Interview mit Robert Leighton

Aus einem Interview, das Heidi Asparturian am 8. Oktober 1986 in Pasadena mit Robert Leighton führte. Mit freundlicher Genehmigung des Caltech-Archivs, Pasadena, California, USA.

Leighton: Der Feynman-Kurs war wichtig, und ich spielte damals eine Rolle beim Editieren und auch beim Übersetzen aus dem „Feynmanschen“ ins Englische. Das war eine sehr interessante und aufregende Zeit.

In den 1960ern, als [Gerry] Neugebauer und ich über Infrarotastronomie sprachen, und ich mich dem Mariner-Programm zuwandte, kamen die Feynman Lectures dazu. Sie waren das Ergebnis eines Projekts – in dem ich eine führende Rolle spielte – nämlich, den Anfängerkurs in Physik neu zu organisieren. Ich hatte gewisse Vorstellungen, wie das geschehen sollte, und ein paar andere Leute aus der Kommission, die für den Anfängerkurs zuständig war, hatten ebenfalls ihre Vorstellungen. Aber mitten in der Diskussion sagte Matt Sands: Also im Ernst, wir sollten Dick Feynman die Vorlesungen halten lassen, und wir sollten Tonbandaufnahmen davon machen. Sands war damals Physikprofessor am Caltech. Er war ein Typ, der immer voranpreschte. Er hatte als junger Mann am Los Alamos Projekt mitgearbeitet, und von daher kannte er Feynman gut genug, dass er zu ihm hingehen und direkt mit ihm reden konnte. Aber Feynman sträubte sich.

Asparturian: Was genau war an den Vorlesungen von Feynman dran, das ihn zum Favoriten für das Vorhaben machte?

Leighton: Feynman hat eine besondere Gabe, und zwar die, dass in dem Moment, wo er etwas erklärt, die Sache völlig klar und transparent erscheint – Sie sehen, wie alles zusammenpasst, und Sie verlassen die Vorlesung mit einem sehr guten Gefühl, Sie denken: „Hm, es gibt eine Menge lose Enden, die ich weiterverfolgen muss; aber Mann, das war großartig!“ Und ungefähr zwei Stunden später tritt das ein, was manche über chinesisches Essen sagen: es ist alles weg und Sie sind schon wieder hungrig. Und Sie können sich nicht richtig erinnern, was passiert ist.

Ich habe das selbst erlebt. In den späten 50ern hielt Feynman in 201 East Bridge einen Vortrag vor Laien über die grundlegenden Ideen von Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Der Vorlesungssaal war natürlich schrecklich überfüllt. In seiner charakteristischen Art reduzierte er das ganze Thema auf die knappste Formulierung, die überhaupt möglich ist, auf den Ausdruck 1 − v2/c2 – „alles, was Sie hierüber lernen müssen ist diese Wurzel aus 1 − v2/c2“. Nach der Vorlesung, auf dem Weg nach draußen, hörte ich eine junge Frau zu ihrem Begleiter sagen: „Ich habe nicht viel von dem verstanden, was er gesagt hat, aber es war sicher interessant!“ Feynman hatte so eine Art, das zu erreichen.

Asparturian: Das klingt, als hätte er virtuelle Vorlesungen gehalten, so wie man von virtuellen Teilchen spricht.

Leighton: [lacht] Ja, das stimmt. Es war, als würde er die Sache für begrenzte Zeit in die Realität holen und dann zusehen, wie sie wieder im Meer versinkt.

Asparturian: Die Idee war, ihn dauerhaft aus dem Vakuum herauszuholen.

Leighton: Ja. Matt Sands ging also zu ihm hin und Feynman wollte nicht, aber schließlich sagte er doch zu. Und das war der Ursprung der Feynman Lectures.

Leighton: Bei seinen Lehrveranstaltungen versuchte Feynman den Stoff des Physik-Grundstudiums in einem Zweijahreskurs zu organisieren, was sich aber als eine Dreijahresveranstaltung erwies, weil er in den ersten beiden Jahren nicht wirklich bis zur Quantenmechanik kam – auch wenn er hier und da isolierte Themen daraus behandelte. Er startete direkt mit den Atomen – er überließ sie nicht einfach den Chemikern, um vor den Erstsemestern nur über Rollen und Flaschenzüge zu sprechen! Er drückte sie mit ihren Nasen direkt in das, was die Physik wirklich ausmacht: die Eigenschaften der Atome. Nach diesem Ordnungsprinzip versuchte er, jede Vorlesung als unabhänge, für sich selbst stehende Einheit zu halten. Sie können das aber nur bis zu einem gewissen Grad tun, denn Sie müssen den Stoff auf einem bestimmten mathematischen Niveau aufbauen, Sie brauchen bestimmte Feinheiten bei der Anwendung der Mathematik in der Physik, und solche Sachen.

Aber wie auch immer, es schien zunächst eine großartige Idee, Feynman das machen zu lassen. Doch es war nicht zu bestreiten, dass das Ergebnis eher für ausgebildete Physiker als für Studienanfänger geeignet war. Feynmans Kurs bot für die meisten unserer Studienanfänger ein bisschen zu viel: für ungefähr 20 % war er ideal, absolut großartig; für ungefähr 60 % war er es überhaupt nicht. Ihre Reaktion war eher die: „Was genau erwartet man eigentlich von uns, was wir von alldem lernen sollen?“

Ich war verantwortlich für das Labor und die Koordination der Vorlesungen im ersten Jahr. Ich war auch verantwortlich für die Übertragung der Vorlesungen in eine schriftliche Form. Im Vorwort des Buches erläutere ich unsere Erwartung, dass das Editieren ein Job für einen graduierten Studenten werden würde – ein paar i-Punkte ergänzen und ein paar t’s wegstreichen, hier und da ein Wort ändern, wo bei der Übertragung vielleicht etwas schiefgegangen war.

Asparturian: Wie kam es, dass Ihnen die Aufsicht über das Editieren übertragen wurde?

Leighton: Ich war der Leiter der Gruppe, die sich die Umstrukturierung des Kurses zum Ziel gesetzt hatte. Wir wollten nicht, dass Feynman das alles selber machen muss; er sollte die Vorlesungen halten, und diese Aufgabe nahm seine gesamte Zeit in Anspruch. Es musste auch Laborexperimente zu den Vorlesungen geben, und das neue Material war so anders, dass für die Studienanfänger ganz andere Experimente aufgebaut werden mussten. Dr. [H. Victor] Neher, der inzwischen pensioniert ist, war der eigentliche Verantwortliche für den experimentellen Teil. Aber ich war der Koordinator.

Die Vorlesung wurden auf Tonband aufgenommen. Feynman verwendete eines dieser schnurlosen Ansteckmikrofone, und wir beauftragten eine junge Frau mit der Transkription. Sie war ausgesprochen erfreut über den Auftrag. Sie machte ihren Job großartig. Aber es vergingen sechs oder acht Vorlesungen, ohne dass irgendetwas Verwertbares herausgekommen wäre. Das Transkript war wortgetreu, und in diesem Fall war die wortgetreue Wiedergabe schlecht – denn Feynman sagte nie etwas nur ein einziges Mal, er sagte alles mindestens zweieinhalb Mal, wenn nicht dreieinhalb- oder vier Mal – und jedes Mal auf eine etwas andere Weise. Dann ging er für ein paar Minuten zum nächsten Thema über und dachte dabei immer noch darüber nach, ob er das vorherige Thema eventuell besser erklären könnte, und dann sprang er wieder zurück. Die Ergebnisse waren dementsprechend lose strukturiert oder sogar etwas desorganisiert. Ich raffte mich dazu auf, persönlich das Editieren des ersten Bandes zu übernehmen. Es war ein Vollzeitjob; man hätte das Material nicht erfolgreich präsentieren können, ohne größte Sorgfalt darauf zu verwenden.

Es gibt eine bestimmte Passage, ich bin sicher, dass ich sie finden würde, wenn ich im Buch nachschaue. Ich wünschte, Sie könnten sehen, in welchem Zustand sie ursprünglich war. (lacht) Es hatte zu tun mit der Physik vor Newton und der Physik nach Newton. Feynmans Punkt war der, dass die Welt vorher nichts als Konfusion, Dunkelheit und Aberglaube war – und danach war sie erleuchtet und strukturiert und zu verstehen. Es war absolut richtig, aber er versuchte es in einer Weise auszudrücken, die einfach keine Gestalt annehmen wollte. In einem seiner Sätze kam überhaupt kein Verb vor! (lacht)

Asparturian: Wie gut kannten Sie Feynman als Sie anfingen?

Leighton: Oh, ungefähr genauso gut, wie ich ihn heute kenne. Ich glaube, er und ich, wir beide haben eine bestimmte Form von sozialem Handicap gemeinsam: Ich kann mich nicht an die Namen von Personen erinnern, solange ich sie nicht sehr genau und über eine längere Zeit hinweg studiert habe. Wenn ich einen Namen in meinem Kopf so archivieren will, dass ich ihn später wiederfinde, dann muss ich es genau in dieser Phase tun. Aber das Ärgerliche ist, wenn mir jemand während einer Unterhaltung vorgestellt wird und dann geht die Unterhaltung weiter – dann entfällt mir sein oder ihr Name leider sofort wieder. Das ist eines dieser Handicaps; und Feynman hat es auch. Er hatte sich am MIT mindestens ein Semester lang mit jemandem das Zimmer geteilt, der später am Caltech war, und er konnte sich nicht an seinen Namen erinnern! (lacht)

Asparturian: Wie war es, zusammen mit ihm an den Lectures zu arbeiten?

Leighton: Das, was anfangs im Transkript herauskam, war eine absolute Rohfassung auf „Feynmansch“, die zunächst auf den Originalblättern grob editiert werden musste. Nachdem ich des Material jeder seiner Vorlesung in eine Form gebracht hatte, aus der man meiner Ansicht nach die Druckvorlage setzen konnte, ging das Manuskript an die erwähnte junge Dame zurück, die es so zurecht machte, dass wir es Feynman vorlegen konnten. Er sah sich die Sachen hier und da an, hatte aber gewöhnlich keine Kommentare – das heißt wohl, dass er einigermaßen zufrieden damit war.

Eine andere Sache war, dass der Vorlesungsbeginn um elf Uhr war, danach folgte die Mittagspause. Wir gingen zusammen zum Essen, und wenn er unzufrieden mit der Art und Weise war, wie er etwas erklärt hatte, dann gab es Fragen oder Kommentare, wie man es besser machen kann. Es gab Vorschläge und wir diskutierten darüber. Es saßen auch andere Leute in der Vorlesung, Professoren und Lehrassistenten, sodass die Mittagspause immer zu einem guten Teil der Diskussion über die vorangegangene Vorlesung gewidmet war. Es war nicht bewusst so organisiert worden, aber es war eine Möglichkeit, Ideen zu entwickeln.

Asparturian: War das alles ursprünglich so entworfen worden, dass es vor allem den Caltech-Studenten zugute kommen sollte?

Leighton: Oh, ja.

Asparturian: Aber dann verbreitete es sich irgendwie, nicht wahr?

Leighton: Nun, kein Physikdozent, der Studienanfänger der Physik unterrichtete, konnte der Versuchung widerstehen, sich eine Kopie der Feynman Lectures zu beschaffen, egal ob er sie in seinem Kurs tatsächlich verwendete oder nicht. Dieses Projekt wurde durch ein Ford-Programm finanziert. Es gab eine Übereinkunft, in der sich das Institut bereit erklärte, sämtliche Lizenzeinnahmen aus den Texten in die Unterstützung ähnlicher Aktivitäten am Caltech zu stecken. Nichts von den Lizenzeinnahmen ging an irgendeine der Personen, die mit den Vorlesungen selbst befasst waren. Das waren normale akademische Aufgaben, das heißt, bei dem Projekt stand nicht im Vordergrund, dass dabei etwas herauskommt, was urheberrechtlich geschützt ist. Das war gut so. In dieser Zeit sagte Feynman: „Wir werden sehen, ob es sich gut verkauft, wenn wir uns anschauen, wie sich unsere Gehälter in den nächsten vier, fünf Jahren entwickeln.“ (lacht) Und er hatte Recht. Unsere Gehälter stiegen – seines aus offensichtlichen Gründen und die von uns anderen zum großen Teil auch, weil wir nahe dran waren, nehme ich an.

Asparturian: Ihr Sohn Ralph war bei einer ähnlichen Sache dabei.10 Wie kam es dazu? Ist das so eine Art Familienprivileg geworden?

Leighton: Ich kann mich nicht mehr genau an die Reihenfolge erinnern, in der sich die Dinge zutrugen. Jedenfalls gaben meine Frau und ich ab und zu Dinnerpartys, und Feynman war bei einer oder mehreren unser Gast. Mein Sohn Ralph war zu der Zeit auf der High School und zu seinen Hobbys gehörte das Trommeln. Er war mit einer sehr musikalischen Familie befreundet; die Eltern und viele Geschwister spielten verschiedene Instrumente, und dadurch hatten wir noch eine ganz andere Gruppe von Gästen in unserem Haus. Bei einer dieser Gelegenheiten hörte Feynman Ralph und seine Freunde am anderen Ende des Hauses trommeln. Und natürlich ging er zu ihnen hin – er fühlte sich in Gesellschaft von Jugendlichen überhaupt sehr wohl. Er stellte sich ihnen vor und sie luden ihn ein, mit ihm zu trommeln. Und das führte zu ziemlich regelmäßigen Trommel-Sessions von Feynman, Ralph und einigen seiner Freunde.

Ich selbst war neugierig, was Feynmans Fähigkeiten als Trommler betraf, also fragte ich eines Tages Ralph: „Sag mal, wie gut ist Feynman als Trommler?“ Er sagte: „Na ja, er hält den Rhythmus ganz gut und er ist sehr schnell, aber manchmal fällt es ihm schwer, in die Gänge zu kommen – aber für einen alten Knaben ist er ziemlich gut.“ (lacht) Ich sagte Ralph, dass er gerade über die Fähigkeiten jenes Menschen gesprochen hatte, der wahrscheinlich mehr darüber weiß, wie das gesamte Universum funktioniert, als irgendjemand sonst auf der Welt. (lacht)

Aber wie auch immer, Ralphs Freunde verließen nach und nach ihr Zuhause und gingen an irgendein College, und nur Feynman und Ralph trommelten zusammen weiter. Wenn Sie lange genug mit Feynman zusammen sind, dann hören Sie unweigerlich all diese amüsanten Geschichten, in zufälliger Reihenfolge. Zweifellos gewannen diese Anekdoten durch das Erzählen, aber sie sind alle ganz real. Es gibt einen großen Topf, aus dem er gelegentlich eine dieser Anekdoten herausfischt. Das heißt, dass sich während der Unterhaltung manches so oder so wiederholte. Wenn Sie zufällig während einer früheren Unterhaltung in seiner Nähe gewesen waren, dann konnte es vorkommen, dass sie die eine oder andere Story schon kannten – zum Beispiel wie Feynman als Junge Radios repariert hat oder wie er in Los Alamos mit Generälen zu tun hatte. Und Feynman konnte ewig so weitermachen: er kam vom Hundertsten ins Tausendste – es war unglaublich. Der Mann ist absolut phantastisch.

Asparturian: Er war, wie’s aussieht eine unerschöpfliche Quelle von Anekdoten.

Leighton: Oder, wie manche Leute vielleicht sagen würde, eine unverzeihliche! (lacht)

Während ihrer Trommel-Sessions machte Ralph Tonbandaufnahmen. Dann transkribierte er sie, zuerst auf der Schreibmaschine und später auf meinem Computer. Feynman fand Gefallen daran, das war also nichts Heimliches. Es war einfach so, dass Ralph sagte: „Diese Geschichten sind so großartig, aber sie gleiten mir wie Juwelen durch die Finger – darf ich sie aufnehmen?“

Dann sagte ich irgendwann zu Ralph: „Was hältst du davon, wenn ich mir die Niederschriften anschaue? Ich würde gern meine Erinnerungen auffrischen.“ Und so las ich das meiste davon. Ab und zu fiel mir ein Wort auf, dass wohl missverstanden worden war.

Asparturian: Sie sind also vertraut mit den meisten dieser Geschichten?

Leighton: Aber ja. Nur ungefähr 20 % waren neu für mich. Wir haben zwar nie darüber gesprochen, aber ich glaube, Ralph und ich haben bei unseren sehr verschiedenen Projekten die gleiche Erfahrung mit Dick gemacht: nämlich, dass man ein Minimum an Bearbeitung in das stecken muss, was er gesagt hat. Man sollte den Text so nahe am Original belassen, wie es nur möglich ist, einschließlich seiner Manierismen – aber nicht die Wiederholungen. Bei den Physikvorlesungen fand ich es absolut notwendig, die Wiederholungen etwas einzudampfen. Ralph hat ein großes Talent für solche Sachen. Allerdings, dieser spezielle Job war das erste Mal überhaupt, dass er versucht hat, etwas zu schreiben, das publiziert wird, also hatte er ein paar wertvolle Lektionen bei Ed Hutchings (Lektor für Technik und Naturwissenschaften).

Asparturian: Ist eine Serie geplant?

Leighton: Na ja, es gibt durchaus noch mehr Geschichten. Und außerdem gibt es QED [QED: The Strange Theory of Light and Matter11 von Richard Feynman], das vor kurzem erschienen ist und das ziemlich gute Übersichtsartikel enthält. Und ich glaube, dass Ralph immer noch seinen Kassettenrecorder laufen lässt.

Asparturian: Es gab einige wenige Stellen in diesem Buch [Surely You’re Joking, Mr. Feynman!12], bei denen Feynman meiner Meinung nach nicht besonders gut wegkam. Gab es irgendwelche Diskussionen, einige davon zu streichen?

Leighton: Nein. So ist der Mann eben.