Wenn Sie sich so anschauen, mit welchen Begriffen ich in den vergangenen Kapiteln rumhantiert habe, was mich motiviert, manchmal auch angetrieben hat, so kommt Ihnen manches vielleicht etwas altmodisch vor: Scham, Anstand, Transparenz, Würde, Vertrauen und sogar Gerechtigkeit. Ist das nicht alles etwas überholt? In einer Zeit, in der wir Menschen den maximalen Gewinn an Geld wie an Lust favorisieren? Gewinnen scheint so wichtig geworden zu sein, auch mal scheitern zu können ist aus der Mode gekommen.
Sie haben schon recht, zeitgemäß wollte ich nicht sein – zumal nicht auszuschließen ist, dass sich die Zeiten gerade ändern.
Nassim Nicolas Taleb, Mathematiker, Hedgefondmanager, Händler, seinen »Schwarzen Schwan«1 sollten Sie schon gelesen haben, veröffentlicht ziemlich unzeitgemäße Gedanken: »Ehre bedeutet, dass es bestimmte Handlungen gibt, die du niemals tun würdest, ungeachtet des materiellen Gewinns. Ehre meint, dass es Dinge gibt, die du bedingungslos tun würdest, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.«2
Er setzt damit noch einen drauf: Von Ehre habe ich nichts geschrieben, obwohl sie zugegebenermaßen manchmal mitschwang. Nicht als Feigling leben zum Beispiel, andere nicht für die eigenen Fehler zahlen lassen. Taleb begründet seine Haltung nicht aus der Risikomathematik, mit der er berühmt wurde, oder mit anderen ökonomischen Erkenntnissen, sondern er schreibt, dass man Dinge tun solle, um mit sich im Reinen zu sein. Weil man spürt, dass das, was man tut, Teil der eigenen Identität ist.
Wann haben Sie sich das letzte Mal erlaubt, etwas zu tun, um mit sich im Reinen zu sein? Weil Sie spürten, dass Ihre Identität davon abhängt? Taleb ist ein Mann, der mit Handel und Geldgeschäften seinen Unterhalt bestreitet. Anscheinend beherrscht er das Geld und das Geld nicht ihn. Damit steht er ziemlich, aber nicht ganz allein in der Landschaft.
Wir stehen möglicherweise an einer Gabelung und wie es mit uns, mit den anderen, mit den »Kleinen«, mit unserem Land, mit Europa und den allbekannten größeren Zusammenhängen weitergeht, hängt von uns ab: welche Haltung wir einnehmen, ob wir Herausforderungen erkennen und annehmen und ob wir uns äußern, den Mund aufmachen, unserer Meinung Gehör verschaffen. Als Männer, egal, wie alt, und egal, wie viel schnelle Zustimmung wir bekommen. Wir müssen Stellung nehmen.
Sie können spöttisch die Mundwinkel hochziehen, sich still und zynisch vom Acker machen. Jaulen können Sie auch, wie der einst so verehrte Ulrich Greiner, dass alle weißen Männer, die älteren! – heute unter einem Generalverdacht stünden?3 Wer es mag, der soll jaulen.
Sie hingegen hätten zum Schluss gerne was Positives? Da habe ich was gefunden – für Sie, für mich, vielleicht für uns alle:
»Das aus dem Jiddischen stammende Lehnwort ›Mensch‹ bezeichnet im amerikanischen Englisch eine Person von unbestechlicher Aufrichtigkeit und Ehre, ein Vorbild an Empathie, Integrität und Zivilcourage. To be a mensch! That is the answer.«4
Männer könnten menschlicher werden. Etwas pathetisch, zugegeben. Aber täte das Ihrer Männerseele nicht auch gut?
1 Nassim Nicolas Taleb: The Black Swan: The impact of the highly improbable. New York 2007 (In deutscher Sprache erschienen: Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse, München 2008.)
2 Nassim Nicolas Taleb: Skin in the game. New York 2018, S. 33
3 Ulrich Greiner: »Die Lust, an allem schuld zu sein.« Die ZEIT Nr. 43, 18.10.2018, S. 52
4 Ben Israel, zitiert von Frederic Rzewski in: No. 3 from Dreams Part1, Begleittext der CD von Igor Lewit