Nutzungsbedingungen

Unsere neue koloniale Realität bringt neue Prozesse der Datenextraktion mit sich. Diese verändern das Bildungs- und Gesundheitswesen, die Landwirtschaft, die Arbeit der Polizei, wie wir miteinander reden, uns gegenseitig beurteilen und vieles

Diese neue Gesellschaftsordnung geht mit einem neuen Gesellschaftsvertrag einher, der auf der Prämisse beruht, dass die Datenspur, die unsere Online-Aktivitäten hinterlassen, den Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollte. Aber warum eigentlich? Weil, so wird uns gesagt, die von uns erzeugten Daten nur mit riesigen Rechen- und Speicherkapazitäten verarbeitet und aufbereitet werden können, über die wir selbst nicht verfügen. Der Fortschritt der Menschheit, so wird behauptet, erfordere von uns eben die Preisgabe unserer Daten. Und überhaupt geschehe all dies mit unserem vollen Einverständnis, werden wir belehrt, oder haben wir etwa nicht auf »Zustimmung« geklickt, als wir diese Apps auf unseren Smartphones installiert oder jene Plattformen genutzt haben?

Wir wollen einen Moment innehalten und überlegen, was passiert, wenn wir auf »Zustimmung« klicken. Oder besser gesagt, was passierte, als wir im Jahr 2007 in den Nutzungsbedingungen von Google Chrome auf »Zustimmung« klickten. Die meisten Menschen lesen die Nutzungsbedingungen nicht im Detail. Daher lohnt es sich, einige der Punkte zu erläutern, denen wir 2007 bei der Installation des Webbrowsers zugestimmt haben. Wenn Sie, wie die meisten Menschen, die Nutzungsbedingungen vor der Installation des Webbrowsers nicht gelesen haben, hier ein Teil dessen, was uns 2007 zur Zustimmung vorgelegt wurde:

Durch Übermittlung, Einstellung oder Darstellung der

Neuere Versionen klingen etwas weniger raffgierig – sie haben es einfach nicht mehr nötig. Denn auch wenn die wenigsten von uns jemals die ursprünglichen Nutzungsbedingungen gelesen haben, so haben wir längst unser Leben nach den Regeln umgestaltet, die Google uns auferlegt. Google kann es sich heute leisten, seine Regeln etwas freundlicher zu formulieren, weil die Datenextraktion längst in vollem Gange ist – man muss den Nutzern also nicht mehr so deutlich die Pistole auf die Brust setzen. Jedenfalls hat Google im Juli 2023 seine Datenschutzbestimmungen aktualisiert, um darauf hinzuweisen, dass es sich das Recht vorbehält, »öffentlich verfügbare Informationen zu nutzen, um mit ihnen Googles KI-Modelle zu trainieren und Produkte und Funktionen wie Google Translate, Bard und Cloud-KI-Funktionen zu entwickeln«.[2] Das bedeutet nichts anderes, als dass Google einseitig und ohne jemanden um Erlaubnis zu fragen beschlossen hat, dass jeder von uns, der etwas öffentlich online stellt, dies als Trainingsmaterial für Googles KI-Modelle zur Verfügung stellt.

Vergleichen wir nun die ursprünglichen Nutzungsbedingungen von Chrome mit einem viel älteren Dokument, dem Requerimiento (was im Spanischen »Aufforderung« oder »Mahnung« bedeutet), das 1513 verfasst wurde, also in einer recht frühen Phase des ersten kolonialistischen Landraubs. Dieses

Wenn ihr es aber nicht tut [d.h., euch nicht der spanischen Herrschaft unterwerft] oder es in boshafter Weise aufschiebt, so tue ich euch kund, dass ich mit der Hilfe Gottes mit Gewalt eindringen werde gegen euch und euch bekriegen werde in jeder Art und Weise, wie ich kann, und euch unterwerfen werde unter das Joch und den Gehorsam der Kirche und ihrer Hoheiten. Und eure Personen und eure Frauen und Kinder werde ich gefangen nehmen und zu Sklaven machen und als solche sie verkaufen und über sie verfügen, wie seine Hoheit es gebietet, und werde euch eure Güter nehmen und euch allen Schaden und Böse antun, wie ich kann …[3]

Wir wollen damit keineswegs behaupten, dass das, was auf die Verlesung des Requerimiento folgte, mit den Konsequenzen einer Installation von Google Chrome vergleichbar ist. Google wird uns oder unsere Kinder nicht versklaven, und der Preis für die Ablehnung der Nutzungsbedingungen von Chrome ist sicherlich nicht unsere Ausrottung. Es geht hier darum, mit welchen Tricks und Drohungen eine solche ursprüngliche Enteignung durchgeführt wird. Wichtig ist vor allem eine unverständliche Sprache, denn die Extraktion setzt voraus, dass die

Die Spanier setzten wie alle nachfolgenden Kolonisatoren darauf, dass der Akt der Enteignung nicht verstanden wurde. Ihnen war bewusst, dass das Requerimiento lediglich ein Feigenblatt war, das ihre Gräueltaten rechtlich, politisch und religiös bemänteln sollte. Auch der indigenen Bevölkerung blieb das nicht lange verborgen. Sie flohen, anstatt die Verlesung abzuwarten und mussten schließlich erst eingefangen und an Bäume gefesselt werden – sofern sie sich nicht durch billige Geschenke verlocken ließen –, damit die Spanier ihre Prozedur durchführen konnten. Belegt ist ein Fall, in dem ein Häuptling des Volks der Zénu darauf bestand, dass ihm die Sache erklärt werde. Als ihm schließlich die Bedeutung aufging, sagte er, ein Papst, der Land verschenke, das ihm nicht gehöre, müsse ein Säufer sein, und ein König, der ein solches Geschenk annehme, ein Verrückter. Der Mönch Bartolomé de Las Casas, der die Conquista scharf kritisierte und sich für die Sache der indigenen Bevölkerung einsetzte, meinte zum Requerimiento, er wisse nicht, ob er darüber lachen oder weinen solle.[4]