1940 |
1941 |
1942 |
1943 |
1944 |
1945 |
|
Landwirtschaft |
49,3 |
36,9 |
24,3 |
25,5 |
31,3 |
36,1 |
Industrie |
13,9 |
12,8 |
8,8 |
9,1 |
10,3 |
11,7 |
Verteidigungsindustrie |
1,6 |
1,8 |
2,4 |
2,6 |
2,8 |
2,2 |
Zivile Industrie |
12,4 |
11,0 |
6,4 |
6,5 |
7,5 |
9,5 |
Bauwesen |
2,6 |
2,5 |
1,8 |
1,7 |
2,1 |
2,3 |
Transportwesen |
4,0 |
3,5 |
2,4 |
2,4 |
3,0 |
3,6 |
Handel, Gastronomie |
3,3 |
2,8 |
1,7 |
1,7 |
2,1 |
2,5 |
Zivilbeamte |
9,1 |
7,7 |
4,8 |
5,1 |
6,5 |
7,7 |
Bewaffnete Organe |
5,0 |
7,1 |
11,3 |
11,9 |
12,2 |
12,1 |
Armee, Marine |
4,7 |
6,7 |
10,8 |
11,4 |
11,7 |
11,6 |
NKVD |
0,4 |
0,4 |
0,5 |
0,5 |
0,5 |
0,5 |
Beschäftigte gesamt |
87,2 |
73,4 |
55,1 |
57,5 |
67,4 |
76,0 |
Quelle: Davies, Harrison, Wheatcroft, Transformation, 322
Aus dieser Grundtatsache ergaben sich auch andere Verschiebungen. Zum einen veränderte sich die Altersstruktur. Da die Männer, soweit sie nicht als unabkömmlich galten, zu den Waffen gerufen wurden, rückten Jugendliche und Alte nach. Der Anteil der unter 18-Jährigen industriell Beschäftigten stieg von ca. 6 % im Jahre 1940 auf 15 % 1942. Entsprechend sank die Quote der 18–49-Jährigen von 85 % auf 73 %. Allerdings fiel der Wandel vielfach deutlicher aus, als die Durchschnittszahlen anzeigen. In Schlüsselindustrien wie dem Maschinenbau und anderen Bereichen der Rüstungsproduktion stellten die 18–25-Jährigen bis zu 55 % der genannten größeren Gruppe. Nach 1942 scheint das Generationenverhältnis in der Arbeiterschaft einigermaßen stabil geblieben zu sein. Die hohen Verluste der Armee wurden überwiegend auf Kosten der Dörfer ausgeglichen. Vor allem die Metallindustrie blieb verschont. Deren Erzeugnisse waren zu kriegswichtig, als dass man sie hätte lähmen wollen.[3]
Noch auffälliger war die Veränderung der Geschlechterstruktur. Wo die Männer die Drehbank mit dem Gewehr vertauschten, mussten Frauen sie ersetzen. Sowjetischen Angaben zufolge stieg ihr Anteil an allen Arbeitern und Angestellten von 38,4 % im Vorkriegsjahr auf 57,4 % 1944. Im Bauwesen war fast ein Drittel der Beschäftigten weiblich. Im Maschinenbau stellten Frauen 1942 knapp 40 % der Arbeitskräfte und in der Landwirtschaft ein Jahr später über 60 %. Auch dieser Vorgang war nicht neu, sondern hatte bereits zu den kennzeichnenden Merkmalen der Stalinschen Brachialindustrialisierung gehört. Aber er beschleunigte sich nun sprunghaft und trug insbesondere dazu bei, den Frauen auch bei körperlich schweren Arbeiten zu einer ambivalenten Sichtbarkeit zu verhelfen. Die sowjetische historische Literatur und politische Rhetorik quollen über von Lobeshymnen auf die Heldenleistungen der Sowjetfrauen im «Großen Vaterländischen Krieg». Nur wenige Stereotypen des offiziösen Geschichtsbildes waren so fundiert wie diese.[4]
Weniger genau lassen sich andere Strukturveränderungen aufzeigen. Zum einen wirkte sich die Fluktuation der Arbeitskräfte auf ihre Erfahrung am Arbeitsplatz und ihre Qualifikation aus. Dabei war der Zustrom in die Rüstungsindustrie besonders groß. Anfang 1943 konnten 60–70 % aller Arbeiter in Leningrad nur auf eine Tätigkeit von sechs Monaten bis zwei Jahren am Ort verweisen, bei Kriegsende die meisten höchstens auf drei, viele nur auf ein Jahr. In den Gruben des Kuzbass hatte nur ein Viertel der Beschäftigten schon vor dem Kriege Kohle gehauen. Die meisten Neulinge stammten, wie eh und je in Russland, vom Dorf, obwohl auch die ländlichen Reserven zur Neige gingen. Von 1942 bis 1944 rekrutierte das zentrale Staatskomitee für die Zuweisung von Arbeitskräften ca. drei Millionen frische Arbeitskräfte für Industrie, Transport und Bauwesen; davon kamen 49, 6 % aus den Städten und 50,4 % vom Land. Der Anteil der Letzteren stieg dabei deutlich an, von 23 % 1942 auf 62 % 1944.[5]
Zu erwähnen ist schließlich eine Strukturveränderung, der nicht der Krieg als solcher, sondern sein spezifischer Charakter einen starken Impuls gab: die regionale Umverteilung der Arbeiterschaft. Sie ergab sich zum einen aus der lebensrettenden Evakuierung der Industrie, zum anderen aus der Massenflucht, durch die sich vor allem die Bewohner Weiß- und Südwestrusslands – darunter nicht wenige Juden – vor den deutschen Truppen und den nachfolgenden Erschießungskommandos zu retten suchten. Wanderungsrichtung konnte angesichts des Frontverlaufs nur der Osten sein. An der unteren Wolga zwischen Kujbyšev (Samara) und Stalingrad stieg die Zahl der Arbeiter und Angestellten gegenüber 1940 um 16 %, die der industriell Beschäftigten sogar um 65 %. Im mittleren Ural um Perm’, Sverdlovsk und Čeljabinsk erhöhten sich die entsprechenden Anteile sogar um 36 % bzw. 65 %, in Westsibirien (Kuzbass) um 23 % bzw. 71 %. Und auch in Kazachstan und Uzbekistan schlugen analoge Folgen der Migration zu Buche. In der Summe befanden sich 1943 bereits 7,5 % aller «industriellen Arbeiter und Angestellten» im unteren Wolgagebiet (im Vergleich zu 3 % 1940), 20,5 % im Ural (8,5 % 1940), 9 % in Westsibirien (4 % 1940) und 8 % in Kazachstan und Mittelasien (3,5 % 1940). Auch wenn sich viele Menschen gegen Kriegsende zur Rückkehr entschlossen, hatte das neue Verteilungsmuster grundsätzlich Bestand. Zentralrussland blieb Haupt und Hirn auch des sowjetischen Wirtschaftskörpers, aber es büßte an vitaler Bedeutung ein. Vor allem in dieser Hinsicht verfestigte der Krieg, was der zentral gelenkte und mit allen Mitteln forcierte Aufbau der Schwerindustrie seit 1928 eingeleitet hatte: Die Menschen folgten den neu entdeckten oder mit neuer Bedeutung versehenen Rohstoffen. In mancher Hinsicht wurden der Osten und der Südosten erst in der Not des Krieges wirklich erschlossen.[6]
Auch die Entwicklung der Löhne und der Lebensverhältnisse zeigte manche Parallelen zu Erfahrungen des Ersten Weltkriegs. Einige Grundtendenzen ergaben sich aus analogen Erfordernissen der äußeren Verteidigung und der inneren Konzentration aller Kräfte auf diesen Zweck. So nahm die Differenzierung der Bezahlung der Arbeitskraft auch im Zweiten Weltkrieg zu. Leistung erhielt eine noch höhere Priorität als zuvor; «kleinbürgerlicher Gleichmacherei» wurde erneut der Kampf angesagt. Zugleich bemühte sich die Regierung aber, den Lohnzuwachs in Grenzen zu halten. Schon um die Inflation nicht weiter anzuheizen, galt im Grundsatz, dass bei gleichem Lohn mehr gearbeitet werden sollte. Dies ließ sich freilich nur schwer erreichen. Konzessionen waren vor allem dort unausweichlich, wo die Selbstbehauptung unmittelbar auf dem Spiel stand. Man brauchte viele und qualifizierte Arbeitskräfte, konnte und wollte sie aber nicht primär durch materielle Anreize gewinnen. Das Ergebnis war eine Mischung aus Repression und Prämierung, das in enger Verbindung zur Bedrohung des Landes stand und deshalb als typisch gelten darf. Anders als die zuvor genannten Merkmale markierte sie einen qualitativen Unterschied zum Ersten Weltkrieg, da der Autokratie seinerzeit kaum noch wirksame Disziplinierungsmittel zur Verfügung standen. Zur selben Zeit enthielt sie wesentliche Elemente der Kontinuität, insofern als es das Stalin-Regime auch zu Friedenszeiten vorzog, den enormen Bedarf an tätigen Händen durch ‹außerökonomischen› Zwang zu decken.
Dem bloßen Nennwert nach zu urteilen, profitierten die Arbeiter und Angestellten demnach wenigstens materiell von der Tatsache, dass man sie dringender brauchte als zuvor. So stieg ihr Durchschnittslohn in den wichtigsten Zweigen der Volkswirtschaft von 330 Rubel 1940 auf 434 Rubel 1945 (vgl. Tabelle 30). Wenn man nur die Industriearbeiter berücksichtigt, betrug der entsprechende Wert für 1940.375 R., 1944 aber 573 R. Freilich unterschlägt der Mittelwert die charakteristischen Abweichungen: Deutlich höhere Löhne wurden in der Kohle- (729 Rubel 1944 für Arbeiter) und der Schwerindustrie (697 Rubel 1944) gezahlt. Auch die Eisenbahner und andere Transportarbeiter konnten sich über ungewöhnliche Zugewinne freuen. Dem entsprach in gewisser Weise die ungleiche regionale Verteilung des Anstiegs. Während die industriellen Monatslöhne zwischen 1940 und 1944 insgesamt um 42 % wuchsen, erhöhten sich die Verdienste an der Wolga und im vorderen Sibirien um 79 % und im Ural um 65 %. Hinzu kam eine verstärkte vertikale Differenzierung. Die Lohnskala wurde erweitert, die Spanne zwischen der höchsten und der niedrigsten Bezahlung wuchs. Dies geschah im Wesentlichen im Interesse der «Spezialisten», die zu noch höheren Ehren kamen als ohnehin schon. Um zugleich das Lohngefüge nicht völlig durcheinanderzubringen, bediente man sich vor allem des Instruments der Prämien. Zwischen 1940 und 1944 erhöhte sich der Anteil solcher außerordentlichen Leistungen am Gesamtlohn von 4,5 % auf 8 %, bei den Technikern und Ingenieuren sogar von 11 % auf 28 %. Zugleich wuchs die Distanz zwischen Durchschnitts- und Spitzenlöhnen von ca. 100 % bei Kriegsbeginn auf 200 %, nach anderen Schätzungen sogar auf 300 % bei Kriegsende. Von selbst versteht sich, dass auch diese zusätzlichen Stimuli im Wesentlichen den Facharbeitern und Experten der Schwer- und Rüstungsindustrie zugute kamen. Dagegen fielen die Zuwächse in allen Branchen der Leichtindustrie deutlich niedriger aus. Die Schere zwischen Ersterer einschließlich der Rohstoff- und Energiegewinnung und Letzterer öffnete sich weiter – auch dies noch ein Erbe aus der Vorkriegszeit.[7]