Warum mit „Fällen“ lernen?

Susanne Schewior-Popp

Die Pflegeausbildung dient Ihnen dazu, sich auf den Beruf vorzubereiten und sich dafür zu qualifizieren. Sie haben dabei mit Menschen zu tun, die aus verschiedenen Gründen in eine Klinik eingewiesen werden, die teilstationär oder ambulant versorgt oder in einer Einrichtung der Altenhilfe betreut werden.

Diese Menschen bedürfen einer individuellen, auf ihre ganz spezifische Bedarfslage ausgerichtete Pflege. Um so pflegen zu können, benötigen Sie pflegerisches Wissen, Können und Erfahrung. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von pflegerischer Handlungskompetenz. Ziel der Ausbildung ist es also, dass Sie pflegerische Handlungskompetenz in möglichst fundierter und umfassender Weise erlangen.

Welche Wege sind besonders sinnvoll und wirksam, wenn ich Kompetenzen erlangen will?

Neben den auch aus der allgemeinbildenden Schule bekannten und bewährten Möglichkeiten, Konzepten und Methoden bietet sich das Lernen anhand konkreter Pflegesituationen an. Mit solchen „Fällen“ wird ein Stück Pflegealltag in die Schule geholt, denn sie sind reale Pflegesituationen oder sie sind daraus abgeleitet. Für diese Fälle gilt:

Dies alles ist jeweils sehr individuell auf einen bestimmten Patienten bzw. eine bestimmte Situation ausgerichtet. Natürlich gibt es in den Einrichtungen auch Standards und Regeln, die unabdingbar für gute Pflege sind, aber sie allein reichen eben nicht aus.

Merke

Arbeiten mit Fällen ist so etwas wie pflegerisches Probedenken und Probehandeln. Arbeiten mit Fällen ist damit gleichzeitig auch ein sinnvoller Weg, die viel beschriebene Kluft zwischen „Theorie und Praxis“ kleiner werden zu lassen.

„Fälle“ bieten wichtige Ankerpunkte, um handlungsorientiert zu lernen. Kurz gefasst geht es dabei um Lernen für das Handeln (im Beruf) und Lernen durch Handeln (möglichst eigenständiges und aktives Lernen). Und nicht zuletzt sind auch die Examensprüfungen zu nennen, die im schriftlichen und mündlichen Teil nicht reines Wissen abfragen, sondern ganz überwiegend fallorientiert gestaltet sind (Literatur zur fallorientierten Prüfungsvorbereitung findet sich im Literaturverzeichnis).

Aus all diesen Gründen treffen Sie, liebe Schülerinnen und Schüler, in diesem Lehrbuch immer wieder auf Fallbeschreibungen, die Sie zur Bearbeitung mithilfe einzelner oder mehrerer Kapitel dieses Buches auffordern. Das gilt in besonderem Maße für die sich anschließenden Aktivitäten des täglichen Lebens (ATLs), denen jeweils ein Fallbeispiel vorangestellt ist.

Fallarten: verschiedene Zielsetzungen – verschiedene Bearbeitungswege

Falldarstellungen können ganz unterschiedlich sein und sie können auch verschiedenen Unterrichtszielen dienen. Wenn Sie diese Ziele erreichen wollen, müssen Sie in aller Regel einer bestimmten methodischen Vorgehensweise folgen.

Die illustrative Krankengeschichte Häufig werden sog. Krankengeschichten eingesetzt. Sie beschreiben mehr oder minder lückenlos einzelne oder mehrere Phasen der Versorgung eines Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung.

Merke

Illustrative Krankengeschichten dienen vornehmlich dazu, Ihnen Sachverhalte und Ereignisse zu veranschaulichen.

Dabei bildet die einzelne Krankengeschichte quasi eine Rahmenhandlung für den Unterricht. Einzelne Aspekte daraus werden aufgegriffen und im Lehrervortrag, in der Kleingruppe oder im Unterrichtsgespräch bearbeitet. Ihr Lehrer hat dabei die „Bearbeitungsregie“, er steuert die Vorgehensweise.

Problemlösungs- und reflexionsfördernde Fallarten Um Sie auf einem aktiven und eigenständigen Lernweg zu unterstützen, bieten sich 4 Arten fallbezogenen Unterrichts besonders an. Die oben beschriebene „illustrative Krankengeschichte“ dient eher dazu, Ihnen Sachverhalte und Ereignisse zu veranschaulichen. In Anlehnung an E. Steiner lassen sich verschiedene Arten von fallbezogenem Unterricht unterscheiden (Hundenborn 2007):

  1. Fallmethode: Fälle, die zur Lösung eines Problems auffordern, aber nicht auf das unmittelbare Erleben der Lernenden zurückzuführen sind.

  2. Einzelfallprojekt: Fälle, die zur Lösung eines Problems auffordern und ihren Ursprung im unmittelbaren Erleben der Lernenden haben.

  3. Falldialog: Fälle, die das vertiefte Verstehen und Analysieren/Deuten/Interpretieren von Situationen fördern, die aber nicht auf das unmittelbare Erleben der Lernenden zurückzuführen sind.

  4. Fallarbeit: Fälle, die das vertiefte Verstehen und Analysieren/Deuten/Interpretieren von Situationen fördern und ihren Ursprung im unmittelbaren Erleben der Lernenden haben.

Sie sehen: Diese 4 Fallarten unterscheiden sich – etwas vereinfacht – dadurch, welche Kompetenz sie fördern (Problem lösen oder vertieftes Verstehen) und ob sie auf Ihr unmittelbares Erleben zurückzuführen sind oder nicht.

Bei der Fallmethode und dem Einzelfallprojekt geht es primär um die Förderung Ihrer Kompetenz, Probleme zu lösen. Beim Falldialog und der Fallarbeit geht es darum, Ihre hermeneutische (analysierende, verstehende, deutende) Kompetenz zu fördern. Beide Kompetenzbereiche sind sehr wichtig, damit Sie Ihre professionelle pflegerische Handlungskompetenz entwickeln können.

Die Pflegesituation als Fallgrundlage Konkretes, alltägliches Pflegehandeln geschieht in Pflegesituationen. Was liegt also näher, als Pflegesituationen auch zum Ausgangspunkt fallbezogenen Unterrichts zu machen. So unterschiedlich die einzelnen Pflegesituationen sind, vergleichbar sind auf jeden Fall ihre Strukturmerkmale. Hundenborn und Knigge-Demal haben insgesamt 5 wesentliche Elemente von Pflegesituationen herausgearbeitet (Hundenborn 2007). Diese 5 Elemente sind:

  1. die objektiven bzw. objektivierbaren Pflegeanlässe, der Pflegebedarf eines Patienten

  2. das subjektive Krankheitserleben und das Verarbeiten der Krankheit durch den Patienten

  3. die Interaktionsstrukturen (Patient/Pflegende/Angehörige usw.)

  4. die Tätigkeitsfelder und ihre Einbindung in den Kontext (Station, Abteilung, Klinik, Rehaeinrichtung, ambulante Pflege usw.)

  5. der Pflegeprozess als ein weiteres wichtiges Merkmal, das nicht den Struktur-, sondern eher den Prozesscharakter betont, innerhalb der pflegerischen Tätigkeit aber entscheidende strukturierende Funktionen hat.

Je nach der gewählten Fallart werden die einzelnen Elemente der Pflegesituation unterschiedlich stark betont:

Variieren kann natürlich auch die Art der Erzählperspektive: Ein Fall kann entweder von außen, also von einer Art (neutralem) Beobachter beschrieben werden, aber auch aus der eher subjektiven Ich-Perspektive eines der Betroffenen (Patient, Pflegende, Angehöriger). Je nach Erzählperspektive spielen dabei Objektivität, Subjektivität oder auch Parteilichkeit unterschiedliche Rollen. Dies zu erkennen und zu berücksichtigen ist wichtig bei der Fallbearbeitung.

Fälle in diesem Lehrbuch In diesem Lehrbuch finden Sie an zahlreichen Stellen Pflegesituationen zu Lernzwecken. Diese Situationen sind zwar speziell für dieses Buch „konstruiert“, dies geschah aber grundsätzlich in ganz enger Anlehnung an reale Situationen. Nach der obigen Unterscheidung von Arten fallbezogenen Unterrichts handelt es sich dabei entweder um Fälle entsprechend der Fallmethode (eher problemlösungsorientiert) oder des Falldialogs (eher deutungsorientiert). Darüber hinaus sind die Lehrenden natürlich aufgefordert, erfahrungsbezogene Lernsituationen zu schaffen, in denen dann auf der Grundlage der konkreten Schülererfahrungen auch das Einzelfallprojekt oder die ▶ Fallarbeit siehe Literatur eingesetzt werden können.

Wege zur Fallbearbeitung

Fallbearbeitung kann auf sehr unterschiedliche Weise geschehen. Um Ihnen aber grundsätzliche Bearbeitungshinweise zum Umgang mit den Fällen zu geben, werden im Folgenden jeweils ein Bearbeitungsvorschlag für die eher problemlösungs- bzw. die eher deutungsorientierten Fallarten vorgestellt. Und natürlich ist auch die Verbindung beider Bearbeitungsansätze bezüglich eines Falls denkbar und sinnvoll, also z. B. die Ergänzung einer problemlösungs- durch eine deutungsorientierte Bearbeitung. Bei den im Folgenden dargestellten Vorschlägen zur Fallbearbeitung handelt es sich um zentrale und grundlegende Bearbeitungswege.

Das Problemorientierte Lernen (POL) Die Fallbearbeitung nach dem sog. Problemorientierten Lernen (POL) ist sicher die national wie international verbreitetste Vorgehensweise bei eher problemlösungsorientierten Fällen.

Ursprünglich stammt das Konzept als „Problem based Learning“ aus Kanada und wurde in der Medizinerausbildung eingesetzt. Es setzte sich dann zunächst im englischsprachigen Raum im Medizin- und Pflegebereich, aber z. B. auch in der Ausbildung von Sozialarbeitern durch und kam dann vornehmlich über die Niederlande und die Schweiz bis in die deutschen Pflegeschulen (vgl. zur Übersicht Fischer 2004). Im POL gibt es verschiedene Aufgabenarten, am häufigsten und typisch ist aber die sog. Problemlöseaufgabe. Sie entspricht im Wesentlichen der oben beschriebenen lösungsorientierten Fallmethode. Das Ziel der Fallbearbeitung ist es, das Problem zu lösen.

Wichtig ist aber, dass es nicht unbedingt immer nur eine Lösung gibt. Möglicherweise sind auch unterschiedliche Lösungen denkbar. Ziel eines solchen Vorgehens ist also nicht primär ein „Richtig oder Falsch“, sondern eine fach(wissenschaft)liche, theoretisch fundierte und begründete Entscheidung. Der Weg zu dieser Entscheidungsfindung geschieht in 7 Bearbeitungsphasen, dem sog. „Siebensprung“.

Der Siebensprung Der Siebensprung ist eine genau beschriebene Vorgehensweise zur Problemlösung (vgl. z. B. Fischer 2004). Er ist in 7 Schritte unterteilt, die bis auf einen Schritt (Schritt 6) komplett in Kleingruppenarbeit erfolgen.

Arbeit in Kleingruppen Die Größe der Kleingruppen kann zwischen 4 und 10 Schülern variieren, sollte innerhalb einer Lerngruppe aber gleich sein. Sinnvoll ist es auf jeden Fall, einen Gesprächsleiter und einen Protokollanten innerhalb jeder Kleingruppe zu bestimmen. Das machen die Kleingruppen selbst.

Die einzelnen Schritte Eine Vorgehensweise entsprechend dem Siebensprung bietet sich z. B. bei den Falldarstellungen im Vorspann der ATLs „Sich Waschen und Kleiden“, „Wachsein und Schlafen“, „Essen und Trinken“, „Ausscheiden“, „Sich Bewegen“, „Atmen, Puls und Blutdruck“ sowie „Körpertemperatur Regulieren“ an. Hier geht es primär um die Suche nach pflegerischen Lösungsmöglichkeiten, also um Pflegebedarf bzw. -diagnose, Zielsetzung und Interventionsplanung. Allerdings sollten auch bei diesen Fällen nicht nur das rein „technische“, also das pflegerische Vorgehen und Handling berücksichtigt werden. Fragen des Erlebens und der Interaktion sind ebenso wichtig und zu berücksichtigen, wenn es um die Problemlösung geht. Hier können die Hinweise zur ▶ deutungs- und verstehensorientierten Bearbeitung weiterhelfen. Das entsprechende ATL-Kapitel bietet schwerpunktmäßig die wesentlichen Informationen insbesondere für die Recherche im Schritt 6, natürlich sind auch Inhalte aus anderen Kapiteln hilfreich, denn der Pflegebedarf des individuellen Patienten geht in aller Regel über den Bereich der einzelnen ATL hinaus.

Vorgehensweise beim Arbeiten mit dem „Siebensprung“ in der Kleingruppe

Der eigentliche Siebensprung endet nach Schritt 7, also in der Kleingruppe. Sinnvoll kann es aber sein, noch einen abschließenden Schritt in der Großgruppe anzuschließen:

Merke

Der Siebensprung funktioniert nur, wenn alle Schritte in der genauen Reihenfolge eingehalten werden. Sie dürfen keinen Schritt überspringen, auch wenn Sie einzelne Schritte vielleicht zunächst für überflüssig halten. Keiner der Schritte ist überflüssig; je öfter Sie im POL arbeiten, desto sicherer werden Sie in den einzelnen Schritten. Ihre Lehrerin oder Ihr Lehrer werden Sie in den Kleingruppen unterstützen.

Praxistipp

Hinweis für Lehrende: Neben der Beschäftigung mit POL mittels entsprechender ▶ Veröffentlichungen siehe Literatur empfiehlt sich die Teilnahme an POL-bezogenen Fortbildungsveranstaltungen, z. B. auch um die verschiedenen Zeitbedarfe einzuschätzen. Das ist nicht nur für den Unterricht, sondern auch für fallorientierte Prüfungen wichtig. Es ist immer sinnvoll, das ganze Team zu schulen, so können Missverständnisse und Informationsdefizite vermieden werden.

Deutungs- und verstehensorientierte Fallbearbeitung Der Einsatz von Fällen im Unterricht oder auch in der Praxisbegleitung im Sinne von Falldialog und Fallarbeit (s. die obige Typologie) schließt eine Vorgehensweise nach POL nicht grundsätzlich aus, erfordert aber eine deutungsbezogene Herangehensweise. Im Vordergrund steht nicht so sehr die Entscheidungsfindung, sondern ein Sichhineinversetzen in die Situation, ein Durchdenken, Nachdenken und der Versuch des Verstehens und Interpretierens einzelner Handlungen, Reaktionen, verbaler und nonverbaler Äußerungen usw. Eine solche Auseinandersetzung geschieht entweder mit real-persönlich erlebten Situationen (Fallarbeit) oder mit zwar fiktiven, aber dennoch realitätsnahen Situationen (Falldialog). Entsprechende Fallbeispiele finden Sie im Vorspann der ATLs „Kind, Mann, Frau sein“, „Sinn finden“, „Raum und Zeit gestalten“ und „Kommunizieren“. Immer handelt es sich dabei um Pflegesituationen, allerdings stehen jetzt weniger die konkreten Pflegeanlässe im Vordergrund, sondern das Erleben und Verarbeiten, die Interaktionsstrukturen und auch die Bedeutung der Institution (vgl. Hundenborn 2007). Und genau diese Elemente sind auch der Gegenstand der deutend-verstehenden Auseinandersetzung.

Mehr als reine Regelorientierung Ingrid Darmann (2005) hat in Erweiterung eines rein regelorientierten Lösungsansatzes der Fallbearbeitung 3 Zieldimensionen formuliert, die folgende Fragen stellen:

  1. „Welches wissenschaftsbasierte Regelwissen können sich Schüler anhand dieser Situation aneignen?

  2. Welche Perspektiven und Deutungen können Schüler anhand dieser Situation rekonstruieren?

  3. Welche gesellschaftlichen Widersprüche können Schüler anhand dieser Situation aufdecken?“ (Darmann 2005, S. 332).

Die erste Zieldimension bezieht sich wesentlich auf das fallbezogene Fachwissen, wie es z. B. im oben beschriebenen POL herausgearbeitet werden kann. Die zweite Zieldimension fragt vornehmlich nach Verstehen und Deutung, in der dritten Dimension erfolgt die gesellschaftliche/gesellschaftspolitische Rückbindung des Falls, wie es etwa der Themenbereich 11 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung vorsieht. Darmann spricht immer dann von „pflegeberuflichen Schlüsselproblemen“ als Ausgangspunkt von fallbezogenen Lernsituationen, wenn mithilfe eines Falls alle 3 o.g. Zieldimensionen erreicht werden können. Solche Fälle zeichnen sich durch ein hohes Maß an Deutungsoffenheit aus (Darmann 2005).

Mehrperspektivität der Deutung Wenn bei einem Fallbeispiel ganz oder teilweise Verstehen und Deutung im Vordergrund stehen, bieten sich verschiedene Vorgehensweisen an; bei Hundenborn (2007) lassen sich (für die Lehrenden) verschiedene Verfahren und deren theoretische Ableitung im Überblick sehr gut nachlesen. Ein wichtiger Zugang, der dabei immer wieder benannt wird, ist die Mehrperspektivität des Deutens und Verstehens. Darmann (2005) schlägt hier die folgenden Perspektiven vor:

Die genannten Perspektiven münden ein in einen kommunikativen Dialog des Fallverstehens und der Urteilsbildung hinsichtlich der Perspektive

Die Berücksichtigung dieser 4 Perspektiven ermöglicht es Ihnen, sich zunächst systematisch mit den verschiedenen Sichtweisen auf der Basis dessen, was der Fall Ihnen an Informationen anbietet, ergänzt durch Ihre eigenen Kenntnisse und Erfahrungen, auseinanderzusetzen. Dies geschieht wie beim POL am besten in der Kleingruppe mit Gesprächsleitung und Protokollanten. Alle Gruppenmitglieder sind dabei aufgefordert, ihre Vermutungen, ihr Wissen und ihre Interpretationen zu äußern. Dabei ist es wichtig, auch zu sagen bzw. festzuhalten, wie der Einzelne zu einer bestimmten Deutung gelangt. Wie kommt es zu der Aussage über ein bestimmtes Gefühl, ein Motiv oder einen Wert? Auf welche Textstelle im Fall, auf welches theoretische Wissen bezieht sich die Äußerung des einzelnen Gruppenmitglieds?

In einem echten Dialog (Falldialog) setzen sich die Gruppenmitglieder mit den verschiedenen Auffassungen auseinander, beziehen die verschiedenen Perspektiven aufeinander und kommen schließlich zu einem Verstehen des Falls und zu einer Urteilsbildung. Hierbei ist es wichtig, Alternativen zu benennen und zuzulassen, um schließlich im Sinne einer pflegerischen Teambesprechung zu einer einvernehmlichen Entscheidung zu gelangen oder aber zu der Feststellung, dass mehrere Möglichkeiten des Deutens und Handelns sinnvoll sein könnten, und diese dann auch als potenzielle Optionen stehenzulassen.

Der gesellschaftliche Bezug – Reflexion von Deutung und Handlung Im Sinne der dritten von Darmann (2005 und 2006) benannten Zieldimension (gesellschaftliche Konflikte und Widersprüche) ist es zum Abschluss bzw. in Ergänzung des Falldialogs oftmals hilfreich und über den einzelnen Fall hinaus weiterführend, die Frage zu stellen, inwieweit erkannte und aufgezeigte Widersprüche, Konflikte, Interessenskollisionen oder (ethische) Dilemmata beispielhaft für bestimmte beruflich-gesellschaftliche Gegebenheiten stehen. Diese können sich z. B. auf den Umgang von verschiedenen Berufsgruppen mit- oder auch gegeneinander beziehen, auf unterschiedliche Pflegeverständnisse, auf Weltanschauungen, finanzielle Aspekte, Statusfragen usw. Hier sind dann insbesondere auch das Wissen und die Erfahrungen aus Bezugswissenschaften wie Soziologie, Psychologie, Politik oder Ökonomie gefragt.

Vom fallbezogenen Unterricht zur persönlichen Kompetenz Die Arbeit mit Fällen ist kein Buch mit sieben Siegeln, das hat diese kurze Einführung Ihnen hoffentlich gezeigt. Das, was Sie hier gelesen haben, soll Ihnen als zusammenfassender Leitfaden dienen und keinesfalls eine gründliche Einführung durch Ihren Lehrer ersetzen. Nach einer solchen Einführung können Sie das Arbeiten an und mit Fällen anhand der Beispielfälle im Vorspann der einzelnen ATLs ausprobieren. Wichtig ist, dass alle Fälle in gewisser Weise immer nur Ausschnitte der Wirklichkeit darstellen, indem sie den Fokus bewusst jeweils auf eine ATL legen. Wir als Herausgeber und Verlag haben uns zu einer solchen Vorgehensweise entschieden, damit Sie mit unseren Fällen gezielt lernen können. Die Fälle bilden also immer auch einen Einstieg in ein komplexes Themenfeld. Je nachdem, wie Ihre Lehrer den Unterricht gestalten, ist es mit zunehmendem Ausbildungsstand sicherlich sinnvoll, auch zunehmend komplexere Fälle zu bearbeiten, dies gilt dann ganz besonders für die Examensvorbereitung.

Und nun: Viel Freude und Lerngewinn bei der Bearbeitung der Fälle!

Lern- und Leseservice

[1] Berens C. POL konkret. Umsetzung der Methode im Unterricht. PADUA 2006; 5: 12–15

[2] Büscher C, Gronemeyer-Bosse T. Professionelles Handeln und Fallarbeit. Ein fruchtbares Wechselspiel zwischen Praxis und Theorie. PADUA 2009; 3: 30–36

[3] Büscher C. Fallstudien. Theorie für die Praxis verstehen. PADUA 2009; 4: 23–27

[4] Darmann I. Pflegeberufliche Schlüsselprobleme als Ausgangspunkt für die Planung von fächerintegrativen Unterrichtseinheiten und Lernsituationen. PRINTERNET 2005; 6: 329–335

[5] Darmann I. Bildungsanspruch und Strukturentwicklung. Eine Positionierung der Pflegepädagogik. PADUA 2006; 4: 60–65

[6] Fischer R. Problemorientiertes Lernen in Theorie und Praxis. Leitfaden für Gesundheitsfachberufe. Stuttgart: Kohlhammer; 2004

[7] Hundenborn G. Fallorientierte Didaktik in der Pflege. Grundlagen und Beispiele für Ausbildung und Prüfung. München: Urban und Fischer; 2007

[8] Riedo P. Aufwärts in der Schweiz. Problembasiertes Lernen. PADUA 2006; 1: 38–45

[9] Schewior-Popp S. Fallbezug im Unterricht. Chancen, Möglichkeiten und Grenzen. PADUA 2006; 5: 6–11

[10] Schwarz-Govaers R. Problemorientiertes Lernen in der Pflegeausbildung. PRINTERNET 2002; 30–45

[11] Schewior-Popp S, Fischer R. Schriftliche Prüfung Tag 1. Stuttgart: Thieme; 2006

[12] Schewior-Popp S, Fischer R. Schriftliche Prüfung Tag 2. Stuttgart: Thieme; 2007

[13] Schewior-Popp S, Fischer R. Schriftliche Prüfung Tag 3. Stuttgart: Thieme; 2008

[14] Schewior-Popp S, Fischer R. Mündliche Prüfung Teil 1. Stuttgart: Thieme; 2007

[15] Schewior-Popp S, Fischer R. Mündliche Prüfung Teil 2. Stuttgart: Thieme, 2009