen an der Börse platzieren, und nicht nur als Market Maker von ETF.
Die Kritiker machen jedoch keinen Unterschied. Sie schauen nicht danach, woher die Erträge stammen. Durchaus berechtigt sind die Vorwürfe gegenüber Market Makern, sich an den Anlegern bereichern zu wollen, wenn die Händler quasi als Wegelagerer bei normalen Kundenaufträgen Geld einstreichen. Es sollte aber differenziert werden, ob dies der Fall ist oder ob sie eine Dienstleistung erbringen und wie im ETF-Geschäft neue Anteile schaffen und daran ein paar Cent verdienen. Nochmals sei daher an dieser Stelle (siehe „ETF richtig kaufen“,
S. 113
) betont: Vor den Wegelagerern schützt ein enges Limit beim Kauf oder Verkauf von ETF-Anteilen.
Die Deutsche Bundesbank sowie der Ausschuss für Finanzstabilität haben sich im Hinblick auf mögliche Risiken der Finanzmarktstabilität auch die Rolle der Market Maker von ETF angeschaut. Dabei wurde aber nicht das Geschäftsmodell infrage gestellt, sondern vielmehr darauf verwiesen, dass für die Market Maker keine Verpflichtung zum Handel bestehe und diese im Falle eines externen Schocks ihre zentrale Funktion für die Rücknahme von ETF-Anteilen und die Liquiditätsbereitstellung möglicherweise nicht mehr erfüllen könnten. In der Regel existieren für einen ETF aber mehrere Market Maker, und der Anbieter hat sich verpflichtet, für Liquidität zu sorgen. Sollten sich im Falle eines externen Schocks tatsächlich alle Market Maker gleichzeitig zurückziehen, dürften die Auswirkungen vermutlich nicht allein auf den ETF-Markt beschränkt bleiben, sondern auch andere Investments betroffen sein.