13. Wie sich das Konzerngeld stoppen lässt

Es war ein frostiger Tag im Winter, als Facebooks Lobbyisten zu Markus Ferber vordrangen. Den CSU-Politiker haben schon viele Lobbyisten besucht. Ferber, Jahrgang 1965, sitzt seit mehr als 25 Jahren im EU-Parlament. Seitdem ist viel passiert: Euro-Start 1999, Dot.com-Crash 2001, internationale Finanzkrise 2008, Eurokrise 2010–​2015, Corona-Krise 2020. Kaum war die Finanzkrise 2008 überstanden, befahl ihm ein präpotenter Lobbyist von Goldman Sachs, er dürfe nun keinesfalls Amerikas Banken das Geschäft vermiesen. Ferber antwortete: «Für mich sind Sie Darth Vader!» Wie weit der Arm der Geldhäuser reicht, erlebte er, als er über schärfere Gesetze für die Banken verhandelte. Sein Gegenüber auf Regierungsseite, der britische Staatssekretär für Finanzen, hatte jahrelang als Investmentbanker gearbeitet.

Ferber hat viel erlebt, selten allerdings waren Lobbyisten so hartnäckig wie die Abgesandten von Mark Zuckerberg. Wochenlang drängten sie auf einen Termin, bis er sie am 15. Januar 2020 um 10.30 Uhr im Straßburger EU-Parlament vorließ. Draußen vor seinem Büro in der 11. Etage zeigte das Thermometer acht Grad, drinnen versuchten die beiden Lobbyisten Ferber für Libra zu erwärmen. Ein normaler Facebook-Account reiche nicht, um die Währung zu nutzen, beteuerten sie. «Die meinen das Ganze sehr ernst», schilderte mir der Abgeordnete später.

Facebook macht Konzessionen

Die Lobbyisten gaben sich konziliant, nachdem Facebook in Sachen Libra zunächst nassforsch aufgetreten war. Jetzt kündigten sie Ferber Zugeständnisse an. Monate, bevor sie diese im April 2020 in einem neuen Konzeptpapier offiziell machten. Es solle neben Libra als Währungskorb zusätzliche Libra geben, die die Währung einer Region 1:1 nachbilden. Also regionale Euro-, Dollar-, Yen-Libra. So lassen sich Währungsschwankungen für die Nutzer vermeiden. «Die haben Riesenstress mit der Aufsicht», berichtete Ferber.

Nachdem die Währungspläne 2019 bekannt wurden, äußerten Finanzaufseher auf beiden Seiten des Atlantiks Bedenken. Mark Zuckerberg habe womöglich eher «Drogendealer und Steuervermeider» als Kunden im Blick, schimpfte der US-Abgeordnete Brad Sherman in einer Anhörung. Die EU-Finanzminister wollen das Digitalgeld erst erlauben, wenn Risiken wie Geldwäsche, Terrorismus und neue Finanzkrisen geklärt sind. «Die Politik wird das Geldschöpfungsmonopol des Staats verteidigen», schätzt Moritz Schularick. «Aus gutem Grund: Wir haben in der Finanzkrise gesehen, wie Geldpolitik und Realwirtschaft zusammenhängen.» Nach anderen großen Firmen stieg auch der Mobilfunkanbieter Vodafone aus, über dessen Zahlungsdienst sich Libra leichter in Afrika verbreiten könnte. Bald sah es so aus, als ob Libra womöglich gar nicht an den Start geht. Oder nur stark eingeschränkt.[1]

Auf der anderen Seite ist es gar nicht so leicht, das Konzerngeld zu regulieren, warnen Finanzexperten wie Markus Ferber. Weil es kein reines Zahlungssystem in bestehenden Währungen ist, steht Libra außerhalb der Regeln für Angebote wie Apple Pay – etwa, was Verbraucher- und Datenschutz betrifft. «Europa ist angreifbarer als die USA. In Litauen kriegt man einfach eine Lizenz für eine virtuelle Bank, in Malta einfach eine für eine Bank und Glücksspiel.» Eine ortsungebundene Währung lässt sich auch nicht so einfach verbieten. Selbst wenn dies Österreich oder Italien täten: Wie lässt sich verhindern, dass ein Bürger Libra nutzt, die er im Ausland gekauft hat?

Für weltweit präsente Banken gelten seit der Finanzkrise strengere Vorgaben. «Im Grunde bietet Libra Dienste an wie eine Bank, ist aber keine und wird auch nicht so beaufsichtigt», warnt Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling. «Dieses Plattformgeld steht völlig quer zu allem, was wir kennen. Facebook sitzt in den USA. Das Geld wird in der Schweiz geschöpft, Finanzakteure in einzelnen Ländern geben es aus und es dürfte irgendwo auf der Welt auf Facebookkonten liegen. Das ist, als ob eine Autofirma den Kabelbaum in Tschechien genehmigen lässt, die Bremsen in Spanien und den Blinker in Italien – aber keiner schaut auf das ganze Auto.»

Funktionierende Staatswährungen erfüllen drei Funktionen: Recheneinheit, Tausch- und Zahlungsmittel, Wertspeicher. Facebook dekonstruiert diese Funktionen – und baut Teile davon in sein Konzerngeld ein. «Libra lässt sich nicht mit unserer klassischen Vorstellung von Geld erfassen. Das ist Disruption, wie Digitalkonzerne sie in anderen Bereichen betreiben», analysiert Wuermeling. Der Bundesbank-Vorstand fordert globale Regeln und Institutionen, um Anbieter wie Libra zu überwachen. Der britische Notenbankvize Jon Cunliffe pflichtet ihm bei: «Wir müssen erst wissen, was die Risiken des neuen Geldes sind. Das ist gar nicht so einfach. Da neue Technologien über nationale Grenzen hinweg wirken, brauchen wir eine enge internationale Zusammenarbeit.» Aber werden sich die Industriestaaten darauf verständigen? In einer Zeit, da Regierungschefs wie Donald Trump aggressiv renationalisieren und internationale Organisationen zerstören?

Nachdem monatelang wenig zu hören war, preschte Facebook mitten in der Corona-Pandemie mit Änderungen für Libra vor. Es soll einen starken Kapitalpuffer geben, der Risiken auffängt. Neu auch: Die regionalen Libra in Euro, Dollar etcetera, die Facebook Markus Ferber schon zuvor angekündigt hatte. Außerdem «starke Standards gegen Geldwäsche, Terrorfinanzierung und Kriminalität», so das neue 29seitige Konzeptpapier. «Wir haben nun eine starke Antwort auf viele Fragen und Sorgen der Aufseher», erklärte Libra-Vorstand Bertrand Perez. Gegen Geldwäsche, Terroristen oder Hacker «wird Libra besser funktionieren als das herkömmliche Finanzsystem». Auch mit Personalien will man punkten. So kürte die Libra Assocation Stuart Levey von der britischen Großbank HSBC zum Vorstandschef. Mit Sterling Daines vom Schweizer Geldhaus Credit Suisse als oberstem Compliance-Beauftragten wurde ein weiterer Manager aus der traditionellen Bankbranche verpflichtet.

Alle diese Neuerungen sollen die Bedenken zerstreuen, dass die Digitalwährung illegale Aktivitäten fördert und Staatswährungen verdrängt: «Unsere Vision war nie, mit Fiatwährungen zu konkurrieren», so das Konzeptpapier. Es ist bemerkenswert, dass Facebook beim Versuch, die Aufseher zu besänftigen, starke Staatswährungen wie Euro und Dollar als Fiatwährungen bezeichnet. Also mit dem Kampfbegriff von Gegnern staatlicher Währungen, die diese als unzuverlässige Suggestion brandmarken, als Geld, das aus dem Nichts geschaffen wird, anders als früher nicht aus Gold besteht oder damit gedeckt ist.

Die Kritik an Libra bleibt trotz der Zugeständnisse stark. Facebook versucht, die Unsicherheit der Coronakrise zu nutzen, urteilt der deutsche Linken-Politiker Fabio De Masi. «Die Datenmacht von Facebook bleibt ein Systemrisiko für unser Geldsystem.» Der US-Konzern drohe – genau wie Apple oder Alibaba – zur mächtigen Schattenbank zu werden. Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz erklärte, «wir werden keine private Weltwährung zulassen. Das Währungsmonopol muss in der Hand der Staaten bleiben.»

Facebook will mit den Veränderungen an seinem Konzept staatlichen Widerstand überwinden und beantragte zunächst eine Zulassung in der Schweiz, die örtliche Politiker zur Nation der Kryptowährungen formen wollen. «Das Kalkül der Macher könnte damit aufgehen: Libra würde flexibel dort starten, wo der politische Widerstand gering ist», analysiert Felix Holtermann im Handelsblatt. Vielleicht brauche man ja zusätzlich zur Zulassung in der Schweiz gar keine EU-Lizenz, so die Macher. Doch auch wenn eine EU-Lizenz notwendig wäre, wäre das womöglich kein unüberwindliches Hindernis. Notfalls kaufe sich der Konzern eben eine europäische Bank und erfülle so alle Anforderungen, so der CDU-Politiker und Blockchain-Experte Thomas Heilmann.[2]

Mark Zuckerberg umgarnt die US-Regierung

Sicher ist, dass Mark Zuckerberg seine Lobbymacht einsetzt, um den Widerstand gegen Libra zu brechen. Facebook ist es gewohnt, Ziele eisern durchzusetzen. Im Großen wie im Kleinen. Beim milliardenschweren Kauf von Konkurrenten wie Instagram und Whatsapp, bei dem Kartellwächtern zu spät Bedenken kamen. Und genauso bei aufsässigen Nutzern. So erklärte der Konzern tatsächlich vor Gericht, er verstehe eine juristische Entscheidung auf Deutsch nicht – und verlangte eine Übersetzung, um einen Kläger abzuwimmeln. Dabei hat Facebook in Österreich, der Schweiz und Deutschland 40 Millionen Nutzer, denen es selbstverständlich alle Informationen auf Deutsch bereitstellt.

Ja, seit mit den Daten von Millionen Amerikanern der US-Wahlkampf 2016 manipuliert wurde, steht Facebook unter Druck. Überall fordern Politiker, die Macht der Digitalkonzerne zu begrenzen. Dem Geschäft jedoch hat das kaum geschadet. «Am Ende könnte Zuckerberg gestärkt aus der Debatte hervorgehen», urteilt Thomas Kuhn in der Wirtschaftswoche. «Er kommt Datenschützern ein bisschen entgegen, ohne sein Geschäftsmodell zu untergraben. Zuckerberg ist davon überzeugt, dass den meisten Nutzern Datenschutz ohnehin nicht wichtig ist. Das hat er mehrfach in Umfragen untersuchen lassen. Er verteidigt sein Netzwerk als Bollwerk gegen private Meinungszensur und nimmt billigend in Kauf, dass Facebook zur Plattform für politische Fake-Botschaften wird. Wirtschaftlich steht Facebook besser da denn je. Facebook ist ‹ein Konstrukt, das oberhalb der Regierungen vieler Länder und deren Aufsichtsbehörden steht›, sagt David Carroll, einer der renommiertesten Datenschützer der USA

Kaum ein prominenter US-Politiker legt sich mit der Meinungsmacht des sozialen Netzwerks an, in dem sich jeder vierte Amerikaner über Politik informiert. Präsidentschaftskandidaten geben mehr als 100 Millionen Dollar für Spots auf der Website aus.

Zuckerberg präsentiert sich selbstbewusster denn je. Manager mit abweichender Meinung drängt er aus der Firma, beobachtet das Wall Street Journal. Investoren sagte er, Facebook habe seine Standpunkte zuletzt nicht klar kommuniziert, «weil wir Angst hatten, Leute vor den Kopf zu stoßen. Mein Ziel für das nächste Jahrzehnt ist nicht, geliebt zu werden – sondern verstanden.» Während der Corona-Krise setzte er sich in einer großen Kampagne in Szene, die laut Insidern die öffentliche Meinung über Facebook verbessern sollte. Nachdem durch die Corona-Pandemie die Werbeerlöse geschrumpft sind, verspricht die neue Währung Libra neue Erlöse. «Facebook wird zum Zahlungsdienstleister, und der Umsatz pro Nutzer sollte deutlich steigen», erwartet Jörg Lang in Börse Online. Zuckerberg findet das Konzerngeld unverzichtbar, um sein globales Imperium zu vergrößern. Dafür umgarnt er geschickt die amerikanische Regierung.[3]

Facebook gab für Lobbying in Washington 2019 17 Millionen Dollar aus, mehr als fast alle anderen Unternehmen. Mark Zuckerberg suchte gezielt die Nähe des volatilen US-Präsidenten Donald Trump, der den Techkonzernen grundsätzlich Skepsis entgegenbringt und Facebook zuvor kritisierte. Bei einem Treffen schmeichelte er, Trump sei auf Facebook so populär wie kein anderer Politiker der Welt – womit sich dieser seitdem immer wieder öffentlich brüstete. Weitere Angriffe auf Facebook unterblieben seitdem. Als Twitter begann, hetzerische Posts zu kennzeichnen, verkündete Zuckerberg sofort, so etwas lehne er für seine sozialen Medien ab – woraufhin in einem seltenen Moment hunderte Mitarbeiter öffentlich protestierten.

Unverhohlen warb Zuckerberg schon im Herbst 2019 damit, das Konzerngeld stark an den Dollar zu binden. So könnte Libra zwar andere Staatswährungen auf dem Globus schwächen – den Dollar aber stärken. In amerikanischem Geld werden zwei Drittel des internationalen Handels abgerechnet, es ist die erfolgreichste Papierwährung. Wobei der Begriff leicht irreführt, die labbrigen Scheine bestehen zu drei Vierteln aus Baumwolle und zu einem Viertel aus Leinen. Der US-Regierung käme eine Stärkung ihrer Währung gelegen, weil sie als Leitwährung derzeit so umstritten ist wie noch nie: Die Schwellenländer Russland, Indien, Brasilien, Südafrika und China wollen sich entdollarisieren. «Die Welt ist abhängig von der US-Geldpolitik, aber die USA scheren sich wenig um den Rest der Welt», sagt Moritz Schularick. «Dass sich die USA billig in Dollar verschulden, löste die Finanzkrise 2008 mit aus. Und über den Dollar machen die Amerikaner mit Sanktionen Druck in der ganzen Welt.»

Der Ärger über den Greenback ist alt. Schon Frankreichs Präsident Charles de Gaulle regte sich in den 1960er Jahren über die Dominanz des Dollars auf, die US-Finanzminister John Connally unnachahmlich arrogant zelebrierte: «Es ist unsere Währung, aber euer Problem.» Jetzt aber wird es ernst. Mit dem Euro ist dem Greenback erstmals ein ernsthafter Rivale erwachsen. Der Anteil des Dollars als globale Reservewährung sank seit 1970 von 80 auf 60 Prozent.

Da käme es der US-Regierung gelegen, wenn Libra helfen würde, die Vorherrschaft des Dollars als Leitwährung zu festigen. Denn dann könnte sie ihren Schuldenberg, der durch die Corona-Pandemie drastisch zunimmt, weiter günstig finanzieren. Sie hätte Zugriff auf die wichtigste physische Währung der Welt – plus das wichtigste Digitalgeld Libra. Und ihr winkte ein neues Druckmittel: Sie könnte Regierungen und Investoren den Umtausch von Libra in Dollar verweigern.

Mark Zuckerberg spielt jedoch nicht nur die Dollar-Karte. Er warnte die US-Regierung auch, ohne Libra könne ihr ärgster Widersacher China vorbeiziehen. China bewege sich rasch, um einen staatlichen Digital-Yuan zu lancieren, erklärte er vor dem Kongress. «Libra wird vor allem an den Dollar gekoppelt sein und Amerikas finanzielle Führung und seine demokratischen Werte in der ganzen Welt verbreiten.» Noch schlimmer als sein Konzerngeld, argumentierte Zuckerberg listig, wäre doch eine Dominanz Chinas.

Dieser Hinweis verfängt. Vorbei ist die Zeit von Chimerika, wie die damalige Symbiose der Supermächte in den Nullerjahren hieß. Nun ist China für die USA der Erzrivale um die globale Vorherrschaft, den sie mit beispiellosen Strafzöllen überziehen. Durch die Corona-Krise wird China geopolitisch stärker: Während es die im eigenen Land ausgebrochene Epidemie rasch überwunden hat und sich dann international als Helfer inszenierte, zeigten sich die USA schwach. «Nach den Terroranschlägen 2001 und der Finanzkrise 2008 stand Amerikas Führungsrolle nie infrage», urteilt der amerikanische Politikberater Ian Bremmer. «Das wird nach der Corona-Pandemie anders sein.»

An einer digitalen Währung tüftelt die Regierung in Peking seit fünf Jahren. Inzwischen testet sie den elektronischen Yuan in den vier großen Städten Shenzhen, Suzhou, Chengdu und Xiong’an. Mit den Zahlungssystemen von Alibaba und Tencent lässt sich das Digitalgeld schnell verbreiten. Vielleicht geht es der Regierung dabei um technologischen Vorsprung, vielleicht um eine Milliarden-Einnahmequelle, vielleicht um eine Waffe gegen den Dollar. Vielleicht auch um alles zusammen. Präsident Xi Jinping gab in einer Rede die Devise aus, China solle die Chancen ergreifen, die die Blockchain-Technologie biete.

Zuckerbergs Hinweis verfängt auch deshalb, weil andere die US-Regierung vor Chinas Plänen warnen. Die Deutsche Bank glaubt, Peking bedrohe die Alleinstellung des Dollar. Der Währungsforscher Ken Rogoff wirbt, die Zusammenarbeit mit Libra wäre doch besser als die mit China. Die Harvard University spielte mit Ex-Finanzminister Larry Summers Szenarien durch, wie Nordkorea Atomwaffen mit einer Reichweite bis nach Amerika entwickelt – finanziert durch digitale Yuan, die die Sanktionen umgehen. Das Szenario ist gar nicht so weit von der Realität entfernt, weil Nordkorea offenbar bereits über die Kryptowährung Monero Atomwaffen finanziert.[4]

Kein Wunder, dass sich Washington längst weigert, Libra gemeinsam mit den anderen G7-Staaten zu beerdigen. «Ich habe kein Problem damit, dass Facebook eine digitale Währung schaffen will», tönte US-Finanzminister Steven Mnuchin, ein ehemaliger Banker.

Mithilfe der US-Regierung hat das Konzerngeld gute Chancen, sich global zu verbreiten. Geld sollte kein staatliches Monopol mehr sein, doziert Greg Ip im Wall Street Journal. «Kryptowährungen wollten das staatliche Monopol aufbrechen. Facebook könnte das mit Libra gelingen, indem es eine De-facto-Notenbank schafft. Manchmal braucht es einen Monopolisten, um einen Monopolisten zu schlagen.»

Andere Digitalkonzerne warten schon

Und wenn sich Libra nicht durchsetzt? Oder nur in reduzierter Form, die keiner Währung mehr gleichkommt? Der Angriff auf die staatlichen Währungen kommt trotzdem, denn andere Digitalkonzerne stehen bereits in den Startlöchern. Alibaba, Google, Amazon und andere sind ja längst ins Geldgeschäft vorgedrungen. Per Smartphone und Apple Pay oder Google Pay lässt sich an der Ladenkasse binnen Sekunden zahlen. Apple bietet eine Kreditkarte an, Google plant Girokonten, Amazon vergibt seit Jahren Kleinkredite. In China zahlen hunderte Millionen mit Handy statt Bargeld. Konzerne wie Alibaba und Tencent sind Händler, Social-Media-Plattform, Zahlungsanbieter und Bank in einem geworden. Eine digitale Währung, wie sie Facebook plant, wäre da ein logischer nächster Schritt.

Die Branchenkenner Tyler und Cameron Winklevoss prophezeien, dass jeder große US-Digitalkonzern in den nächsten Jahren ein solches Projekt realisieren wird. Die Brüder, die Zuckerberg einst vorwarfen, von ihnen die Idee für Facebook geklaut zu haben, stehen mit ihrer Vorhersage keineswegs allein. Auch der Wall-Street-Analyst Tom Lee erwartet, dass die übrigen Techkonzerne Facebook folgen. Die großen Internetfirmen beschäftigten sich alle mit der Schaffung neuer Geldformen, was ein Beleg dafür sei, «dass digitale Währungen nicht wieder von der Bildfläche verschwinden».

Beispielsweise tüftelt Amazon laut Insidern seit Jahren an eigenen Plänen. Wer die Seite amazoncoin.com besucht, also nach einer Digitalmünze von Amazon sucht, landet auf der Startseite des Onlineriesen. Der Konzern hat sich auch die Adresse amazoncryptocurrencies.com reserviert. Für Konzern-Chef Jeff Bezos würde Amazon-Geld einen Traum erfüllen: Möglichst viele Schritte der Wertschöpfung von der Fertigung eines Produkts über den Kauf und die Lieferung bis zur Bezahlung anzubieten. Firmen jenseits von Amazon wären in so einem geschlossenen System nur als Dienstleister nötig – und vielleicht bald gar nicht mehr.

Es wäre die Vollendung des Geschäftsmodells, wie er es einst auf eine Serviette gezeichnet haben soll. Als er noch selbst auf dem Fußboden seines Hauses kniete, um für seine neue Firma die ersten Bücher in Kisten zu packen. Auf der Serviette prangte ein oranger Kreis, darin das Wort growth, Wachstum. Wachstum senkt die Kosten, das senkt die Preise, das bringt neues Wachstum. Und immer so weiter.

«Handel, Zahlung und Kredit, da hast du die Wertschöpfungskette beinahe komplett», analysiert Markus Ferber. «Der Alibaba-Konzern macht es vor.» Auch in China erwägen Konzerne Konzerngeld. Alibabas chinesischer Rivale Tencent lässt eine Projektgruppe forschen. «Dass das Unternehmen an einer eigenen Währung tüftelt, wirkt angesichts seines Blockchain Whitepapers alles andere als unwahrscheinlich», analysiert ein Branchenbeobachter.

Wer auch immer künftig Konzerngeld auflegt: Eine neue Antihaltung vieler Bürger im Westen gegen die etablierte Politik und ihre Organe wie Notenbanken wird bei der Verbreitung des neuen Geldes helfen. Diese Haltung wurzelt oft im verständlichen Frust über stagnierende Einkommen und das hohe Tempo des kulturellen Wandels in der global-digitalen Ära. Die verfügbaren Real-Einkommen des bestverdienenden Zehntels in Deutschland sind seit der Jahrtausendwende um 22 Prozent gestiegen, während das am schlechtesten verdienende Zehntel weniger hat als damals.

Lautstark artikuliert wird der Frust weniger von Linken als von Rechten. Viele protestieren gegen Euro-Rettungspolitik und Niedrigzinsen. Noch mehr begehren, angestiftet von Populisten, gegen Migration und Muslime auf. Mancher von ihnen könnte sich für ein Anti-Staatsgeld begeistern, wie es 1976 der greise Libertäre Friedrich August von Hayek skizzierte: «Der einzige Weg, letztlich die Zivilisation zu retten, wird darin bestehen, den Regierungen ihre Macht über das Geld zu entziehen. Ich wünschte, ich könnte den Rat geben, langsam vorzugehen. Aber die Zeit mag kurz sein.»

Auch die weitreichenden Auswirkungen der Corona-Krise könnten privatem Geld helfen. Verschärft sich durch die Corona-Rezession der Ausnahmezustand des Geldsystems, spielt das dem Konzerngeld in die Hände. Sinken die Zinsen für Sparer flächendeckend unter null, könnten sie schneller zu Libra & Co. greifen.[5]

Was Konzerngeld einem Konzern verspricht, lässt sich am Beispiel von Facebooks Libra durchspielen. Es ist genauso auf Alibaba, Amazon und Co. anwendbar.

Wie Facebook zum doppelten Gorilla wird

Der Traum eines Konzerns muss sein, dass wir über Preise in seiner Währung nachdenken und nicht mehr in Euro. Durch die Finanzreserve könnten Libra oder Konkurrenzprojekte zudem in manchen Ländern zum größten Besitzer von Staatsanleihen werden. Und so den Regierungen Zugeständnisse abpressen. «Es könnten Abhängigkeiten entstehen», sagt mir Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling.

Er sieht bei privatem Geld noch ein weiteres Ziel: Eine Firma kann damit zum beherrschenden Digitalkonzern werden. «In Europa dominiert keine digitale Plattform. Amazon, Google und Facebook machen sich Konkurrenz. Das ist auch gut so. In anderen Ländern geht das schon in Richtung Monopol. Mit Libra könnte Facebook in manchen Ländern eine Vorrangstellung beim Digitalen insgesamt erreichen. Das ist ja genau das Ziel, das dominante übrigens, denke ich.»

Der globale Erfolg von Facebook oder Google in ihrer Sparte beruht auf dem Netzwerkeffekt: Je mehr Menschen Facebooks soziale Medien oder die Google-Suchmaschine nutzen, desto interessanter wird es für andere, diese Datenautobahn zu nutzen. Anders als bei Autobahnen für Autos erzeugen Massen hier keine Staus. Facebook und Google verdrängen so langsam ihre Rivalen bei sozialen Medien oder Suchmaschinen. Wachsen sie auf eine gewisse Größe, werden ihre Rivalen irrelevant und sie zum Alleinherrscher. Zum Gorilla, der allen Ehrfurcht gebietet.

Facebook nutzt sein Monopol bei sozialen Medien, um mit Konzerngeld eine neue Sparte zu erobern, erwarten die deutschen Ökonomen Hanno Beck und Aloys Prinz: «Libra hat das Potential, ein neuer Gorilla zu werden, denn auch Währungen weisen Netzwerkeffekte auf: Je mehr Menschen eine Währung nutzen, desto größer ist ihr Nutzen für alle Beteiligten. Diese kritische Masse hat Facebook mit seinen Milliarden Nutzern sicher. Wenn sich das neue Digitalgeld etabliert hat, könnte es rasch dazu kommen, dass andere Formen von internetbasierten Zahlungssystemen nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Dank des doppelten Netzwerkeffektes könnte Libra die Funktion einer Weltwährung erreichen. Facebook wäre dann ein doppelter Gorilla.» Andere Währungen müssten sich anpassen oder verschwinden.[6]

Eine Horrorvision. Die Bürger des Westens sollten aufstehen, um den Einfluss des Konzerngeldes zu begrenzen, ob von Facebook, Alibaba oder einer anderen Firma. Sie sollten aufstehen, bevor ein solches Geld zu viel Macht über ihre Daten, ihre Finanzen, ihr ganzes Leben gewinnt. Die Macht dazu haben sie.

Was die Bürger und der Staat tun können

Als der venezianische Kaufmann Marco Polo im 13. Jahrhundert China bereiste, sah er viele Wunder, die der Westen nicht kannte: Porzellan, Kohle, Brillengläser und Schießpulver. Mit am meisten verwunderte ihn das Papiergeld, das der Herrscher Kublai Khan aus der Rinde des Maulbeerbaums fertigen ließ. Nun gab es Untertanen, die lieber traditionelle Währungen wie Perlen, Eisenbarren, Salz oder Gold benutzen wollten. Um sein Papiergeld durchzusetzen, ließ Kublai Khan sie kurzerhand hinrichten.[7]

Diese Art Followerpower fehlt Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Co., trotz all ihrer Macht. Anders als Kublai Khans Untertanen haben Bürger in Demokratien die Wahl. Keiner muss Konzerngeld benutzen. Jeder kann dem Marketingsprech widerstehen, das eine Revolution des Finanzsystems anpreist.

Die Einwohner Nordamerikas, Europas und weiter Teile Asiens haben schon funktionierende Währungen. Die gelegentlichen Mängel von Dollar, Euro und Yen verblassen angesichts der Gefahren von Konzerngeld. «Was Konzerngeld liefern kann, brauchen wir nicht», sagt der EU-Abgeordnete Markus Ferber. «Und was Konzerngeld liefern will, wollen wir nicht.»

Die Bürger können noch etwas Wichtiges tun: Ihre Politiker bestärken, private Währungen strikt zu regulieren. Angesichts des entschiedenen Widerstands in Europa und der unklaren Haltung der USA ist die Situation unübersichtlich. Es kommt nun darauf an, Konzerngeld verschiedener Konzerne zu kontrollieren – und sich nicht von den Lobbyisten einseifen zu lassen.

Für digitales Geld könnte es tatsächlich einen Markt geben, der immer größer wird. Wie darauf reagieren? Es gibt einen Königsweg, der viele Probleme lösen und den Angriff des Konzerngelds abwehren würde: Zentralbanken sollten selbst digitale Versionen ihrer Währungen herausbringen. Die schwedische Riksbank, im 17. Jahrhundert eine der ersten Zentralbanken der Welt, arbeitet seit Jahren an einer E-Krona. Weltweit arbeiten inzwischen 50 Notenbanken an ähnlichen Projekten.

Wirtschaftsverbände fordern das staatliche Digitalgeld, um unabhängiger von Kreditkarten- und Digitalkonzernen zu werden. «Ein E-Euro wäre gut für den Finanzplatz Europa und seine Einbindung ins Weltfinanzsystem», sagt der deutsche Finanzminister Olaf Scholz. US-Fed-Gouverneurin Lael Brainard begründet staatliches Digitalgeld explizit mit dem Libra-Plan. IWF-Vizechef Tao Zhang sieht in der Weltwirtschaft eine Revolution im Gange – die Zentralbanken müssten innovativ sein, um nicht überflüssig zu werden.

Natürlich gibt es Hürden für digitales Zentralbankgeld. Bürger müssten im Regelfall ein Konto bei der Notenbank halten. Diese bekäme dadurch völlig neue Aufgaben wie etwa, Geldwäsche und andere illegale Aktivitäten zu verhindern. Auf der anderen Seite müsste sie die Daten der Bürger schützen. Und: Die privaten Banken könnten viel Geschäft verlieren. Doch das sind alles lösbare Probleme – kein Grund, digitale Staatswährungen auszuschließen. «Die Zentralbanken sollten elektronisches Bargeld für den Bürger bereitstellen», fordert Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier. «Entweder die Zentralbanken machen es – oder die Techkonzerne übernehmen das Ganze.»[8]

Letztlich geht es darum, den Bürgern ein Geld zu sichern, das ihr Vertrauen verdient – anders als privates Konzerngeld, das sich am Ende nach Gewinninteressen richtet. Seit dem Silber-Schekel der Sumerer vor 5000 und den ersten Goldmünzen der Lyder vor 3000 Jahren hat das Geld zahlreiche Entwicklungen durchlaufen. Vor 300 Jahren begannen westliche Staaten, stabilere, von Zentralbanken gestützte Währungen auszugeben. Das legte das Fundament für die Industrialisierung und den ersten Massenwohlstand der Geschichte. Diesen Fortschritt sollten die Menschen nicht einfach für gewinnorientiertes Konzerngeld opfern.

Aktuelle Mängel der etablierten Staatswährungen wie niedrige Zinsen lassen sich durch breitere Geldanlage in Aktien und Immobilien kompensieren. Die Regierungen müssen ihren Bürgern aber dabei helfen, die Anlage zu diversifizieren – und breite Schichten durch Zuschüsse in die Lage versetzen, überhaupt nennenswerte Summen anzulegen. Sie sollten auch das Bargeld für jene erhalten, die es nutzen wollen – und den Datenmissbrauch bargeldloser Zahlungsanbieter stoppen. Und sie müssen verhindern, dass Konzerngeld unser Wirtschaftssystem kapert.

1787 debattierte James Madison mit anderen Gründervätern über die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Madison wählte das Vertrauen ins Geld als Messlatte dafür, ob die Bürger generell staatlichen Institutionen vertrauen können. Nur indem sie das Geld funktionsfähig hält, beweist die Regierung, dass sie die Unterstützung ihrer Bürger verdient.

Das ist eine monumentale Aufgabe, besonders angesichts des epochalen Moments, in dem sich die Menschheit gerade befindet. Angesichts dieses beispiellosen Angriffs auf Zinsen, Bargeld und Staatswährungen, den wir heute erleben. Wenn wir diese Herausforderung in unserem Sinne gestalten, wird das Geld zwar nicht wieder ganz so, wie wir es kannten. Aber es wird doch ein Geld sein, dem wir vertrauen können.[9]