Warum zivilisatorische Narrative funktionieren

Vielleicht liegt all dem ein noch umfassenderes Muster zugrunde. Wenn wir einen Blick auf die Geschichten werfen, die über den Datenkolonialismus erzählt werden, und auf unsere kurze Zusammenfassung der Geschichten, die den historischen Kolonialismus rechtfertigen sollen, wird deutlich, dass all diese Narrative, alte wie neue, mehrere Funktionen erfüllen.

Sie beschönigen die realen Prozesse des Kolonialismus, indem sie ihnen eine andere, freundlichere Geschichte unterlegen – zum Beispiel die von der notwendigen Expansion der

Darüber hinaus war die historische Idee von der überlegenen Wissenschaft und dem überlegenen Wissen des Westens untrennbar mit der Vorstellung von der Überlegenheit der Weißen verknüpft. Diese Narrative setzten nicht nur eine Machthierarchie durch – sie rechtfertigten und legitimierten sie. Sie trugen dazu bei, die kolonisierten Völker in einer schwachen, machtlosen Position zu halten, die ihnen kaum Veränderungsmöglichkeiten bot. Genau dies tun auch die zivilisatorischen Narrative von Big Data: Sie zwingen sämtlichen Bürgern, mit Ausnahme derjenigen, die zur datenkolonialistischen Eliteklasse gehören, Beziehungen fortlaufender Datenextraktion auf, über die sie wenig oder gar keine Kontrolle haben. Gleichzeitig erklären sie ihnen, dies sei ein vorteilhafter Deal für sie, jedenfalls gemessen an den Standards des Kapitalismus. Und sie versichern ihnen, dies sei der einzige Weg, um ein komfortables, effizientes, vernetztes und lohnenswertes Leben zu führen.

Auf diese Weise erreichen die herrschenden Narrative des Datenkolonialismus etwas, was der Datenraub allein nicht leisten kann: Sie erobern das Territorium der gesellschaftlichen Phantasie. Sie kolonisieren unsere Vorstellungen davon, wie die Zukunft von Gesellschaft und Technologie, von Gemeinschaft und Vernetzung aussehen könnte, und verdrängen alternative Ideen. Das führt dazu, dass es nur eine Sprache zur Beschreibung der Realität zu geben scheint: die Sprache der Vernetzung und der Gemeinschaft, wie sie von Unternehmen wie Meta und den Herstellern smarter Geräte angeboten wird. Vernetzt euch,

Die zivilisatorischen Narrative, die wir in diesem Kapitel analysiert haben, verbreiten sich überall dort, wo Big Tech versucht, unseren Alltag neu zu organisieren. Sie beschränken sich nicht bloß auf Ideen, sondern schaffen sehr reale Methoden zur Organisation von Ressourcen und Menschen, die sich schnell zum Standard entwickeln. Kurzfristig mögen wir mit solchen Vorstellungen klarkommen, aber langfristig schränken sie uns ein und prägen unser Verständnis davon, wie die Dinge normalerweise sind und anscheinend schon immer waren. Wir müssen jetzt damit beginnen, die zivilisatorischen Mythen des Datenkolonialismus in Frage zu stellen. Der Widerstand braucht einen langen Atem, doch wie wir am Ende des Buches sehen werden, hat er bereits zahlreiche Ansatzpunkte gefunden.

Bevor wir jedoch zum Thema Widerstand kommen, müssen wir einen letzten Aspekt der entstehenden Landschaft des Datenkolonialismus unter die Lupe nehmen: die Menschen und Institutionen, die ihn beherrschen und umsetzen.