Kein Kapitalismus ohne Kolonialismus

Um diese sich entfaltende Realität zu erkennen, müssen wir jedoch die koloniale Vergangenheit und die kapitalistische Gegenwart aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wir leben heute in einem System der Bewirtschaftung der Weltressourcen, das sich Kapitalismus nennt und in dem die ökonomischen Belange weitgehend durch Märkte geregelt werden. Wenn wir nun darauf hinweisen, dass inmitten dieser Ordnung ein neuer Kolonialismus entsteht, stellen wir eine neue Art von Beziehung zwischen Kolonialismus und Kapitalismus her.

Bevor wir dies vertiefen, ist es vielleicht hilfreich, mit einer grundsätzlichen Definition der Begriffe Kolonialismus und Kapitalismus zu beginnen. Wikipedia sagt:

Kolonialismus bezeichnet eine Praxis oder Politik der Kontrolle eines Volkes oder einer Staatsmacht über andere Völker oder Gebiete, oft durch die Gründung von Kolonien und im Allgemeinen mit dem Ziel der wirtschaftlichen Vorherrschaft. Im Zuge der Kolonisierung zwingen die Kolonisatoren den Kolonisierten oft ihre Religion, Sprache, Wirtschaft und andere kulturelle Praktiken auf. Die fremden Verwalter herrschen über das Gebiet in Verfolgung ihrer eigenen Interessen und mit der Absicht, von den Menschen und Ressourcen der kolonisierten Region zu profitieren.[1]

Der Kapitalismus ist ein Wirtschaftssystem, das auf Privateigentum an Produktionsmitteln und deren gewinnorientierter Nutzung beruht … Die Entscheidungen und Beschlüsse über Investitionen fällen in einer kapitalistischen Marktwirtschaft Vermögenseigentümer, Grundbesitzer oder Personen mit der Fähigkeit, Kapital oder Produktionsmittel auf den Kapital- und Finanzmärkten zu bewegen, während die Preise und die Verteilung von Waren und Dienstleistungen hauptsächlich durch den Wettbewerb auf den Waren- und Dienstleistungsmärkten bestimmt werden.[2]

Geht man von diesen Definitionen aus, sind Kolonialismus und Kapitalismus zwei völlig unterschiedliche Phänomene.

Der Kolonialismus wird hier als eine Praxis (oder Politik) beschrieben, während der Kapitalismus ein ganzes System darstellt. Wichtiger noch: Der Kolonialismus ist ausbeuterisch, er nimmt Menschen Dinge mit Gewalt weg und übt aus der Ferne Macht aus, unter anderem um sicherzustellen, dass die Kolonisierten die Denk- und Handlungsweisen des Kolonisators akzeptieren und übernehmen. Im Gegensatz dazu scheint der Kapitalismus weniger brutal vorzugehen. Er gibt sich geradezu zivilisiert, organisiert die Ressourcen und trifft bessere ökonomische Entscheidungen. Ja, auch der Kapitalismus gibt einer Gruppe von Menschen die Kontrolle (den Eigentümern der Produktionsmittel), aber Gewalt und Zwang übt er nicht aus. Die Konkurrenz im Kapitalismus wird auf Märkten ausgetragen, was Missbrauch verhindern und für die Wirtschaft insgesamt von Vorteil sein soll.

Der Kapitalismus ist ohne den Kolonialismus nicht zu verstehen

Der Kapitalismus, den Tracy als ihre tägliche Realität erlebt, ist nicht ohne die Rolle zu verstehen, die der Kolonialismus bei dessen Ermöglichung spielte und immer noch spielt. Um dies zu erklären, müssen wir über den engeren historischen Kontext hinausblicken und uns in Erinnerung rufen, dass der Reichtum, der in den Bergwerken und auf den Plantagen des Kolonialismus erwirtschaftet wurde, die Fabriken des frühindustriellen Kapitalismus finanzierte.

In manchen Fällen geschah die Umwandlung von kolonialem Reichtum in kapitalistische Ressourcen in nur einer Generation. Ein Beispiel dafür ist der britische Unterhausabgeordnete Richard Pennant, erster Baron Penrhyn, ein Befürworter der Sklaverei, der sechs Zuckerplantagen und Hunderte

Wie genau? Einer Schätzung zufolge führte der Kolonialismus mit seinen extraktiven Unternehmungen in den letzten 300 Jahren dazu, dass das Pro-Kopf-Einkommen der Kolonisatorenländer zwischen 14 und 78 Prozent stieg. Es war der Kolonialismus, der es den europäischen Protokapitalisten (Kaufleuten, Handwerkern, Großgrundbesitzern) ermöglichte, die Bauern von ihrem Land zu vertreiben, Kapital anzuhäufen, die Produktion zu erhöhen, jederzeit Lohnarbeiter anheuern zu können, und das alles mit Unterstützung des Staates. Diese Akkumulation von Reichtum und Macht sicherte den Europäern einen Vorsprung gegenüber konkurrierenden Protokapitalisten in Afrika, Asien und China, was Europas globale Vorherrschaft festigte und es dem Kontinent ermöglichte, seinen Reichtum in weitere Kolonialunternehmen zu investieren. Ohne den akkumulierten Reichtum der Extraktion hätten die Unternehmer nicht über den sicheren Zugang zu Ressourcen verfügt, der es ihnen erlaubte, die Produktionsmittel zu besitzen und so überhaupt erst zu Kapitalisten zu werden.[3]

Wie immer man es auch sieht, es ergibt keinen Sinn, den

Diese Argumentationslinie reicht sogar noch weiter. Die heutige enorme Wohlstandskonzentration im Globalen Norden sowie die dominante Position der USA in der Weltwirtschaft können nicht losgelöst von dem ungleichen historischen Erbe der Kolonialreiche des 19. und 20. Jahrhunderts verstanden werden. Dieses Erbe ist der Grund für die nach wie vor sehr unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich den Volkswirtschaften

Gewöhnlich wird die Geschichte der vergangenen fünf Jahrhunderte nur unter einem Blickwinkel betrachtet, obwohl wir immer zwei benötigen, die sich überschneiden: Kolonialismus und Kapitalismus. Es verfälscht die Wahrnehmung, den Kolonialismus und den Kapitalismus als zeitlich voneinander getrennte Perioden zu betrachten, die lediglich ein historischer Entwicklungsprozess miteinander verbindet, und dabei den Kolonialismus (dessen brutale Phase glücklicherweise beendet ist) als erste und den Kapitalismus (unter dem wir glücklicherweise leben) als spätere zu sehen. Der Kolonialismus gehörte schon immer mit dazu, er hat zunächst die Grundlagen für den zukünftigen Kapitalismus geschaffen und dann in der wachsenden Weltwirtschaft den rebellischen Industriekapitalismus beflügelt. Der Kapitalismus trägt seit jeher die Gene des Kolonialismus in sich. Und das gilt bis heute, auch wenn es in großen Teilen der Welt keine Kolonialreiche mehr gibt. (Die Menschen in Puerto Rico, Palästina und Amerikanisch-Samoa sehen das allerdings womöglich anders.)

Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir wollen nicht behaupten, der Kapitalismus sei lediglich ein verkappter Kolonialismus – er ist ein eigenständiges Phänomen mit ganz eigenen Merkmalen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation. Trotzdem müssen wir Kolonialismus und Kapitalismus

So wie Kolonialismus und Kapitalismus – Extraktivismus und Produktion – stets Hand in Hand gehen, zeigen die heutigen neuen Methoden des »Datenschürfens«, dass weiterhin ähnliche Prozesse am Werk sind. Autoren, die ausschließlich unter dem Aspekt der Dynamik des Kapitalismus beschreiben, was heute mit unseren Daten geschieht, schätzen aus diesem Grund auch Ausmaß und Stärke der Datenextraktion, die heute im Gange ist, falsch ein. Zahlreiche Theorien gehen davon aus, dass wir eine neue Form des postindustriellen Kapitalismus erleben – einen Datenkapitalismus, einen Informationskapitalismus, einen Plattformkapitalismus oder, um einen von Shoshana Zuboff geprägten und häufig angeführten Begriff zu nennen, einen Überwachungskapitalismus.[9] Diese Analysen sind in vielerlei Hinsicht nützlich, helfen sie uns doch, die besondere Art und Weise zu verstehen, wie Daten innerhalb des Kapitalismus unsere Produktionsweise und unseren Konsum verändern. Aber ein entscheidender Punkt fehlt all diesen Erklärungsversuchen: eine den historischen Kontext berücksichtigende Darstellung des schieren Ausmaßes und der scheinbar unaufhaltsamen gesellschaftlichen und kulturellen Kraft des Datenraubs, der derzeit stattfindet.

Der gewaltige Transfer der im Verlauf der Geschichte des

Nur wenn wir Kolonialismus und Kapitalismus auf diese Weise durchdenken, enthüllt sich uns die erschreckende Realität hinter Tracys Sorgen: Ja, es gibt eine neue Kolonie, eine neue Zone der Extraktion, die der Datenkolonialismus ausbeutet. Und was er aus ihr herausholt, sind wir selbst und unser Leben. Immer und überall. Heutzutage ist es das Leben aller Menschen, das einfach so darauf wartet, dass jemand es sich aneignet. Und diese Ausbeutung ist in unsere Geräte und die von uns genutzten Plattformen eingearbeitet, die genau so funktionieren, wie es beabsichtigt ist: Es steckt weder irgendein Bösewicht noch ein Fehler dahinter. Diese Ausbeutung ist ein Merkmal des Routinebetriebs unserer elektronischen Geräte.

Bedeutet dies, dass die großen Leidensunterschiede, die der historische Kolonialismus hinterlassen hat, keine Rolle mehr spielen? Ganz und gar nicht. Bedeutet es, dass dieser neue

Aber was bedeutet das für unsere Sicht des Kolonialismus als eines sich entwickelnden historischen Phänomens?

Genau wie der Kapitalismus ist auch der Kolonialismus in ständigem Wandel begriffen

Wenn der Kolonialismus von Relevanz dafür ist, wie wir den Umgang mit Daten unseres heutigen Kapitalismus interpretieren, was bedeutet das dann für unser Verständnis des Kolonialismus als eines langfristigen historischen Prozesses?

Kolonialismus und Kapitalismus verändern sich ständig und passen sich an, wie es historische Kräfte generell tun. Gesellschaftliche Bewegungen, wissenschaftliche Erkenntnisse, kulturelle Trends oder Religionen »beginnen« und »enden« nicht einfach. Sie sind nicht statisch. Sie entwickeln und wandeln sich. Jedenfalls gilt das ohne Zweifel für den Kapitalismus – und wir behaupten, dass es beim Kolonialismus nicht anders ist.

Die offensichtlichste Veränderung des Kolonialismus besteht im Übergang vom Landraub zum Datenraub. Dies ist eine

Eine weitere wichtige Veränderung des Kolonialismus ist die veränderte Rolle, die die Gewalt in seiner neuen Erscheinungsform spielt. Der historische Kolonialismus war brutal und unmenschlich. Aber wie wir im letzten Kapitel gesehen haben, fand er auch Mittel und Wege, ohne direkte physische Gewalt auszukommen, vor allem durch kulturelle und wirtschaftliche Gewalt. Das bringt uns zu einer wichtigen Frage: Wenn physische Gewalt dem Datenkolonialismus im Grunde fremd ist, ist es dann überhaupt sinnvoll, dieses Phänomen als Kolonialismus zu bezeichnen?

Dabei ist zu bedenken, dass sich der Kolonialismus, wie wir bereits dargelegt haben, im Einklang mit den gesellschaftlichen Beziehungen entwickelt, die Teil des Kapitalismus sind. In früheren Jahrhunderten hatten die Kolonisatoren nur zwei Mittel zur Verfügung, um sich Land und Gold anzueignen: Gewalt und Lügen. Oft griffen sie zu beidem: Sie mordeten, plünderten und tauschten wertlosen Tand gegen Gold. Andere Möglichkeiten, das koloniale Ziel der Aneignung von Ressourcen in dem von den Kolonisatoren gewünschten Umfang, Tempo und mit der von ihnen erhofften Gewinnspanne zu erreichen, gab es damals nicht, da zwischen den Kolonisatoren und den Kolonisierten keinerlei soziale Beziehungen bestanden.

Aber heute, nach fünf Jahrhunderten Kolonialismus und zwei Jahrhunderten Kapitalismus, ist diese Art von Gewalt

Die Kernaufgabe des Kolonialismus ist im Grunde dieselbe geblieben

Wenn sich der Kolonialismus ständig weiterentwickelt, ist natürlich nicht zu erwarten, dass seine heutigen Erscheinungsformen ein exaktes Abbild der kolonialen Praktiken sind, die wir in den letzten 500 Jahren erlebt haben. Daher ist es so sinnlos wie unsensibel, danach zu fragen, wo denn hier die Gewalt bleibt und

In fünf Jahrhunderten hat sich eine Menge geändert. Daher ist auch zu erwarten, dass sich der heutige Datenkolonialismus in seinen Erscheinungsformen deutlich von früheren Versionen kolonialistischer Aneignung unterscheidet. Dies lässt sich am besten erklären, wenn wir Form, Inhalt und Funktion des Kolonialismus im Verlauf der Geschichte getrennt voneinander betrachten.

Da der Kolonialismus ein sehr komplexer, sich über Jahrhunderte entwickelnder Prozess ist, haben sich seine Form und sein Inhalt im Laufe der Zeit verändert und angepasst. Mit Form meinen wir die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Merkmale des Kolonialismus zu einem bestimmten Zeitpunkt. Man beachte, dass sich der Kolonialismus der Plantagenbesitzer (die sich Land aneigneten, um Nutzpflanzen anzubauen, aber nicht unbedingt auch auf ihm lebten) stark vom Kolonialismus der Siedler (für die das geraubte Land den Mittelpunkt ihrer Existenz bildete) unterscheidet. Mit Inhalt meinen wir die spezifische Art und Weise, wie sich diese bestimmte Form an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten manifestierte. Der Kolonialismus der Spanier in Mexiko sah ganz anders aus als der Kolonialismus der Briten in Indien. Alle diese historischen Formen des Kolonialismus unterscheiden sich natürlich wiederum stark vom Datenkolonialismus. Wir wollen diese Unterschiede keineswegs leugnen.

Wichtiger ist die Ähnlichkeit, die Gemeinsamkeit dieser Formen des Kolonialismus, die sie alle zu Formen eines historisch gewachsenen Kolonialismus macht. Es handelt sich dabei

Wir wollen nicht bloß sagen, dass das, was mit unseren Daten geschieht, Züge des historischen Kolonialismus trägt oder ihm oberflächlich ähnelt. Uns geht es vielmehr darum, zu zeigen, dass durch die Beziehungen zu digitalen Plattformen, die wir eingehen, tatsächlich eine neue und erweiterte koloniale Ordnung errichtet wird. Diese neue koloniale Ordnung, die auf der Extraktion von Daten beruht, wird langfristig fast alle Menschen der Möglichkeit berauben, die Urteile zu kontrollieren, die über sie gefällt werden, und sie wird dies auf der Grundlage von Daten tun, die man sich über ihr Leben beschafft hat, genau wie Tracy es befürchtet.

All dies löst bislang keine großen Proteste aus. Ein Hauptgrund dafür ist, dass wir mit Narrativen gefüttert werden, die die Realität verschleiern. Zu diesen Narrativen gehört die Wiederholung der kolonialistischen Mär, dass Ressourcen billig sind.

Wirtschaftsvertreter bringen oft vor, die Daten, die sie aus unseren Online-Aktivitäten extrahieren, seien »einfach so da«. Es sind die Daten, die wir, ganz nebenbei und ohne dass es uns Mühe kostete, generieren, wenn wir im Internet unterwegs sind, und die einfach verlorengingen, wenn sie (die Konzerne) sie nicht durch sorgfältige Datenveredelung guten Zwecken zuführen würden. Wäre es nicht schade, wenn all dieses Wissen verlorenginge, Daten, die zur Lösung so vieler Probleme der Menschheit beitragen könnten? Warum also sollte die Kontrolle über diese gewaltige Menge an »Datenabfall« nicht kostenlos an die Wirtschaft abgegeben werden?

Es ist verblüffend, wie sehr diese Argumentation der Rechtfertigung der einstigen Kolonialherren für die Aneignung von fremdem Land gleicht. Sie behaupteten einfach, das Land mit seinen natürlichen Ressourcen, das sie sich unter den Nagel rissen, sei im Überfluss vorhanden, werde von niemandem beansprucht und »warte einfach nur darauf«, dass es sich jemand nehme – mit anderen Worten, es sei billig zu haben. Eine ganze »neue« Welt stehe bereit, vom Kolonisator erschlossen zu werden, dessen bloßes Auftauchen als Besitzerklärung genüge. Um dies zu bemänteln, bediente man sich einfach einer alten Rechtsdoktrin: Das geraubte Land wurde als herrenlos betrachtet, als terra nullius, wie es im Lateinischen heißt, was nichts anderes bedeutet als Niemandsland.

Dumm nur für die Kolonisatoren, wenn das Land dann teilweise bewohnt war! Doch aus ihrer eurozentristischen Perspektive hatten diese Bewohner keine Rechte an dem Land, unter anderem, weil sie es einfach nicht richtig nutzten (dazu waren sie, so die Behauptung, nicht »zivilisiert« genug). Dass die

Schnell erkannten Kolonisatoren, dass sie eine weitere wichtige Ressource brauchten, um die natürlichen Reichtümer nutzen zu können: menschliche Arbeitskraft. Kurzerhand wurde die Arbeitskraft der Kolonisierten vom Kolonisator ebenfalls als billig und im Überfluss vorhanden dargestellt – analog zur billigen Natur. Nach dem Weltbild des Kolonisators waren einige Menschen dazu prädestiniert, solche Arbeit zu verrichten, und dieses Schicksal ergab sich hauptsächlich aus ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer »Rasse«. Die Arbeit der indigenen oder in die Kolonien verschleppten Schwarzen Menschen war tatsächlich billig, zumindest wenn man die Kosten für die Gewalt, mit denen sie unter Kontrolle gehalten wurden, außer Acht lässt. Jan Pieterszoon Coen, Generalgouverneur der Niederländischen Ostindien-Kompanie und Gründer von Batavia (dem heutigen Jakarta), rechtfertigte die niederländische Ausbeutung der indigenen Bevölkerung folgendermaßen: »Darf ein Mann in Europa etwa nicht mit seinem Vieh umgehen, wie es ihm beliebt? Genau dasselbe gilt für den Master und seine Leute.«[14] Auf diese Weise verwandelte die billige Arbeit die billige Natur in eine einfach zugängliche und reichhaltig sprudelnde Quelle des Wohlstands.

Wenn wir dem Kolonialismus in seiner historischen

Diese Vorstellung der billigen Daten ergibt sich aus derselben extraktivistischen Rationalität, die wir bei der Idee billiger Natur und billiger Arbeit am Werk gesehen haben. Man denke nur daran, wie viele Daten wir durch unsere Online-Aktivitäten generieren, indem wir Inhalte hochladen, etwas markieren, Beiträge liken oder teilen. Auf all dies verwenden wir Zeit und Mühe, sicherlich manchmal zu viel. Doch die Plattformen kommen absolut kostenlos an diese Daten, ohne jegliche Bezahlung. Es heißt, diese Daten seien im Überfluss vorhanden, hätten keinen Eigentümer, sie seien »einfach so da«, für jeden, der sie sich nehmen will. Ja, wir mögen sie individuell produzieren, aber sobald sie aggregiert sind, gelten sie als herrenloses Abfall- oder Nebenprodukt, auf das wir keine Ansprüche mehr erheben können.

Wie viele andere koloniale Rohstoffe bedürfen jedoch auch Daten der Verarbeitung und Veredelung. Aber das erfordert hochspezialisierte Technologie, wie sie nur Spitzenunternehmen zur Verfügung steht. Unser einziger Beitrag besteht offensichtlich darin, das Rohmaterial dafür zu erzeugen. Man erzählt uns, dies sei nun mal eben der Fortschritt, es gehe darum, uns stärker zu vernetzen und eine bessere Gemeinschaft aufzubauen und außerdem die KI zu füttern, damit sie die Probleme der Menschheit lösen kann. Doch bislang sind die wahren Nutznießer nicht wir, sondern die Eigentümer der Plattformen und KI-Modelle, die ihnen helfen, ihre Gewinne zu maximieren.