2. Münzen und Scheine verschwinden

Wenn der sechsjährige Schwede Lars bezahlen meint, sagt er nicht bezahlen («betala»). Er sagt «swisha». Mit der App Swish auf dem Handy lässt sich mobil zahlen, ganz einfach. Sieben von zehn Millionen Schweden tun das. Vier von zehn verwenden gar kein Bargeld mehr. Oft lässt sich in dem nordischen Land auch gar nicht mehr bar bezahlen, ob im Restaurant oder Geschäft, beim Parken oder im öffentlichen Klo. Mehrere tausend Schweden ließen sich einen Chip in die Hand implantieren, um elektronisch Geld zu schicken. Münzen und Scheine verschwinden. Es ist das Ende des Geldes, wie wir es kennen.

Die Alltagssprache zeigt an, wie sich das Leben verändert. Schweden sagen «swisha» statt zahlen, so wie man früher «Tempo» statt Taschentuch sagte oder heute «googeln» statt im Internet suchen. Die Marke hat das Wort ersetzt. Spätestens 2030 soll es in Schweden gar kein Bargeld mehr geben.

Münzen und Scheine verschwinden, das ist ein weltweiter Trend. Der in Princeton lehrende Finanzforscher Markus Brunnermeier zeigte mir ein Foto, das ihm ein Freund aus China geschickt hat. Darauf kauert ein Bettler, auf dessen Brust ein Barcode prangt – Passanten sollen per Handy spenden. Chinesen wie die Rentnerin Zhang Liming in Tianjin haben keine Bedenken, per Gesichtsscan zu zahlen. Wie die Schweden kaufen die Chinesen inzwischen zu 80 Prozent bargeldlos ein, meist mit der Handy-App der Digitalkonzerne Alibaba (Alipay) oder Tencent (WeChat Pay). Das bevölkerungsreichste Land der Welt wird zum bargeldlosesten.

In Südafrika bitten Obdachlose ebenso um Handy-Spenden wie in London der Straßenmusiker Francis Petrini: «Ich bekomme so eher Spenden und verkaufe mehr CDs. Vor ein paar Jahren habe ich gemerkt, dass viele Leute kaum noch Bargeld dabeihaben.» Die Briten zahlten früher zu 60 Prozent bar. Heute tun sie es nur halb so oft. Jeder dritte Österreicher zückt dafür das Handy. Weltweit zahlen die Menschen vier Mal so viel per Karte wie vor zehn Jahren. Südkoreaner tragen im Schnitt fünf Karten bei sich, mit denen sich zahlen lässt, ermittelte die Zentralbank schon 2016. Und gab das Ziel aus, in ein paar Jahren solle das ganze Land bargeldlos funktionieren. Der Brite John Cryan, lange Chef der Deutschen Bank, ist sich sicher: «Binnen zehn Jahren wird das Bargeld ganz verschwinden.»[1]

Das wäre das Ende einer jahrtausendelangen Epoche. Die Menschen haben ihr Geld die längste Zeit gern angefasst. Dadurch setzte es sich überhaupt erst durch. Die Goldmünzen der Lyder vor 3000 Jahren waren nicht nur haltbar und hübsch, sie schufen Vertrauen: durch den Eigenwert des seltenen Metalls, das aussieht wie die göttliche Sonne.

Chinesen zahlen per Handy, Österreicher bald per Skistock?

Es grub sich tief in die kollektive Psyche, dass Geld vor 500 Jahren durch Münzen wie den Taler standardisiert wurde. Als der Taler 1566 im zersplitterten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zum offiziellen Zahlungsmittel vieler Einzelgebiete wurde, regte das den Handel an. Das Kinderlied

Taler, Taler, du musst wandern,

von der einen Hand zur ander’n.

Das ist schön, das ist schön,

Taler, lass dich nur nicht seh’n!

klingt wie ein Konjunkturprogramm, das den Konsum anregen will, um die Folgen der Corona-Krise zu mildern. Die großen Silbermünzen erweiterten ein Währungsgebiet, wie es hunderte Jahre später der Euro tat. Die heutige Weltleitwährung Dollar hat ihren Namen vom Taler. «Nur Bares ist Wahres», sagen die Deutschen. Solche Merksprüche finden sich in vielen Sprachen. «Wie kommt es, dass wir inzwischen in einer Welt leben, in der das meiste Geld unsichtbar ist, nichts mehr als Nummern auf einem Bildschirm?», fragt der britische Historiker Niall Ferguson.

Die Antwort darauf ist: Weil die wirtschaftliche Expansion, die der Menschheit ihren heutigen Wohlstand brachte, mit anfassbarem Geld alleine unmöglich wäre. Das erkannten schon die norditalienischen Kaufleute im Mittelalter, als sie Kreditpapiere einsetzten statt Truhen mit Münzen herumzuschleppen, die Räuber und Piraten anlockten. Heute bräuchte es mehrere Himalaya-Gebirgsketten aus Gold, um das für die Weltwirtschaft nötige Geld als physisch anfassbare Münzen bereitzustellen.

Und nun entdecken Menschen eben im Alltag, dass es bequemer ist, das Handy mit Swish, Apple Pay oder dem chinesischen Alipay zu zücken als Münzen hervorzukramen. Breitet sich global ein Virus wie Covid-19 aus, möchten viele erst recht kein Bargeld anfassen, das durch viele Hände gegangen ist.[2]

Seit Zentralbanken wie die schwedische Riksbank und die Bank of England ab dem 17. Jahrhundert Papiergeld ausgaben, gibt es aber einen Deal: Die Menschen müssen dem Geld vertrauen können, das keinen Eigenwert mehr hat wie Gold. Und da lässt sich durchaus zweifeln, ob Bargeld nun völlig verschwinden sollte. Münzen und Scheine repräsentieren die Freiheit, Geld zu halten, das in keiner Datenbank auftaucht – ob staatlich oder konzerneigen. Was machen die Digitalriesen Google und Apple und ihre chinesischen Pendants Alibaba und Tencent mit all den Daten, die ihre Nutzer beim Zahlen hinterlassen? Muss der Staat wirklich Bargeld abschaffen, um Kriminelle zu bekämpfen, wie mancher Ökonom behauptet? Zweifel sind angebracht. Daher sollen die folgenden drei Kapitel genau beleuchten, wieso und wie sehr das Bargeld schwindet – und wie die Menschen den Wandel am besten gestalten.

Zunächst erscheint es ja offensichtlich, warum die Menschen weniger Münzen und Scheine verwenden. Es nervt viele, 73,54 Schweizer Franken oder 17,23 britische Pfund herauszusuchen. Wer per Handy oder Karte zahlt, braucht kein Kleingeld. Er kann seine Ausgaben bis auf den Cent genau kontrollieren, alles digital dokumentiert. Und er wird nicht so leicht auf der Straße beraubt. Auch Hauseinbrüche lohnen sich in bargeldarmen Gesellschaften weniger, was Schweden wie Abba-Musiker Björn Ulvaeus zu Aktivisten für ein Cash-Aus machte. «Bargeld ist umständlich und verursacht hohe Verwaltungskosten», sagt Forscher Markus Brunnermeier. «Bankkonten, 90 Prozent unseres Geldes, sind eh schon digital.»

Schneller ist bargeldlos auf jeden Fall. Wer hat sich das nicht schon gedacht, während er in der Kassenschlange darauf wartete, dass ein Senior 73,54 Franken oder 17,23 Pfund hervorkramt. Nun gibt es eindeutige Messungen über die 200 Einkäufe, die jeder pro Jahr so tätigt. Kontaktloses Bezahlen per Karte oder Handy dauert nur drei bis elf Sekunden. Wer eine Geheimzahl eingeben oder unterschreiben muss, braucht länger. Aber nicht so lange wie mit Münzen und Scheinen, was eine halbe bis eineinhalb Minuten dauert. Auch andere Studien zeigen: Kontaktloses Bezahlen geht am schnellsten.[3] Volker Wieland ist als Wirtschaftsweiser einer der Chefberater der deutschen Regierung. Er erwartet, dass neue Angebote von Apple Pay bis zum chinesischen Alipay von Alibaba das Bargeld weiter verdrängen. «Wir verwenden schon lange Lastschriften und Überweisungen. Diverse mobile Dienste sind da der nächste Schritt. Es ist einfach praktisch und günstig.»

In bargeldgläubigen Ländern wie Österreich sind es Händler und Gastronomen, die das Bargeld verdrängen. In den Salzburger Restaurants Szenelokal und Glorious Bastards lässt sich die Rechnung mit Karte ebenso begleichen wie mit Apple Pay und Alipay. Branchenkenner preisen das als hygienischer und wesentlich schneller. Die Kellner erhalten anders als befürchtet weiter Trinkgeld, können aber weniger betrügen als mit Münzen und Scheinen.

Der nächste Trend ist, kontaktlos über Wearables wie Uhren, Schmuck, Kleidung zu zahlen. Oder sogar per Skistock. Amerikaner zahlten 2018 erstmals nicht mehr am häufigsten bar, selbst bei Beträgen unter zehn Dollar.

Manche Nationen hängen stärker am Bargeld, neben den Österreichern auch die Schweizer. Als die Baseler Bar Soho ankündigte, ab Februar 2020 kein Bargeld mehr anzunehmen, tobte online der Protest. «Kein Bargeld kein Besuch!», erklärte einer bündig, ein anderer: «Wer sich vor Bargeld ekelt, sollte eventuell mal über eine Therapie nachdenken!»

In manchen bargeldgläubigen Ländern wie Italien ist es die Staatsmacht, die das Bargeld kritisch sieht. Italiener hängen am Bargeld. Sie zahlen zu mehr als 80 Prozent bar. Die Regierung vermutet, dass mancher so seinen Einkauf verbilligen will. Manche Restaurants oder Autowerkstätten verlangen beim Barzahlen keine Mehrwertsteuer und stellen keine Quittung aus, um durch weniger offizielle Umsätze Steuern zu sparen. Insgesamt entgehen dem Staat Einnahmen von 200 Milliarden Euro im Jahr. Deshalb sollen Konsumenten künftig einen Superbonus erhalten, wenn sie nachverfolgbar zahlen, also digital.

Warum die Deutschen am Bargeld hängen

Deutsche tragen typischerweise 100 Euro im Portemonnaie mit sich, mehr als alle anderen Europäer. Sie zahlen, wie Spanier und Italiener, etwa 80 Prozent ihrer Einkäufe bar. Andere Nationen schreiben den Deutschen zu, sich wenig aus Lockerheit und Spontaneität zu machen – und stattdessen Regeln und Sicherheit zu lieben. Hier drückt sich das aus. Die Deutschen fürchten ohne Bargeld einen Kontrollverlust, analysieren Wirtschaftspsychologen. In ihrer wechselhaften Geschichte habe sich eingebrannt, wie schnell sich Situationen ändern können. Einen weiteren Grund nennt der Ökonom Moritz Schularick: «Die Banken hinken bei Zahlungsinnovationen hinterher. Wir haben durch die Nazi-Herrschaft einen Teil der Finanzelite verloren.»

Doch auch bargeldaffine Nationen verändern sich gerade. «Mein Sohn und seine Freunde bezahlen fast ausschließlich über eine Handy-App», erzählt der österreichische Gastro-Unternehmer Fritz Strondl. «Die Bedeutung des Bargeldes wird abnehmen.» Schweizer zücken inzwischen häufiger Girokarten als Münzen und Scheine. In Deutschland markierte das Jahr 2018 einen Einschnitt: Erstmals bezahlten die Bürger umsatzmäßig mehr Einkäufe mit Karte. Auch hier verdrängt die Wirtschaft das Bargeld. Die Ladenkette Edeka testet, dass Kunden ihre Käufe per App einscannen – ohne Kassenschlangen und Bargeld. Die Volksbank beliefert Geschäfte auf der Insel Wangerooge nicht mehr mit kleinen Münzen. Erste Restaurants wie das Baba Green in Düsseldorf bestehen auf Karte. Bäcker erlauben plötzlich Handyzahlungen. «In Deutschland ist es eine Generationenfrage», glaubt Hagen Krämer von der Hochschule Karlsruhe. «Die Jungen sind technikaffiner. Das Handy ist ihnen wie ein neuer Körperteil angewachsen.» Der Auftritt von Apple und Google gibt dem Smartphone einen Schub: Inzwischen bezahlt schon jeder vierte Deutsche per Handy.[4]

Der Trend ist überall eindeutig: Die Bedeutung des Bargelds schwindet massiv. Bevor die Probleme damit verhandelt werden, lässt sich erstmal sagen: Das Schwinden ist insofern nicht beunruhigend, als es seit Jahrhunderten geschieht.

Nur mit barem Geld wäre die Entwicklung zum modernen Wohlstand unmöglich gewesen. Um für die heutige Weltwirtschaft benötigte Geldmengen in Münzen aus Edelmetall bereitzustellen, bräuchte es mehrere Himalaya-Gebirgsketten aus Gold. Es gibt schlicht zu wenig Gold und Silber auf der Welt. Und selbst wenn es genug gäbe, wäre ein Wirtschaftssystem aus Bargeld keine gute Idee.

Mit anfassbarem Geld werden die meisten wirtschaftlichen Aktivitäten mühsam, die sich heute in Sekundenschnelle vollziehen. Die Miete bar bezahlen, genau wie Strom, Versicherungen, Steuern, Zeitungsabos? Jeden Zulieferer in der Autoherstellung in den USA, China oder Brasilien bar bezahlen? Moderne Waren entstehen durch Wertschöpfungsketten, die über mehrere Kontinente laufen. Ein bares Wirtschaftssystem würde Armut produzieren. Deshalb bestehen heute mindestens 90 Prozent unseres Geldes aus virtuellen Zahlenkolonnen auf dem Bankkonto. Die verwandeln sich jedoch am Bankautomaten in Bargeld, und deshalb lässt sich den Kolonnen vertrauen.

Die Grenzen des Bargelds zeigen auch, dass es schwierig ist, Währungen mit Gold zu decken. Kritiker der Staatswährungen postulieren diese Idee immer wieder. Sie nennen Euro und Dollar abschätzig Fiatwährungen. Von Fiat, lateinisch für Es sei! Das soll beweisen, dass das moderne Geld der Zentralbanken eine unzuverlässige Suggestion ist – weil es anders als früher nicht aus Gold besteht oder damit gedeckt ist.

Hinter der Golddeckung steht die Idee, dass die Zentralbank nur Geld in einem festen Verhältnis zum Gold ausgeben darf, das sie im Tresor liegen hat. Erreicht sie diese Grenze, muss sie aufhören. Die Banken können dann keine neuen Kredite an Unternehmen vergeben, die neue Maschinen kaufen und neue Fabriken bauen wollen. Die Volkswirtschaft wird abgewürgt. «Wenn die Geldmenge an den Bestand von Edelmetallen gekoppelt ist, lässt sie sich nicht so einfach erweitern, die Wirtschaft kann wegen der Knappheit von Gold oder Silber nicht recht wachsen», erklärt Niall Ferguson. Wächst die Geldmenge mangels Gold nicht ausreichend, fallen die Preise. Es droht Deflation, ein andauernder Preisverfall, der die Wirtschaft lähmt. Welche Firma investiert, wenn die Preise fallen und sie für ihre Produkte künftig weniger erzielen wird?

«Die Deflation im Deutschland der frühen 1930er Jahre ist vom Goldstandard mitverursacht worden», analysiert Ferguson. Die Deflation war einer der Gründe für die Weltwirtschaftskrise, weshalb er folgert: «Der Aufstieg Adolf Hitlers hat viel mit der deutschen Finanzgeschichte zu tun.» Der britische Ökonom John Maynard Keynes, der damals die moderne Anti-Krisenpolitik erfand, nannte den Goldstandard ein «barbarisches Relikt».

Weil Golddeckung das Wachstum der Wirtschaft hemmt, gaben die USA es 1971 komplett auf, ihre Weltleitwährung Dollar durch Gold zu decken. Modernes Geld legitimiert sich nicht durch Metall aus dem Boden, sondern durch die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft. Und durch Notenbanken, die Vertrauen in die Währung schaffen. Es gelang den Notenbankern in den vergangenen Dekaden gut, die Gefahr einer Entwertung des Geldes durch hohe Inflation zu verhindern.

Wie der Goldstandard würde es die Wirtschaft auch gefährlich bremsen, die Geldmenge gewaltsam zu begrenzen. Wachstumsskeptiker fordern ein sogenanntes Vollgeld: Private Banken sollen nicht mehr durch Kredite Geld schöpfen. Was die Kunden auf ihren Konten liegen haben, müsste voll durch Banknoten bei der Zentralbank gedeckt sein. So eine Deckung würgt aber ebenso wie die Golddeckung Kredite und damit Investitionen ab. Die ökologischen Probleme des Wirtschaftens, die Vollgeldanhänger beklagen, lassen sich anders besser angehen: Etwa, indem umweltschonender produziert wird und neue Energieformen verwandt werden.

Das physisch anfassbare Geld in der Hand der Bürger zeigte schon zu seinen Hochzeiten Nachteile. Falschmünzer wie Philipp der Schöne zerstörten das Vertrauen, indem sie das Edelmetall mit billigem Kupfer streckten, um ihre Kassen aufzufüllen. Der Handelsrepublik Venedig ging im 15. Jahrhundert gar das Geld aus: Sie konnte keine Silbermünzen mehr produzieren, nachdem der türkische Sultan die serbischen Silberminen besetzt hatte.

Wie eine Ironie der Geschichte wirkt, dass die katholische Kirche auch durch das Bargeld ihr Monopol aufs Christentum verlor. Als Martin Luther im 16. Jahrhundert zwischen Ostsee und Elbe rasch Anhänger sammelte, lag das an seinen Predigten gegen den Ablasshandel. Bei dem versprach die katholische Kirche Gläubigen, sie würde für Spenden ihre Sünden stornieren. Die gespendeten Münzen wurden in unzähligen Kisten mit bewaffneten Eskorten nach Rom transportiert. Empört sahen die Menschen am Wegesrand auf ihr sauer verdientes Geld, das gen Italien verschwand. Bargeldlos wäre der absurde Ablasshandel für den römischen Klerus weniger schädlich gewesen.

Diese historische Anekdote verblasst angesichts der sehr existenziellen Art, in der die Menschen in der Corona-Pandemie am Bargeld zweifelten. Auf Geldscheinen tummeln sich stets tausende Keime. Richtig gefährlich erschien das allerdings erst durch Corona. Geschäfte forderten ihre Kunden auf, per Karte oder Handy zu zahlen. In den USA erlaubten Lieferdienste wie Grubhub und Door Dash kein Bargeld mehr. In Österreich bat fast jedes Geschäft darum, bargeldlos zu zahlen. Wer in einer Hamburger Bäckerei auf Bargeld bestand, musste sich in eine Liste eintragen, um bei einer Infektion auffindbar zu sein. «Banknoten können Verunreinigungen aufweisen wie andere Gegenstände im öffentlichen Gebrauch, etwa Türklinken», erklärte die Schweizer Nationalbank. Grippeviren können auf Banknoten bis zu 17 Tage überleben, warnte Mark Witschi vom Gesundheitsamt in Bern. Notenbanken in den USA, China und Südkorea steckten Banknoten in Quarantäne oder verbrannten sie gar.

Doch wie groß die Gefahr durch Bargeld wirklich ist, ist umstritten. Nach einer vielzitierten US-Studie ist das Virus auf Kupfer vier Stunden und auf Pappe sogar 24 Stunden zu finden. Münzen bestehen jedoch nur teils aus Kupfer und Geldscheine nicht aus Pappe. «Ich denke nicht, dass das Corona-Virus auf Geld weit reist», beruhigte die Epidemiologin Emily Martin von der University of Michigan. «Es ist nicht unmöglich, dass sich auf Dollar-Scheinen Spuren des Virus befinden, aber Händewaschen sollte ausreichend Schutz bieten», beruhigte Julie Fischer von der Georgetown University.

Die Bürger änderten dennoch ihr Verhalten. 60 Prozent der Deutschen zahlten häufiger mit Karte – am liebsten kontaktlos. So verstärkt die Corona-Krise die Ablösung des Bargelds. Wer sich ans Bezahlen per Karte oder Handy gewöhnt, bleibt auch nach der Pandemie dabei. Die 75-Jährige Rentnerin Sieglinde Berger hatte ihre Einkäufe zuvor fast immer bar bezahlt. Nun stieg sie auf Karte um. «Ich glaube, das werde ich jetzt immer so machen», sagte sie. «Die Menschen kehren auch nach der Krise nicht zum Bargeld zurück», prophezeit der österreichische Chef der N26-Bank, Valentin Stalf.

Viele Menschen nehmen das Corona-Virus als Risiko wahr, das von außen aufgezwungen ist, erklären Soziologen. Das sei ein klassischer Auslöser dafür, ein stark vermeidendes Verhalten an den Tag zu legen, um das Risiko zu mindern – wie jetzt mit Karte oder Handy zu zahlen. In der aktuellen Notsituation studierten viele ein anderes Verhalten ein, das wahrscheinlich dauerhaft bleibe. «Das gilt gerade auch für ältere Menschen, die bisher vorwiegend mit Bargeld gezahlt haben.»

Die Pandemie verschärft einen Trend, der ohnehin stattfindet. Die Menschen nutzen öfter Karte und Handy, weil sie das bequemer finden und Jüngere offener für neue Technik sind. Es gibt Gründe, warum das Bargeld schwindet.

Aber verschwinden muss es deshalb nicht.

Es widerspricht den Interessen vieler Menschen, Münzen und Scheine gleich ganz abzuschaffen. Sie pochen auf das Recht, Bargeld zu halten, das mehr Privatheit erlaubt als die Datenspuren des Smartphones. Doch mächtige Konzerne und Ökonomen wollen das Bargeld gezielt verdrängen. Hier findet ein regelrechter Angriff auf Scheine und Münzen statt, vor allem aus kommerziellen Motiven. Dieser Angriff widerspricht den Interessen der Bürger. Auch das war in der Corona-Krise zu sehen. Die Pandemie erzeugte nicht nur eine Berührungsangst zum Bargeld, sondern auch ein großes Bedürfnis danach. Zwar scheuten sich viele Menschen, mit Bargeld zu zahlen, aber dafür horteten sie es. Wie oft in Wirtschaftskrisen, wenn die Börse abstürzt und die Arbeitsstelle, ja die ganze Existenz bedroht scheint.

Wie bei früheren Krisen kauften die Menschen Gold – und hoben Bargeld von der Bank ab. Um es zu Hause zu bunkern, um es zur Not für Einkäufe vorrätig zu haben. Nach dem Corona-Ausbruch hoben die Deutschen doppelt so viel von ihren Bankkonten ab wie sonst und die Österreicher drei Mal so viel.[5]