Interview mit Richard Feynman

Aus Interview mit Richard Feynman, geführt von Charles Weiner am 4. März 1966 in Altadena (Kalifornien). Mit freundlicher Genehmigung der Niels Bohr Library & Archives, American Institute of Physics, College Park, Maryland, USA.

Feynman: Die Feynman-Vorlesungen über Physik. Wollen Sie darüber reden?

Weiner: Ich denke, das wäre angebracht, denn die Vorlesungen waren eine Ihrer wichtigsten Aktivitäten in dieser Zeit.

Feynman: Ja. Es ist interessant, wenn ich heute darüber nachdenke, dass ich damals darüber geklagt habe, dass ich wegen der hohen Arbeitsbelastung durch die Vorlesungen überhaupt nicht zum Forschen kommen würde – ich muss verrückt gewesen sein! Die Leute haben mir inzwischen versichert, dass es ziemlich albern von mir ist zu meinen, ich hätte in diesen Jahren nichts getan, denn dieses Ding (die Feynman- Vorlesungen) ist etwas. Aber ich kann es immer noch nicht auf diese Weise betrachten, denn als junger Physiker verschreibt man sich einem Ideal – dass man etwas Neues in der Physik entdecken möchte – und wenn man dann etwas anderes tut, dann fällt es schwer sich vorzustellen, dass dieses Andere irgendwie erfüllend sein könnte – es war einfach so, dass ich Studenten unterrichtet habe.

Also, die Geschichte dieser Vorlesungen ist folgende. Es gab eine Diskussion innerhalb einer Gruppe, der ich angehörte. Es ging darum, ob man die Physikvorlesung neu organisieren sollte, da sich viele Studenten, die eigentlich ziemlich gut waren, darüber beklagten, dass alles, was sie nach ein, zwei Jahren Physikunterricht tun würden, Versuche mit geneigten Ebenen und Spannungsmessungen wären. An der High School hatten sie bereits so viel über Relativität, über seltsame Teilchen und die Wunder der Welt gehört, aber von all diesen Wundern bekamen sie nichts zu sehen, bis sie graduierte Studenten waren. Und das war ein Problem; also machte man sich daran, die Physikvorlesungen umzustrukturieren. Die Gruppe hatte bereits eine Art Plan dafür ausgearbeitet, und nun war die Frage: Wer soll die Vorlesungen halten? Ich weiß nicht, was genau sie miteinander besprochen hatten, aber wie auch immer – Sands kam zu mir und brachte mich dazu, den Kurs zu halten.

Allerdings verwarf ich den Vorlesungsplan. Wissen Sie, ich hatte beschlossen, den Kurs auf meine Art zu halten. Aber zumindest gab der Plan mir eine grundsätzliche Vorstellung davon, was an Stoff enthalten sein sollte. Sie wollten, dass ich einen Kurs für Studienanfänger halte. Sie wollten den Kurs umstrukturieren. Er hatte ursprünglich keinerlei Hauptvorlesungen, die durch einen Hauptvorlesenden gegeben wurden, sondern sie waren üblicherweise in Sektionen unterteilt, wobei graduierte Studenten in den einzelnen Sektionen unterrichteten. Das einzige Treffen, bei dem sie alle zusammenkamen war eine fakultative informelle Lehrveranstaltung, die nicht direkt mit dem Physikkurs zusammenhing, und die einmal in der Woche, immer freitags, oder auch jeden zweiten Freitag stattfand.

Weiner: Etwas Historisches, nehme ich an?

Feynman: Nun ja, das war unterschiedlich. Ich wurde oft eingeladen, um dort vorzutragen, und ich konnte über Relativität reden. Das war nicht Bestandteil ihres Kurses. Manchmal trug jemand über etwas vor, das unmittelbarer Bestandteil des Kurses war, aber es gab keine übergreifende Organisation.

Nun aber machten sie sich daran, alles neu zu ordnen. Sie bauten ein neues Labor, und sie dachten sich neue Versuche aus, die dort durchgeführt werden sollten. Sie entwarfen einen neuen Plan, nach dem es mindestens zwei Vorlesungen pro Woche geben sollte. Diese sollten von einem Hauptvorlesenden gehalten werden, und dann sollte es einige Übungsseminare geben, um die sich graduierte Studenten kümmern sollten. Mich fragten sie, ob ich die Vorlesungen halten könnte. Sie hatten Geld von der Ford Foundation für diese Umstrukturierung. Es war damals eine Menge Geld im Umlauf, um die Welt zu verändern.

Also sagte ich: okay. Ich nahm die Herausforderung an, für ein Jahr, und ich versuchte, den Kurs so aufzubauen, dass es zwei Vorlesungen pro Woche gab.

Weiner: Mussten Sie dazu nicht alle anderen Arbeiten liegenlassen, auch andere Lehrveranstaltungen?

Feynman: Ja, das war so. Ich kann es kaum glauben, aber meine Frau sagte mir, dass ich im Grunde genommen Tag und Nacht arbeitete, sechzehn Stunden am Tag, die ganze Zeit. Ich war die ganze Zeit über hier unten, machte mir Gedanken wegen dieser… arbeitete an diesen Vorlesungen, denn ich musste nicht nur das Material vorbereiten, sondern ich wollte den Kurs auch so aufbauen, dass es ein guter Kurs wird, wenn Sie verstehen, was ich meine.

Ich hatte die Idee oder vielmehr so etwas wie ein Prinzip, eine ganze Reihe von Prinzipien. Das erste Prinzip war, dass ich den Studenten nichts beibringen wollte, was ich später würde revidieren müssen, weil es falsch ist. Es sei denn, ich weise von vornherein darauf hin, dass es falsch ist. Wenn zum Beispiel die newtonschen Gesetze nur näherungsweise gelten und in der Quantenmechanik nicht gut sind, in der Relativitätstheorie auch nicht, dann sage ich den Studenten gleich am Anfang, dass es so ist. Dann wissen sie, wie sie die Dinge einzuordnen haben. Mit anderen Worten, es sollte immer eine Art Landkarte geben. Tatsächlich habe ich daran gedacht, eine große Landkarte zu zeichnen, in der alle Themen und die Beziehungen zwischen ihnen eingetragen sind. Dann könnten wir immer sehen, wo wir uns gerade befinden. Ich dachte, dass eines der Probleme bei all den früheren Physikvorlesungen darin bestand, dass einfach gesagt wurde: Lernen Sie dies, lernen Sie das, und wenn Sie mit allem fertig sind, werden Sie auch die Verbindungen verstehen. Aber es fehlt eine Karte, eine „Orientierungshilfe für die Verwirrten“, verstehen Sie? Also wollte ich eine solche Karte machen. Aber es zeigte sich, dass diese Idee nicht realisierbar ist. Jedenfalls habe ich nie eine solche Karte gemacht.

Eine andere Sache war die, dass ich in meinem Kurs ein paar Dinge unterbringen wollte, an denen ein guter Student ordentlich zu knabbern hat. Und gleichzeitig sollte der Stoff für die durchschnittlich begabten Leute verständlich sein. Also versuchte ich, mir einen Plan auszudenken.

Lassen Sie mich über die Prinzipien sprechen. Das erste war wie gesagt, dass ich niemals etwas einführen wollte, was nicht exakt richtig ist; jedenfalls nicht, ohne gleichzeitig zu erklären, was daran falsch ist und was später geändert werden muss. (Eine andere Sache war die, dass ich in Büchern nachschaute und mir eine große Schwachstelle bewusst wurde: beispielsweise wurde in ein und demselben Buch die Beziehung F = ma eingeführt, und ein paar Seiten später erfuhr man, dass die Reibungskraft die Reibungskonstante mal der Normalkraft ist – so als wären die beiden Gesetze vom gleichen Kaliber und hätten den gleichen Stellenwert. Dabei sind sie von ihrem Stellenwert her so verschieden, wie Sie wissen, und das wird überhaupt nicht deutlich.) Das war also das erste Prinzip.

Das zweite Prinzip war das folgende: es muss jederzeit klar sein, was auf der Basis des bisher Gesagten zu verstehen sein sollte und was nicht. Denn in Büchern erfahre ich alles auf einmal, zum Beispiel die Formel für die Frequenz in einem Wechselstromkreis. Es wird angenommen, das diese Beziehung ein tieferes Verständnis erfordert ist. Die Autoren können die Formel im Moment nicht herleiten, doch sie wollen dem Leser nicht sagen: „Sie werden nicht in der Lage sein, dieses Formel auf dem bis jetzt erreichten Niveau und auf Grundlage der vorherigen Argumentation zu verstehen, doch wir geben sie hier einfach an.“ Mit anderen Worten: Was wird einfach angegeben und was lässt sich aus dem bisher Gesagten herleiten? Selbst wenn sich eine Aussage aus einer anderen herleiten lässt, Sie aber die Herleitung nicht ausführen, sollten Sie das so sagen. Ich sage immer: „Dies ist eine mögliche Schlussfolgerung, wir können sie ungefähr wie folgt herleiten, doch wir haben die Herleitung nicht wirklich versucht.“ Oder: „Dies ist eine unabhängige Idee, die aus einem anderen Zusammenhang stammt. Wir können Sie nicht aus dem bisher Gesagten herleiten, also grübeln Sie deswegen nicht weiter.“

Es gibt ein paar solcher Grundprinzipien. Das Problem war nun, die Vorlesungen so zu gestalten, dass der durchschnittliche Student damit zurecht kommt und dass sie dennoch Futter für die Begabteren bieten. Ich hatte dann eine Idee, als ich die Vorlesungen plante. Ich wollte vorn im Hörsaal einen Farbwürfel aufstellen, sodass zum Beispiel eine bestimmte Farbe signalisieren würde, dass das aktuelle Thema als Herausforderung und besonderes Vergnügen für die sehr guten Studenten gedacht ist, aber für das weitere Verständnis nicht unbedingt notwendig. Verstehen Sie, was ich meine? Wenn eine Sache so grundlegend ist, dass sie absolut notwendig für das Verständnis der gesamten Physik ist, dann sollte jeder Student sein Bestes geben, um diese Sache zu verstehen. Für solche Sachen gibt es wieder eine bestimmte Farbe und so weiter. Jede Farbe sollte die Wichtigkeit und den Stellenwert signalisieren, den ein bestimmtes Thema innerhalb der Physik einnimmt. Worüber ich mir Gedanken machte war, ob wohl alle Studenten versuchen würden, all das Zeug zu lernen, und ich dachte mir: wenn sie das tun, dann habe ich nichts Interessantes für die besonders Begabten. Das bekommen Sie nicht hin. Es ist einfach unmöglich, den besonders begabten Studenten interessanten Stoff zu bieten, ohne die am wenigsten begabten oder die am weitesten zurückliegenden zu verwirren.

Ich hatte also diese Idee mit dem Würfel. Aber ich habe sie schließlich als Spielerei verworfen. Stattdessen wollte ich für jede Vorlesung eine Zusammenfassung an die Tafel schreiben, in denen die zentralen Punkte stehen, die jeder verstanden haben muss. Alles andere, was nicht in den Zusammenfassungen steht, war sozusagen die Kür. Aber diese Zusammenfassungen existieren nicht mehr.8 Schließlich, warten Sie… mir war noch etwas anderes eingefallen, während ich sprach. Ich weiß es nicht mehr.

Jedenfalls fing ich an, die Vorlesungen zu halten. Und ganz am Anfang, das erste, was ich vorhatte, war, die Studenten alle zusammenzubringen. Bei vielen Vorlesungen verstehen die Leute die Bedeutung des richtigen Anfangs nicht. Die wahre Bedeutung ist die, dass all die jungen Leute, die von der High School kommen, zuerst einmal ungefähr auf ein gleiches Ausgangsniveau gebracht werden müssen. Beispielsweise spreche ich davon, dass alles aus Atomen aufgebaut ist – nicht weil ich glaube, dass sie das nicht wissen, sondern weil ich will, dass diejenigen, die es nicht wissen, zumindest wissen, dass sie es nicht wissen. Ich kann das so nicht sagen, wie Sie verstehen werden, also sage ich es auf eine Weise, die für diejenigen, die es bereits wissen, anregend ist, weil es eine neue Art ist, die Sache zu betrachten; diejenigen aber, die es nicht wissen, haben dadurch die Möglichkeit zu dem Niveau aufzuschließen, das ich brauche. Und so weiter. Die ersten paar Vorlesungen haben also denn Zweck, alle zusammenzubringen.

Außerdem muss ich erwähnen, dass ich diese Vorlesungen, besonders die Anfangsvorlesungen, zuvor bereits an anderen Orten gehalten habe. Dadurch hatte ich Zeit, die späteren vorzubereiten, verstehen Sie. Und schließlich – oh, das ist ein weiteres Prinzip, und zwar ein sehr wichtiges: Ich wollte, dass jede Vorlesung für sich selbst stehen kann. Ich hielt es nicht für eine gute Idee, eine Vorlesung zu halten, und am Ende zu sagen: „Die Zeit ist um, wir werden diese Diskussion das nächste Mal fortsetzen“, oder: „Als wir uns das letzte Mal verabschiedet haben, waren wir gerade dabei, dieses oder jenes oder was auch immer zu tun. Fahren wir nun damit fort.“

Was mir stattdessen vorschwebte war, dass jede einzelne Vorlesung irgendwie als ein in sich geschlossenes kleines Meisterwerk angesehen werden kann, verstehen Sie? Ein Meisterwerk der Didaktik, in dem es einen Anfang, eine Einführung gibt, und am Ende hat man ein Fazit. Dazwischen spielt sich eine Art Drama ab. So sollte jede einzelne Vorlesung sein, bis auf wenige Ausnahmen. An ein oder zwei Stellen konnte ich das nicht durchhalten und musste zwei Vorlesungen als zusammenhängend halten, aber das ist ein anderes Prinzip. Ich will Ihnen nur von den Richtlinien erzählen, nach denen ich vorgegangen bin.

Letzten Endes gilt mein Hauptinteresse der Physik, und ich strukturiere das Material. Ich liebe es, das Material zu strukturieren, darüber nachzudenken, wie alles zusammenhängt, neue Sichtweisen auf bestimmte Dinge zu entdecken und dabei auch neue Wege zu finden, wie ich etwas erklären kann. Und ich bin keiner von diesen Lehrern, die wirklich an dem Studenten als Individuum interessiert sind. Ich meine, ich mache mir keine Gedanken wie: Dieser junge Mann ist verheiratet und er versucht, seinen Abschluss zu machen… solche Komplikationen interessieren mich nicht. Ich gebe einfach mein Bestes, dem Studenten etwas beizubringen. Der Student ist für mich in gewissem Sinne ein abstrakter Student mit irgendwelchen imaginären Eigenschaften – eine Mischung sozusagen, wobei es viele Arten von abstrakten Studenten gibt – aber kein spezielles Individuum. Das Fach steht in jedem Fall im Mittelpunkt meines Interesses – das Fach, nicht der Student, sondern immer das Fach. Sie wollen also wissen, mit welchen Gefühlen ich an sie (die Vorlesungen) denke. Was kann ich anderes über sie sagen? Sie sind alle veröffentlicht. Aber ich versuche, Ihnen zu erklären, wie ich selbst mich fühle, was die Vorlesungen betrifft, und was meine Intentionen waren.

Weiner: Gab es irgendeine Art von Feedback, während Sie die Vorlesungen hielten?

Feynman: Nein. Nichts dergleichen, es gab für mich keine Möglichkeit zu erfahren, wie die Vorlesung ankam. Weil ich keines der Übungsseminare hielt, und es gab auch keine Fragen am Ende der Vorlesung. Es war so gedacht, dass alle auftretenden Fragen in den Übungsseminaren besprochen werden sollten. Es gab also keinerlei Feedback, außer dass es ein paar Prüfungen gab, bei denen Probleme offenbar wurden. Sie müssen wissen, den Studenten wurden in den Prüfungswochen Aufgaben vorgelegt, die sie lösen sollten. Und die Ergebnisse waren so furchtbar – jedenfalls meiner Ansicht nach, sie waren dermaßen schlecht, dass ich mich tatsächlich in gewissem Sinne entmutigt fühlte, was das ganze Vorhaben angeht. Nicht bis zu dem Punkt entmutigt, dass ich die Sache aufgeben wollte, aber ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass es nicht so funktioniert, wie ich gedacht hatte, dass es nutzlos ist – aber egal, ich würde es trotzdem durchziehen. Ich meine, es gab für mich nur diesen einen Weg es zu tun, verdammt noch mal. Aber es funktionierte nicht.

Weiner: Was war mit den Leuten, die direkten Kontakt hatten, in den Übungsseminaren?

Feynman: Die Leute, die direkten Kontakt hatten, sagten mir, dass ich die Studenten unterschätzen würde und dass es nicht so schlimm wäre, wie ich meinte. Aber ich habe ihnen nie geglaubt und ich tue es noch immer nicht.

Weiner: Glauben Sie nicht, dass diese Form der Darstellung, ihre Effizienz, in einer traditionellen Prüfung sehr schwer zu messen ist?

Feynman: Natürlich ist das so. Aber was soll man sonst machen? Ich meine, Sie fragen mich nach meiner Reaktion. Es mag problematisch sein, aber ich erwartete von ihnen, dass sie bei den einfachen Fragen besser wären als es tatsächlich waren. Mit anderen Worten, jemand, der das nicht kann, was sie offensichtlich nicht konnten, der konnte einfach nicht verstanden haben, wovon ich gesprochen hatte. Das ist es, was ich fühlte.

Weiner: Wie lange haben Sie das gemacht? Drei Jahre?

Feynman: Ich habe es zunächst ein Jahr lang gemacht, und dann fingen sie an, mich wegen des zweiten Jahres zu bearbeiten. Und ich sagte: „Ich würde lieber noch einmal das erste Jahr wiederholen. Diesmal möchte ich zusätzlich Probleme diskutieren, die zum Stoff passen, und ein paar Verbesserungen vornehmen, aber vor allem sind mir die Aufgaben wichtig, sodass es echtes Unterrichten wäre.“ Außerdem waren mir ein paar Feinheiten aufgefallen, um die ich mich vorher nicht gekümmert hatte.

Dann bearbeiteten sie mich, und ich bin froh, dass sie das taten – in gewisser Weise jedenfalls. Sie sagten: „Schauen Sie, niemand wird das je wieder machen. Wir brauchen dieses zweite Jahr.“

Ich wollte dieses zweite Vorlesungsjahr nicht halten, weil ich nicht glaubte, dass ich großartige Ideen hätte, wie man dieses zweite Jahr präsentieren könnte. Ich hatte das Gefühl, dass ich keine gute Idee habe, wie man Vorlesungen über Elektrodynamik halten kann. Schauen Sie, bei diesen Lehrproben, die es zuvor gab, hatten sie mich aufgefordert, das Problem der Relativität zu erklären, die Quantenmechanik, die Beziehung zwischen Mathematik und Physik, den Energieerhaltungssatz. Ich habe jede dieser Proben bestanden. Aber es gab eine Probe, die mir niemand abverlangte, eine Aufgabe, die ich mir selber stellte, weil ich nicht wusste, wie man sie lösen soll. Ich habe sie immer noch nicht gelöst. Aber ich glaube, ich weiß jetzt, wie man es machen muss. Ich habe es noch nicht getan, aber eines Tages werde ich es tun. Und darum geht es: Wie erklärt man die maxwellschen Gleichungen? Wie erklärt man einem Laien, einem gebildeten Laien, einer sehr intelligenten Person, in einer einstündigen Vorlesung die Gesetze der Elektrodynamik und des Magnetismus? Wie macht man das? Ich habe es nie geschafft. Okay, geben Sie mir eine zweistündige Vorlesung. Es sollte aber in einer Stunde zu schaffen sein – oder in zwei.

Irgendwie habe ich mir inzwischen eine viel bessere Form der Darstellung für die Elektrodynamik überlegt, einen viel originelleren und mächtigeren Weg als im Buch. Aber damals hatte ich diesen neuen Weg nicht und ich gab deshalb zu bedenken, dass ich nichts eigenes zu dem Thema beitragen könne. Doch sie sagten: „Machen Sie es trotzdem,“ und redeten auf mich ein. Also machte ich es schließlich.

Als ich den Kurs plante, wurde von mir erwartet, dass ich Elektrodynamik lehre und anschließend ein Thema, das wirklich all die verschiedenen Zweige der Physik berührt, weil dieselbe Gleichung verwendet wird – ganz so, wie die Diffusionsgleichung für die Diffusion, für die Temperatur und für viele andere Dinge benutzt wird, oder die Wellengleichung, die zur Beschreibung des Schalls, beim Licht usw. auftritt. Mit anderen Worten, die zweite Hälfte sollte so etwas sein wie „Mathematische Methoden der Physik“, aber mit vielen physikalischen Beispielen. Ich würde also gleichzeitig mit der Physik auch Mathematik unterrichten. Ich würde über Fourier-Transformation, über Differentialgleichungen usw. sprechen. Es würde allerdings nicht so aussehen. Der Stoff wäre nicht in der sonst üblichen Weise organisiert. Die Struktur wäre durch die Themen vorgegeben; der Punkt ist, dass die Gleichungen in so vielen verschiedenen Gebieten dieselben sind. Wenn Sie also eine bestimmte Gleichung behandeln, dann sollten Sie auf alle Gebiete hinweisen, in denen sie auftritt, anstatt einfach nur über die Gleichung zu sprechen. Das würde ich also tun.

Doch dann ergab sich eine andere Möglichkeit. Vielleicht könnte ich Quantenmechanik für die Studenten des zweiten Studienjahres lesen. Niemand erwartete etwas derartiges – es wäre ein Wunder, das zu tun. Und ich hatte einen verrückten Einfall, wie man die Quantenmechanik sozusagen verkehrt herum einfuhrt, das Innere nach außen gestülpt, sodass alle fortgeschrittenen Themen am Anfang kommen und alles, was im konventionellen Sinn elementar ist, zum Schluss.

Und das sagte ich den Leuten, und sie ließen mich machen. Sie sagten, dass die Mathematik, über die ich sprechen würde, eines Tages auch von anderen Leuten so benutzt werden wird, aber dass diese Sache etwas ganz Einzigartiges sein würde. Und sie wussten, dass ich mich nicht für ein weiteres Jahr entscheiden würde. Ich musste dieses einzigartige Ding durchziehen, verstehen Sie – selbst wenn es die jungen Leute umbringen würde, wenn sie nichts dabei lernen und alles nutzlos ist. Ich weiß nicht, wie die Situation tatsächlich ist, ob es wertvoll ist, was ich gemacht habe, oder nicht. Ich musste es versuchen. Also tat ich es. Und das ist Band III, der Band über Quantenmechanik. Aber die Bände II und III enthalten in Wirklichkeit den Stoff von einem Jahr, so wie Band I.

Weiner: Es sind also zwei ganze Jahre, die Sie in die Sache gesteckt haben.

Feynman: Richtig. Das eine war das akademische Jahr 61/62, das andere 62/63.

Weiner: Und inzwischen haben Sie natürlich, wie Sie mir gestern gesagt haben, eine etwas bessere Meinung über die Vorlesungen.

Feynman: Etwas.

Weiner: Wegen ihrer Verbreitung außerhalb des Caltech.

Feynman: Na ja, eigentlich hat sich meine Meinung nicht gebessert, aber es gibt Leute, die meinen, dass es so sein sollte. Und allmählich beginne ich zu verstehen, warum. Aber ich bin immer bei meinem Standpunkt geblieben, dass das, was ich tue, das Unterrichten von dieser speziellen Gruppe von Studenten ist, und das dies alles ist, was ich tun kann. Ich blieb dabei zu sagen: „Man kann nicht über den Tod hinaus leben. Man unterrichtet diese Studenten; das ist alles, was es zu sein hat, und es gibt keine Möglichkeit, es auf irgendjemand anderes zu übertragen.“ Ich glaube, dass das im Wesentlichen stimmt. Wenn ich mir Vorlesungen anhöre, die Andere auf der Basis meiner Bücher halten, dann sehe ich alle Arten von Mängeln, Fehlern, Schwachstellen und Entstellungen. Und es ist auch wahr, dass man nicht über den Tod hinaus leben kann. Aber es gibt offensichtlich Leute, die nicht den Vorlesungen irgendeines Professors lauschen, die sich einfach hinsetzen, das Buch lesen und selber denken. Sie müssen irgendeinen Nutzen daraus ziehen. Wenn ich mir also eine gewisse Hoffnung bewahre, dass es zumindest für sie etwas wert ist, dann gelingt es mir vielleicht, über die ganze Sache etwas besser zu denken. Ich glaube, was die speziellen Studenten betrifft, denen die Vorlesungen tatsächlich galten, und das war erklärtermaßen der Zweck meiner Bemühungen – es ging mir nicht um die Bücher oder irgendetwas anderes, es ging mir nur um die Studenten – ich glaube, das Ergebnis war in keinerlei Hinsicht den Aufwand wert.9