The times, they are a-changin’: Die Welt endlich wieder bewohnbar machen

Mein Einstieg war – Sie erinnern sich? – die Angst der Frauen beim Joggen. Die fand ich beschämend. Was Frauen natürlich nichts hilft.

Wenn wir all die in diesem Buch aufgeführten Männerdystopien auflisten, die Sache mit dem Klima und der zerstörten Natur dazudenken, die auch Machwerk der Menschen ist, aber wieder einmal unter fast ausschließlicher Projektleitung von Männern, kommen wir zu folgender Zusammenfassung: Wir Männer machen die Welt ständig unbewohnbarer, für Frauen und andere, und natürlich bekommen das auch wir Männer zu spüren. Unser Ruf ist nicht beneidenswert, und mit jedem Hektar Regenwald, den wir Herrn Bolsonaro vernichten lassen, sägen wir den eigenen Ast, auf dem wir sitzen, ein Stückchen weiter durch. Und auch den Kanadiern nützt es gar nichts, dass ihre Wälder nicht am Amazonas stehen. Wie ließe sich das ändern? Vielleicht sollten wir eher fragen, wer sollte das ändern?

Bevor Sie ins Grübeln kommen, mache ich mal einen Aufschlag: Wir Männer sollten das ändern. Dafür sprechen Verursacherprinzip und Anstand. Über das »Wie« können Sie meinetwegen gerne grübeln. Die Geschichte mit den joggenden Frauen hat verschiedene Männeraspekte. Einer wäre: Alles, was unsere Lust weckt, ist potenzielle Beute. Jagen macht Lust. Das hatten wir schon.

Beute ist Opfer, dient meiner Bedürfnisbefriedigung. Kommunikation auf Augenhöhe, Gleichstellung? Ein Scherz. Wenn wir Männer die Frauen und Kinder, zu ihnen kommen wir gleich, auch nur in unserer Fantasiewelt als Beute betrachten, werden sie zum Objekt der Begierde; gleichwertig oder gleichgestellt ist das nicht. Wir sind privilegiert, sie zu konsumieren.

Männerprivilegien – ein guter Einstieg ins Thema.

Männer können etwas bewirken, Männer sind bekanntlich Macher. Sie können für andere sorgen, Geld verdienen, die Bedingungen für ihr eigenes gutes Leben und vielleicht auch das der ihnen Anvertrauten schaffen, und sie könnten auch Verantwortung tragen, für sich und andere. Klassische Männerrollen, die unsere gesellschaftliche Position ausmachen.

Doch leider gibt’s da ein Problem: »The times, they are ­a-changin’‹.«1 Die Themen des dritten Albums von Bob Dylan haben eine Menge mit Herausforderungen für Männer zu tun, die vor fast 60 Jahren aktuell waren und an denen sich bis heute wenig geändert hat: staatliche und private Gewalt, Rassismus und Ungerechtigkeit. Und immer noch tun sich »writers and critics, senators, congressman, mothers and fathers« schwer damit, dass sich die Zeiten ändern. Auch die Mütter, denn schon damals war klar, dass Frausein allein keineswegs alternatives Verhalten zum Machtgetue der Männer bedeutete. Die Frauen hätten ja um Erlaubnis fragen müssen.

Andere Zeiten verlangten schon längst andere Antworten, doch die wollen männerdominierte Gesellschaften nicht geben. Denn hinter diesem Haften an der Vergangenheit steht ein Anspruch! Nämlich der, dass sich aus den klassischen Männerrollen ebenso klassische Privilegien ableiten. Obwohl Frauen zu den Vorrechten, die ihnen nicht zugestanden werden, mittlerweile einiges zu sagen haben, sind männliche Privilegien kein feministisches Konstrukt. Nein, es ist ganz einfach: Männer sind nicht Jesus, und wenn sie Aufgaben für andere erfüllen, wollen sie dafür belohnt werden. Kann man verstehen, oder? Leider stecken wir damit heute in der Sackgasse, weil wir Männer immer noch auf die Belohnung warten, während sich die Aufgaben längst überlebt haben. »Die Spannung, die zwischen den realen und den idealen Geschlechterverhältnissen besteht, hat etwas hervorgebracht, das der Soziologe und Männlichkeitsforscher Michael Kimmel als ›gekränkten Anspruch‹ bezeichnet hat.«2

Kränkung – ein weites Feld! Die reicht vom Streit mit meinen Kindern, die unfreundlich und bestimmt erklären, dass sie auf meine Jahrzehnte alten Lebenserfahrungen pfeifen; sie ist in der noch immer nicht erfüllten Forderung nach Gleichbezahlung der Frauen verborgen, weil im Nullsummenspiel moderner Ökonomie die Besserstellung der Frauen nur mit einer Schlechterstellung der Männer kompensiert werden könnte; und sie verlässt die persönliche Ebene, wenn die schlechten alten kapitalistischen Tugenden – malochen, malochen! – in einer globalisierten Welt keine Zukunft mehr haben.

Hinter der Kränkung der Männer steht der Anspruch, »Frauen schuldeten ihnen etwas in der Münze der persönlichen Güter und Dienstleistungen […] Zuneigung, Aufmerksamkeit, Bewunderung, Sex, Liebe und durch ihre Anwesenheit einen höheren sozialen Status in der männlichen Peergroup«3.

Das kann man als eine »gendergeprägte Ökonomie des Gebens und Nehmens moralischer und sozialer Güter und Dienstleistungen«4 zusammenfassen. Doch der harmonische Anschein täuscht: »Wird dieses System verletzt, zum Beispiel indem Frauen etwas verweigern, von dem Männer überzeugt sind, dass es ihnen zustünde, hat das Folgen. Misogynie, die in der Öffentlichkeit passiert, […] soll Normverletzungen des ökonomischen Systems sanktionieren, indem an einer Frau ein Exempel für alle statuiert wird […] Männer mit einem misogynen Weltbild […] glauben, sie hätten Anspruch auf eine Frau und auf eine ihnen angestammte männliche […] Rolle innerhalb von Familie und Gesellschaft […] Wird diese Erwartung nicht erfüllt, fühlen sie sich gedemütigt.«5

Im Trümmerfeld der Männerrollen suchen

Einer der wenigen Spezialisten für Männergewalt, der Soziologe Michael Kimmel, betont, dass die Wut gewalttätiger junger Männer rund um die Welt ihre Wurzeln im Trümmerfeld der akzeptablen Männerrollen in der modernen Arbeits- und Geisteswelt hat: Diese Männer haben keinen anerkannten Platz mehr, werden nicht geachtet.6 Ihr Lebensentwurf ist zu Bruch gegangen; was ihre Väter und Autoritäten ihnen predigten, ist nichts mehr wert. Sie sind enttäuscht. Nach Kimmel ist Maskulinität der offizielle Ausweg für enttäuschte Männer, der Ausweg für all jene, die an Orten »antisemitisch werden, wo es keine Juden gibt«, für die rechtsextremen jungen Männer in Schweden und den USA, für die Dschihadisten in aller Welt. Das wollen politische Kräfte nicht wahrhaben, die aus der Enttäuschung Kapital schlagen, die mit ihren markigen Statements verdrängen, dass auch in diesem Zusammenhang Missbrauch eine beschämende Alltäglichkeit ist, auch bei den jungen Männern, die sich born to be wild auf die Fahne geschrieben haben.

»F. beschreibt, dass er von seinem Stiefvater übel geschlagen wurde, dass seine Mutter das negierte und dass sich sein biologischer Vater raushielt«.7 Falls Sie es schon vergessen haben: Wüste Gewalt ist genauso Missbrauch wie der Sex mit Kindern und Jugendlichen. Doch auch der ist da: »Aber auch Mubin verbarg ein schamvolles Geheimnis […] sein Onkel hatte ihn als Jungen sexuell missbraucht […], beide Brüder seiner Mutter hatten seine jüngere Schwester vergewaltigt, und er schämte sich doppelt, weil er sie nicht schützen konnte. Vergewaltigung von Jungen durch Warlords, durch Angehörige der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei ist häufig, so häufig, dass es dafür einen eigenen Namen gibt – der Donnerstag ist umgangssprachlich als ›Tag der Männerliebe‹ bekannt, weil man glaubt, dass die Freitagsgebete von allen Sünden befreien. Die Folge des Missbrauchs ist Scham, die ›toxische‹ Scham […], tatsächlich hatte jeder, mit dem ich sprach, eine Geschichte der beschämenden, erniedrigenden Gefühle […] sie wurden von ihren Familienmitgliedern missbraucht, geschlagen oder vergewaltigt. Einer war von einem Priester missbraucht worden.«8

Zwischenfrage: Warum um Himmels willen beschützen die Religionen immer die Falschen? Wagen wir eine Interpretation: Es ist die Faszination der Macht, die männliche dominierte Religionen – kennen Sie eine andere? – nicht missen mögen.

Kimmel zeigt den Ausweg, den »Männlichkeit« diesen Männern zu bieten scheint: »Wenn es eine Krise der jungen Männer gibt, in den USA und in Europa, dann ist es eine Sinnkrise. Im weiteren Sinn ist es eine Krise der Verbundenheit, in die wir geraten sind, weil wir Autonomie und Unabhängigkeit so hochschätzen, auf Kosten unserer gleich wichtigen Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Verbundenheit. Und jetzt fühlen zu viele junge Männer, dass ihnen die versprochene Zukunft gestohlen wurde. Sie kommen sich betrogen vor, als Opfer – und sie haben zur Hälfte recht.«9

Wir Männer müssen neue Wege finden

Da stehen wir nun!

Auf der einen Seite hat sich ein feministischer Diskurs formiert, der die defizitäre Struktur männlicher Dominanz intellektuell scharfsinnig benennt, auf der anderen Seite drängelt sich die Einsicht in unser Bewusstsein, dass die gewalttätigen Forderungen der Männer nicht auf Testosteron etc. beruhen, sondern auf ihrer verlorenen Rolle.

Was also tun?

Nichts weniger, als einen neuen Weg suchen für die Männer.

»Ich weiß, es klingt eigennützig, aber ich brauche Mitgefühl und Vergebung für mich selbst, wenn ich meine Kapazität zur Gewalttätigkeit reduzieren will.«10 Mitgefühl und Vergebung für mich selbst! Das sind eben nicht Gedanken von Weicheiern oder Esoterikern! Männer, die so denken, sind endlich bei der Selbstverständlichkeit angekommen, dass wir auch unsere schwachen Seiten akzeptieren müssen, dass wir Verluste nicht durch Prügeln, Götterdämmerungsfantasien bis zum Untergang, sondern durch schlichtes Trauern überwinden können. Was jeder Therapeut ohnehin weiß. Auch Männer können die Erfahrung machen, dass Scheitern ein normaler Vorgang im Leben und nicht dessen Ende ist.

Das schmerzlichste an dieser Erkenntnis ist, dass wir unsere Privilegien aufgeben müssen. Privilegien sind die Schnäppchen des gerne großen Mannes. Jedem sein Hobby, aber wer Privilegien beansprucht, handelt gegen den Gleichheitsgrundsatz. Mein Privileg sichert, dass ich irgendwie besser, bedeutender, auf jeden Fall zu bevorzugen bin, oft genug gegen Recht und Gesetz.

Aus alldem kann ein neues Modell für uns Männer entstehen, das unser Bedürfnis nach männlicher Identität befriedigt, einer Identität, die nicht rassistisch, nicht gewaltorientiert, nicht hierarchisch und trotzdem männlich ist. Und die es nicht mehr nötig hat, bei joggenden Frauen catcalling zu betreiben.

Die Welt würde so allmählich wieder etwas bewohnbarer.


1 Bob Dylan 1964

2 Susanne Kaiser: Politische Männlichkeit. Berlin 2020

3 Ebd.

4 Kate Manne: Down Girl. Die Logik der Misogynie. Berlin 2019

5 Susanne Kaiser, a. a. O.

6 Michael Kimmel: Healing from Hate. Oakland 2018

7 Michael Kimmel, a. a. O., S. 153

8 Michael Kimmel, a. a. O.

9 Michael Kimmel, a. a. O., S.232

10 Ebd.