Die Berater von König Lobengula waren misstrauisch gegenüber den Telegraphendrähten, die von der British South Africa Company Ende des 19. Jahrhunderts über ihr Land gespannt wurden. Sie befürchteten, die Weißen könnten mit den Drähten ihren König, den Herrscher des Volks der Nord-Ndebele im Matabele-Land, fesseln und so seiner Macht berauben. Auch als man ihnen den Zweck der Telegraphenleitung erklärte, blieben sie skeptisch. Wozu brauchte man so etwas, wo man doch auch mit Trommeln und Rauchzeichen über weite Entfernungen kommunizieren konnte?

Wir alle kennen solche Geschichten über vormoderne Menschen, die sich dem unvermeidlichen Fortschritt in den Weg stellten, oder vom törichten Widerstand gegen eine Technologie, die den Weg in eine bessere Welt ebnen sollte.

Doch der Argwohn der Berater von König Lobengula war keineswegs aus der Luft gegriffen. Die British South Africa Company unter der Führung von Cecil Rhodes erklärte den Ndebele 1893 den Krieg und schlug 1896 Aufstände im Matabele- und Mashona-Land nieder. Einer der Vorwände für diese kriegerischen Handlungen war der Vorwurf, die Einheimischen hätten den Kupferdraht der Überlandleitung gestohlen, um daraus Schmuck und Jagdwerkzeuge herzustellen. Der

Mit anderen Worten: Was dort vor sich ging, war ein Landraub. So sehr der Kolonialismus zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Methoden vorging, sein Ziel war stets dasselbe: die Aneignung von Land durch Gewalt und Betrug, um sich die Kontrolle über dessen Reichtümer und Arbeitskräfte zu sichern.

Zwei Dinge unterschieden den Kolonialismus von anderen Raubzügen der Geschichte. Erstens hatte dieser Landraub wahrhaft globale Dimensionen, er erstreckte sich über den gesamten Planeten. Von 1800 bis 1875 verleibten sich die europäischen Kolonisatoren weltweit rund 215000 Quadratkilometer pro Jahr ein. Von 1875 bis 1914 stieg diese Zahl sprunghaft auf 622000 Quadratkilometer pro Jahr an. Am Ende dieser Periode verfügte Großbritannien über 55 Kolonien, Frankreich über 29, Deutschland über 10, Portugal und die Niederlande über jeweils 8, Italien über 4 und Belgien über eine.[2] Der Kolonialismus betraf nicht nur die Ndebele in Simbabwe, sondern ebenso die Bororo in Brasilien und zahlreiche andere Völker, die sich auf einmal mit Telegraphenleitungen, Schusswaffen und dem Kreuz konfrontiert sahen – oder durch welche spezifische Kombination von kolonialer Technologie, Waffen und Glaubensvorstellungen auch immer sie kolonisiert wurden. Frieden und Fortschritt brachte das keinem von ihnen, Enteignung und Ungerechtigkeit hingegen allen.

Dabei wird etwas übersehen, das über diese notwendige Abrechnung mit der Vergangenheit hinausreicht. Der Kolonialismus lebt in neuer Gestalt und mittels einer neuen Art von Landraub fort. So jung dieses Phänomen noch ist, es zeichnet sich bereits ab, dass dieser Raubzug das Zeug hat, unserer Gegenwart und Zukunft seinen Stempel ebenso stark aufzudrücken wie der alte.

Geraubt wird heute allerdings nicht Land, sondern Daten – potenziell ein nicht weniger wertvolles Gut, eröffnen Daten doch den Zugang zu einem unbezahlbaren Rohstoff: der Privatsphäre unseres Alltags als einer neuen Wertschöpfungsquelle. Aber ist die Ausbeutung des menschlichen Lebens ein gänzlich neues Phänomen? Nein, natürlich nicht. Dieser neue Ressourcenraub sollte uns jedoch alarmieren, weist er doch einige sehr koloniale Züge auf. Er ist global: Nirgendwo ist das menschliche

Dieses Buch erzählt die Geschichte dieses Datenraubs und zeigt, in welchem Sinne er eine Umverteilung der Ressourcen der Welt darstellt, die sich durchaus mit dem Landraub des historischen Kolonialismus vergleichen lässt. Anders ausgedrückt, der Datenkolonialismus setzt praktisch den historischen Landraub mit einem Datenraub fort.[7] Wir wissen bereits, wie sich die Geschichte des Kolonialismus entfaltet hat. Wenn wir einen Ausblick auf die langfristigen Auswirkungen des Datenkolonialismus versuchen wollen, müssen wir uns also nicht mit bloßen Vermutungen abgeben, sondern brauchen nur die historische Entwicklung zu betrachten. Unsere Gegenwart, und nicht nur unsere Vergangenheit, ist hoffnungslos kolonialistisch geprägt, und das neue Phänomen des Datenkolonialismus steht dazu in enger Beziehung.