Da liegt mir mehr schon als ins neunte Jahr

voll des Albanerweins ein Krug, da liegt im Garten,

Phyllis, Eppich, um Kränze zu flechten,

da liegt Efeus Vorrat

in Fülle – bindest mit ihm du dein Haar, strahlst du in Schönheit. […]

 

Damit du es aber weißt, geladen zu welchem

Freudenfeste du bist: Die Iden sollst du feiern,

den Tag, der den Monat der meergeborenen Venus

teilt, den April. (IV, 11)

Die seltsame Landschaft der relativistischen Physik, die ich beschrieben habe, wird noch befremdlicher, wenn wir die Quanten ins Spiel bringen: die Quanteneigenschaften von Raum und Zeit.

Die Disziplin, die sich mit ihnen befasst, heißt «Quantengravitation»[53] und ist mein Forschungsfeld. Bislang gibt es noch keine Theorie der Quantengravitation, die den Konsens der Wissenschaftsgemeinschaft genießt und durch Experimente abgesichert ist. Ich habe mein Forscherleben weitgehend dazu genutzt, einen Beitrag zu leisten, um eine mögliche Lösung für das Problem zu konstruieren: die Schleifen-Quantengravitation oder Loop-Theorie. Nicht alle setzen auf diese Lösung. Freunde, die an der Stringtheorie arbeiten, verfolgen zum Beispiel andere Fährten. Das Gerangel darum, festzustellen, wer nun recht hat, ist voll im Gange. Gut so, denn Wissenschaft wächst auch dank heftiger Diskussionen: Früher oder später können wir entscheiden, wer auf der richtigen Spur ist. Vielleicht sogar schon bald.

Die universelle Zeit ist in eine Myriade von Eigenzeiten zerfallen, aber wenn wir die Quanten berücksichtigen, müssen wir den Gedanken akzeptieren, dass jede dieser Zeiten ihrerseits «schwingt», wie in einer Wolke verteilt ist und nur bestimmte Werte und keine anderen annehmen kann … Das Blatt der Raumzeit, das in den vorangegangenen Kapiteln abgebildet wurde, können sie nicht mehr bilden.

Die Quantenmechanik hat zu drei grundlegenden Entdeckungen geführt: die der Granularität, des Indeterminismus und des relationalen Aspektes der physikalischen Variablen. Jede zerstört noch weiter, was von unserem Zeitbegriff übriggeblieben ist. Schauen wir sie uns nacheinander an.

Granularität

Die von einer Uhr gemessene Zeit ist «quantisiert», nimmt also nur bestimmte und keine anderen Werte an. Es ist, als sei die Zeit anstatt eines Kontinuums aus Körnchen aufgebaut.

Die Granularität ist die kennzeichnende Konsequenz der Quantenmechanik. Und sie gibt der Theorie denn auch ihren Namen: «Quanten» sind die elementaren Körnchen. Für alle Phänomene gibt es eine kleinste Größenordnung.[54] Im Fall

Ihr Wert lässt sich einfach abschätzen, indem man die charakteristischen Konstanten der Relativität, der Gravitation und der Quanten miteinander kombiniert.[55] Zusammen ergeben sie eine Zeitdauer von 10–44 Sekunden: ein Hundertmillionstel eines Milliardstels eines Milliardstels eines Milliardstels eines Milliardstels einer Sekunde. Dies ist die Planck-Zeit: In dieser verschwindend geringen Zeiteinheit manifestieren sich die Quanteneffekte auf die Zeit.

Die Planck-Zeit ist viel zu kurz, als dass eine reale Uhr sie messen könnte. Sie ist so kurz, dass es nicht verwundert, wenn «da unten», auf einer so winzigen Skala, die Vorstellung von Zeit nicht mehr gilt. Aber warum sollte sie noch gelten? Nichts gilt immer und überall. Früher oder später stoßen wir auf etwas völlig Neues.

Die «Quantisierung» der Zeit beinhaltet, dass fast alle Werte der Zeit t nicht existieren. Wenn wir die Dauer eines Zeitintervalls mit der vorstellbar präzisesten Uhr messen könnten, müssten wir feststellen, dass die gemessene Zeit immer nur bestimmte diskrete Werte annimmt. Wir können die Zeitdauer nicht als kontinuierlich denken, sondern müssen sie uns diskontinuierlich vorstellen: nichts, das gleichförmig fließen könnte, sondern etwas, das gewissermaßen Sprünge macht wie ein Känguru, von einem Wert zum anderen.

Mit anderen Worten: Es existiert ein kleinstes Zeitintervall. Unterhalb seiner Größenordnung gibt es die Vorstellung von Zeit nicht einmal im einfachsten Sinn.

In den Jahrhunderten von Aristoteles bis zu Heidegger sind Ströme von Tinte geflossen, um die Natur des «Kontinuums» zu erörtern: möglicherweise umsonst. Kontinuität ist nur eine mathematische Technik, um besonders feinkörnige

Granularität ist in der Natur allgegenwärtig: Licht besteht aus Photonen, den Lichtteilchen. Die Energie der Elektronen in den Atomen kann nur bestimmte und keine anderen Werte annehmen. Reinste Luft ist wie kompakteste Materie gekörnt: Beides besteht aus Molekülen. Hat man erkannt, dass Newtons Raum und Zeit physikalische Entitäten wie die anderen sind, erwartet man ganz selbstverständlich, dass auch sie aus Körnchen bestehen. Die Theorie bestätigt diese Idee: Die Schleifen-Quantengravitation sieht vor, dass die elementaren Zeitsprünge klein, aber endlich sind.

Der Gedanke, dass Zeit granular aufgebaut sein, dass es kleinste Zeitintervalle geben könnte, ist keineswegs neu. Schon Isidor von Sevilla hat ihn im 7. Jahrhundert in seinen Etymologiae vertreten, ebenso im darauffolgenden Jahrhundert Beda Venerabilis, der seinem Werk den bezeichnenden Titel De Divisionibus Temporum gab: «Von den Unterteilungen der Zeit». Im 12. Jahrhundert schrieb der große Philosoph Maimonides: «Die Zeit setzt sich aus Atomen zusammen, also aus vielen Teilchen, die sich wegen ihrer kurzen Dauer nicht weiter teilen lassen.»[56] Und wahrscheinlich ist der Gedanke noch älter, war er schon in der klassischen griechischen Atomlehre enthalten, auch wenn wir es nicht nachprüfen können, weil Demokrits Originalschriften verloren gegangen sind.[57] Das abstrakte Denken kann Thesen formulieren, die erst Jahrhunderte später in der wissenschaftlichen Forschung Anwendung – oder Bestätigung – finden.

Die räumliche Schwester der Planck-Zeit ist die Planck-Länge, die Untergrenze, unterhalb derer der Begriff Länge

Dieses Blatt habe ich mir in Bologna in mein Schlafzimmer gehängt und mir zum Ziel gesetzt, zu verstehen, was auf dieser unteren Ebene geschieht, auf den winzigsten Skalen, in denen Raum und Zeit aufhören, zu sein, was sie sind. Bei den elementaren Quanten von Raum und Zeit. Und mit dem Versuch, es nachzuvollziehen, habe ich dann mein ganzes weiteres Leben zugebracht.

Quantensuperpositionen von Zeiten

Die zweite Entdeckung der Quantenmechanik ist der Indeterminismus: So lässt sich beispielsweise nicht mit Präzision vorhersagen, wo morgen ein Elektron erscheint. Zwischen dem einen und dem nächsten Auftauchen hat ein Elektron keinen genau bestimmten Ort.[58] Es ist, als sei es in einer

Entsprechend schwingt die Lichtkegel-Struktur, die in jedem Punkt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft voneinander unterscheidet:

Relationen

«Fluktuation» heißt nicht, dass das Geschehen niemals determiniert ist, sondern dass es nur in manchen Augenblicken und auf unvorhersehbare Weise determiniert ist. Die Unbestimmtheit verschwindet, wenn eine Größe mit etwas anderem wechselwirkt.[*] Bei der Wechselwirkung materialisiert sich ein Elektron an einem bestimmten Punkt. Es schlägt beispielsweise auf einem Bildschirm auf, wird von einem Teilchendetektor erfasst oder kollidiert mit einem Photon. Es nimmt einen konkreten Ort ein.

Aber dieses Sich-Konkretisieren des Elektrons hat einen seltsamen Aspekt: Das Elektron ist nur bezogen auf die physikalischen Objekte konkret, mit denen es wechselwirkt. Mit Bezug auf alle anderen verbreitet die Wechselwirkung wie bei einer Ansteckung nur Indeterminismus. Die Konkretheit besteht nur relativ zu einem physikalischen System. Dies, so glaube ich, ist die ganz grundlegende Entdeckung der

Es ist schwer nachvollziehbar, dass sich ein Elektron so bizarr verhält. Noch schwerer zu verdauen ist der Gedanke, dass sich auch Raum und Zeit so verhalten. Dennoch ist das offensichtlich die Quantenwelt: die Welt, in der wir leben.

Das physikalische Substrat, das die Dauer und die Zeitintervalle bestimmt – das Gravitationsfeld –, gehorcht nicht nur einer Dynamik, die von Massen beeinflusst wird: Es ist auch eine gequantelte Entität, die keine festgelegten Werte hat, solange sie nicht mit etwas wechselwirkt. Wenn sie dies tut, sind die Zeitintervalle granular und nur auf etwas Bestimmtes festgelegt, während sie für das übrige Universum indeterminiert bleiben.

Die Zeit hat sich in einem Beziehungsgeflecht aufgelöst,

 

Ich rekapituliere den gewagten weiten Sprung in die Tiefe, den wir in diesem ersten Teil des Buchs unternommen haben. Die Zeit ist nicht einzig, weil sich jeder Verlauf anders vollzieht. Sie vergeht je nach Ort und Geschwindigkeit in einem unterschiedlichen Tempo. Sie hat keine Richtung; der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft ist in den Grundgleichungen der Welt nicht enthalten. Er ist ein unwesentlicher Aspekt, der sich dann zeigt, wenn wir die Dinge unter Vernachlässigung der Einzelheiten betrachten: Mit diesem unscharfen Blick betrachtet, war die Vergangenheit des Universums in einem seltsamen «besonderen» Zustand. Der Begriff «Gegenwart» funktioniert nicht; im riesigen Universum gibt es nichts, das wir vernünftigerweise «Gegenwart» nennen können. Das Substrat, das die jeweilige Dauer der Zeit bestimmt, ist keine unabhängige Entität, verschieden von den anderen, aus denen die Welt besteht. Es ist ein Aspekt eines dynamischen Feldes. Dieses springt, wogt, konkretisiert sich nur in Wechselwirkungen und ist unterhalb eines kleinsten Maßstabs nicht definiert … Was bleibt von der Zeit?

«Du musst deine Armbanduhr versenken, musst zu verstehen versuchen: Die Zeit, die sie zu erfassen scheint, ist nur die Bewegung ihrer Zeiger …»[59]

Treten wir ein in die Welt ohne Zeit.