Im Folgenden verwende ich bei den Quellenangaben diese Abkürzungen für Zeitungen: FAZ = Frankfurter Allgemeine Zeitung. HB = Handelsblatt. NZZ = Neue Zürcher Zeitung. New York Times = NYT. SZ = Süddeutsche Zeitung.
1«Face Pay, die Bezahlung per Gesichtserkennung: In China ist das bereits Realität. Es ist eine Erfindung des WeChat-Konzerns Tencent, einem der Big Player im Bezahl-Geschäft. WeChat ist das größte Soziale Netzwerk in Asien. Es verknüpft Funktionen von Facebook, Facebooks Messenger und WhatsApp auf einer Plattform. Allein in China loggen sich täglich 800 Millionen Menschen bei WeChat ein. Setzt sich ‹Frog Pro› in China und darüber hinaus durch, könnte dies die Art und Weise, wie wir einkaufen, nachhaltig verändern. (…) Jörg Schreiner, Softwareexperte und Managing Partner des Unternehmensberaters co-shift, geht davon aus, dass WeChat Verhaltensprofile der Kunden nutzt, um Irrtümer bei der Gesichtserkennung zu vermeiden. ‹Darüber könnte ich jederzeit feststellen, ob die Person, die eine Identität vorgibt, auch tatsächlich diese Person ist›, sagt er. Profiling im großen Stil also. Vor einem solchen Szenario warnen Datenschützer seit langem. Marit Hansen, Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, befürchtet, dass WeChat zur Beweissicherung einer Bezahlung Gesichtsfotos speichert – samt Zeit und Ort des Kaufs. Dadurch könnten detaillierte Bewegungsprofile von Kunden gezeichnet werden, die wiederum Potenzial für Marketing hätten. Das Geschäft mit den Daten ist in China zwar nicht dasselbe wie in Deutschland oder Europa. Hier gibt es strengere Bestimmungen. Und doch rechnet Datenschützerin Hansen damit, dass Bezahlsysteme via Gesichtserkennung in absehbarer Zeit auch für Firmen wie Facebook oder Amazon ein Thema werden. ‹Wir sind auf dem Weg zu Welt-Datenbanken mit allen Gesichtern von allen Menschen›, sagt sie. Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schließt einen solchen Service auch in Europa nicht generell aus. Artikel 9 erlaubt Konzernen wie Facebook, biometrische Daten wie Gesichtsbilder zu verarbeiten, wenn Nutzer in die Verarbeitung zu einem bestimmten Zweck eingewilligt haben. Nur ist die Einwilligung so eine Sache. Laut Artikel 7 DSGVO müssen Nutzer exakt informiert werden, was mit ihren biometrischen Daten geschieht und welche Konsequenzen deren Verwendung hat. Aus Sicht von Datenschützern erfüllt Facebook diese Vorgabe momentan nicht.» Marcel Bohnensteffen, WeChat prescht in China vor, Business Insider, 20.9.2019. «Despite the concerns over data security and privacy, many consumers seem unperturbed by facial recognition payment in the high street. Alipay – the financial arm of ecommerce giant Alibaba – has been leading the charge in China with devices already in 100 cities. Alipay will spend three billion yuan ($ 420 m) over three years on implementing the technology. (…) ‹There’s a big risk … that the state could use this data for their own purposes, such as surveillance, monitoring, the tracking of political dissidents, social and information control, ethnic profiling, as in the case with Uighurs in Xinjiang, and even predictive policing›, says Adam Ni, China researcher at Macquarie University in Sydney.» Smile-to-pay: Chinese shoppers turn to facial payment technology, Guardian, 4.9.2019.
2Nicolas Baverez, L’âge de l’hélicoptère monétaire, Le Figaro, 5.4.2020. Gérard Vincent aus Philippe Ariès, Geschichte des privaten Lebens, Band V., S. Fischer Verlag 1993. Neha Narula, Does the U.S. Need a National Digital Currency?, Wall Street Journal, 23.2.2020. Paul Vigna, Brace for the Digital-Money Wars, Wall Street Journal, 7.12.2019. Interview Jon Cunliffe, HB, 23.3.2020.
1Wer dagegen einen anderen Gläubigen absichtlich tötet, dem verheißt der Koran die Hölle. «Damit zeichnet sich im Islam ab, was im Christentum zur universalen Botschaft wird, sich aber erst nach einem langen Entwicklungsprozess in der Rechtswirklichkeit durchsetzt: In seiner unantastbaren Würde ist der Mensch über allen Preis erhoben. Folgerichtig werden für Kapitalverbrechen nicht Geldbußen, sondern Freiheitsstrafen verhängt.» Otfried Höffe, Der bestialische Ursprung des Geldes, FAZ, 24.11.2017. Joachim Mohr, Aufstand der Barbaren, Spiegel Geschichte, 29.11.2011.
2Dieses Kapitel verdankt viel Quellen wie Niall Ferguson, The Ascent of Money, Penguin 2008. Andre Geicke, Vom Gold zur Buchung, Jan Friedmann, Große Gartenhure, sowie zahlreiche andere Beiträge aus Spiegel Geschichte, 4/2009. Christoph Türcke, Schrecken, Schuld und Schlachtopfer, Neue Zürcher Zeitung, 14.3.2015. Gustav Seibt, Schein-Reich, SZ, 6.2.2016. Otmar Issing, Von Geld und Götzen, FAZ, 24.4.2015. Nikolaus Piper, Ton, Steine, Scherben, SZ, 23.2.2016. Nils Boeing, Geld ist kein Tauschmittel, Zeit, 1.6.2016.
3David Graeber, Debt. The First 5,000 Years, Melville House 2014. Die lydischen Könige mussten zuvor für ihre Krieger aufwändig Lebensmittel beschaffen. Jetzt gaben sie den Soldaten Münzen, von denen sie sich selbst was kaufen konnten.
4«Papier war jahrhundertelang bloß Anweisung auf Geld: Wechsel, die auf bestimmte Münzbeträge ausgestellt wurden. Geld selbst aber war nur die Münze», schreibt Christoph Türcke. «Erst als Ende des 17. Jahrhunderts ein privates Konsortium von Kaufleuten die Bank von England gründete, da entstand das Modell der modernen Zentralbank – mit dem Privileg, nationales Papiergeld zu drucken. Zunächst nur so viel, wie durch Münzen gedeckt war.»
5Zu Silvio Gesell Nikolaus Piper, Wo Hitler Wirtschaft lernte, SZ, 1.3.2019. Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, Band 1, C.H.Beck Verlag 2009. Angus Deaton, The Great Escape, Princeton University Press 2014. Interview Angus Deaton, SZ, 9.1.2017. Henri Pirenne, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter, Francke Verlag 1976. Nils Klawitter, Der deutsche Weg, Spiegel Geschichte, 31.5.2016.
6Alexander Hagelüken, Alexander Mühlauer, Die Gebote der Gier, SZ, 1.4.2009. Sheelah Kolhatkar, The Ultra-Wealthy who argue that they should be paying higher taxes, New Yorker, 6.1.2020.
7Warum? «Rechtspopulisten sind sehr geschickt daran, andere verantwortlich zu machen. Und das passt: Nach der Finanzkrise wollen Menschen einen Schuldigen», sagt Moritz Schularick, der den politischen Fallout von Finanzkrisen für lange Zeiträume untersuchte. Die Globalisierung trage den Keim des eigenen Untergangs in sich. Neben Finanzkrisen meint er damit Ungleichheit. Alexander Hagelüken, Wenn liberal asozial bedeutet, SZ, 14.11.2017. Arbeitslosenzahlen William Dudley, President Federal Reserve Bank of New York: Lessons from the financial crisis, Economic Club NY, 6.11.2017.
1Bei einer Umfrage der schwedischen Riksbank erklärten 2014 87 Prozent, sie hätten vergangenen Monat mit Bargeld bezahlt. 2018 waren es nur 61 Prozent. Dagegen erklärten 62 Prozent, sie hätten mit Swish bezahlt – und 93 Prozent mit Giro- oder Kreditkarte. Interview Markus Brunnermeier, SZ, 29.7.2019. Das Bargeld – eine deutsche Leidenschaft, Deutsche Welle, 29.10.2019. Michael Ossenkopp, Wie die allererste Kreditkarte erfunden wurde, Augsburger Allgemeine, 8.2.2020.
2«Handel und Warenproduktion haben ein solches Ausmaß angenommen und die Umschlagzeiten eine derartige Geschwindigkeit erreicht, dass Gebirge von Gold und Silber nötig wären, um die Werte abzubilden. Das ideale Geld der globalisierten Wirtschaft ist nicht mehr Gold, sondern der pure Kredit, auf den Cent genau im elektronischen Gedächtnis der Banken verbucht. Gedeckt ist er einzig durch unser Vertrauen, einen vom Konto abzubuchenden Betrag jederzeit gegen einen gleichwertigen Teil des Sozialprodukts eintauschen zu können.» André Geicke, Vom Gold zur Buchung, Spiegel Geschichte 4/2009. «Leider ist die Menge allen Goldes, das im Lauf der Geschichte abgebaut wurde, so gering, dass eine Unze locker eine Million Dollar wert sein müsste.» Nils Boeing, Geld ist kein Tauschmittel, Zeit, 1.6.2016.
3Zahlen Gesellschaft für Konsumforschung. «Bargeldzahlungen kommen im Schnitt auf knapp 22 Sekunden.» Dagegen kontaktlos: «Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass durchschnittliche Bezahlzeiten zwischen zehn und 15 Sekunden zu erwarten sind, sofern keine Autorisierung erforderlich ist.» Kosten der Bargeldzahlung im Einzelhandel, Deutsche Bundesbank, 2019. Eine Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn bestätigt den Trend. Demnach dauert Barzahlen länger als kontaktlos, das per Smartphone nur 14 Sekunden dauere.
4Einlassungen von Volker Wieland, Moritz Schularick und Hagen Krämer in diesem Buch aus Gesprächen zwischen 2018 und 2020, wenn nicht anders bezeichnet. Telis Demos, Cash May Not Be King, Wall Street Journal, 31.1.2020. Umfrage Europäische Zentralbank 2017. Die Verbraucher in Deutschland haben ihre Einkäufe 2018 dem Handelsforschungsinstitut EHI zufolge erstmals häufiger mit Giro- und Kreditkarten als mit Bargeld bezahlt. Laut einer Umfrage der Bank ING-Diba liegt die Barzahlungsquote der 25- bis 34-jährigen Deutschen um bis zu 20 Prozentpunkte unter der älterer Bürger. Weg mit den Münzen, Oberösterreichische Nachrichten, 13.2.2020. Wie zahlen die Schweizer?, Dieostschweiz.ch, 28.2.2020. Eiszeit fürs Bargeld, Gast.at, 6.2.2020. Umfrage des Vergleichsportals Verivox, Westdeutsche Zeitung, 4.11.2019.
5Der Virologe René Gottschalk gab öffentlich Entwarnung: Von Bargeld gehe keine große Infektionsgefahr aus. Der Hauptübertragungsweg für Corona sei die Tröpfcheninfektion beim Husten oder Niesen, nicht über Oberflächen. Ausschließen sollte man in der Medizin nie etwas, sagte Gottschalk, aber es sei kein Fall bekannt, in dem die Krankheit über Geldscheine übertragen worden sei. Michael Kläsgen, Felicitas Wilke, Los, los, kontaktlos, SZ, 27.3.2020. Christian Siedenbiedel, Nachfrage nach Bargeld steigt/Einzelne Banken begrenzen Bargeldausgabe, FAZ, 17./20.03.2020. Veronica Dagher, As Coronavirus Spreads, Should You Have More Cash?, Wall Street Journal, 12.3.2020. Elisabeth Atzler, Abschied vom Bargeld, HB, 28.4.2020. Andreas Schnauder, Österreicher bunkern wegen Coronavirus-Krise, Standard, 15.3.2020.
1«The filing is a glimpse at Amazon’s ideas for putting its own tech-forward spin on how people shop in brick-and-mortar stores. But a new potential method for identifying people using biometrics will also likely raise questions for a company that is already facing increased scrutiny over privacy concerns related to its products, ranging from its Alexa voice assistant to its», Jason Del Rey, Amazon wants to patent technology, Recode, 26.12.2019. Konstantinos Mitsis, Amazon lässt neue Bezahlart patentieren, chip.de 2.1.2020. Zukunft des Einkaufens, Futurezone.de, 2.1.2020.
2Einlassungen von Achim Truger aus Gesprächen 2019 und 2020. John Ryan, Tesco und Amazon: Checkout ohne Bargeld, stores+shops, 15.4.2020. Thomas Magenheim-Hörmann, Ganz ohne Bargeld, Frankfurter Rundschau, 14.11.2019. Leila Abboud, Worldline agrees deal, Financial Times, 4.2.2020. Kirstin von Elm, Cashierless Checkout, stores+shops, 21.3.2019.
3Jon Frost, Leonardo Gambacorta, Yi Huang, Hyun Song Shin, Pablo Zbinden, BigTech and the changing structure of financial intermediation, BIS Working Papers 779, 2019. Laura Noonan, Goldman nears Amazon loans pact/Lex, Friendly lending, Financial Times, 4.2.2020. Juniper Research, 11.2.2020. Carolin Roth, Tech-Riesen greifen den Finanzsektor an, NZZ, 17.1.2020. Franz Nestler, Philipp Krohn, Roland Lindner, Google mischt die Finanzbranche auf, FAZ, 15.11.2019. Tobias Kisling, Geld googeln?, Berliner Morgenpost, 14.11.2019.
4Paypal-Kunden, die ihr Konto mit Google Pay verknüpft haben, sollten dringend ihre Umsätze überprüfen. Durch eine Lücke im Sicherheitssystem war es Hackern möglich, Abbuchungen zu tätigen. Der Sicherheitsforscher Markus Fenske meldete sich über Twitter, die Lücke schon vor einem Jahr entdeckt und gemeldet zu haben. Doch das Unternehmen habe nicht reagiert. Nach mehreren Medienberichten gab Paypal nun an, die Lücke geschlossen zu haben. Fenske dementierte das jedoch: «Wir haben gerade einen Euro auf mein Amazon-Konto geladen, mit einer Karte, die wir vor 10 Minuten per NFC ausgelesen haben.» heise.de, 25.2.2020. Ein Zentralbanker lenkt den Blick darauf, dass es Unterschiede zwischen den Zahlungsanbietern gebe: «Apple Pay hat versprochen, die Kartendaten und die personenbezogenen Transaktionsdaten nicht zu speichern. Somit gehen die Kartendaten nicht mehr an die Händler. Dies ist ein Vorteil gegenüber anderen Zahlungssystemen.» Der EU-Abgeordnete Markus Ferber gibt aber zu bedenken: «Strategisch gesehen muss Apple an die Daten ran, weil Google über Android ein Übergewicht hat und Hardware ausgelutscht ist.» ESMA Report on Trends, Risks and Vulnerabilities 1, 2020. Alexander Hagelüken, Markus Zydra, Interview Burkhard Balz, SZ, 14.4.2020. Ulf Schönert, Wie schütze ich mich?, stern, 23.1.2020. Norbert Häring, Schönes Neues Geld, Campus Verlag 2018. Christian Blees, Cash me if you can, Deutschlandfunk, 17.12.2019. Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling lenkt den Blick darauf, dass unterschiedliche Regeln gelten. «Für Zahlungen per Kreditkarte gilt das Bankgeheimnis, die Daten darf niemand weitergeben.»
5«Over the last half-century, the biggest American companies have captured a fatter share of profits produced by public companies, according to research from Kathleen M. Kahle, a University of Arizona finance professor, and René M. Stulz, an economist at Ohio State University. In 1975, the top 100 public companies snared about 49 percent of the earnings of all public companies. By 2015, that share had jumped to 84 percent», Daisuke Wakabayashi, Matt Phillips, The Gap Between the Haves and Have-Nots of Tech Widens, NYT, 3.2.2020. «Keine einzige Großbank, die angefragt wurde, plant, einen Antrag auf Nutzung von Apples NFC-Schnittstelle zu stellen. Wer Apple Pay bereits im Angebot hat, sieht offenbar keine Notwendigkeit, parallel ein zweites, eigenes Angebot aufzubauen. Möglicherweise hätten sie eine andere Strategie gewählt, wenn das Gesetz früher in Kraft getreten wäre – nun aber sind schon zu viele Ressourcen in Apple Pay geflossen.» John Stanley Hunter, Deutsche Banken haben das Interesse an Apples NFC-Schnittstelle verloren, Finance Forward, 10.02.2020, Moritz Koch, Apple zeigt sich empört über Gesetzentwurf, HB, 15.11.2019.
6«Auch 20 Jahre nach der Einführung einer gemeinsamen Währung gebe es immer noch kein europäisches Netzwerk für Kartenzahlungen, kritisierte EZB-Direktor Benoît Cœuré. ‹In diesem Umfeld gibt es klare Anzeichen dafür, dass Europa in Gefahr ist, seinen wirtschaftlichen Vorsprung zu verlieren›, warnte der Franzose. So gebe es in zehn europäischen Ländern nationale Systeme, die keine Karten von anderen EU-Ländern akzeptierten. Europas Banken ist es bislang nicht gelungen, auf dem Feld der Kartenzahlungen eine konkurrenzfähige Alternative zu den großen US-Kreditkartenanbietern Mastercard und Visa zu entwickeln. Zudem ist das Geschäft mit Bezahldiensten durch den digitalen Wandel stark im Umbruch. Denn den Finanzinstituten erwächst inzwischen neue Konkurrenz durch mobile Bezahldienste wie Google Pay oder Apple Pay. Unternehmen mit globaler Marktmacht würden nicht notwendigerweise auch im besten Interesse Europas handeln.» Reuters 26.11.2019.
7«China erlebt gerade einen Entwicklungssprung, den Techniker und Ökonomen als ‹Leapfrogging› bezeichnen: Dabei überholt ein zuvor rückständiges Land mit einem Mal die scheinbar fortschrittlichsten Gesellschaften, um sich an die Spitze zu setzen. Für einen Europäer ist Chinas digitaler großer Sprung eine ernüchternde Erfahrung. Er ruft in Erinnerung, wie Deutschland einst an der ersten Industriemacht England vorbeizog und später dann Amerika an Europa. Auf den ersten Blick wirken Peking und Shanghai heute so modern, wie einem Berliner oder Wiener vor hundert Jahren Chicago und New York vorgekommen sein müssen: Überall scheint die Zukunft, die London, Rom oder Madrid gemütlich auf sich zukommen lässt, schon da zu sein.» Bernhard Zand, Alles unter Kontrolle, Spiegel, 24.10.2018. Ende des 20. Jahrhunderts sprengte die finanzielle Globalisierung die alte scharfe Trennung zwischen reichen Industrie- und armen Schwellenländern: «China wurde Amerikas Banker – der kommunistische Gläubiger des kapitalistischen Schuldners, eine epochale Veränderung», sagt Niall Ferguson. Alexander Trentin, In China vermisst niemand das Bargeld, Finanz und Wirtschaft, 16.10.2019.
8«Facial recognition is only one part of a broader review that so-called surveillance capitalism badly needs. Google plans to gather vast amounts of healthcare data from millions of users through sensors in wearables, mattresses and even toilet seats», Financial Times, 22.1.2020. «Die Wettbewerbsfähigkeit großer Industrienationen wie Deutschland wird durch lange Entscheidungsprozesse, veraltete IT-Strukturen, eine verbreitete Skepsis gegenüber Technologie und im internationalen Vergleich unzureichende Investitionen in Zukunftstechnologien beeinträchtigt›, heißt es in einem Strategiepapier des deutschen Außenministeriums. Während die wirtschaftliche Basis und der außenpolitische Einfluss der Bundesrepublik zu erodieren drohten, wüssten autoritär regierte Staaten vom digitalen Wandel zu profitieren. Die Folge: ‹Der in der analogen Welt geltende Rechtskanon von Menschenrechten, Urheberrechten und Datenschutz steht im digitalen Raum unter Druck.› Hinrich Thölken, Hauptautor des Strategiepapiers, bezeichnet digitale Technologien als ‹Doping für Diktaturen›. Moritz Koch, Doping für Diktaturen, HB, 7.11.2019. Stefania Palma, Mercedes Ruehl, Virtual banks face tough test, Financial Times, 22.1.2020. Adam Satariano, Companies Make Their Pitch, NYT, 7.2.2020. Kashmir Hill, The Secretive Company That Might End Privacy, NYT, 19.1.2020.
1Studie der US-Notenbank 2019. Mehr als 86 Prozent der über 50-jährigen Deutschen wünschen sich nach einer Umfrage des Bankenverbands weiterhin Bargeld. Insgesamt bevorzugen danach fast die Hälfte Bargeld gegenüber Giro- und Kreditkarte. Veronica Dagher, As Coronavirus Spreads, Should You Have More Cash?, Wall Street Journal, 12.3.2020. Adrian Lobe, Digital zahlen und trotzdem anonym bleiben, Standard, 16.2.2020. Caitlin McCabe, Sebastian Pellejero, Robinhood Outage Strands Customers, Wall Street Journal, 3.3.2020. Raphael Zehnder, Sind die Tage des Bargelds gezählt?, SRF Kultur, 8.1.2020. Thomas Öchsner, Girokonten werden immer teurer, SZ, 11.5.2020.
2Der Kronzeuge erzählte: «Das Wort Schmiergeld war verpönt. Es war immer von nützlichen Aufwendungen die Rede. (…) Die Manager redeten mit einem Augenzwinkern darüber. Einer sagte, ‹Was glaubt ihr, wieso wir alle diese Aufträge für Telekom-Anlagen aus Russland oder Afrika bekommen? Weil unsere Produkte so toll sind? Oder weil wir so nett sind?› Dann lachten alle.» (…) SZ: «2002 wurden Sie endgültig zum ‹Herrn der schwarzen Kassen›, wie die Staatsanwälte sagten. Sie stellten 50 Millionen Euro Schmiergeld bereit?» – «Wir saßen mit fünf, sechs Leuten beim ‹Alten Wirt› in Forstenried. Das Top-Management fürchtete, dass es einen Wildwuchs gibt, man wollte eine zentrale Kasse. Dann hieß es, wer übernimmt das? Alle schauten mich an. Wir haben kalkuliert, ohne Aufträge aus den Ländern, wo man schmieren muss, fällt eine Milliarde Euro Umsatz weg. (…) In Nigeria wurden die Siemens-Geldboten von bestochenen Offiziellen durch die Kontrollen gelotst und mit gepanzerten Autos abgeholt. Im zweiten Auto saßen die Bodyguards. In Nigeria werden Sie schon für tausend Dollar erschossen, und unsere Leute hatten ja mehr dabei.» Harald Freiberger, Alexander Hagelüken, Klaus Ott, Interview, SZ, 1.8.2008.
3Aussagen von Joachim Wuermeling in diesem Buch aus meinem Interview, SZ, 5.11.2019. «In einem geharnischten Brief vom 13. Dezember 2019 beschwerte sich der zuständige EZB-Direktor Yves Mersch bei Parlament und Finanzminister Italiens darüber, dass die EZB noch nicht angehört wurde. Italien plant, die Obergrenze für Barzahlungen zu senken: Sie soll von 3000 auf 1000 Euro herabgesetzt werden. Lange Zeit hat die EZB Bargeldobergrenzen einzelner Länder kritiklos durchgewunken. Aber seit 2017 hat sich der Ton deutlich verändert. So kritisierte die EZB die portugiesische Regierung, als diese Strafen für hohe Barzahlungen einführen wollte. Als die griechische Regierung dort 2019 Anti-Bargeld-Maßnahmen verschärfen wollte, fing sie sich eine scharfe Rüge von der EZB ein.» Norbert Häring, Jan Mallien, Die EZB wechselt ins Lager der Bargeldfreunde, HB, 27.1.2020. Markus Zydra, Waschtag, SZ, 14.1.2020.
1«Es war ein Akt der Emanzipation, als 1778 die Ersparungsclasse der Hamburgischen Allgemeinen Versorgungsanstalt gegründet wurde und bald andere Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Auch Handwerksgesellen und Dienstmägde sollten ihr Geld sicher und verzinslich anlegen, nicht nur Adlige. Als die Industrialisierung die Arbeiter in Gemeinschaftsunterkünfte zusammenpfercht, wird dort der Lohn geklaut. Erst auf dem Sparbuch ist er sicher.» Alexander Hagelüken, Schwein gehabt, SZ, 29.11.2013.
2Immobilien brachten im Schnitt über 150 Jahre real acht Prozent Wertsteigerung pro Jahr, Aktien knapp sieben. Anleihen brachten nur knapp zwei Prozent, Bankeinlagen nur 0,3 Prozent. Òscar Jordà, Katharina Knoll, Dmitry Kuvshinov, Moritz Schularick, Alan M. Taylor, The Rate of Return on Everything, 1870–2015, Federal Reserve Bank of San Francisco Working Paper 2017–25. Weitere Belege Kapitel Wie Sparer der Zinsfalle entkommen. Realzinsen deutscher Sparbücher Deutsche Bundesbank. Aktionärsquoten Deutsches Aktieninstitut und Philip Plickert, Arme reiche Deutsche, FAZ, 22.1.2018. Monika Graf, Nullzins-Ära, Salzburger Nachrichten, 12.2.2020.
3«Only two of more than 20 countries in the developed world have real 10-year yields above zero: Portugal and Italy.» Jim Bianco, Central Banks Can’t Create Negative Rates by Themselves, Bloomberg, 9.10.2019. Christian Siedenbiedel, Die negativen Zinsen der anderen, FAZ, 16.11.2019. Entgangene Zinsen deutscher Sparer laut DZ Bank 648 Milliarden Euro. Sie vergleicht die durchschnittlichen Einlagenzinsen bei Banken von 2010–2019 mit den Jahren 1999–2009. Bei Anleihen und Versicherungsleistungen zieht sie einen etwas anderen Vergleichszeitraum heran. Für den Durchschnittswert pro Kopf gehe ich von knapp 60 Millionen Sparern in Deutschland aus. Holger Zschäpitz, Himmel und Hölle, Welt, 22.12.2019. BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels, Gewinner und Verlierer in der Welt dauerhafter Niedrigzinsen, Ifo-Schnelldienst, 24.10.2019.
4Die Deutschen haben mit rund 235 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel Bargeld in Banknoten zuhause wie vor zehn Jahren. Gemessen an einer Bevölkerungszahl von 83 Millionen, wären dies im Schnitt rund 2800 Euro pro Person. Das geht aus einer Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler hervor. Seit 2016 bis Mitte 2019 sind die Kassenbestände der Finanzinstitute in der Eurozone laut EZB-Daten um 57 Prozent auf 81,5 Mrd. Euro gestiegen, berichtet die Wiener Presse. Allein auf Deutschland seien davon rund 37 Milliarden entfallen. Mit großem Abstand folgen Banken aus Italien, Frankreich und Spanien. Die Bargeldbestände der österreichischen Geldinstitute seien von 2 bis 3 Milliarden Euro Anfang der 2010er Jahre bis Jahresende 2019 auf acht Mrd. Euro angewachsen. «Sehr abraten würde ich davon, sich das Geld einfach bar auszahlen zu lassen und daheim im Tresor aufzubewahren», sagt Hans-Peter Burghof, Bankenprofessor aus Stuttgart. «Wenn viele Menschen große Beträge zu Hause aufbewahrten, werde als Nächstes ein Anstieg der Einbruchzahlen zu beobachten sein.» Christian Siedenbiedel, Wechseln, abheben oder verhandeln, FAZ, 27.11.2019.
5«A period of protracted low interest rates would adversely affect pension funds and insurance companies», warnte die OECD schon 2011, zu Beginn der Nullzinsphase. Pablo Antolin, Sebastian Schich, Juan Yermo, The economic impact of protracted low interest rates, OECD Journal Issue 1, 2011. Das Problem wird immer schärfer, je länger es dauert, schreibt Jürgen Michels: «In der Frühphase der ultralockeren Geldpolitik konnten die Halter festverzinslicher Schuldtitel noch von substanziellen Kursgewinnen ihrer mit deutlich positiven Coupons versehenen Papiere profitieren. Zehn Jahre nach der Finanzkrise wurde jedoch ein Großteil der fälligen Altbestände durch Papiere mit niedrigerer Rendite, teils mit langen Laufzeiten ersetzt. Diese Entwicklung trifft in immer größerem Umfang die kapitalgedeckten Alterssicherungssysteme im Euroraum, die überwiegend in festverzinsliche Wertpapiere und nicht in Aktien oder Immobilien investiert sind.» «General Electric’s recent decision to freeze retirement benefits for 20,000 employees provides the latest unwelcome illustration of the problems confronting millions of US workers battling to secure a decent income in old age. The pain felt by GE’s employees is shared by more than half a million workers across multiple US industries that also face cuts to pension benefits, according to the Washington-based Pension Rights Center. Shifting workers out of generous salary-linked defined benefit pension schemes is a tactic widely adopted across US corporates. Just 16 per cent of Fortune 500 companies offered a salary-linked defined benefit retirement plan to new employees in 2017, down from 59 per cent in 1998, according to Willis Towers Watson, the pension scheme adviser..» Chris Flood, Falling interest rates wreak havoc in US pension system, 3.11.2019. «Die Rendite aus Versicherungen habe seit Anfang 2017 ein besonders niedriges Niveau erreicht», konstatiert die Bundesbank. 31 von rund 130 Pensionskassen standen Ende 2018 unter «intensivierter Aufsicht» der Finanzaufsicht BaFin, weil die Niedrigzinsen sie stark belasten. Das gleiche Elend bei den Lebensversicherern. Der Ausschuss für Finanzstabilität warnte schon 2017: «Es besteht die Gefahr, dass die erwirtschafteten Erträge nicht mehr ausreichen, um den langfristigen Verpflichtungen nachzukommen.» Niklas Hoyer, Christof Schürmann, Sparen in Zeiten des Nullzinses, Wirtschaftswoche, 14.6.2019. Renate Graber, Interview Andreas Treichl, Standard, 1.12.2019. Marija Kolak, Interview Deutsche Handwerks-Zeitung, 30.9.2019.
6Die Analyse belegt: Wer über mehr Geld verfügt, hat eher die Möglichkeit, mit dem Problem niedriger Zinsen umzugehen, als Menschen mit weniger Geld. «Wir befürchten, dass sich diese Ungleichheit in den nächsten Jahren verfestigt», so Helmut Schleweis. Sparkassen-Vermögensbarometer 2019. Umfrage des Gothaer Versicherungskonzerns, Februar 2020. Nicolas Baverez, Le Figaro, Welt, 3.11.2019. Thomas Fuster, Banken drängen auf Ende der Negativzinsen, NZZ, 26.10.2019. Finanzen.ch, 30.1.2020. Tom Fairless, Lagarde’s Diplomatic Skills to Be Tested, Wall Street Journal, 1.11.2019.
7«Die realen Zinsen (nominale Zinsen abzüglich Inflation) waren zu D-Mark-Zeiten ein Drittel der Zeit seit den 1970er Jahren negativ – so wie heute auch.» Marcel Fratzscher, 20 deutsche Mythen zur EZB-Geldpolitik, Tagesspiegel, 24.11.2019. Einlassungen von Peter Bofinger aus Gesprächen zwischen 2016 und 2020.
1Gespräch Peer Steinbrück Dezember 2013. Einlassungen von Hagen Krämer aus Gesprächen 2019 und 2020. Dieses und die folgenden Kapitel verdanken ihm viel, ebenso Peter Bofinger, Volker Wieland, Hagen Krämer, Moritz Schularick und mehreren Politikern und Notenbankern, die anonym bleiben wollen. EZB-Chefvolkswirt Philipp Lane sieht auch eine Verschiebung von kurz- zu langfristigen Staatsanleihen, wodurch auch die wenig abwerfen. Christian Siedenbiedel, Die wahren Gründe der Nullzinsen, FAZ, 2.12.2019. Neil Irwin, Your Portfolio Is Probably Doing Great, NYT, 27.11.2019. Thomas Mayer und Gunther Schnabl argumentieren, ein von Zentralbanken unabhängiger niedriger Zins sei so wenig schlüssig «wie das keynesianische Wirtschaftsmodell». Das sei blind für die Rolle von Zentralbanken. Doch das ist kein Argument gegen das Sinken des Zinses, sondern nur die (berechtigte) Warnung vor den Risiken lockerer Geldpolitik. Wie ist der Zins gestorben?, FAZ, 10.11.2019.
2«Die Fertilität lag im Weltdurchschnitt bis Mitte der 1960er Jahre konstant bei etwa 5 Kindern pro Frau. Danach begann sie zu sinken. Dabei unterschritten die meisten Industrieländer schon in den 1970er Jahren die magische Schwelle von 2,1. Bei dieser Fertilitätsrate bleibt die einheimische Bevölkerungszahl stabil. Derzeit wird dies in den OECD-Ländern mit 1,8 deutlich unterschritten.» Rainer Münz, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Bruns, Vorstand der Fondsgesellschaft Loys AG, äußert sich in Capital, 25.02.2020, Enke in Karsten Seibel, Geld anlegen für alle, Welt am Sonntag, 1.9.2019. Holger Zschäpitz, Himmel und Hölle, Welt, 22.12.2019.
3Jim Bianco schreibt: «The savings glut is leading to massive bond buying that is resulting in yields dropping below the inflation rate nearly everywhere in the developed world. Older people are buying bonds. Demographics tells us the developed world is not running out of old people anytime soon. The savings glut will continue.» Dagegen weisen Peter Bofinger und Moritz Schularick darauf hin, dass die private Sparquote in manchen Ländern nicht gestiegen sei, teils habe sie gar abgenommen. Völlig gegen die Demografie-These argumentiert Thomas Mayer: «Betrachtet man die Veränderung des Sparverhaltens und den Anstieg des Anteils der Rentner in den OECD-Ländern von 1995 bis 2018, sieht man, dass die Alterung eher mit einer Abnahme der Sparquote verbunden ist. Bezeichnend dafür ist Japan, das Land mit der am schnellsten alternden Bevölkerung. Dort ist die Sparquote der Haushalte dramatisch gefallen, wofür Untersuchungen vor allem den von der Zentralbank erzwungenen Rückgang der Sparzinsen verantwortlich machen.» Hagen Krämer deutet die stagnierende Sparquote mancher Industriestaaten so, dass angesichts der niedrigen Zinsen derzeit vielleicht noch der Anreiz fehle, mehr privat fürs Alter zu sparen. In jedem Fall habe die Demografie aber einen anderen Effekt. Weil die Alterung die Renten-, Gesundheits- und Pflegekassen leert, müssten Arbeitnehmer einen höheren Anteil ihres Lohns als Beiträge an diese Kassen zahlen. «Das stärkere Sparen zeigt sich vor allem im Zwangssparen in die Rentenkasse. Fast die Hälfte des privaten Vermögens in OECD-Ländern sind Renten-Ansprüche an den Staat, die aus diesen Beiträgen folgen.» Krämer hat mit Carl Christian von Weizsäcker ein Buch vorgelegt: Sparen und Investieren im 21. Jahrhundert, Springer, 2019. Philipp Lane glaubt, dass die Alterung die Nachfrage nach Ersparnis reduziert: Investitionen wirkten in einer alternden und deshalb wenig wachsenden Volkswirtschaft weniger lohnend.
4Alexander Hagelüken, Das gespaltene Land – wie Ungleichheit unsere Gesellschaft zerstört und was die Politik ändern muss, Droemer Knaur 2017. «A recent study by Emmanuel Saez and Gabriel Zucman found that the four hundred richest Americans pay a lower over-all tax rate than any other group in the country.» Sheelah Kolhatkar, The Ultra-Wealthy who argue that they should be paying higher taxes, New Yorker, 6.1.2020. Kalyeena Makortoff, Top FTSE bosses paid typical worker’s annual salary in just 33 hours, Guardian, 6.1.2020.
5Anders als Neoliberale behaupten, heißt das auch: «Mehr Umverteilung nach unten bringt nicht weniger, sondern mehr Wachstum – weil die untere Hälfte mehr konsumiert, also die Firmen mehr verkaufen», so Moritz Schularick. «It is widely documented that the marginal propensity to consume declines with income and wealth.» Mai Chi Dao, Victoria Perry, Alexander Klemm, Shafik Hebous, Wealth inequality and private savings in Germany, IMF Country Report 2019. Karen Dynan, Jonathan Skinner, Stephen P. Zeldes, Do the Rich Save More?, NBER Working Paper 7906, 2000.
6Der IWF erwartet, dass sich die private Sparquote erhöhen wird, wenn die Firmengewinne die Ungleichheit weiter hochtreiben. Die steigenden Firmenersparnisse kompensieren auch, dass die private Sparneigung in manchen Staaten abnahm, so ein früheres Papier: «The average household saving rate followed a downward trend since the mid-1990 s, which was almost fully offset by an increasing corporate saving rate.» Francesco Grigoli, Alexander Herman, Klaus Schmidt-Hebbel, World Saving, IMF Working Paper 14/204, 2014.
7Seit der Globalisierung profitiert der Westen vom Nachholbedarf von Schwellenländern wie China, aber dieser Effekt nimmt ab. Robert Gordon, Is U.S. Economic Growth Over?, NBER 18.315, 2012. Alexander Hagelüken, Nach all den Jahren, SZ, 21.10.2017.
8Es gibt weitere Effekte: Kapitalgüter wie Maschinen oder Computer werden durch die Globalisierung eher billiger, also sinken die Investitionssummen. Der Produktwandel zeigt sich darin, dass der Umsatz deutscher Videotheken seit 2010 von 500 auf 100 Millionen Euro schrumpfte. Die Deutschen kaufen zwei Drittel weniger CDs und Videos als vor wenigen Jahren. Statistisches Bundesamt 2010–2017. Früher wuchs der zur Produktion nötige Kapitalstock, als etwa Fernseher populär wurden, während Radios, Zeitungen, Bücher (und ihre Hersteller) blieben. Jetzt wird der Kapitalstock stärker ersetzt statt erweitert. Maschinen wie Rechner oder Roboter werden mächtiger, aber seltener. Fabrikbänder, Druckmaschinen und Faxgeräte schwinden.
9Jeff Sommer, You now get almost nothing for your money, NYT, 12.6.2020. Christian Siedenbiedel, Zum Anfang der Krise steigen die Sparzinsen, FAZ, 1.4.2020 Auf 0,5 Prozent schätzt die New York Fed den natürlichen Zins, Brendan Greeley, Central banks lack the bazooka to fire up economic growth, Financial Times, 9.1.2020. Paul Schmelzing, Eight centuries of global real interest rates, Bank of England Working Paper 845, 2020. EZB-Kritiker berufen sich auf eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die als Zentralbank der Zentralbanken bezeichnet wird. Demnach prägt über einen langen Zeitraum die Geldpolitik die Zinsen. Aber auch laut dieser Studie drückte zumindest in den vergangenen 30 Jahren das Zusammenspiel von Sparen und Investment die realen Zinsen. «The link between real interest rates and saving-investment determinants appears tenuous. While it is possible to find some relationships consistent with the theory in some periods, particularly over the last 30 years, they do not survive over the extended sample», Claudio Borio, Piti Disyatat, Mikael Juselius, Phurichai Rungcharoenkitkul, Why so low for so long?, BIS Working Papers 685, 2017.
1Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton rechnen vor, dass Aktien seit 1900 im Schnitt real 6,5 Prozent abwerfen, Anleihen zwei Prozent und kurzfristige Anleihen 0,8 Prozent. Triumph of the Optimism, Princeton University press 2002, und spätere Berechnungen, Credit Suisse Yearbook 2018. Das bestätigt Berechnungen wie die in Òscar Jordà, Katharina Knoll, Dmitry Kuvshinov, Moritz Schularick, Alan M. Taylor, The Rate of Return on Everything, 1870–2015, Federal Reserve Bank of San Francisco Working Paper 2017–25 und Rajnish Mehra/Edward Prescott, The equity premium: A puzzle, Journal of Monetary Economics, 1985, vol. 15/2, later updated. Bei deutschen Standardaktien lag die Dividendenrendite in den vergangenen zehn Jahren bei 2,5 bis vier Prozent. Hans-Jürgen Schlamp, Glanz und Niedergang einer Geld-Dynastie/Annette Grossbongardt, Die Broker der Könige, Spiegel Geschichte 4/2009.
2«Equity market indices were up just over 30 percent in the United States, close to 25 percent in Europe and China, and over 15 percent in emerging markets and Japan. What explains the strong performance of risky assets? One important driving force boosting asset prices was the synchronized monetary policy easing throughout 2019», Tobias Adrian, Fabio Natalucci, A Call for Vigilance, IWF Blog, 28.1.2020. Jürgen Michels über die Nullzinsära: «Dauerhaft niedrige Zinsen in Kombination mit massiver Überschussliquidität sprechen für dauerhaft hohe Bewertungen für Aktien. Daher sind per se Investoren in Aktien, Immobilen und risikoreichere Schuldtitel auf der Gewinnerstraße.» «Während aktive Aktienfonds meist bis zu zwei Prozent Jahresgebühr verlangen, erreichen ETF etwa ein Zehntel dieser Belastung. Das meiste Geld steckt in Produkten auf populäre Indizes wie den S&P 500, den Euro Stoxx 50 oder den MSCI World. Diese Fonds kosten oft nur 0,1 Prozent Jahresgebühr oder sogar weniger. Außerdem gibt es bei ihnen keine Ausgabeaufschläge.» Ingo Narat, Anlageklasse der Rekorde, HB, 9.2.2020. Die Augsburger Zahlen der Fondsorganisation der deutschen Sparkassen waren für Cornelia Kollmer erschütternd: «Es liegt auch am Sparverhalten der Bürger selbst. Es muss daher unser Auftrag sein, die Menschen für die Zinsfalle zu sensibilisieren, ihnen zu erklären, welche anderen Möglichkeiten es gibt», Andrea Wenzel, Augsburger verlieren über 100 Millionen im Jahr, Augsburger Allgemeine, 10.10.2019.
3Die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer verdient heute real weniger oder zumindest nicht mehr als vor 20 Jahren, so die Bundesregierung im Armutsbericht. Deutsche Anlagedaten laut Bundesbank 2019 nach Thomas Mayer, Keine Angst vor Aktien!, FAZ, 1.12.2019. Darin schreibt er: «Wir haben 1700 Finanzberater befragt. 94 Prozent meinten, dass Sparer vor Aktienanlagen zurückschreckten, weil ihnen das Vertrauen in die Finanzberatung fehle. 96 Prozent hielten fachliche Mindeststandards und eine ethische Verpflichtung zur Beratung im Interesse der Kunden für wichtig. Berufsverbände können helfen. Seit 2003 gehöre ich dem globalen Verband der Chartered Financial Analysts an. Die Mitglieder durchlaufen eine dreijährige fachliche Ausbildung und verpflichten sich zur kontinuierlichen Weiterbildung.»
4Wie sehr die Kluft zwischen Arm und Reich mit der Geldanlage zusammenhängt, zeigt Folgendes: Deutsche Immobilienbesitzer haben im Schnitt genauso viel Vermögen wie Hausbesitzer anderer Euronationen. EZB, The Household Finance and Consumption Survey 2013/2017. Stefan Bach, Andreas Thiemann, Aline Zucco, Looking for the Missing Rich, DIW 2018. Markus Grabka, Christian Westermeier, Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland, DIW 2014.
5Der Anteil an Kapitaleinkünften ist in Österreich mit 6 Prozent unter OECD-Schnitt von 18 Prozent. Deutsche Vermögensdaten Bundesbank, Monatsbericht März 2016. M. Schularick, Till Baldenius, Sebastian Kohl, Die neue Wohnungsfrage, Uni Bonn, 2019.
6Wie die Altersvorsorge neu gestaltet werden sollte, führe ich an anderer Stelle genauer aus: «In Deutschland müsste die Förderung der privaten Altersvorsorge per Riester gezielter Aktien und Immobilien fördern – mit einer höheren. Und die zu detaillierten Garantien zurückfahren. Und kostengünstige Standardprodukte etablieren, damit nicht weiter so hohe Anteile in die Taschen der Finanzkonzerne wandern. An Lebensversicherungen sind oft rasch 2000 Euro Provision zu verdienen. Bei Aktiensparplänen sind es oft nur fünf Euro Gebühr pro Monat. Aktuell sind etwa 900 Milliarden Euro in Lebensversicherungsverträgen angelegt. Der Aktienanteil beträgt unter fünf Prozent.» Vermögenspolitik neu gedacht, Bertelsmann-Stiftung, 2018. Die weniger verdienenden 70 Prozent der Deutschen zahlten 2015 mehr Steuern als 1998, die 30 Prozent Bestverdiener weniger, Stefan Bach, Martin Beznoska, Viktor Steiner: Wer trägt die Steuerlast in Deutschland?, DIW Berlin 2016. Rentenlücken nach Markus M. Grabka, Timm Bönke, Rentennahe Jahrgänge haben große Lücke, DIW 2018. Peter Haan, Holger Stichnoth, Entwicklung der Altersarmut bis 2036, Bertelsmann-Stiftung 2017.
1Jacques de Larosière, Report of The High-Level Group on Financial Supervision in the EU, 2009. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags: Verlauf der Finanzkrise, 2009. Interview Thomas Jordan, FAZ, 5.2.2020. William Watts, Draghi Saved the Euro, Wall Street Journal, 24.10.2019. Michael Maisch, Der große Irrtum, HB, 3.8.2017.
2Der damalige Fed-Chef Alan Greenspan erfuhr 2001 auf einem Rückflug aus Zürich, dass Terroristen ins World Trade Center geflogen waren. «Long before my flight touched down, I’d concluded that the world was about to change in ways that I could not yet define». Kurz danach senkte er die Zinsen so entschieden, dass die amerikanische Wirtschaft ihre Angststarre wieder abschüttelte. Alan Greenspan, The Age of Turbulence, Penguin Books 2008.
3«Just als die Bundesbank die Zinsen anhob, begann die Weltkonjunktur zu schwächeln. Auch die deutschen Unternehmen hatten zu kämpfen, mussten aber noch eine zusätzliche Last schultern: Der Kurs der D-Mark stieg abrupt, weil Finanzanleger aus der ganzen Welt nach Deutschland drängten, um von den hohen Zinsen zu profitieren.» Ulrike Herrmann, Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen, Westendverlag 2019.
4«Ähnlich defensiv agierte die Europäische Zentralbank. Bis in den Herbst 2008 hielt sie die Zinsen höher, als es für die Konjunktur gut war. Nachdem EZB-Chef Jean-Claude Trichet Kredite doch noch verbilligt hatte, verunsicherte er mit Andeutungen einer Zinssenkungs-Pause, während die Wirtschaft weiter abstürzte.» Alexander Hagelüken, Europa kommt zu spät, SZ, 16.1.2009.
5Die Immobilienpreise stiegen im Euroraum 2018 um fünf Prozent. Die EZB bezieht bisher nur Mieten in die Berechnung der Inflation als allgemeine Lebenshaltungskosten ein, die US-Fed Mieten und Kosten fürs Wohnen im eigenen Haus. Proberechnungen zeigten, dass dies die ausgewiesene Preissteigerung nur unwesentlich ändert. Martin Arnold, Bigger role for housing urged in inflation data, Financial Times, 3.2.2020. ECB must make inflation targeting fit for purpose, Financial Times, 24.1.2020. Jan Mallien, Frank Wiebe, Die Tücken der Inflation, HB, 26.11.2019. «Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ist illegal und ineffektiv? Fakt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat geurteilt, dass diese legal sind und hat alle deutschen Klagen abgewiesen. Die Ankäufe waren effektiv, um die Kreditvergabe an Unternehmen und Bürger zu verbessern, auch wenn diese immer weniger effektiv werden.» Marcel Fratzscher, 20 deutsche Mythen zur EZB-Geldpolitik, Tagesspiegel, 24.11.2019.
6Die Euro-Regierungen hatten zwar Griechenland, Portugal, Irland und Spanien mit Krediten über Wasser gehalten. Italien aber, das drittgrößte Euro-Land, Draghis Heimat, wäre dafür wohl zu groß gewesen. Da wirkt es besonders ironisch, dass die Regierung Berlusconi Draghi damals gezielt auf den Posten des EZB-Chefs weglobte – sie fürchtete, der damalige italienische Notenbankchef könnte für Berlusconi zum Konkurrenten werden. Ausgerechnet dieser Mann rettete dann den Euro – und insbesondere Italien vor der Staatspleite: In der Logik von Berlusconi und Finanzminister Giulio Tremonti, die Verschwörungstheorien über «jüdisch-freimaurerische» Komplotte gegen ihre Regierung verbreiten, war Draghi in Frankfurt besser aufgehoben. Alexander Hagelüken, Claus Hulverscheidt, Ulrike Sauer/Alexander Hagelüken, Markus Zydra, Kandidat aus Versehen/Interview Mario Draghi, Süddeutsche Zeitung, 1.10.2009/14.9.2012.
7Das Baseler Prognos-Institut rechnet vor, dass ein Euro-Kollaps allein die deutsche Wirtschaftsleistung binnen zehn Jahren um 1,2 Billionen Euro reduzieren würde – das entspricht mehr als einem Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung. Ohne Wechselkursrisiken zu exportieren, ist einer der großen Vorteile der Währungsunion. Alexander Hagelüken, Wenn die EU wankt, SZ, 2.11.2016. Wenn dagegen jeder in Europa seine alte Währung zurückbekommt, steigt der Kurs der Mark gegenüber Lira, Drachme und Pesete um bis zu 40 Prozent, kalkulierte Michael Heise zum Höhepunkt der Eurokrise. Die Unternehmen verkaufen weniger Audis, Chemikalien oder Maschinen ins Ausland. Jeder dritte Job in Deutschland hänge direkt oder indirekt vom Export ab. «Eine Million Arbeitslose mehr, das ist die Untergrenze, weil es noch viele andere Konsequenzen gibt.» Um ihre Preisnachteile auszugleichen, müssten deutsche Unternehmen die Jobs ins Ausland verlagern – jeder Arbeitnehmer müsste auf ein Siebtel seines Lohnes verzichten. Solche Kalkulationen haben reale Vorbilder: In der Vor-Euro-Zeit werteten andere EU-Staaten öfter ihre Währungen gegenüber der Mark ab. Als Italien 1992 das Europäische Währungssystem verließ, wertete es die Lira um die Hälfte ab. Audi verkaufte auf einen Schlag weniger Autos. 1992 waren es 48.000, drei Jahre später nur 35.000. Der Einbruch hielt bis zur Jahrtausendwende an – bis der Euro kam. Alexander Hagelüken, Hannah Wilhelm, Sehnsucht, SZ, 9.12.2011. «40 Prozent der Deutschen haben praktisch kein Erspartes und viele Jobs und Einkommen wurden durch die niedrigen Zinsen geschützt», Marcel Fratzscher. Andere Wissenschaftler argumentieren, nur manche Staaten wie Deutschland oder die Niederlande profitierten vom Euro, Italien oder Frankreich hätten dagegen Wohlstandsverluste. Alessandro Gasparotti, Matthias Kullas, 20 Jahre Euro, CEP, 2019.
1Ausgerechnet die BIZ, Überinstitut der Zentralbanken, warnt nun vor den Risiken der Nullzinspolitik, die Geldhüter wie die Fed oder die EZB betreiben. Tenor: Es drohen neue Finanzblasen. «Die Banken in der Eurozone haben sich mit Staatsanleihen vollgepumpt. Dazu trägt auch die Geldpolitik bei», sagt Marcel Fratzscher. Alexander Hagelüken, Jan Willmroth, Das große Blubbern, SZ, 1.7.2014. Alexander Hagelüken, Hannah Wilhelm, Das Geld der Anderen, SZ, 22.10.2008. «Japans Zentralbank hatte in den 1980er Jahren die Zinsen stark gesenkt. Das sollte die Wirtschaft beleben, beförderte aber die Bildung der Blase. Nach dem Absturz des Nikkei 1990 haben viele japanische Banken Konzerne finanziert, die Anteil am Aufschwung Südostasiens nahmen. Dann kam der nächste Crash. Nach der Asienkrise zogen viele Anleger ihr Kapital zurück und investierten stattdessen in vermeintlich sicherere Anlagen, vor allem in den USA. Alan Greenspan, Chef der US-Zentralbank, senkte die Zinsen. Das befeuerte die Dotcom-Blase, die im März 2000 platzte – und noch weitere Zinssenkungen auslöste. Danach kamen die Übertreibungen am US-Immobilienmarkt, im Süden der Eurozone und auf den Rohstoffmärkten. Wir haben es mit einer Kette wandernder Blasen zu tun, die von der Geldpolitik getrieben werden. Die Regierungen reagieren auf einen Crash mit schärferen Regeln, aber die Spekulation ist ihnen immer einen Schritt voraus.» Benjamin Bidder, Interview Gunther Schnabl, Spiegel, 12.2.2017.
2«Die Spekulanten und Vermittler auf den Finanzmärkten – genau die, die uns 2008/09 an die Wand gefahren haben! – erzielen ein mehr als nur angenehmes Einkommen und Provisionen.» Guillaume Duval, Es liegt an Deutschland, HB, 20.11.2019. Gunther Schnabl kritisiert eine Umverteilung von Jung zu Alt: «Mit steil steigenden Immobilienpreisen wird es für junge Menschen sehr viel schwieriger, ein Eigenheim zu erwerben. Hingegen wächst das Immobilienvermögen der Älteren im Wert schnell an. Weil die Mieten mit den Immobilienpreisen wachsen, müssen junge Menschen höhere Mieten bezahlen. Die Altmieter bleiben durch die Mietgesetzgebung gegen höhere Wohnkosten geschützt.» Die anhaltend lockere Geldpolitik hat gesellschaftlich unerwünschte Verteilungseffekte, Ifo-Schnelldienst, 24.2.2019. «Mario Draghis Politik hat die Menschen nicht etwa zusammengeführt, sondern neu gespalten», kritisiert Uwe Jean Heuser in der Zeit. «Wer hat, wer sich Häuser und Aktien leisten kann, dem wird in dieser Welt gegeben. Also sorgt die fortgesetzte Geldschwemme nicht etwa für Ausgleich, sondern droht die Menschen überall in Europa so zu trennen, wie das Griechen oder Italiener schon kennen.» Die Geister, die er rief, 30.10.2019.
3«The rating agency Moody’s cited lower rates as one of the main factors behind its decision to change its outlook for global banks from stable to negative», David Crow, Lenders labour under pressure of negative rates, Financial Times, 22.1.2020. Allein die Deutsche Bank bezifferte ihren Verlust aus den Niedrig- und Negativzinsen 2019 auf 850 Millionen Euro. Die EZB-Anleihekäufe drücken die langfristigen Zinsen. Geld kurzfristig zu leihen, um es langfristig mit Profit zu verleihen, wird für die Banken schwieriger. «Aus den geschrumpften Gewinnen der Banken ergeben sich Risiken», erklärt Volker Wieland. «Ihre Widerstandsfähigkeit wird dadurch geschwächt.» «Taking a longer-term view, however, the easing of global financial conditions so late in the economic cycle and the continued buildup of financial vulnerabilities – including the rise in asset valuations to stretched levels in some markets and countries, the rise in debt, and large capital flows to emerging markets – could threaten growth in the medium term. For example, default rates have increased in the U.S. high-yield market, as well as in Chinese on- and offshore corporate bond markets, albeit from low levels.» Tobias Adrian, Fabio Natalucci, A Call for Vigilance After a Strong Year for Risky Assets, IWF Blog, 28.1.2020. Prominente EZB-Direktoren wie Vizepräsident Luis de Guindos gestehen die Nebenwirkungen auch unumwunden ein: «Wir sind uns voll und ganz bewusst, dass unsere Geldpolitik einige Nebeneffekte verursacht hat und dass die Nebeneffekte auf dem Vormarsch sind.» Christian Siedenbiedel, Geldpolitik mit starken Nebenwirkungen, FAZ, 21.11.2019.
4Die BIZ 2014: «Weil Großinvestoren wie Pensionsfonds mit eher sicheren Anlagen wie Staatsanleihen kaum noch etwas verdienen können, machen sie sich auf die risikoreiche Jagd nach Rendite, etwa durch den Kauf von Firmenanleihen mit niedriger Kreditwürdigkeit.» Alexander Hagelüken et al, Das große Blubbern, SZ, 1.7.2014. Firmenschulden weltweit Ende 2019 «driven by the return of more expansionary monetary policies early in the year», OECD, Corporate Bond Market Trends, 18.2.2020. «Amidst the longest economic expansion in recorded history, and spurred by easy financial conditions, corporate leverage has reached historic highs while the buildup of vulnerabilities continues in nonbank financial companies that dominate credit intermediation.» IWF Blog, 31.1.2020. Der IWF fürchtet, Fonds mit Firmenanleihen von 1,7 Billionen Dollar könnten klamm werden und in einer Kettenreaktion das globale Geldsystem runterziehen. Thomas Mayer: «Die mit der Niedrigzinspolitik verbundene Subventionierung von Unternehmen mit geringer Produktivität und Verhinderung von Strukturbereinigungen in den USA, der Eurozone und Japan haben zu einem Fall des potentiellen Bruttoinlandsprodukts und Rückgang des Potenzialwachstums geführt.» «Vor allem wegen der Übernahme von Time Warner gehört AT&T mit 354 Milliarden Dollar Nettoschulden zu den besonders hoch verschuldeten Konzernen der USA, neben General Motors, Delta Airlines und dem Krankenversicherer CVS Health. Die Gesamtschulden der 500 größten börsennotierten Firmen waren mit 4,7 Billionen Dollar 2,6-mal so hoch wie ihr Gewinn. Vor einem Jahrzehnt lag der Faktor nur bei 1,9. Auf der Suche nach Rendite verleihen Investoren ihr Geld selbst an Firmen, die wie Tesla und Netflix hochverschuldet sind und kein Geld verdienen. Die BIZ stufte 2016 7,3 bis 11,2 Prozent der italienischen Firmen als Zombies ein.» Ulf Sommer, Christian Wermke et al, Gefahr in den Bilanzen, HB, 13.12.2019. Alexander Hagelüken, Reden wir über Geld mit Mun Kim, «Mein Gott, ich klinge ja wie ein Sozialist», SZ, 10.5.2019. Niraj Chokshi, Hertz Files for Bankruptcy Protection, NYT, 22.5.2020.
5Die gesamte Verschuldung der Welt lag Ende 2019 um 43 Prozent höher als vor der Finanzkrise, aber auch die weltweite Wirtschaftsleistung stieg seitdem um rund 30 Prozent. Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart nannten ihr Buch über die Geschichte der Finanzkrisen «This Time is Different», weil Politiker und andere Akteure glaubten, sie kämen diesmal mit etwas davon, was – wie hohe Schulden – bei einer früheren Finanzkrise in den Abgrund führte. Der deutsche Wirtschaftsweise Volker Wieland mahnte schon Monate vor der Corona-Krise, plötzlich könnten ganze Staaten wackeln – wenn ihre Schulden schwerer finanzierbar sind, weil die Zinsen doch steigen.
6«Growth in Asia is expected to stall to zero percent in 2020. This is the worst growth performance in almost 60 years», Chang Yong Rhee, IWF Blog, 16.4.2020. Das Institute for International Finance schätzt die Gesamtschulden Chinas auf 310 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das lässt wenig Raum für größere Ausgaben. Dana Heide, China schwächt die Weltwirtschaft/Chinas Wirtschaft bricht ein, HB, 16./17.4.2020. In Deutschland dürften die Staatsschulden 2020 im internationalen Vergleich wenig zunehmen, laut IWF von 60 auf 68 Prozent. Martin Greive, Schuldenberge wachsen dramatisch, HB, 16.4.2020. Andrea Cünnen, Jan Mallien, Hilfe für Europa, HB, 20.3.2020.
7Jeanna Smialek, Peter Eavis, With $ 2.3 Trillion Injection, NYT, 9.4.2020. Frank Wiebe, Anke Rezmer, Wege aus der Schuldenfalle, HB, 7.4.2020.
8«Die Weltwirtschaft steuert auf eine Liquiditätsfalle zu, die die Versuche der Zentralbanken torpediert, eine Rezession zu verhindern, warnt der langjährige britische Notenbankchef Mark Carney. Eine Liquiditätsfalle entsteht in den raren Momenten, wenn die Geldpolitik jede Wirkung auf die Konjunktur verliert.» Lionel Barber, Chris Giles, Central Banks low on ammunition to fight recessions, Financial Times, 9.1.2020.
9«Die Leitzinsen werden nach dem Schock noch länger noch niedriger bleiben, als es sonst der Fall gewesen wäre», Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Projektionen für die Notenbankbilanzen von JP Morgan, Frank Wiebe, Zwei Risiken für die Kurse, HB, 16.4.2020. Javier Cercas, Nur darauf kommt es an!, FAZ, 15.4.2020.
1Der Historiker Heinrich August Winkler: «Die deutsche Position war bis dahin eine andere gewesen: Die europäische Währung sollte kommen, aber nur im Rahmen einer umfassenden supranationalen Einigung – einer Politischen Union. Dieses Junktim konnte Bundeskanzler Helmut Kohl bei den Verhandlungen der EG 1990 auch deshalb nicht durchhalten, weil die britische Premierministerin Margaret Thatcher einer Politischen Union im Sinne der deutschen Vorstellungen noch weniger abgewinnen konnte als Mitterrand. Auf einem Sondergipfel in Dublin wurden die Währungsunion und die Politische Union faktisch entkoppelt. Das war der Preis, den die Bundesregierung für die Pariser Zustimmung zur deutschen Einheit zahlen musste.» Vortrag in Berlin anlässlich der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Belgien, FAZ, 15.8.2010. Alexander Hagelüken, «Weißt du, was die Idioten machen?», Süddeutsche Zeitung, 8.12.2016.
2Alexander Hagelüken u.a., Athen meldete jahrelang falsche Zahlen nach Brüssel/Griechenland verschwieg Brüssel riesige Etatlöcher/Die unsichtbaren Bomber und der Tzaziki-Boykott, SZ, 21./23./29.9.2004. Jens Bastian, Mitglied der EU-Task-Force in Griechenland, Klaus Regling und Vassilis Bakalis nach Alexander Hagelüken, Ulrich Schäfer, Christiane Schlötzer, Mike Szymanski, Griechischer Schein, SZ, 4.7.2015. Alexander Hagelüken, «Der Euro kam zu früh», Interview Otmar Issing, SZ, 15.6.2018.
3Die heutige Hoch-Industrieregion Bayern bekam von 1950 bis 1987 vom innerdeutschen Finanzausgleich mehr als drei Milliarden Euro. Nordrhein-Westfalen zahlte von 1952 bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre mit die höchsten Beiträge, 1961 über 350 Millionen Euro. Erst 1985 wurde das Land zum Geldempfänger – und wechselte danach mehrmals die Rollen. Daten Bundesfinanzministerium.
4Karsten Seibel, Durch Zinstief spart Staat 436 Milliarden, Welt, 21.1.2020. Guillaume Duval, Es liegt an Deutschland, Interview Ken Rogoff, HB, 20.11./ 13.12.2019.
5So wollten die Regierungen 2019 den Euro-Rettungsschirm ESM stärken, vertagten das aber. Bei der Banken- und Kapitalmarktunion, einem gemeinsamen EU-Finanzmarkt, um Risiken besser zu verteilen und Banken zu stärken, geht es nicht voran. Und irrsinnigerweise konnten sich die Staats- und Regierungschefs im Februar 2020 nicht auf einen neuen Sieben-Jahres-Haushalt für die EU einigen. Stefan Schaaf, Lukas Zdrzalek, Interview Mohamed El-Erian, Capital, 2.2.2020. Steingarts Morning Briefing, 15.4.2020.
6«Neue Relevanz hat eine Untersuchung zu Überschuldungs-Perioden der US-Ökonomen Carmen und Vincent Reinhart mit Kenneth Rogoff. Sie zeigt: Sehr hohe Schuldenstände von mehr als 90 Prozent des BIP gehen eher selten einher mit hohen Zinsen, zumindest nicht in Industrieländern. Hohe Schulden traten viel öfter zusammen mit niedrigem Wachstum und niedrigen Zinsen auf. Deutschland steht historisch betrachtet derzeit fiskalisch solide da. Für andere Länder gilt dies weniger, insbesondere nicht für Schwellenländer und Länder im südlichen Euroraum wie Italien, Portugal oder Spanien. Sollten die Zinsen in Südeuropa rapide steigen, so könnte der Euroraum als Ganzes, und damit auch die Stabilität Deutschlands, ins Wanken kommen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Europa nun gemeinsam handelt – unter anderem durch einen großen, präventiven Rettungsschirm für schwächere europäische Banken und Länder, aber auch durch die einmalige Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen.» Christoph Trebesch, Kann Deutschland jetzt massiv Schulden machen?, Süddeutsche Zeitung, 24.3.2020.
7«Die hohen Schulden sind aller Voraussicht nach nur dadurch zu finanzieren, dass die Notenbanken einen großen Teil davon aufkaufen. Die ordnungspolitische ‹monetäre Staatsfinanzierung›, also Finanzpolitik mithilfe neu produzierten Notenbankgelds, ist ordnungspolitisch verpönt und in Europa in direkter Form verboten. Realität ist sie de facto bereits bis zu einem gewissen Grad, seit die Notenbanken mit Ankäufen von Staatsanleihen nach der Finanzkrise und der Euro-Krise begonnen haben. Und für die Zeit der Krise wird sie zur Normalität.» Frank Wiebe, Anke Rezmer, Wege aus der Schuldenfalle, HB, 7.4.2020. Ulrich Bindseil argumentiert, Monetisierung habe Regierungen erlaubt, ihre Mittelaufnahme zu diversifizieren und zu verbilligen, Ausgaben über die Zeit zu strecken und in kritischen Situationen weniger auf einen in Krisen sehr teuren privaten Kapitalmarkt angewiesen zu sein. «Aus diesem Grund kauft die EZB derzeit massenhaft italienische Staatsanleihen auf. Andernfalls könnte der besonders von der Coronakrise gebeutelte Staat seine Anleihen nur noch zu sehr hohen Renditen loswerden. Der traditionelle Einwand gegen solche Maßnahmen ist, dass die Gefahr des Missbrauchs durch die Regierung groß sei. Bindseil entgegnet darauf, dass man nicht von vornherein einen Missbrauch unterstellen dürfe, wenn sowohl eine konstruktive als auch eine schädliche Nutzung dieser Flexibilität der Finanzierung möglich sind. Er nennt Beispiele von Zentralbanken, die Staatsfinanzierung betrieben und sehr lange erfolgreich arbeiteten. Bindseil betont einen Unterschied: der Absolutismus, der in den ersten Jahrhunderten des Zentralbankwesens vorherrschte. Ein Monarch kann sich nicht glaubwürdig verpflichten, den Wert der Währung zu bewahren und nicht etwa der Zentralbank ihr Gold wegzunehmen, wenn er es dringend braucht, etwa um Krieg zu führen. In einer Demokratie mit funktionierender Gewaltenteilung ist es dagegen sehr viel leichter, dafür zu sorgen, dass im Verhältnis von Zentralbank und Regierung Transparenz herrscht und Rechenschaftspflicht gewahrt wird.» Norbert Häring, Zentralbanker will mit Tabus brechen, HB, 20.4.2020. Skeptischer ist der französische Nobelpreisökonom Jean Tirole: Die «Monetisierung» von Schulden sei nur dann gangbar, wenn die sozial Schwachen vor den steigenden Preisen geschützt werden und wenn eine Einigung im Euroraum hergestellt werden könne. Doch durch die Gefahr, dass einzelne Länder unbegrenzt Geld ausgeben und die Lasten dafür vergemeinschaften könnten, müsste der Stabilitätspakt neu erfunden werden. Das hält er für nicht sehr wahrscheinlich. Christian Schubert, Fazitblog, 21.4.2020.
8«‹This is the time to use the great fiscal power of the USA to do what we can to support the economy and try to get through this with as little damage to the longer-run productive capacity of the economy as possible›, Mr. Powell said, after noting that he himself has been an advocate of lower deficits in more normal times.» Neil Irwin, Fed Chair to Congress, NYT, 29.4.2020. Markus M. Grabka, Jan Goebel, Realeinkommen steigen, DIW Wochenbericht 18, April 2020.
1Es gibt prominente Finanzforscher wie Markus Brunnermeier, die den Appeal jedenfalls seriöser Kryptowährungen verstehen. Bitcoin könnte für das Währungssystem eine Initialzündung werden, wie es die Musiktauschbörse Napster für die Internetära war, sagt der Princeton-Ökonom. «Vielleicht haben wir in zehn bis zwanzig Jahren ein anderes Währungssystem, das auf moderneren Bitcoins basiert. Die moderne Technik erlaubt Überwachung. Wenn der Staat jeden Zahlungsvorgang nachverfolgt, nimmt er die Freiheit weg. Kryptowährungen erhalten den Freiraum, auch wenn sie gleichzeitig natürlich gewisse Kriminalität ermöglichen.» Die Passagen über Harald Seiz in diesem Buch verdanken sich vor allem der großartigen Recherche der Handelsblatt-Kollegen Jakob Blume und Lars-Marten Nagel, u.a. Der Absturz des Gold-Coins, 30.01.2020, Finanzaufsicht Bafin stoppt dubiose goldgedeckte Kryptowährung, 11.11.2019. Oliver Schmale, Dubiose Geschäfte mit Krypto-Gold, FAZ, 12.11.2019.
2«What is needed is an electronic payment system based on cryptographic proof instead of trust», Satoshi Nakamoto, Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System, Mai 2009. Bitcoin P2P e-cash paper, Oktober 2008.
3Kryptowährungen entstehen unterschiedlich. Die beiden wichtigsten, Bitcoin und Ether, werden durch die Nutzer selbst geschürft. Andere Kryptodevisen wie Ripple geben Unternehmen aus. Paul Vigna, Bitcoin Fans Spy Opportunity in Facebook Libra Launch, Wall Street Journal, 18.6.2019. Harald Bögeholz, Fabian A. Scherschel, Währung im Kollektiv, c’t, 14.06.2017. Marc Badertscher, So nutzen Sie Krypto, Handelszeitung, 21.11.2019. Sebastian Felser, Die Blockchain-Technologie, SWR2 Wissen, 25.11.2019.
4Der österreichische Analyst Harald Egger von Erste Asset Management sieht eine große Zukunft bestimmter Produkte, der Security Token: «Im Gegensatz zu Utility Token, die 90 Prozent der Kryptowährungen ausmachen, sind diese reguliert. Wer einen Security Token auf den Markt bringt unterliegt der Prospektpflicht und benötigt eine Genehmigung. Security Token sind Aktien oder Anleihen ähnlich. Der Besitzer hat bestimmte Rechte, wie z.B. Eigentumsanspruch, Stimmrecht, Dividendenanspruch. Jeder kann Token generieren, allerdings benötigt man eine Rechtsanwaltskanzlei, die eine Verbindung zwischen dem Token und einem realen Asset herstellt. Derzeit sind es hauptsächlich Immobilien, Kunstwerke, Juwelen. Es ist zum Beispiel möglich eine Immobile mit einem Gegenwert von 2 Millionen zu tokenisieren. Jemand kauft diese Immobilie, gründet dazu eine Zweckgesellschaft und begibt 200 Token im Gegenwert von € 10.000. Der Besitzer eines Tokens besitzt nun 0,5 % dieser Immobile und erhält den entsprechenden Gegenwert der Mieteinnahmen. Noch sind diese Token schwer handelbar, weil es an funktionierenden Märkten fehlt. Allerdings bereiten sich traditionelle Börsen darauf vor den Handel mit diesen Security Tokens aufzunehmen. Security Tokens haben das Potenzial das Finanzwesen deutlich zu verändern. So wird es in absehbarer Zukunft auch möglich sein, ohne Bankverbindung Aktien oder Fondsanteile in Form von Security Tokens zu erwerben.» Erste Blog, 10/2019.
5Seit deutsche Banken ab 2020 Kryptogeld für Kunden verwahren dürfen, fragten bereits 40 bei der Aufsicht an. Eva Szalay, Laurence Fletcher, Banks and fund managers come back for another bite at bitcoin, Financial Times, 4.2.2020. Frank Schwab, 8 Faktoren, warum Kryptowährungen Zukunft haben, IT-Finanzmagazin, 30.1.2020.
6Hagen Krämer: «Bitcoin ist archaisches Geld wie goldgedeckte oder Silberwährung, weil es eine Obergrenze von 21 Millionen gibt. In einer wachsenden Wirtschaft muss aber die Geldmenge entsprechend mitwachsen, sonst gibt es Deflation. Es sind vor allem die Libertären, die Bitcoin toll finden; diese halten staatliche Geldschöpfung für ein grundsätzliches Übel und fordern mit Friedrich August von Hayek stattdessen einen privaten Währungswettbewerb. Dies könnte dazu führen, dass eine Vielzahl von privaten Währungen auf den Markt kommen; dann gibt es aber keine Grenze für die gesamte Geldmenge aller im Umlauf befindlichen Kryptowährungen.» «A single large player manipulated the price of bitcoin as it ran up to a peak of nearly $ 20,000, a new study concludes. About half of that increase was due to the influence of a manipulation scheme.» Paul Vigna, Large Bitcoin Player Manipulated Price, Wall Street Journal, 4.11.2019. Patrick Herger, Bitcoin: Kryptobörsen täuschen die meisten Transaktionen nur vor, NZZ, 13.11.2019. Peter Bofinger, Warum staatliche Währungen immer noch überlegen sind, FAZ, 7.1.2018. Tweet Nouriel Roubini, 9.3.2020. Stefan Beutelsbacher, Legendärer US-Ökonom bezeichnet Bitcoin als «Mutter des Betrugs», Welt, 11.10.2018. Frank Stocker, Bitcoin-Crash hat 600 Milliarden Dollar ausradiert, Welt, 17.8.2018.
7«Aktuell existieren 2364 gelistete Kryptowährungen», heißt es in einer Analyse von deadcoins.com. «Allerdings sind nur noch 56 Prozent aller Währungen aktiv. Einige hiervon werden kaum mehr gehandelt, weswegen sogar bis zu 87 Prozent der Coins als faktisch tot gelten. Insgesamt hätten bisher bereits 1839 Kryptowährungen das Zeitliche gesegnet. Der häufigste Grund ist, dass die Betreiber aufgeben (1012 Fälle). 702 Kryptowährungen stellten sich als Betrug heraus, 96 waren in Wirklichkeit nur Parodie-Coins.» Einlassungen von Markus Ferber aus Gesprächen von 2013 bis 2020. Kryptowährungen im Fokus, Die Presse, 24.1.2020. Felix Holtermann, Sönke Iwersen, Was Anleger im Envion-Skandal tun müssen, HB, 28.10.2019. Philip Plickert, Milliarden-Betrug mit falscher Kryptowährung, FAZ, 17.11.2019.
8Im Herbst 2019 stoppt die deutsche Finanzaufsicht das Kryptogeschäft. Die Vollziehung wird nach Einspruch ausgesetzt, doch die Goldcoin verlieren massiv an Wert. Im Netz äußern Anleger ihre Wut, sie sollen bis zu 100 Millionen Euro investiert haben. Seiz schiebt vieles auf einen Ex-Partner, schildert das Handelsblatt: «‹Ich mache keine krummen Sachen oder so›, sagt er. Die vielen Vorwürfe, der Absturz des KBC – all das sei Teufelswerk eines ehemaligen Geschäftspartners, der die Karatbars-ICOs technisch organisiert haben soll, dann jedoch im Streit ausgeschieden sei. ‹Der hat seinen Fokus darauf gerichtet, uns zu zerstören.› Seiz wirft dem einstigen Partner vor, bis zu zehn Millionen Euro unterschlagen zu haben. Er hat ihn angezeigt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Ex-Partner. Allerdings ist Karatbars bislang auf zivilrechtlichem Wege erfolglos. Eine Klage auf Herausgabe angeblich unterschlagener Kryptocoins wurde vom Landgericht Mainz und vom Oberlandesgericht Koblenz rechtskräftig abgewiesen. Der Anwalt des Ex-Partners, der Strafrechtler Michael Heuchemer, sagt: ‹Das sind alles unhaltbare Behauptungen.›»
1Ganz anderer Meinung zu Blockchain ist Nouriel Roubini. Nach dem Bitcoin-Absturz 2018 «hätten sich die Schwindler, er nennt sie Krypto-Schurken, der Blockchain gewidmet. Sie gelte als Heilmittel für die Probleme der Welt, sei in Wahrheit aber die am wenigsten nützliche Technologie in der Geschichte der Menschheit.» Interviews Frank Schäffler, Kryptoszene.de, 4.3.2020, Focus Money, 27.11.2014.
2Whitepaper, neue Version, Libra.org, April 2020. Das erste Whitepaper formulierte nach mehreren Updates: «Der Zweck der Association ist die Koordination und Bereitstellung eines Fundaments für die Steuerung des Netzwerks und der Reserve. Bei der anfänglichen Gruppe an Organisationen, die gemeinsam an der finalen Satzung arbeiten und nach deren Abschluss Gründungsmitglieder werden, handelt es sich um:
Zahlungsdienstleistungen: PayU (Naspers’ fintech arm)
Technologie und Märkte: Facebook/Calibra, Farfetch, Lyft, Spotify AB, Uber Technologies, Shopify, Tagomi
Telekommunikation: Iliad
Blockchain: Anchorage, Bison Trails, Coinbase Inc., Xapo Holdings Limited
Risikokapital: Andreessen Horowitz, Breakthrough Initiatives, Ribbit Capital, Thrive Capital, Union Square Ventures
Gemeinnützige und multilaterale Organisationen sowie akademische Institute: Creative Destruction Lab, Kiva, Mercy Corps, Women’s World Banking.
Auch wenn der Organisation die finalen Entscheidungen obliegen, wird Facebook im Verlauf des Jahres 2019 jedoch eine Führungsrolle behalten. Sobald das Libra-Netzwerk gestartet ist, werden Facebook und seine verbundenen Unternehmen dieselben Pflichten, Privilegien und finanziellen Verpflichtungen wie alle anderen Gründungsmitglieder haben.» Whitepaper, Libra.org, Stand März 2020. «The Federal Trade Commission has endorsed a roughly $ 5 billion settlement with Facebook Inc. over a long-running probe into the tech giant’s privacy missteps, according to people familiar with the matter. The FTC investigation began more than a year ago after reports that personal data of tens of millions of Facebook users improperly wound up in the hands of Cambridge Analytica, a data firm that worked on President Trump’s 2016 campaign. The FTC investigation centered on whether that lapse violated a 2012 consent decree with the agency under which Facebook agreed to better protect user privacy. Cambridge Analytica shut down in 2018 after the allegations surrounding Facebook data and other questions about its political tactics. The company had won political consulting work in the U.S. by promising to use data to profile and influence voters with political messages. It contracted for several Republican presidential candidates ahead of the 2016 election, including Mr. Trump’s campaign. The user data at issue in the Facebook case reached beyond those who downloaded the app to include about 30 different data points about those people’s Facebook friends. Since the Cambridge Analytica affair, other privacy missteps have come to light, adding to Facebook’s headaches.» Emily Glazer, Ryan Tracy, Jeff Horwitz, FTC Approves Roughly $ 5 Billion Facebook Settlement, Wall Street Journal, 12.7.2019.
3«The world is not doing enough to ensure financial access because ‹we’re using tools designed 50 years ago to serve people in the 21st century›, said Dante Disparte, deputy chair of the Libra project. Around 1.7 billion people don’t have a bank account, and a total of 1.3 billion are currently underserved by financial institutions, but a billion of them have an internet-connected phone. ‹If you think of that market size, Libra at core represents a market expansion opportunity. It’s about pulling more people into basic services where a mobile phone becomes a payment endpoint.› And the most obvious one is remittance, a $ 700 billion business yearly. The average fee is around 7 %, with a few global options. ‹We think we can get our fees much below the 3 % target›, in line with the UN’s development goals.» Jorge Valero, Libra maintains 2020 approval target, Euractiv.com, 10.1.2020. Maren Peters, Top-Ökonom warnt vor Libra, Schweizer Rundfunk, 17.11.2019. Parmy Olson/Jeff Horwitz, Libra Coin?/Facebook Unveils Cryptocurrency Libra in Bid to Reshape Finance, Wall Street Journal, 18./19.6.2019.
4«The pitch to merchants is a break on fees, one of the people said. Facebook envisions eliminating swipe and other card processing fees that merchants pay on transactions, which are typically around 2 % to 3 % and are collected by banks, payments processors and networks such as Visa. It is also working to tie online purchases more closely to ads. One idea being considered is that users could click ads to buy a product and pay with Facebook tokens, which the retailer could then recycle to pay for more ads, one person said. Facebook rolled out a similar feature—using dollars and traditional card payments—on Instagram, which it owns, in March.» AnnaMaria Andriotis, Liz Hoffman, Peter Rudegeair, Jeff Horwitz, Facebook Building Cryptocurrency-Based Payments System, Wall Street Journal, 2.5.2019. Larissa Holzki, Facebook zeigt Schwächen, HB, 31.1.2020.
5«Nutzer von Libra erhalten keine Dividenden von der Reserve.» Whitepaper Libra.org, Stand März 2020. James Mackintosh: «The profits would come from interest on the reserve backing Libra, designed to keep Libra’s value stable. All interest is diverted to the companies backing Libra’s governing body, while holders of Libra itself earn nothing—giving the founders profits akin to the seigniorage made by central banks. It is easy to get carried away. In China the rapid expansion of Ant Financial, Baidu and Tencent pushed mobile payments above 16 % of GDP in 2017. If Libra takes 16 % of Visa’s transactions, it would be processing a cool $ 1 trillion a year; match the velocity of money of the U.S. and Libra would need a $ 200 billion reserve, making $ 2 billion of profits. If Facebook users put in only $ 10 each, returns would be just 3 %. And if only a quarter of Facebook users adopt Libra, the income wouldn’t cover the (assumed! These are all assumptions!) costs. If regulators get in on the act the costs would be much higher, too; Visa’s costs are more than $ 5 billion a year. Even if Libra only breaks even, Facebook and other backers might hope to profit from services built using Libra, or from the (probably fat) fees charged by brokerages, such as Facebook’s new Calibra, to convert money in and out of Libra. Still, if Libra follows the pattern of virtually every bank in history, it would recognize that it can be more profitable by taking more risk with the reserve or minting new coins without reserve backing. It says it won’t do either, and has a voting structure that would require a supermajority to change the rules. But the voters have a strong incentive to change the rules once Libra becomes established.» Facebook’s Libra Is a License to Print Money, Wall Street Journal, 23.6.2019.
6«Mastercard-boss Banga points to due diligence considerations such as know your client, anti money laundering, data management, ‹all that… every time you talked to the main proponents of Libra, I said ‹Would you put that in writing?› They wouldn’t.› He also did not see how Libra would make money, and ‹when you don’t understand how money gets made, it gets made in ways you don’t like›.» Robert Armstrong, Chief backs Mastercard to stay ahead of pack, Financial Times, 3.2.2020. «The Libra Association is committed to protecting users’ data privacy and will ensure the application of data protection laws. The Libra Association members will not be able to access, use, or share personal data regarding end-users of the Libra Blockchain. Companies that interact directly with customers like wallet services and exchanges will be expected to comply with data protection laws, including data portability.» Libra Association Response to G7, Oktober 2019. Einlassungen von Yves Mersch aus Money and private currencies, Speech at the ECB Legal Conference, 2.9.2019. Lukas Mäder, Facebook muss ein Datenschutzkonzept für sein neues Zahlungsmittel liefern, NZZ, 30.7.2019. Die internationalen Datenschützer monieren: «To date, while Facebook and Calibra have made broad public statements about privacy, they have failed to specifically address the information-handling practices that will be in place to secure and protect personal information», Hannah Murphy, Facebook cryptocurrency raises privacy questions, Financial Times, 5.8.2019.
7«Ein wichtiges Thema sind illegale Zahlungen: Geldwäsche und Terrorfinanzierung», sagte mir ein prominenter Notenbanker. «Theoretisch wären alle Zahlungen nachvollziehbar. Die Frage ist aber, ob man bei Kryptowährungen die Zahlungen einzelnen Personen oder Unternehmen zuordnen kann, wie man es bei einem Konto machen kann. Das hängt nicht zuletzt von der Ausgestaltung der zu Grunde liegenden Blockchains ab.» «Libra is being designed to facilitate compliance with global protections around Anti-Money Laundering (AML), Know Your Customer (KYC), and illicit finance», erklärt die Libra Association in Replik auf die G7. «The Libra Association has stated many times it will set standards for its members to maintain AML/KYC and anti-fraud programs, combat terrorism financing and other forms of financial crime. It will also cooperate with law enforcement investigations. Additionally, the Association will be able to analyze prior transactions on the Libra Blockchain and share indications of potentially suspicious activity with law enforcement, recognizing that much of the work of detecting illicit activity will, appropriately, happen at the service provider level.» US-Notenbankchef Jerome Powell meldete ernsthafte Bedenken mit Blick auf Datenschutz, Geldwäsche oder die Stabilität der Finanzmärkte an. Christian Grothoff von der Berner Fachhochschule und Alex Pentland vom Massachusetts Institute of Technology äußern ihre Positionen in Kampf der Kryptowährungen, Netzwoche, 1.12.2019.
8In der ursprünglichen Version vom Sommer 2019, bei dem es nur einen Libra mit Währungskorb als Sicherheit geben sollte, gibt es Risiken. Weil der Korb unterschiedliche Währungen hat, schwankt das in Libra umgetauschte Geld zur Heimatwährung des Nutzers, ob das nun Euro oder Dollar sind. Ein Korb mit internationalen Währungen etwa verlor von 2000 bis 2008 ein Drittel an Wert. Im April 2020 schlug Libra vor, zusätzlich zur Version mit Währungskorb auf Regionen zugeschnittene Libra herauszugeben, also einen Dollar-Libra für die USA, einen Euro-Libra für die Eurostaaten und so weiter. Damit lassen sich Währungsschwankungen vermeiden. Dass es in der ursprünglichen Version Währungsschwankungen gibt, sagen die Libra-Macher selbst: «An dieser Stelle möchten wir betonen, dass eine Libra nicht immer in denselben Betrag einer bestimmten lokalen Währung umgetauscht werden kann. Stattdessen kann der Wert der Libra in lokalen Währungen schwanken, wenn sich die Werte der zugrunde liegenden Vermögenswerte ändern. Die Bestandteile der Reserve werden jedoch so ausgewählt, dass die Volatilität minimiert wird.» Whitepaper, Libra.org, Stand März 2020. Das Wechselkursrisiko ist umso größer, je kleiner die Heimatwährung des Nutzers. Denn dann ist der Anteil dieser Währung im Korb gering und der Anteil fremder Währungen groß, argumentiert Peter Bofinger. Besonders riskant wäre es demnach für Schweizer, Briten, Japaner oder Brasilianer. Aber auch für einen Bewohner der Eurozone ist das Währungsrisiko da: «Also das Versprechen von Libra, dass ich damit eine stabile Währung habe, stimmt einfach nicht, weil ich eben meine stabile nationale Währung in einen Korb tausche, in dem auch fremde Währungen drin sind, die ja gegenüber dem Euro ganz ordentlich schwanken können.» Einlassungen Bofingers in diesem Kapitel aus Gesprächen November 2019/Februar 2020, Interview Deutschlandfunk, 20.7.2019.
9Wenn ein Run kommt, also wenn viele Nutzer ihre Libra in ihre Heimatwährung zurücktauschen wollen, gibt es ein Problem, sagt Peter Bofinger. Dann muss Libra viele Staatsanleihen verkaufen, die Kurse sinken. «Man bräuchte ein verbindliches Einlösungsversprechen, das realistisch sein müsste. Dafür müssten sie Geld direkt bei Notenbanken halten.» Davon ist aber keine Rede. «Ich gebe jetzt Euros an Facebook, kriege Libra, aber – ich habe jetzt die ganzen Unterlagen gelesen, die Libra dazu ins Netz gestellt hat – es ist nicht die Rede davon, dass ich einen rechtlich verbindlichen Anspruch habe, dann auch wieder meine 100 Euro zurückzukriegen. Und damit ist das natürlich ein fundamentaler Unterschied zu einer klassischen Bank, wo ich eben immer den Anspruch habe, 100 Euro wieder zurückzubekommen.» Die Libra-Macher betonten stets die große Stabilität: «Wir glauben, dass die Welt eine globale und wahrhaft digitale Währung braucht, die die Eigenschaften der besten Währungen der Welt vereint: Stabilität, geringe Inflationsrate, starke weltweite Akzeptanz und Fungibilität. Die Libra-Währung wurde geschaffen, um diese globalen Bedürfnisse zu befriedigen und dafür zu sorgen, dass mehr Menschen weltweit Geld besser nutzen können. Libra wurde als stabile digitale Kryptowährung entwickelt, die vollständig durch eine Reserve realer Vermögenswerte (der Libra-Reserve) gestützt und von einem wettbewerbsfähigen Börsennetzwerk unterstützt wird, das Libra kauft und verkauft. Das bedeutet, dass jeder Besitzer von Libra in hohem Maß sicher sein kann, dass er seine digitale Währung zu einem Wechselkurs in ein lokales Zahlungsmittel umtauschen kann – wie beim Geldumtausch auf Reisen. Dieser Ansatz ähnelt der Einführung anderer Währungen in der Vergangenheit. Um Vertrauen in eine neue Währung aufzubauen und in der Frühphase breite Akzeptanz zu erzielen, wurde garantiert, dass die Banknoten des Landes für Sachwerte wie Gold eingetauscht werden konnten. Libra wird jedoch nicht durch Gold gestützt, sondern durch eine Sammlung von Vermögenswerten mit geringer Volatilität, wie Bankeinlagen und kurzfristige Staatsanleihen in Währungen von stabilen und angesehenen Zentralbanken.» Whitepaper, Libra.org, Stand März 2020. «The reserve isn’t quite as great as it seems, though», schreibt James Mackintosh. «Like a money-market fund Libra has no capital and no deposit insurance, so any drop in the value of the reserves should mean the value of Libra falls. Do you trust Facebook and the big corporations and venture capitalists on the governing board not to misuse a license to print money? If so, no problem.»
10«Libra is being designed to respect national sovereignty over monetary policy in the digital space, not undermine it. The Libra payment system and Libra coin will not be designed to replace the U.S. dollar or any other currency, but to extend the functionality of those currencies by enabling cheap and fast payments. Libra will not diminish the sovereignty of governments to conduct monetary policy. Libra is not intended to change the role and influence of central bankers in the global financial system.» Whitepaper, Libra.org, Stand März 2020. Ein einflussreicher Notenbanker sagte mir dagegen: «Wenn Libra bedeutend wird, wirkt sich das zusätzlich auf die Geldpolitik aus. Zwar wird bereits jetzt Geld von den Banken privat produziert, es ist aber immer rückgekoppelt an das Zentralbankgeld, über das die Geldmenge gesteuert wird.» Bei Libra gibt es keine Rückkoppelung ans Zentralbankgeld. Mit Libra könnte die Wirkung der Geldpolitik über die Banken beeinträchtigt werden, warnt EZB-Direktor Yves Mersch. Guido Schäfer, Kann Kryptogeld Euro und Dollar ersetzen, Standard, 14.1.2020. Ken Rogoff, Es geht um viel im kommenden digitalen Währungskrieg, Finanz und Wirtschaft, 22.11.2019.
11Greg Ip schreibt: «While the Federal Reserve and European Central Bank can increase or shrink the supply of dollars and euros to meet monetary policy goals, the supply of Libra is to be entirely determined by users’ demand. It’s modeled on currency boards like the Hong Kong Monetary Authority, which issues Hong Kong dollars fully backed by U.S. dollars. That model appealed to Facebook because it doesn’t conduct monetary policy, Mr. Catalini said. Since every Libra will be backed, there can’t be a run on the bank: ‹It’s not like the last person holding Libra will be unable to convert it.› Roberto Rigobon, a macroeconomist at MIT who advised Facebook on Libra, said in an email: ‹Most currency boards have failed, why not this one? … Not a single currency crisis happens without a government financing a deficit, dealing with unsustainable policies, or having a banking system that goes into crisis. Here we have none of these issues.›» Facebook’s Libra Could Give Dollar, Banks Some Welcome Competition, Wall Street Journal, 26.6.2019. «The Libra Association is committed to building a system that replicates or exceeds current standards for financial stability.» «Da die autorisierten Wiederverkäufer jederzeit Libra Coins zu einem Preis an die Reserve verkaufen können, der dem Wert der stützenden Anlagen entspricht, fungiert die Libra Reserve als ‹Käufer letzter Instanz›.» Replik auf G7, Whitepaper, Libra.org, Stand März 2020. «Was passiert aber wenn ein Großteil der Anleger seine Libra zurück in die Heimatwährung tauschen will?», fragt Volker Wieland. «Es könnte zu einem Run kommen. Wenn Libra die Einlagen komplett in Form von Reserven bei den entsprechenden Notenbanken halten, könnte es unter allen Umständen den entsprechenden Währungsanteil auszahlen. Aber geplant ist, die Einlagen in Form von öffentlichen Wertpapieren und Bankeinlagen zu halten. Da gibt es Risiken, etwa Gegenparteirisiken, Zinsrisiken, Liquiditätsrisiken, usw.» «Despite its audacious global currency aspirations, Libra lacks a global lender of last resort», warnt Yves Mersch. «Who will stand behind it in a liquidity crisis situation? Libra is also devoid of the equivalent of a deposit guarantee scheme to protect its holders’ interests during a crisis. Moreover, the limited liability of the Libra Association members raises serious questions about their resolve to satisfy the claims of Libra holders with their full faith and credit, as central banks do with public money.» Rana Foroohar, Facebook’s Libra and the scourge of hot money, Financial Times, 28.7.2019.
1Neu zu Libra stieß unter anderem die Einkaufsplattform Shopify, die eine Million Kunden nutzen, sowie Checkout.com. Es wird auch spekuliert, dass der Abgang von Mastercard, Visa und Paypal weniger mit den Bedenken der Politik zu tun hatte, sondern zwangsläufig war, weil sie Libra inzwischen als Konkurrenz für ihr Kerngeschäft Zahlungen erkannt haben. Dennoch schwächt ihr Abgang die Währung – wie der von Vodafone. «Vodafone betreibt unter der Marke M-Pesa in Afrika seit 2007 einen mobilen Zahldienst. In sieben Ländern nutzen das 37 Millionen Kunden. Vodafones Expertise hätte der Schlüssel für Libra sein können, im Sinne von Mark Zuckerberg die Welt zu verändern.» Sebastian Kirsch, Libra hat noch eine Chance, Wirtschaftswoche, 24.1.2020.
2Die Libra-Association argumentiert: «The Association has incorporated feedback from regulators and continues to develop a comprehensive framework for financial compliance and network-wide risk management as well as strong standards for Anti-Money Laundering (AML), Combating the Financing of Terrorism (CFT), sanctions compliance, and the prevention of illicit activities. (…) We have had constructive discussions with regulators on how to handle extreme situations — in particular, how the Reserve would function in stressed scenarios and what claims and protections are in place for Libra Coin holders. We have incorporated strategies in the design and structure of the Reserve that are based on approaches in other systems. The Reserve will hold assets with very short-term maturity, low credit risk, and high liquidity. It will also maintain a capital buffer.» Whitepaper, Stand April 2020. «Wir erfinden das Rad nicht um seiner selbst willen neu», so Libra-Vorstand Perez. «Unser Ziel ist, globale Transaktionen zu vereinfachen. Der Zugang zum Internet ist heute ein Grundrohstoff für jeden Menschen. Geld zu empfangen und zu senden ist es noch nicht. Wir arbeiten daran.» Gebühren könnten freilich auch bei Libra anfallen, räumt Perez ein: «Das hängt von den Konditionen der Banken ab.» Der Thinktank «Americans for Financial Reform» forderte strengere Gesetze für Bezahldienste, die außerhalb der regulierten Großbanken operieren. Facebook könnte sonst «eine Parallelwelt zu den existierenden Finanzdienstleistern» aufbauen. Der Konzern würde als Teil der Libra Association zum einen die Infrastruktur aufbauen, zum anderen die Coins in digitalen Geldbörsen verwahren – und so mit seinen über zwei Milliarden Nutzern zu viel Macht bekommen, heißt es. Das Beispiel Tencent aus China habe gezeigt, wie viel Einfluss auf die Preissetzung Firmen hätten, die Bezahldienste mit sozialen Netzwerken verbinden. Furcht vor übermächtiger Konkurrenz hat der Privatbankenverband BdB: «Würden die neuen Vorschläge in die Tat umgesetzt, könnten sich die Kräfteverhältnisse unter den Zahlungsdienstleistern in Europa massiv verschieben», erklärte er. «Europa und Deutschland dürfen bei digitalen Zahlungssystemen für ihre Wirtschaft nicht noch weiter in Abhängigkeit von amerikanischen oder chinesischen Anbietern geraten.» Astrid Dörner/Felix Holtermann/Michael Brächer, Facebook startet Libra neu/Politiker und Wissenschaftler verschärfen Kritik, HB, 17./22.4.2020. Markus Ferber erklärt: «Ich glaube, dass das Libra-Konsortium nun zu währungspezifischen Coins übergeht, macht es leichter, Libra zu kontrollieren. Gleichzeitig verliert Libra damit aber ganz entscheidend an Attraktivität. Ob schnelle, bequeme und kostengünstige Zahlungen über Währungsgrenzen hinweg in diesem System möglich beziehungsweise attraktiv sein werden, bleibt fraglich. Dass Libra die Bedenken im Bereich Geldwäsche zu adressieren versucht, sehe ich positiv. Die vorgeschlagenen Lösungen überzeugen mich aber noch nicht vollumfänglich. Es scheint so, dass ein wesentlicher Anteil der Nutzerbasis über unhosted wallets auf das System zugreifen würde. Genau an dieser Stelle bleibt Libra vage, wie die Einhaltung der Anti-Geldwäsche-Standards sichergestellt werden kann.» Niklas Wirminghaus, Was bedeutet die Neuausrichtung von Libra?, Finance Forward, 17.4.2020.
3«Seit der Wahl von Trump ins Weiße Haus hat sich der Kurs der Facebook-Aktie fast verdoppelt, der Unternehmenswert liegt nun bei knapp 600 Milliarden Dollar. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der weltweiten Facebook-Nutzer von 1,8 Milliarden auf 2,5 Milliarden gestiegen. Im vergangenen Jahr wuchs der Umsatz von Facebook um 27 Prozent auf den neuen Rekordwert von 71 Milliarden Dollar. Der Gewinn betrug fast 19 Milliarden Dollar – die Profitmarge liegt mit 26 Prozent sogar höher als die von Silicon-Valley-Gigant Apple mit 22 Prozent.» Matthias Hohensee, Thomas Kuhn, Mareike Müller, Zuckerberg und Peitsche, Wirtschaftswoche, 14.2.2020. Deepa Seetharaman, Emily Glazer, Mark Zuckerberg Asserts Control of Facebook, Pushing Aside Dissenters, Wall Street Journal, 28.4.2020. Der deutsche Bundesverband Verbraucherzentralen schreibt: «Ein deutscher Staatsbürger hatte im September 2018 beim Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung erwirkt, die Facebook untersagte, den Mann für das Einstellen eines bestimmten Textes auf Facebook zu sperren oder den Beitrag zu löschen. Er machte zudem die ihm entstandenen Kosten geltend. Diese einstweilige Verfügung ließ er Facebook auf Deutsch zustellen. Facebook machte darauf geltend, das Unternehmen verstehe den Inhalt nicht und benötige eine englische Übersetzung. Beschluss des OLG Düsseldorf vom 18.12.2019 (I-7 W 66/19).
4Die Cybersicherheitsfirma Recorded Future berichtet, Nordkoreas Präsident Kim Jong-un nutze insbesondere die Kryptowährung Monero, um die internationalen Sanktionen zu umgehen und Waffenprogramme zu finanzieren. «Facebooks CEO Mark Zuckerberg hatte zumindest halb recht, als er vor dem Kongress sagte, die USA hätten kein Regulierungsmonopol für Zahlungstechnologien der nächsten Generation. Eine weithin verwendete, staatlich gestützte chinesische Digitalwährung hätte mit Sicherheit Auswirkungen, besonders in Bereichen, in denen Chinas Interessen nicht mit denen des Westens übereinstimmen. Eine von den USA regulierte Digitalwährung könnte im Prinzip die Nachvollziehbarkeit durch US-Behörden vorschreiben, sodass, falls Nordkorea sie zum Anheuern russischer Atomwissenschaftler oder der Iran sie zur Terrorismusfinanzierung nutzen sollte, diese Länder einem hohen Risiko ausgesetzt wären, erwischt oder gar gestoppt zu werden. Würde die digitale Währung jedoch von China aus betrieben, hätten die USA viel weniger Eingriffsmöglichkeiten. (…) Dass Libra an den Dollar geknüpft wäre, gäbe den US-Behörden zusätzliche Informationen, weil (gegenwärtig) die gesamte Verrechnung von Dollar über amerikanisch regulierte Einrichtungen laufen muss.» Ken Rogoff, Es geht um viel im kommenden digitalen Währungskrieg, Finanz und Wirtschaft, 22.11.2019. Jonathan Cheng, China Rolls Out Pilot Test of Digital Currency, Wall Street Journal, 20.4.2020. Peter Rudegeair, Ryan Tracy, Facebook, Zuckerberg Dig In for Long Haul on Cryptocurrency, Wall Street Journal, 24.10.2019. Dana Heide, Till Hoppe, Moritz Koch, Thorsten Riecke, Hilfe mit Hintergedanken, HB, 23.3.2020.
5Der EU-Abgeordnete Stefan Berger: «Würde der Zinssatz wesentlich unter null Prozent sinken, ist nicht auszuschließen, dass Verbraucher vom Euro zur Libra abwandern.» Zuckerberg darf nicht zur Zentralbank werden, FAZ, 27.12.2019.
6«Mit dem Aufkommen des Internets kamen die Gorillas – so nannte man Internetkonzerne, die als de facto-Alleinherrscher in ihrem Marktsegment übrig blieben, wie beispielsweise ebay oder Facebook», schreiben Beck und Prinz. «Der Grund für ihre Monopolstellung waren sogenannte Netzwerkexternalitäten, die darin bestehen, dass ein solches Netzwerk oder eine solche Plattform umso wertvoller für alle Beteiligten wird, je größer das Netzwerk ist. Erreichen diese Netzwerke eine kritische Masse, verdrängen sie alle Wettbewerber und werden zum Gorilla. Dieser Gorilla kann dann weder im Wettbewerb angegriffen noch von der Wettbewerbspolitik zerschlagen oder aufgeteilt werden, ohne dass sein Wert für die Nutzer sinkt. Daraus ist Facebook eine Monopolposition auf dem Markt der Kommunikationsnetzwerke erwachsen. Und jetzt schickt sich Facebook an, diese Monopolstellung auszunutzen, um einen weiteren Markt zu erobern, ebenfalls mit Hilfe von Netzwerkexternalitäten. Man kann den Standpunkt vertreten, dass Libra ein sinnvolles Instrument zur Erleichterung von finanziellen Transaktionen im Internet ist. Doch eine massive wirtschaftliche Machtkonzentration bei einem einzelnen Unternehmen wie im Falle von Libra könnte unangenehme Folgen haben: Die Libra Association könnte zu einem Großgläubiger von Staaten aufsteigen, sei es über die von ihr gehaltenen Fremdwährungen oder die kurzlaufenden Staatsanleihen, die zur Deckung von Libra dienen. Kauf und Verkauf dieser Papiere können je nach Größenordnung zu deutlichen Preisbewegungen an den entsprechenden Märkten führen. Im Extremfall könnte dies die Geld- und Fiskalpolitik in einigen Ländern und Regionen beeinträchtigen, auch wenn dies von Libra nicht beabsichtigt ist. Es ist kaum zu erwarten, dass eine solche einmal etablierte digitale Weltwährung die übrigen Währungen unverändert zurücklassen würde. Entweder passen sie sich an, oder sie verschwinden, oder aber Libra wird als Weltwährung übernommen.» Hanno Beck, Aloys Prinz, Der doppelte Gorilla, FAZ, 8.7.2019.
7John Lanchester, The invention of money, New Yorker, 5.8.2019.
8Philip Stafford, Central banks hesitant on digital currencies/Richard Milne, Sweden’s Riksbank eyes digital currency, Financial Times, 5.2.2020/15.11.2016. Bloomberg, 7.2.2020. Franz Nestler, Wie wir zukünftig an Bargeld kommen, FAZ, 6.2.2020.
9Den Vergleich zu James Madison zieht EZB-Direktor Yves Mersch: «It’s telling that Madison chose to use public trust in money as the yardstick for trust in public institutions – money and trust are as inextricably intertwined as money and the state. (…) Madison’s 18th century remark on the link between money and trust has lost none of its relevance in the 21st century. The issue of trust in money has resurfaced in the public debate on privately issued, stateless currencies. (…) In the field of money, history bears testament to two basic truths. The first is that, because money is a public good, money and state sovereignty are inexorably linked. So the notion of stateless money is an aberration with no solid foundation in human experience. The second truth is that money can only inspire trust and fulfil its key socioeconomic functions if it is backed by an independent but accountable public institution which itself enjoys public trust and is not faced with the inevitable conflicts of interest of private institutions. I sincerely hope that the people of Europe will not be tempted to leave behind the safety and soundness of established payment solutions and channels in favour of the beguiling but treacherous promises of Facebook’s siren call.»