1986 habe ich zum ersten Mal von Richard Feynman und Ralph Leighton gehört, und zwar durch ihr unterhaltsames Buch Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman! Dreizehn Jahre später habe ich Ralph auf einer Party getroffen. Wir wurden Freunde und während des nächsten Jahres arbeiteten wir zusammen an dem Entwurf für eine Fantasiebriefmarke zu Ehren Feynmans.1 Die ganze Zeit gab Ralph mir Bücher von oder über Feynman zu lesen, auch (da ich Programmierer bin) die Feynman Lectures on Computation2. Die Diskussionen von quantenmechanischen Berechnungen in diesem faszinierenden Buch haben mich gefesselt, aber ohne die Quantenmechanik gelernt zu haben, hatte ich Schwierigkeiten, der Argumentation zu folgen. Ralph empfahl mir, die Feynman-Vorlesungen über Physik, Band III: Quantenmechanik zu lesen. Ich fing damit an, aber die Kapitel 1 und 2 des dritten Bandes sind Wiederholungen der Kapitel 37 und 38 des ersten Bandes, und so war ich mehr damit beschäftigt, Querverweise aus dem ersten Band zurückzuverfolgen, als im dritten Band voranzukommen. Deshalb beschloss ich, alle Feynman-Vorlesungen von Anfang bis Ende zu lesen – ich wollte unbedingt etwas über Quantenmechanik lernen! Dieses Ziel wurde jedoch mit der Zeit, als ich immer tiefer in die faszinierende Welt Feynmans eindrang, zweitrangig. Die reine Freude am Lernen von physikalischen Zusammenhängen bekam für mich oberste Priorität. Ich war süchtig! Als ich etwa die Hälfte des ersten Bandes durchgelesen hatte, nahm ich eine Auszeit vom Programmieren und verbrachte sechs Monate in Costa Rica auf dem Land, um nur The Lectures zu lesen.
Jeden Nachmittag nahm ich mir eine neue Vorlesung vor und arbeitete an Physikaufgaben. Morgens wiederholte ich und las die Vorlesung vom Vortag Korrektur. Ich hatte mit Ralph E-Mail-Kontakt und er ermutigte mich, Fehler im Auge zu behalten, auf die ich im ersten Band gestoßen war. Das war keine große Belastung, weil es sehr wenige Fehler in dem Band gab. Als ich mich allerdings durch den zweiten und dritten Band durcharbeitete, war ich bestürzt, immer mehr Fehler zu finden. Am Ende hatte ich insgesamt über 170 Fehler in den Feynman-Vorlesungen zusammengetragen. Ralph und ich waren überrascht: Wie konnten so viele Fehler so lange übersehen werden? Wir beschlossen zu schauen, was wir tun konnten, um sie bis zur nächsten Auflage zu korrigieren.
Dann entdeckte ich einige interessante Sätze in Feynmans Vorwort:
„Der Grund, warum es keine Wiederholungsvorlesungen gibt, ist der, dass es Vortragsreihen gab. Obwohl ich drei Wiederholungsvorlesungen im ersten Jahr gehalten habe, sind sie hier nicht enthalten. Es gab auch eine Vorlesung über Trägheitsnavigation, die sicher hinter die Vorlesung über rotierende Systeme gehört, aber leider wurde sie weggelassen.“
Das brachte uns auf die Idee, die fehlenden Vorlesungen zusammenzustellen und sie, falls sie sich als interessant erweisen würden, Caltech3 und Addison-Wesley anzubieten, damit sie in eine vollständigere und korrigierte Ausgabe der Lectures aufgenommen werden konnten. Aber zunächst musste ich die fehlenden Vorlesungen finden, und ich war immer noch in Costa Rica! Mithilfe von etwas Spürsinn und einigen Nachforschungen konnte Ralph die Aufzeichnungen zu den Vorlesungen ausfindig machen. Sie waren zu einem früheren Zeitpunkt irgendwo zwischen dem Büro seines Vaters und den Caltech-Archiven weggeräumt worden. Ralph fand auch Tonbandaufzeichnungen der fehlenden Vorlesungen und während ich nach meiner Rückkehr nach Kalifornien das Fehlerverzeichnis in den Archiven recherchierte, entdeckte ich in einer Schachtel mit verschiedenen Negativen zufällig die (lange verloren geglaubten) Tafelfotos. Die Erben Feynmans erlaubten uns großzügigerweise, dieses Material zu verwenden, und so stellten Ralph und ich, begleitet von einigen kritischen Anmerkungen von Matt Sands, dem einzigen noch lebenden Mitglied des Feynman-Leighton-Sands-Trios, den Wiederholungskurs B als Muster zusammen und legten ihn mit dem Fehlerverzeichnis für die Feynman-Vorlesungen Caltech und Addison-Wesley vor.
Addison-Wesley war begeistert von unserer Idee, Caltech dagegen anfangs skeptisch. Deshalb wandte Ralph sich an Kip Thorne, den Richard-Feynman-Professor für Theoretische Physik am Caltech, der es schließlich schaffte, eine Übereinkunft zwischen allen Beteiligten zu erreichen, und sich dankenswerterweise zur Verfügung stellte, unsere Arbeit zu begutachten. Da Caltech aus historischen Gründen die drei existierenden Bände der Lectures nicht verändern wollte, schlug Ralph vor, die fehlenden Vorlesungen in einem separaten Buch zusammenzustellen. Das war die Geburtsstunde dieses zusätzlichen Bandes. Er wird parallel mit einer neuen Definitiven Edition der Feynman-Vorlesungen über Physik herausgebracht, in der die Fehler, die ich gefunden habe, sowie Fehler, auf die einige andere Leser aufmerksam geworden sind, korrigiert sind.
Bei unseren Bemühungen, die vier neu gefundenen Vorlesungen zusammenzutragen, taten sich für Ralph und mich viele Fragen auf. Wir empfanden es als Glücksfall, dass Professor Matt Sands, der Mann, dessen Idee es war, das ehrgeizige Projekt der Feynman-Vorlesungen über Physik in Angriff zu nehmen, uns Fragen beantworten konnte. Wir waren überrascht, dass die Geschichte ihrer Entstehung nicht allgemein bekannt war, und als Professor Sands erkannte, dass dieses Projekt eine Gelegenheit bot, dieses Defizit zu beseitigen, erklärte er sich freundlicherweise bereit, eine Erinnerung über die Ursprünge der Feynman Lectures für diesen zusätzlichen Band zu schreiben.
Von Matt Sands erführen wir, dass im Dezember 1961 gegen Ende des ersten Trimesters4 von Feynmans Einführungsvorlesung am Caltech entschieden wurde, dass es unfair sei, die Studenten so kurz vor der Abschlussprüfung noch mit neuem Stoff zu konfrontieren. Deshalb hielt Feynman in der Woche vor der Prüfung drei wahlfreie Wiederholungsvorlesungen, in denen kein neuer Stoff durchgenommen wurde. Die Wiederholungsvorlesungen waren für Studenten gedacht, die im Kurs Schwierigkeiten hatten, und Feynman legte besonderen Wert auf Techniken für das Verstehen und Lösen von Physikaufgaben. Einige der Beispielaufgaben waren von historischem Interesse, einschließlich der Entdeckung des Atomkerns durch Rutherford und der Bestimmung der Masse des Pions. Mit bezeichnendem Einfühlungsvermögen erörterte Feynman auch die Lösung für eine andere Art von Problem, das für mindestens die Hälfte der Studenten in seinem Anfängerkurs ebenso wichtig war, und zwar das emotionale Problem, sich unterhalb des Durchschnitts wiederzufinden.
Die vierte Vorlesung, Dynamik und ihre Anwendungen, wurde zu Beginn des zweiten Trimesters des Anfängerkurses gehalten, kurz nachdem die Studenten aus der Winterpause zurückgekehrt waren. Ursprünglich war sie als Vorlesung 21 konzipiert worden und der Gedanke, der dahinter steckte, war, eine Pause von der schwierigen theoretischen Erörterung von Drehbewegungen in Kapitel 18 bis einschließlich 20 zu machen und „just for fun“ den Studenten einige interessante, aus Drehbewegungen entstehende Anwendungen und Phänomene zu zeigen. Der größte Teil der Vorlesung war einer Diskussion über eine Technologie gewidmet, die 1962 relativ neu war, nämlich der praktischen Trägheitsnavigation. Der Rest der Vorlesung erörterte natürliche Phänomene, die sich aus Drehbewegungen ergeben, und bot außerdem einen Hinweis darauf, warum Feynman das Weglassen dieser Vorlesung in den Feynman-Vorlesungen über Physik als „unglücklich“ beschrieb.
Nach dem Ende einer Vorlesung ließ Feynman oft sein Mikrofon an. Dadurch hatten wir die einzigartige Möglichkeit, Zeuge zu sein, wie Feynman mit seinen Studenten kommunizierte. Das hier angeführte Beispiel, das nach Dynamik und ihre Anwendungen aufgenommen wurde, ist besonders beachtenswert wegen seiner Erörterung des beginnenden Übergangs in der Echtzeitberechnung von analogen zu digitalen Verfahren im Jahre 1962.
Im Laufe des Projektes nahm Ralph wieder Kontakt zu dem guten Freund und Kollegen seines Vaters, Rochus Vogt, auf, der liebenswürdigerweise seine Erlaubnis gab, Übungen und Lösungen aus den Exercises in Introductory Physics erneut zu veröffentlichen, jener Sammlung, die Robert Leighton und er speziell für die Lectures in den 1960er Jahren geschaffen hatten. Aus Platzgründen habe ich nur die Übungen für Band I, Kapitel 1 bis 20 (das Material, das vor Dynamische Effekte und ihre Anwendungen behandelt wird) ausgewählt und dabei vorzugsweise jene Aufgaben genommen, die, um Robert Leighton zu zitieren, „numerisch bzw. analytisch einfach, aber doch prägnant und inhaltlich aufschlussreich sind“.
Weitere Informationen zu diesem Band und den Feynman-Vorlesungen über Physik sind auf der (englischsprachigen) Website www.feynmanlectures.infozufinden.
Mike Gottlieb
Playa Tamarindo, Costa Rica