Krieg und Frieden
1937-1960

Am 18. Juli 1936 führten General Francisco Franco und eine militärische Gruppierung einen Staatsstreich gegen die Regierung der Zweiten Spanischen Republik (1931-1939) durch. Der nicht vollständig erfolgreiche Aufstand entwickelte sich zu einem Bürgerkrieg, der drei Jahre andauerte. Picasso, dessen Treue der legitimen Regierung der republikanischen Volksfront gehörte, fertigte zwei Radierungen an, die Francos Bestrebungen in einem Format ähnlich eines Comics ins Lächerliche zogen. Dazu schrieb Picasso ein begleitendes Gedicht, das zum Wohle der Republik verkauft werden sollte. Die groteske Darstellung von Franco beeinflusste Alfred Jarrys Père Ubu (später Ubu Roi genannt).

Traum und Lüge Francos I, 1937. Radierung und Zucker-Aquatinta auf Papier, 31 x 42 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid

Guernica, 1937. Öl auf Leinwand, 349,3 x 776,6 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía

Madrid

Das blutige historische Ereignis, das Picasso bewegte, dieses Meisterwerk innerhalb eines Monats zu schaffen, fand kurz vor der Pariser Weltausstellung 1937 statt, wo es erstmals gezeigt wurde, nachdem es von der Regierung der Spanischen Republik in Auftrag gegeben worden war. Die Bilder und Empfindungen der dreistündigen Bombardierung und Zerstörung der baskischen Stadt Guernica durch Flugzeuge der Nationalsozialisten waren noch frisch im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Diese brutale, monochrome Arbeit war sowohl als reaktives politisches Statement als auch als Kunstwerk stark umstritten. Die Verwendung von Schwarzweiß-Tönen wurde durch Kriegsfotografien wie die von Robert Capa inspiriert. Trotz der Symbolik, die den verschiedenen Elementen seit der Entstehung des Gemäldes gegeben wurde, verhielt sich Picasso sehr geheimnisvoll in Bezug auf die Bedeutung von Guernicas verborgenen Themen und Bildern.

Guernica, Zustand 1, 1937. Fotografien von Dora Maar

Guernica, Zustand 3, 1937. Fotografien von Dora Maar

Es besteht nur äußerst selten die Möglichkeit, ein Meisterwerk in seinen Herstellungsphasen zu sehen. Dora Maar, Picassos Geliebte zu jener Zeit, dokumentierte das hektische Treiben Picassos im Verlauf des einen Monats, den er damit verbrachte, Guernica zu malen. Die Fotografien dieser beiden Zustände zeigen, dass Picasso einige Teilstücke im Bild während des Schaffensprozesses erst noch erfand. So ist im Zustand 1 (oben) noch eine geballte Faust an jener Stelle zu sehen, die später durch einen Pferdekopf ersetzt werden wird. Auch als Picasso begann, Farbe auf die Leinwand aufzutragen (Zustand 3, unten), sind noch Elemente zu erkennen, die in der fertigen Version geändert wurden.

Stierkopf, Studie für ,Guernica’, 1937. Grafit und Gouache auf Pausleinwand, 23 x 29 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid

Eine der bekanntesten Figuren in Guernica – und in Picassos Gesamtwerk – ist der Stier. Viele Autoren verstehen diesen als Symbol von Spanien, obwohl Picasso auch bemerkte, dass in Guernica der Stier die Brutalität des Faschismus versinnbildlichte.

Mutter und totes Kind (IV), Studie für, Guernica’, 1937. Grafit, Gouache, Collage und Buntstift auf Pausleinwand, 23,1 x 29,2 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid

Obwohl die reduzierte Farbpalette eines der markantesten und aussagekräftigsten Elemente Guernicas ist, erreichte Picasso auch in vielen seiner farbigen Studien höchste Dramatik. Dies ist der Fall in diesem Bild Mutter und totes Kind, wo Picasso sogar echtes Haar an die Frauenfigur fügte. Die enge Komposition und die unruhigen, harten Linien definieren die dramatische Unmittelbarkeit.

Kopf einer weinenden Frau (III), Studie für ,Guernica’, 1937. Grafit, Gouache und Buntstift auf Pausleinwand, 23,2 x 29,3 cm. Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid

Von all den ikonischen Bildern, aus denen sich Guernica zusammensetzt, ist das dramatischste vielleicht die Frau, die in Not schreit, während sie ihr totes Kind in den Armen hält. Picasso fertigte viele Zeichnungen und Gemälde, auf denen weinende Frauen wie diese dargestellt sind, an. Obwohl sich diese Studie des schreienden Kopfes von der auf dem finalen Gemälde unterscheidet, erlaubt sie einen Einblick in die vielseitigen Möglichkeiten, die Picasso in Betracht zog, bevor er seine endgültige Arbeit malte. Auch zeugt es von Picassos ursprünglicher Absicht, Farbe im Gemälde zu verwenden.

Weinende Frau, 1937. Öl auf Leinwand, 60,8 x 50 cm. Tate Collection, London

Guernica beeinflusste Picasso auch noch nach der Fertigstellung im Sommer 1937. Diese berühmte Weinende Frau wurde von Picasso vier Monate nach Abschluss seines monumentalen Werkes gemalt. Inspiriert von Dora Maar, erinnert es an die Frau mit dem toten Kind in den Armen in Guernica. Picasso gibt diesem expressionistischen Porträt einen großen Sinn an Dramatik durch die Verwendung von harten, scharfen Konturen, kräftigen Farben und die Verformung der Gesichtsmerkmale. Er malte viele Versionen Dora Maars, was zu einer Art Besessenheit wurde – vor, während und nach der Entstehung von Guernica.

Gelber Pullover, 1939. Öl auf Leinwand, 81 x 65 cm. Museum Berggruen, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin

Dieses Gemälde ist ein Porträt Dora Maars, der neuen Geliebten Picassos, die er kennengelernt hatte, während er noch immer mit Marie-Thérèse Walter zusammen war. Es ist ein typisches Bild dieser Jahre; die Verzerrung des Gesichts ist ein Erbe des späten Kubismus. Die in sich ruhende Figur steht im direkten Gegensatz zu den Ereignissen jener Tage: Der Zweite Weltkrieg hatte einen Monat zuvor begonnen.

Porträt von Jaime Sabartés mit Halskrause und Hut, 1939. Öl auf Leinwand, 46 x 38 cm. Museu Picasso, Barcelona

Jaime Sabartés war einer der engsten Freunde Picassos. Sie begegneten sich 1899, und Picasso malte mehrere Porträts von ihm während seiner frühen Jahre (vgl. Bd. 1, S. 20 und S. 26). 1939 wurde Sabartés persönlicher Sekretär Picassos, eine Position, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1968 behalten würde. Dieses Porträt, das Picasso von ihm im Jahr 1939 anfertigte, hat nichts mit den früheren von seinem Freund inspirierten Werken gemeinsam. Sabartés nimmt hier die Gestalt eines aus dem 17. Jahrhundert stammenden spanischen Herren an, erkennbar durch seine Kleidung. Picasso wollte in irgendeiner Weise auf eine gewisse Tradition in der spanischen Kunst verweisen – eine Bildsprache, die sich als durchaus fruchtbar für nachfolgende spanische Künstler wie Antonio Saura (1930-1998) erweisen sollte.

Porträt von Nusch Éluard, 1938. Öl auf Holz, 73 x 60 cm. Museum Sammlung Rosengart, Luzern

Obwohl sie keine große Rolle spielte, war Nusch Éluard (1906-1946) dennoch eine entscheidende Figur der Pariser Surrealistengruppe. Geboren als Maria Benzin Mülhausen 1906, kam sie in den späten 1920er Jahren nach Paris und arbeitete als Gehilfin eines Hypnotiseurs.1930 lernte sie den Dichter Paul Éluard kennen und wurde ein Teil des surrealistischen Milieus. Vier Jahre später heiratete sie Éluard. Obwohl sie selbst auch surrealistische Collagen herstellte, ist sie bekannter dafür, die Werke von Künstlern wie Man Ray, Magritte, Miró und Picasso inspiriert zu haben. Dieses zärtliche Porträt, das der Spanier von ihr malte, ist eine der vielen Hommagen der Pariser Künstler an ihre herausragende Muse.

Mann mit einem Strohhut Und Eiscremetüte, 1938. Öl auf Leinwand, 61 x 46 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Dieses scheinbar banale Thema zeigt einen aggressiven Picasso. Der schwarze Hintergrund dient als reines und kraftvolles Szenario für ein farbenfrohes, weniger gewalttätiges Porträt eines Mannes, der an einer Eiscremekugel leckt. Seine blutunterlaufenen Augen, gelben Zähne und schlangenartige Zunge zeichnen jedoch ein Bild, das alles andere als fröhlich wirkt. Dieses Gemälde reiht sich ein in Picassos Bilder wie Weinende Frau. Sie sind ausdrucksstark und kraftvoll, ein vielleicht weniger offensichtlicher Nachklang von Guernica.

Frau mit einem Vogel (Dora Maar), 1939. Öl auf Leinwand, 92 x 73 cm. Privatsammlung

Dieses Porträt von Dora Maar, seiner Geliebten in den späten 1930er Jahren, ist trotz der etwas aggressiv wirkenden, scharfen Konturen verspielt. Picasso spielt mit einer harmonischen Kombination von Farben, die weniger schockierend sind als beispielsweise in Mann mit einem Strohhut und Eiscremetüte. Die latente Gewalt dieser Jahre bleibt aber zweifelsohne bestehen. In diesem Bild ist die Reflexion seiner Weinenden Frau Dora Maar perfekt zu erkennen.

Katze verschlingt einen Vogel, 1939. Öl auf Leinwand, 96,5 x 128,9 cm. Sammlung Ganz, New York

Dieses Bild kann als ein Nachsinnen über Gewalt – implizierte und konkretisierte – gelesen werden. So galt in den späten 1930er Jahren der Krieg in Picassos Heimatland Spanien als Auftakt der Schrecken, die Europa in den folgenden Jahren heimsuchen würden. Die wenigen Details im Bild – zerfetzter Vogel, blutiges Fleisch, scharfe Katzenkrallen, Nacktheit der Szene – machen es zu einem sehr irritierenden Gemälde.

Sitzende Frau, 1945. Öl auf Leinwand, 131,5 x 81 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Nach seiner Blauen und Rosa Periode von 1900-1907 ist es seltsam, ein Gemälde Picassos zu sehen, das von nur einem Farbton dominiert wird. Diese Sitzende Frau verwies auf die Melancholie der Blauen Periode. Auch die Formen der Frau spiegelt die langgestreckten Figuren der frühen Jahre wider; vielleicht eine Anspielung auf die letzten Monate des Zweiten Weltkrieges, in denen es gemalt wurde.

Mann mit einem Lamm, 1943. Bronze, 222,5 x 78 x 78 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Während der deutschen Besetzung Frankreichs wurde Picasso von den deutschen Behörden zwar beobachtet, aber es war ihm auch gestattet, in seinem Pariser Atelier zu arbeiten. In dieser Zeit fertigte er einige Bronzeskulpturen wie diesen Mann mit einem Lamm. Dabei kehrte Picasso zur figurativen Skulptur zurück. Er modellierte diese Figur eines Mannes, der ein fliehen wollendes Lamm festhält nach einer Vielzahl an Studien, von denen der Mann in der ersten einen Blumenstrauß statt eines Tieres in den Händen hält. Die Skulptur, die an das christliche Thema des Guten Hirten erinnert, war ein Versuch Picassos, Opfer und Leiden zum Ausdruck zu bringen; eine große Bedeutung angesichts des Kontexts, indem sie erschaffen wurde.

Stierschädel, Frucht, Kanne, 1939. Öl auf Leinwand, 65 x 92 cm. The Cleveland Museum of Art, Cleveland

In dieser Zeit erschuf Picasso viele Stillleben, die als moderne Vanitas interpretiert werden können. Ein klassisches Thema in der westlichen Kunsttradition, das den Menschen an seine Vergänglichkeit durch Totenschädel und Früchte, die wie der menschliche Körper vergehen, erinnern soll. Dieses Gemälde wurde von Picasso kurz nach zwei wichtigen Ereignissen in seinem Leben gemacht: dem Tod seiner Mutter und der Besetzung Barcelonas durch die Nationalisten – ein symbolisches Ereignis, das aber noch nicht endgültig die Niederlage der Spanischen Republik markierte. Der Baum im Hintergrund kann als kleiner Hoffnungs-schimmer in diesen dunklen Zeiten verstanden werden.

Der Emailtopf, 1945. Öl auf Leinwand, 82 x 106,5 cm. Musée national d’Art moderne, Centre Georges-Pompidou, Paris

Während der Kriegsjahre malte Picasso weiterhin Stillleben. Sie wurden allerdings in Bezug auf Form und Farbe mehr und mehr reduziert. Der Emailtopf ist ein nüchternes, vielleicht stärkeres Gemälde als alle anderen Stillleben, die Picasso in diesen Jahren produzierte. In dieser strengen Komposition ist es die Kerze, die den Menschen an den Tod erinnert. Die Formen und Farben der Elemente auf dem Tisch wirken harmonisch in ihrer Kombination. Durch diese stille und intensive Szene reflektiert Picasso die großen Stillleben von Francisco de Zurbarán und Juan Sánchez Cotán aus dem 17. Jahrhundert.

Frau mit einem Mieder (Dora Maar), 1941. Öl auf Leinwand, 92 x 60 cm. Privatsammlung

Dieses Porträt von Dora Maar ist zurückhaltender als jene, die Picasso in den vorangegangenen Jahren anfertigte. Es erscheint wie ein Augenblick von Leichtigkeit unter den anderen gewalttätigeren und aggressiveren Bildnissen. Das Grün des Hintergrunds und das Hellblau des Kleides geben dem Gemälde einen subtilen Charakter. Das Rockmuster von Dona Maar erinnert an Collagen Picassos aus den 1920er Jahren, während ihr Gesicht eine erneuertes, wenn auch nur kurzlebiges Interesse an naturalistischen Darstellungen von menschlichen Charakteristika zeigt.

Frau in Grau, 1942. Öl auf Tafel, 99,7 x 81 cm. Brooklyn Museum, New York

Dieses Beispiel eines monumentalen weiblichen Porträts fällt durch eine sehr reduzierte Farbpalette, vor allem durch die verwendeten Grautöne, auf. Auch hier kann an Picassos symbolischen Gebrauch dieser Farbe in Guernica erinnert werden. Dieses Porträt kann als Reflexion des düsteren und bedrückenden Kontexts der deutschen Besetzung Frankreichs angesehen werden.

Frau in einem Sessel (Françoise Gilot), 1947. Öl auf Leinwand, 130 x 97 cm. Privatsammlung

Picasso traf Françoise Gilot 1943, während sich der 40 Jahre ältere Spanier noch in seiner Beziehung zu Dora Maar befand. Ab 1946 lebten sie zusammen. Während ihrer zehnjährigen Beziehung, die Gilot 1953 beendete, bekamen sie zwei Kinder, Claude (geb. 1947) und Paloma (geb. 1949). Die junge Geliebte, die Picasso zu diesem Porträt inspirierte, wurde in einer Reihe von farbig abstrakten, in spielerischer Art und Weise angeordneten Formen reduziert. Dies war ein deutliches Zeichen für Picassos allgemein optimistischeren Ansatz in seiner Malerei während der zweiten Hälfte der 1940er Jahre.

La Joie de Vivre (Pastoral), 1946. Öl auf Holz, 120 x 250 cm. Musée Picasso Antibes, Antibes

Den Sommer 1946 verlebten Picasso und seine neue Geliebte, Françoise Gilot, in Antibes an der südöstlichen Küste Frankreichs. Er verbrachte zwei Monate in einem Atelier, das er sich im Château Grimaldi mietete und das später das Musée Picasso Antibes beherbergen würde. Dort malte er La Joie de Vivre (Pastoral), eine idyllische Darstellung des klassischen Mittelmeerraums. Während Picassos gesamter Karriere war sein Interesse an der Antike stets präsent, wie in seinen klassizistischen Themen der 1920er Jahre in der Suite Vollard (vgl. S. * und S. **) zu erkennen ist. In diesem Bild umgibt ein deutlich mediterran geprägtes Licht eine mythologische Szene, in dessen Zentrum sich eine Hommage an die junge Gilot befindet.

Das Leichenhaus, 1944-1945. Öl und Kohle auf Leinwand, 199,8 x 250,1 cm. The Museum of Modern Art, New York

Dieses Gemälde ist Picassos politischste Arbeit seit Guernica sowie seine deutlichste Referenz. Dabei wurde Picasso von einem Dokumentarfilm, der eine Familie zeigte, die während des Spanischen Bürgerkrieges in ihrer Küche ermordet worden war, inspiriert. Durch die Verwendung von Grisaille erinnert die Arbeit stark an Guernica auch in ihrer pyramidalen Komposition und aufgrund der monumentalen Charaktere. Das Werk scheint ebenso die Berge von Leichen, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten am Ende des Zweiten Weltkrieges entdeckt worden waren, zu reflektieren.

Stehender Akt, 1946. Farbstifte auf Papier, 51 x 32,5 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Ein Stück Papier und Buntstifte sind vielleicht die besten Medien, den verspielten Picasso zu verdeutlichen, der mit Formen und Farben in eine völlig freie Richtung experimentierte. Die in diesem Bild gezeigte Figur besteht nur aus geraden Linien und der Kombination von verschiedenen Farben. Alle Details scheinen überflüssig zu sein.

Die Küche, 1948. Öl auf Leinwand, 175,3 x 250 cm. The Museum of Modern Art, New York

Nachdem die Witwe des Dichters Guillaume Apollinaire Picasso bat, ein zweites Denkmal für den verstorbenen Freund, der genau 30 Jahre zuvor verstorben war, zu schaffen, malte Picasso dieses Bild. Picassos erste Hommage an den Dichter (S. *) hatte der „Ausschuss Apollinaire“ als zu abstrakt abgelehnt. Diese neue Arbeit, ein monumentales Gemälde, erinnert an den linearen Charakter jener Plastik. Kurioserweise kam die Inspiration aus Picassos Küche, deren Raum, Möbel und Gegenstände er vereinfachte bis zur Fertigung einer abstrakten Komposition – ganz aus schwarzen Linien und Punkten über grau-weißem Hintergrund.

Ziege, 1950. Original aus Gips, Höhe: 120,5 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Ab 1948 begann Picasso in einem Atelier in Vallauris zu arbeiten. Es befand sich neben einem Hof, wo Töpfer ihren Schutt entsorgten. Picasso durchsuchte diesen, um Stücke zu finden, mit denen er die Skulptur einer Ziege anfertigen konnte, die er zuvor skizziert hatte. Er benutzte einen Weidenkorb für den Brustkorb, Keramikkrüge für das Euter, Weinstöcke für die Hörner und einen großen Palmwedel für die Wirbelsäule. Er verwendete diese Elemente wie ein Skelett und füllte die Skulptur später mit Gips aus. Im Anschluss wurde die Skulptur auch noch in Bronze gegossen.

Kranich, 1952. Bronze und Plastik, Höhe: 74 cm. Museum Berggruen, Staatliche Museen

zu Berlin, Berlin

Wie bei seiner Skulptur Ziege fertigte Picasso diese Arbeit aus gebrauchten Materialien an. Aus Korbgeflecht und langen Gabeln schuf Picasso ein ausdrucksstarkes Abbild eines Kranichs. Allgemein zeigen diese Arbeiten Picassos immense Talente auf. Da er hauptsächlich als Maler angesehen wird, gerät manchmal in Vergessenheit, dass Picasso genauso Beiträge zur modernen Skulptur lieferte, die vielleicht sogar noch wichtiger als seine Bilder sind. Die Idee, dass eine Skulptur aus jedem Material gefertigt sein kann, egal, wie vulgär dieses auch sein mag, ist etwas, das Picasso und einer Handvoll anderer Pioniere auf diesem Gebiet zu verdanken ist.

Friedenstaube, um 1950. Lithografie, 70 x 54,5 cm. Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Paris

Das Motiv der Taube erschien bereits 1901 in Picassos Œuvre (vgl. S. *). Nun bekommt das Motiv eine neue symbolische Bedeutung. In den 1950er Jahren engagierte sich Picasso für den internationalen Frieden nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Wie Guernica gehört seine weiße Taube zu den populärsten Bildern des 20. Jahrhunderts.

Massaker in Korea, 1951. Öl auf Sperrholz, 110 x 210 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Im Jahr 1944 trat Picasso der Französischen Kommunistischen Partei bei. Als eine politisch engagierte, internationale Figur nahm er an verschiedenen Friedenskonferenzen teil. Während des Koreakrieges (1950-1953) positionierte er sich gegen die internationale Intervention. Dieses Gemälde ist eine Anprangerung des Krieges. Die graue Färbung der Figuren verweist auf Guernica, während die Komposition eine Hommage an Manets Der Tod des Maximilian (1868-1869) und Goyas Die Erschießung der Aufständischen (1814) ist.

Krieg, 1952. Öl auf Hartplatte, jeweils 47 x 102 cm. Musée national Pablo Picasso, la Guerre et la Paix, Vallauris

Frieden, 1952. Öl auf Hartplatte, jeweils 47 x 102 cm. Musée national Pablo Picasso, la Guerre et la Paix, Vallauris

Im April 1952 nahm Picasso den Auftrag an, eine unbenutzte Kapelle in Vallauris auszuschmücken. Er begann, auf zwei monumentalen Wandbildern einen „Tempel des Friedens“ zu malen. Auch war es eine Chance für Picasso auf Matisse, der im Jahr zuvor eine Kapelle in Vence gestaltet hatte, zu reagieren. Für diese Gelegenheit fertigte Picasso zwei große Gemälde an: Krieg und Frieden. Das Thema reflektiert direkt die weltweiten Aufrufe zum Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg und wurde ein wiederholtes Sujet in seinen Arbeiten. Das Bild Krieg zeigt eine einem Teufel ähnliche Figur mit einer blutigen Machete und einem Korb voll von menschlichen Schädeln in einem Leichenwagen, der sich auf einen Krieger des Friedens zubewegt. Im Gemälde Frieden umgibt eine idyllische Atmosphäre die Szene. Auf der rechten Seite sitzt eine Mutter neben der Darstellung des Begriffs „Kultur“ (die im Bild Krieg von Pferdehufen niedergetrampelt wird). In der Mitte und an der linken Seite des Gemäldes spielen und tanzen die Figuren zu Musik.

Mädchen am Seineufer, nach Courbet, 1950. Öl auf Sperrholz, 100,4 x 208 cm. Kunstmuseum Basel, Basel

Während seiner letzten Jahrzehnte begann Picasso eine Reihe von Variationen von Werken alter Meister zu malen. Diese Version von Gustave Courbets Mädchen am Seineufer (1856-1857) ist ein Beispiel dafür. Auf dem Salon von 1857 ausgestellt, verursachte das Originalgemälde einen Skandal, da das Bild die traditionelle Darstellung von Frauen in einer Landschaft tradierte sowie eine erotische Konnotation implizierte. Picasso überarbeitete Courbets Gemälde in seinem eigenen Stil, wobei er die beiden Frauen in zahlreichen, klar umrissenen Flächen mit kräftigen Farben darstellte.

Frau mit Hund spielend, Blauer Hintergrund, 1953. Öl auf Tafel, 81 x 100 cm. Privatsammlung

In den 1950er Jahren malte Picasso viele Szenen, die mit dem häuslichen Leben zu tun hatten (vgl. auch S. * und S. **). Dies sind Szenen, die auf ein Gefühl der Freude verweisen. In diesem Gemälde spielt eine Frau (Françoise Gilot) mit einem Hund in einer Collage ähnlichen Komposition. Dieses farbenfrohe Gemälde spielt mit der kreativen Verformung des menschlichen Körpers auf der Suche nach einer größeren Ausdruckskraft, was Picasso bereits seit den 1930er Jahren darstellte. Ein weiteres Detail in diesem Bild ist eine von Picassos Inspirationsquellen, die weniger Aufmerksamkeit erhalten hat als andere: Der Hundekopf ähnelt deutlich Motiven der mittelalterlichen Kunst, genauer gesagt, der romanischen Wandmalerei aus Katalonien, die Picasso bewunderte.

Porträt von Sylvette David in einem grünen Sessel, 1954. Öl auf Leinwand, 81 x 65 cm. Privatsammlung

Als Picasso 1954 Sylvette David traf, war er sofort von ihrer physischen Erscheinung fasziniert. Diese wurde zu einer Obsession für ihn und nachdem sie zugestimmt hatte, für ihn zu posieren, fertigte er vierzig Porträts von ihr innerhalb von drei Monaten an. Im Gegensatz zu anderen Frauen, die Picasso im Laufe seiner Karriere porträtierte, scheint er nur die formalen Aspekte von Sylvettes Charakter erkunden zu wollen, ganz ohne emotionale Bindung. Er malte sie in allen Formen und Stilrichtungen, von naturalistisch bis nahezu abstrakt. Dieses spezifische Gemälde ist eines der repräsentativsten Bilder der jungen Frau, die mit ihrem großen Pferdeschwanz im Profil dargestellt ist. Picassos Bilder von Sylvette erwiesen sich auch für die Modewelt als Inspirationsquelle. Die Schauspielerin Brigitte Bardot färbte bekanntlich ihr Haar blond und machte sich den gleichen Pferdeschwanz wie Sylvette, sodass dieser zu einer beliebten Frisur bei Frauen jener Zeit wurde.

Die Frauen von Algier, nach Delacroix, 1955. Öl auf Leinwand, 114 x 146 cm. Privatsammlung

Dies ist eine Reflexion Picassos auf die Arbeiten von Eugène Delacroix. Zwischen 1954 und 1955 schuf er fünfzehn Gemälde und zwei Lithografien, die auf den Frauen von Algier des großen Malers der Romantik basieren. Das Licht und die Farbe von Algier war eine große Inspirationsquelle für Delacroix und Picasso erforschte während seiner verschiedenen Hommagen die unterschiedlichen chromatischen Möglichkeiten. Dieses im Jahr 1955 gemalte Beispiel beruht auf einem sehr farbenfrohen Zugang zur Thematik. Das Licht Nordafrikas, das als Kulisse für die hoch erotisierten Frauenfiguren dient, wird in einer Vielzahl von starken, reinen Farben wiedergegeben.

Las Meninas, nach Velázquez, 1957. Öl auf Leinwand, 194 x 260 cm. Museu Picasso, Barcelona

Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit den alten Meistern, eines von Picassos ehrgeizigsten Unternehmungen, widmete er sich auch einer Neuinterpretation von Las Meninas, dem Meisterwerk von Diego Velázquez aus dem Jahr 1656. Picasso malte mehr als vierzig Versionen dieses Gemäldes. Dieses ist die erste und getreueste Nachahmung von Velázquez‘ Werk – trotz der offensichtlichen Unterschiede wie im Format und in der Farbgebung. Es gibt jedoch eine wesentliche Tatsache, die es zu einer erkennbaren Version von Las Meninas macht: Es handelt sich in beiden Bildern um die gleichen Figuren in den selben Positionen. Obwohl die Bedeutung des Gemäldes ein Geheimnis in vielen Aspekten bleibt, ist Velázquez’ Las Meninas eines der größten Meisterwerke der Kunstgeschichte. In dieser Hommage an den spanischen Meister ehrt ihn Picasso dadurch, dass er das Selbstporträt von Velazquez in verdoppelter Größe darstellt und zwei statt einer Farbpalette in Velázquez‘ Händen platziert.

Der Schatten, 1953. Öl und Zeichenkohle auf Leinwand, 129,5 x 95,5 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Dieses großartige Gemälde zeigt, wie eine vereinfachte Darstellung in vielen Fällen ein intensiveres Gefühl als eine naturalistische Abbildung der Wirklichkeit vermitteln kann. Dabei ist Picassos Einsatz von Farbe entscheidend. Der Kontrast von Licht und Schatten intensiviert sich durch ein übertriebenes Nebeneinander von Farbtönen, die perfekt die Wirkung der hellen Lichterflut, die den dunklen Raum durchdringt, widerspiegeln. Thematisch ist ein eindringliches Gefühl von Bedrohung in dieser Aktdarstellung vorhanden, die den Voyeurismus Picassos veranschaulicht.

Vor dem Garten, 1953. Öl auf Leinwand, 130,8 x 97,5 cm. Privatsammlung

Dies ist ein Werk von großer dekorativer Manier. Hier zeigt Picasso auf, wie schwierig es ist, „wie ein Kind“ zu malen, um es in seinen eigenen Worten auszudrücken. Diese Szene vereint Formen- und Farbenreichtum mit einem Gefühl der Ruhe, bewirkt durch das Kind im Hintergrund. Die verschiedenen Elemente, aus denen dieses Gemälde besteht, scheinen auf die Oberfläche der Leinwand wie einzelne Papierstücke aufgeklebt zu sein. Diese Art der Herstellung von Gemälden stammt aus dem synthetischen Kubismus und ähnelt in ihrem scheinbaren Mangel an Bemühung und in der Tatsache, dass sie in einem Zustand der reinen kreativen Freude entstanden ist, den besten Werken von Picassos papiers collés.

Zeichnende Kinder, 1954. Öl auf Leinwand, 91,8 x 73 cm. Privatsammlung

Der Verweis auf den synthetischen Kubismus ist deutlich in Gemälden wie diesem erkennbar. Die Kühnheit dieser Innovation ist über die Jahre immer ausgeklügelter geworden. Die Farbe wird hier als ein Stilmittel verwendet und lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die zentralen Figuren im Bild. Picasso hebt seine Kinder mit Hilfe von zwei Farben, die sich vom Hintergrund abgrenzen, hervor. Dieser reine Farbkontrast geschieht nicht auf eine gewalttätige Art und Weise, sondern mit der gleichen Ruhe, die über der gesamten Szene liegt.

Die Vauvenargues-Anrichte, 1959-1960. Öl auf Leinwand, 195 x 280 cm. Musée Picasso Paris, Paris

Im Jahr 1958 kaufte Picasso das Château de Vauvenargues und zog mit Jacqueline Roque, die er 1961 heiratete, ein. Das Schloss befindet sich in der Nähe von Aix-en-Provence im Schatten des Mont Sainte-Victoire, dem Berg, der eines der wichtigsten Sujets für Paul Cézanne war. Obwohl Picasso dort nur für eine vergleichsweise kurze Zeit lebte, war sein Lebensabschnitt in Vauvenargues ein sehr produktiver. In diesem Bild befinden sich ein Kind und ein Hund neben dem Mobiliar des Schlosses. Sonderbar ist, dass eines der Hauptthemen Picassos jenes kurzen Zeitraums die Darstellung von Kindern ist, obwohl er und Jacqueline nie gemeinsamen Nachwuchs hatten.