Kapitel 8: Die optimale Performance im Kopf

Unmittelbar vor dem Wettkampf nutzen viele Sportler das mentale Training, um sich auf die bevorstehende Situation einzustimmen: Sie stellen sich das eigene optimale Verhalten in der bevorstehenden Wettkampfsituation vor. Das ist vielen Zuschauern aus der Fernsehberichterstattung von Großereignissen bekannt. Man sieht dann, wie Skifahrer den gesteckten Lauf in der Vorstellung durchgehen oder Rodler sich die Fahrt durch die Bahn vorab vorstellen. Auch Fußballer und Eishockeyspieler stimmen sich durch mentales Training auf den bevorstehenden Wettkampf ein.

Denn mentales Training hat sich in vielen Sportarten als wesentliches Element der Wettkampfvorbereitung etabliert und gehört wie selbstverständlich zum Ritual, das vor einem Wettkampf akribisch eingehalten und durchgeführt wird.

In Kapitel 5 war bereits die Rede davon, wie Sportler in der längerfristigen Vorbereitung mentales Training nutzen, um den Lern- und Automatisierungsprozess wirksamer zu gestalten und zu beschleunigen. Jetzt, in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung, wird das mentale Training allerdings nicht mehr zur Lernoptimierung genutzt, sondern ganz gezielt zur Leistungsoptimierung. Es geht darum, den positiven Effekt des mentalen Trainings auf die wettkampfbezogene Überzeugung von der eigenen Kompetenz zu nutzen.

Dass die Kompetenzüberzeugung von Situation zu Situation unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann und dass die situationsspezifische Überzeugung der eigenen Kompetenz unter Umständen bei jedem Wettkampf neu aufgebaut werden muss, haben wir bereits im dritten Kapitel festgestellt. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass eine solche Überzeugung sich automatisch einstellen wird; in den meisten Fällen muss sie willentlich, das heißt mit bewusstem, langsamem Denken, aufgebaut werden.

Neben persönlich erlebten Erfolgen ist auch die stellvertretende Erfahrung eine effektive Möglichkeit zum Aufbau von Kompetenzüberzeugung. Stellvertretende Erfahrung bedeutet, dass man andere Menschen bei der Bewältigung der Anforderungssituation beobachtet. Ist die beobachtete Person dabei erfolgreich, kann dies zu der Erwartung führen, dass man selbst in dieser Anforderungssituation ebenfalls erfolgreich handeln könnte. Es werden also aus sozialen Vergleichsprozessen Schlussfolgerungen auf die eigene Kompetenz gezogen.

Dies hat allerdings nur dann den gewünschten Effekt, wenn es eine gewisse Entsprechung zwischen Vorbild und Beobachter gibt. Wenn man selbst groß und schwer ist, führt das Beobachten einer kleinen und leichten Person bei der Riesenfelge am Reck nicht zu einer positiven Überzeugung der eigenen Kompetenz beim Riesenfelgenturnen. Vielmehr begünstigen ähnliche körperliche Gegebenheiten (wie Größe und Statur) von Beobachter und Modell ein ähnliches Können und ähnliche Vorerfahrungen den Effekt der stellvertretenden Erfahrung.

Die stellvertretende Erfahrung kann aber auch in der eigenen Vorstellung ablaufen, nämlich beim mentalen Training. Dann stellt man sich intensiv vor, wie man selbst die bevorstehende Anforderung erfolgreich bewältigt.

Die leistungssteigernde Wirkung des mentalen Trainings erklärt sich mit dessen Einfluss auf die Kompetenzüberzeugung.

Schon vielfach konnten Studien zeigen, dass mentales Training zu einer gesteigerten Kompetenzüberzeugung führt.110 Es handelte sich dabei um Interventionsstudien, bei denen die wettkampfbezogene Kompetenzüberzeugung gemessen wurde. Sportler, die unmittelbar vor dem Wettkampf mental trainierten, gingen den Wettkampf mit einer höheren Kompetenzüberzeugung an als eine Kontrollgruppe.111 Zudem gaben bei Befragungen zur Wettkampfvorbereitung erfolgreiche Sportler im Gegensatz zu weniger erfolgreichen an, in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung gezielt mentales Training einzusetzen.112

Warum wirkt sich mentales Training denn so positiv auf die Wettkampfleistung aus? Weil bei der mentalen Vorstellung erfolgreichen Handelns, was die Kompetenzüberzeugung betrifft, ganz ähnliche biochemische Prozesse ablaufen wie beim tatsächlichen erfolgreichen Handeln. Wir hatten bereits festgestellt, dass bei erfolgreichem Handeln die Dopaminausschüttung für die Aktualisierung der positiven internen Prognose verantwortlich ist.113 Und eine optimistischere interne Prognose resultiert in einer gesteigerten Überzeugung der eigenen Kompetenz. Einige Studien konnten zeigen, dass auch beim Vorstellen des eigenen erfolgreichen Handelns in einer sportlichen Aufgabe das Belohnungssystem aktiviert wird.114

An dieser Stelle wird aber auch deutlich, dass sich mentales Training in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung vom Einsatz des mentalen Trainings zur Lernoptimierung in der Vorbereitungsphase unterscheidet. Denn jetzt, unmittelbar bevor es losgeht, wird sehr viel spezifischer mental trainiert. Konkret geht es jetzt darum, die Parameter der aktuellen Situation in die mentale Vorstellung zu integrieren.

Dies betrifft insbesondere folgende Punkte:

Zudem ist wichtig, dass man sich beim mentalen Training in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung sehr viel mehr positive emotionale Inhalte vorstellt. Es geht jetzt, wenn’s drauf ankommt, nicht nur um das lebhafte Nachvollziehen der Bewegungsabläufe, sondern man muss sich obendrein noch das erfolgreiche Handeln und die entsprechende emotionale Färbung vorstellen. Ganz wichtig also: Wie fühlt sich erfolgreiches Handeln an? Man spricht hier auch von einer motivationalen Wirkung des mentalen Trainings.115

Zu unterscheiden ist dabei zwischen einer

Allgemein gilt: Je näher der Moment rückt, in dem es drauf ankommt, desto spezifischer sollte das mentale Training an die bevorstehende Situation angepasst sein. Auch wissenschaftliche Studien bestätigen: Das Vorstellen von allgemeiner Erfolgszuversicht allein hat keinen wirksamen Einfluss auf die situationsspezifische Kompetenzüberzeugung. Die Vorstellungsinhalte müssen einen hohen Bezug zum Kontext der aktuell bestehenden Aufgabe aufweisen.116 Der Sportler bringt sich durch eine passende Vorstellung in die notwendige psychophysiologische Verfassung, die gleich im Wettkampf erforderlich ist.

Auch im Alltag kann mentales Training unmittelbar vor der Anforderungssituation sinnvoll eingesetzt werden, um eine situationsspezifische Kompetenzüberzeugung aufzubauen. In den Momenten, bevor es losgeht, findet sich nahezu überall noch die Möglichkeit, sich das eigene erfolgreiche Handeln nochmals vor Augen zu führen. Es empfiehlt sich, wenn möglich, den Ort und die situativen Gegebenheiten der kommenden Leistungsanforderung vorab zu besichtigen, um die eigene Vorstellung mit aktuellen Parametern anzureichern.

Das mentale Training hilft, dass man sich souverän und gut vorbereitet fühlt und so mit einer positiv-optimistischen Haltung in die entscheidende Situation hineingeht. Diese Wirkungsweise des mentalen Trainings wird auch als Leistungspriming bezeichnet.117 Der Begriff »Priming« (dt. Bahnung) bezeichnet die Beeinflussung der bewussten Verarbeitung und Interpretation eines Reizes durch einen vorangegangenen Reiz, der unterbewusste Assoziationen im schnellen Denken aktiviert hat.118 Die so aktivierten Assoziationen beruhen auf Vorerfahrungen mit der eintreffenden Information und geschehen größtenteils unterbewusst. Ein bahnender Reiz löst also aufgrund von Lernerfahrungen gewisse Assoziationen aus, und diese beeinflussen im Anschluss die Interpretation späterer Reize.

Die Wirkungsweise der Bahnung erklärt sich am besten am Beispiel des bekannten Bargh-Experiments,119 bei dem Bahnungseffekte von sprachlichen Aufgaben auf das Verhalten untersucht wurden. In einer ersten Aufgabe sollten die Versuchspersonen aus vorgegebenen Wörtern Sätze bilden. Anschließend wurden sie für eine angebliche zweite Aufgabe in einen anderen Raum am Ende des Korridors gebeten. Tatsächlich war jedoch die Zeit von Interesse, die die Versuchspersonen für den Gang über den Korridor benötigten. Für die erste Aufgabe erhielt die eine Hälfte der Versuchspersonen, die Experimentalgruppe, Wortlisten mit Begriffen wie »Glatze«, »grau« oder »Falte«. Also alles Begriffe, die mit alten Menschen assoziiert sind. Tatsächlich führte die Aktivierung dieser Assoziation dazu, dass die Experimentalgruppe deutlich langsamer den Gang entlangging als die Kontrollgruppe. Das heißt, allein schon die Beschäftigung mit bestimmten Wörtern beeinflusste das Verhalten der Probanden, ohne dass diese davon etwas bemerkten.

Bahnung kann sich demnach positiv oder negativ auf das gewünschte Verhalten auswirken und zudem passende oder unangemessene emotionale Zustände hervorrufen. Insofern ist es wichtig, das mentale Training wie oben beschrieben so einzusetzen, dass die Vorstellungsinhalte die aktuell erforderliche Handlung unterstützen und eine erwünschte Emotionalität erzeugen.

Mithilfe von mentalem Training gilt es, das jetzt geforderte Verhalten an die aktuell vorliegenden Gegebenheiten anzupassen. Zudem werden neben den aktualisierten Bewegungs- und Handlungsabläufen auch die emotionalen Inhalte des erfolgreichen Handelns nachvollzogen.