Demnach verringerte sich das Nettoeinkommen nichtlandwirtschaftlicher Lohnempfänger nach Abzug ihrer Abgaben, aber unter Einschluss von Zulagen zwischen 1928 (= 100) und 1940 auf knapp die Hälfte (57), bis 1948 auf weniger als die Hälfte (46), um danach bis 1952 auf knapp drei Viertel (72) und bis zum Beginn der neuen Ära nach Stalins Tod wieder nahe an das Ausgangsniveau heranzukommen (1954 = 88). Bei Nichtberücksichtigung der Zulagen überschritt der Index für das Nettoeinkommen bereits 1952 den Wert von 1928 wieder (102). Nicht nur im Licht der erwähnten Versorgungsmängel kann man dieses Ergebnis auch anders lesen: Erst im Todesjahr Stalins wurde die Kaufkraft des Vorjahres der von ihm eingeleiteten ‹Revolution von oben› wieder erreicht. Selbst wenn die Güter, die man eventuell kaufen oder mieten konnte, qualitativ besser waren (was sich kaum prüfen lassen wird), hatten mindestens zwei Generationen einen hohen Preis gezahlt. Sicher trugen die Verwüstungen, die der unprovozierte deutsche Überfall hinterließ, ganz erheblich dazu bei. Aber selbst wenn der Krieg die Wertschöpfung zweier Fünfjahrespläne vernichtete, blieb auch unter rein monetären Gesichtspunkten ein beträchtlicher Rest, der auf das Konto des Stalinschen Industrialisierungswahns ging.[9]

Da die Masse der Soldaten noch immer vom Dorf kam, wirkte sich die Demobilisierung vor allem hier aus: Sie bildete die unerlässliche Voraussetzung für die demographische Normalisierung in der Bauernschaft. Mit der Verkleinerung der Armee auf Friedensstärke konnten die vielen Millionen zwangsrekrutierter junger Männer wieder auf die Felder zurückkehren, die im Krieg ohne sie hatten bestellt werden müssen. Das Verhältnis zwischen den Altersgruppen und Geschlechtern begann sich wieder auf den Vorkriegsstand zuzubewegen. Allerdings stellte sich die natürliche Balance zum Teil nur langsam und unvollständig wieder her. Die auffälligste Entwicklung lag auch am nächsten: Der Anteil der arbeitsfähigen Männer nahm von 27,2 % 1945 auf 35,1 % 1950 merklich zu. Zugleich verringerten sich (absolut und relativ) die Zahl der Kinder unter 12 Jahren und der Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren.

Damit sind allerdings die klaren Veränderungen auch schon benannt. Nicht weniger Beachtung verdienen diejenigen Vorgänge, die eigentlich zu erwarten waren, aber nicht stattfanden. So nahm der Anteil der Alten (Frauen über 55 Jahre, Männer über 60) nicht proportional zur Rückkehr der Arbeitsfähigen ab, sondern stieg sogar leicht an. Dieser überraschende Befund verweist zum einen auf anhaltende demographische Schäden des Krieges, der vor allem die junge und mittlere Generation traf. Zum anderen wird man die Verbesserung der medizinischen und hygienischen Versorgung zu bedenken haben, die auch in der UdSSR zur allmählichen Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer führte. Darüber hinaus aber schlugen sozioökonomische Faktoren im engeren Sinne zu Buche. Nicht alle entlassenen Soldaten kehrten auf ihre Äcker zurück, und nicht wenige verließen sie im Zuge des Wiederaufbaus in der vierten Planperiode wieder. Der langsame Wandel der inneren demographischen Struktur der Dorfbewohner zeigt damit eine bemerkenswerte allgemeine Entwicklung an. Unter Ausklammerung der Annexionen im Gefolge des Hitler-Stalin-Paktes (der ehemaligen baltischen Republiken, Bessarabiens nördlich des Pruth, Weißrusslands und der westlichen Ukraine) vermitteln die quantitativen Angaben ein klares Bild: Die Anzahl der Kolchosbevölkerung ging von 75,8 Mio. 1940 auf 63,9 Mio. 1946 und 62,3 Mio. 1950 zurück. Auf dem Territorium von 1939 verließen damit selbst oder gerade 1948–50, als es aufwärts zu gehen begann, durchschnittlich 1,5 Mio. Menschen pro Jahr das Dorf.[10]

Die Ursachen lassen sich nicht im Einzelnen bestimmen. Statistische Korrelationen weisen jedoch darauf hin, dass ökonomisch-finanzielle Motive – wie in analogen, früheren Prozessen in und außerhalb der Sowjetunion auch – eine prominente Rolle spielten. So ergibt sich aus dem Vergleich der Migrationsdaten mit einer regionalen Aufschlüsselung des ausgezahlten naturalen und monetären Lohns der Kolchosbauern in Zentralrussland, dass die Landflucht im Maße der Ertragsabnahme stieg. Wo die Kollektivwirtschaften am wenigsten auszahlten, war die Abwanderung am größten. Allerdings setzte sie voraus, dass es außerhalb der Landwirtschaft genügend Arbeit gab. Deshalb dürfte sich diese neue Spielart des otchod nicht in allen Regionen des Reiches gleichermaßen angeboten haben. Andererseits liegt auf der Hand, dass angesichts der gewaltigen Kriegsschäden und der Fortsetzung des ‹sozialistischen Aufbaus› mehr zu tun war als je zuvor. Dabei lockten nicht nur industrielle Tätigkeiten, sondern auch solche im Bau- und Transportwesen. Allein auf organisiertem Wege (der zunehmend durch die freie Rekrutierung seitens der Unternehmen ersetzt wurde) fanden im Laufe der vierten Planperiode ca. vier Millionen Menschen, davon etwa 60–85 % vom Dorf, in den genannten Bereichen eine Anstellung. Hinzu kam der Ortswechsel zum Zweck der Qualifikation. Im Maße der allgemeinen Erhöhung der Anforderungen sahen sich auch Dorfbewohner veranlasst, wenigstens die «unvollendete» Mittelschule zu besuchen oder zusätzliche praktische Fertigkeiten zu erwerben, wenn sie außerhalb des Kolchos arrivieren wollten. Diese Ausbildung war auf dem Dorfe nicht zu erhalten. Sicher floss auch die ‹Bildungsmigration› in den Rückgang des Anteils von Jugendlichen an der Dorfbevölkerung ein. Schließlich darf ein letzter Faktor nicht vergessen werden: Allen Lobpreisungen zum Trotz spricht wenig dafür, dass das Landleben attraktiver wurde. Selbst wenn Schulen, Kindergärten und Begegnungsstätten errichtet wurden, wenn Glühbirnen und Radios bis in die Dörfer vordrangen, blieb die Kluft zu den Städten groß. Wer besser leben und aufsteigen wollte, tat gut daran, Felder und Ställe zu verlassen. Auch darin war ein wesentliches Moment jener Kontinuität der sowjetischen Variante des sozioökonomischen Modernisierungsprozesses zu sehen, die der Krieg höchstens verlangsamte, aber nicht beendete.[11]

Letztlich konvergierten alle genannten Ursachen in einem fundamentalen Umstand: Der Kolchos blieb als wirtschaftlicher und sozialer Monopolverband des Dorfes bestehen. Austritte waren wie vor dem Krieg faktisch unmöglich; in den annektierten Gebieten sorgte staatlicher Druck dafür, dass die vorherrschenden Einzelbetriebe und Familienwirtschaften ebenso verschwanden wie in der alten Sowjetunion nach 1929. Weiterhin stand den Bauern als Freiraum für selbständiges Wirtschaften im Wesentlichen der eigene Hof zur Verfügung. Nach wie vor teilten die kolchozniki daher ihre Arbeitskraft in bezeichnender Weise ungleich zwischen Gemein- und Eigenwirtschaft auf: Trotz erneuerter ideologischer Kritik und flankierenden Gegenmaßnahmen gaben sie dem eigenen Land und der eigenen Viehzucht den Vorzug.

Statistische Angaben vermögen dies zu belegen. Als Erstes fällt auf, dass der durchschnittliche Arbeitseinsatz während der Kriegs- und Nachkriegsjahre erstaunlich konstant blieb. Von 1940 bis 1946 fiel die Zahl der jährlichen Tagewerke pro Kolchosarbeiter von 254 auf 239; danach stieg sie aber nur langsam und schwankend auf 251 am Ende des Planjahrfünfts (vgl. Tabelle 39). Auch wenn man den absoluten Rückgang der Kolchosbevölkerung einschließlich der Arbeitsfähigen bedenkt, wird man in dieser Kurve kein Indiz für größeres Engagement als vor dem Krieg erkennen können. Zu demselben Schluss geben auch die Daten über den Anteil derer Anlass, die das erforderliche Minimum nicht erreichten. Der entsprechende Wert fiel zwischen 1945 und 1950 nicht etwa, wie zu erwarten wäre, sondern stieg von 15,4 % auf 16,8 % sogar leicht an. Selbst wenn man objektiven Mangel an Arbeit (etwa infolge fortbestehender Zerstörungen) in Rechnung stellt, dürfte auch gegen Ende der ersten Wiederaufbauphase Desinteresse die primäre Ursache für diesen Befund geblieben sein.